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Aus Sicht von Keynes hängt das Erfolgspotenzial der Marktwirtschaft nicht nur von der staatlichen Wirtschaftspolitik ab, sondern ebenso vom Wirken vorausschauender Unternehmer:innen. Diese sollen sich seiner Meinung nach dadurch auszeichnen, dass sie trotz allgegenwärtiger Unsicherheit langfristige Erwartungen bilden und auf eigene Verantwortung danach handeln. Dadurch tragen sie maßgeblich zu wirtschaftlicher Stabilität, Humankapitalbildung und technischem Fortschritt bei. Aus heutiger Sicht zeigt sich die Bedeutung des Unternehmertums vor allem im Hinblick auf die Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle, während die Orientierung an kapitalmarktbasierten Benchmarks zu gravierenden Fehlsteuerungen führen kann.

Was haben Unternehmer und Südpolforscher gemeinsam? In den Augen von John Maynard Keynes mehr, als man im ersten Moment vermuten würde, denn beide weisen in unsicheren Zeiten den Weg zu neuen Horizonten.

Keynes als Zeitzeuge einer Welt im Umbruch

Keynes, dessen Todestag sich am 21. April 2021 zum 75. Mal jährt, war sein Leben lang ein aufmerksamer Beobachter und Kommentator der Umbrüche seiner Zeit. Als Mitglied der Londoner Bloomsbury Group, eines Zirkels aus Künstlern, Philosophen und Schriftstellern, hatte er an den intellektuellen Debatten des frühen 20. Jahrhunderts regen Anteil (Skidelsky, 1983). Seine vorübergehende Tätigkeit im India Office hatte ihn mit dem Arbeitsalltag der Ministerialbürokratie in Kontakt gebracht, und als professioneller Kapitalanleger verwaltete er neben seinem eigenen Vermögen zeitweise mehrere Versicherungs- und Fondsportfolien sowie Stiftungskapitalien des King‘s College der Universität Cambridge. Während des Ersten Weltkriegs beschäftigte sich der überzeugte Pazifist Keynes im Auftrag des britischen Schatzamtes mit Fragen der Kriegsfinanzierung, ebenso wie später während des Zweiten Weltkriegs. Noch unmittelbar vor seinem Tod war er maßgeblich in die Verhandlungen zwischen Großbritannien und den USA zur Regulierung der Kriegsschulden eingebunden (Skidelsky, 2000).

Nebenbei nahm Keynes in unzähligen Zeitschriftenartikeln zu Fragen aus Politik und Gesellschaft Stellung. Dabei thematisierte er neben weltpolitischen Kontroversen, beispielsweise um den Versailler Vertrag und die Entwicklungen in Sowjetrussland, auch sozial- und gesellschaftspolitische Herausforderungen im Vereinigten Königreich (Keynes, 1951). Ein wichtiges Anliegen war ihm die Positionierung des Liberalismus, dem er politisch nahe­stand, vor dem Hintergrund der sozialen Spannungen der Zwischenkriegszeit und des Bedeutungsgewinns der Labour Party (Kromphardt, 2013). Dabei waren ihm die Ereignisse, zu denen er sich äußerte, vielfach aus eigener Anschauung vertraut. So hatte er als Beauftragter des britischen Schatzamtes an den Friedensverhandlungen in Versailles teilgenommen, bevor er dieses Amt aus Protest gegen die Haltung seiner Regierung niederlegte. Auch die Sowjetunion hatte er durch eine Reise gemeinsam mit seiner Frau, einer russischen Balletttänzerin, persönlich kennengelernt.

Keynes musste also sowohl als Mitwirkender als auch als Kommentator erleben, wie sich die „Welt von Gestern“, die Stefan Zweig (2013 [Erstveröffentlichung 1942], 17) als „das goldene Zeitalter der Sicherheit“1 beschrieben hatte, in Chaos auflöste und eine neue, tragfähige Friedensordnung vorerst nicht verwirklicht werden konnte. Er sparte deshalb nicht mit Kritik an politischen Entscheidungsträgern wie Lloyd George oder Churchill. Doch zugleich nahm er wahr, dass in der Politik ebenso wie in der Wirtschaft auch beste Absichten schlechte Resultate hervorbringen konnten.2 Dies verdeutlichte ihm, wie gering selbst die Durchsetzungskraft der vermeintlich Mächtigen sein konnte, wenn politische Ereignisse Eigendynamiken entfalteten und die Welt an den Rand des Abgrunds brachten.

Zentrale Anliegen in Keynes‘ ökonomischem Werk

Diese Erfahrungen beeinflussten zugleich Keynes‘ Herangehensweise an die ökonomischen Umbrüche seiner Zeit. Bereits in seiner Dissertation „A Treatise on Probability“ thematisierte er den Umgang mit Ungewissheiten (Keynes, 1921). Dabei unterschied Keynes ähnlich wie Frank Knight, der Mitbegründer der Chicago School of Economics, zwischen Risiken („risk“), die sich mathematisch quantifizieren ließen, und Unsicherheit („uncertainty“), die nicht kalkulierbar war, da die dafür erforderlichen Verteilungsfunktionen nicht bekannt waren (vgl. auch Knight, 1921). Gerade in Anbetracht der politischen Krisen seiner Zeit maß er dem Faktor „uncertainty“ eine wesentliche Rolle bei (vgl. Keynes, 1936, 46-51 sowie – vor allem zur Rolle politischer Unsicherheiten – auch 161-163).

Ein weiteres großes Thema für Keynes war Rolle von Bürgern, Unternehmen und Politik in einer Welt, deren permanenter Wandel für große Teile der Bevölkerung mit schmerzhaften Erfahrungen wie Arbeitslosigkeit verbunden war.3 Dabei bekannte er sich in liberaler Tradition zu einer Gesellschaft freier Bürgerinnen und Bürger, in der dem Staat primär die Aufgabe zukam, die Freiheit der Einzelpersonen zu sichern. Zur individuellen Freiheit gehörten für Keynes jedoch nicht nur liberale Abwehrrechte, sondern zugleich konkrete Möglichkeiten der Verwirklichung individueller Lebensentwürfe, die er mit dem Begriff „social justice“ umschrieb (vgl. Keynes, 1951 [Erstveröffentlichung 1926]). Sein erklärtes Ziel war es, möglichst viele Menschen dazu in die Lage zu versetzen, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten und von den Chancen der modernen Zeit zu profitieren (Keynes, 1969 [Erstveröffentlichung 1930]).4

Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 und die damit verbundenen sozialen Probleme brachten Keynes dazu, im Jahr 1936 mit seiner General Theory on Employment, Interest, and Money ein Grundlagenwerk vorzulegen, das die staatliche Verantwortung für die Wirtschaft neu definierte. Zur freiheits- und rechtssichernden Funktion des Staates kam nun eine Stabilisierungsfunktion in Krisenzeiten. So sollte der Staat immer dann die Nachfrage stabilisieren und dadurch Beschäftigung sichern, wenn der Konsum der privaten Haushalte und die Investitionsnachfrage von Unternehmen nicht für eine Vollauslastung der Produktionskapazitäten sorgten.

Die Bedeutung des Unternehmertums bei Keynes

Die General Theory lieferte jedoch nicht nur eine Neudefinition staatlicher Aufgaben, sondern stellte zugleich wesentliche Funktionsbedingungen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung dar. So konnte die Marktwirtschaft aus Sicht von Keynes ihr Potenzial zur Schaffung von Wohlstand für die gesamte Bevölkerung nur dann entfalten, wenn neben dem Staat auch vorausschauende Unternehmer Initiative ergriffen und Zukunftsinvestitionen tätigten (vgl. zum Folgenden auch Hecker, im Erscheinen). Dies galt insbesondere vor dem Hintergrund allgegenwärtiger Ungewissheiten.

Daher betonte Keynes die Bedeutung von Unternehmern, die sich durch persönliche Charaktereigenschaften wie Gestaltungswillen und Eigeninitiative auszeichnen sollten. Unternehmer mussten in seinen Augen über „animal spirits“ verfügen, die sie dazu veranlassten, nicht nur kalkulierbare Risiken einzugehen, sondern auch Unsicherheit auf sich zu nehmen.5 So wurde Keynes‘ Wortwahl in diesem Kontext geradezu pathetisch, wenn er Unternehmer mit Polarforschern verglich, deren Entdeckungsreisen in der damaligen Zeit die breite Öffentlichkeit begeisterten:

„Enterprise only pretends to itself to be mainly actuated by the statements in its own prospectus, however candid and sincere. Only a little more than an expedition to the South Pole, is it based on an exact calculation of benefits to come. Thus, if the animal spirits are dimmed and the spontaneous optimism falters, leaving us to depend on nothing but a mathematical expectation, enterprise will fade and die“ (Keynes, 1936, 161 f.).

Unternehmern kam also aus Sicht von Keynes die volkswirtschaftliche Aufgabe zu, trotz unvollständiger Informationen und unsicherer Zukunftsprognosen langfristige Erwartungen zu bilden und danach zu handeln.6 Auf diese Weise trugen sie zu Stabilität und technischem Fortschritt bei und förderten zudem den Aufbau von Humankapital. Unternehmertum stellte für Keynes nicht nur einen Beruf dar, sondern vielmehr einen Lebensstil, der im privaten wie im öffentlichen Interesse das Abenteuer nicht scheute und temporäre Entbehrungsbereitschaft einschloss.7

Gerade im Hinblick auf die Förderung von Innovationen sah es Keynes als sehr wünschenswert an, dass nicht nur diejenigen Investitionen getätigt wurden, die mit großer Sicherheit überdurchschnittlichen Erfolg versprachen:

„If human nature felt no temptation to take a chance, no satisfaction (profit apart) in constructing a factory, a railway, a mine or a farm, there might not be much investment merely as a result of cold calculation“ (Keynes, 1936, 150).

Auch unternehmerische Aktivitäten, die sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht nur bedingt lohnten, konnten demnach volkswirtschaftlich sinnvoll sein, wenn sie mit positiven externen Effekten, wie Innovationen und Aufbau von Humankapital, verbunden waren. Somit war es für Keynes geradezu eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit, dass unternehmerische Tätigkeit neben dem Profitmotiv einen ideellen Zusatznutzen bot, der eine Kompensation für die positiven externen Effekte des Unternehmertums darstellte. Nicht zuletzt aus diesem Grund unterzog Keynes die Verdrängung nicht monetärer Motive zugunsten des Profitinteresses in den westlichen Industrieländern einer deutlichen Kritik (Keynes, 1926).

Man wird dem Werk von John Maynard Keynes also nicht gerecht, wenn man es ausschließlich als Wegweiser in eine nachfrageorientierte Steuerung der Wirtschaft durch den Staat ansieht. Vielmehr konnten staatliche Maßnahmen aus seiner Sicht zwar die Voraussetzungen für unternehmerische Aktivitäten verbessern, handeln und entscheiden mussten aber letztendlich Unternehmer. Daher legt eine Lektüre der Schriften von Keynes nahe, bei der Erörterung wirtschaftspolitischer Maßnahmen stets auch nach deren Auswirkungen auf unternehmerisches Handeln zu fragen.

Finanzmarktspekulation als Bedrohung
des Unternehmertums

Bei seiner Wertschätzung des Unternehmertums grenzte Keynes Unternehmer mit deutlichen Worten gegenüber Spekulanten und Rentiers ab, die ohne inhaltliches Interesse an ihren Investitionsobjekten ausschließlich nach Gewinnen aus Kapitalanlagen strebten. Während er sich über die Motive des Rentiers als „functionless investor“ eher spöttisch äußerte, kritisierte er Spekulanten, die nach kurzfristigen Gewinnen durch Finanztransaktionen strebten, in schärfster Form. Da Spekulanten dazu neigten, anstelle realwirtschaftlicher Faktoren primär kurzfristige Börsentrends zu beobachten, konnten sie aus Sicht von Keynes Blasenbildungen an den Märkten verstärken und durch Herdenverhalten die Stabilität der Wirtschaft insgesamt gefährden.

Anstelle positiver externer Effekte, die mit Unternehmertum verbunden waren, betonte Keynes im Hinblick auf Finanzmarktspekulation deren negative Externalitäten. Deshalb sah er das zunehmende Volumen spekulativer Finanzmarktaktivitäten als großes Problem an:

„Speculators may do no harm as bubbles on a steady stream of enterprise. But the position is serious when enterprise becomes the bubble on a whirl-pool of speculation. When the capital development of a country becomes a by-product of the activities of a casino, the job is likely to be ill-done“ (Keynes, 1936, 159).

Für gefährlich hielt Keynes insbesondere den kurzfristigen Zeithorizont von Spekulanten sowie deren Wunsch nach einer jederzeitigen Liquidierbarkeit ihrer Investments, die eine langfristige Kapitalbereitstellung für unternehmerische Zwecke erschweren konnten. Deshalb bezeichnete er das Streben von Anlegern nach einer Verlustvermeidung durch Schnellverkäufe bei Krisengefahren als „anti-social“ und erwog in seiner General Theory sogar die Möglichkeit, eine langfristige Bindung von Investoren an ihre Investitionsobjekte durch gesetzliche Maßnahmen zu erzwingen. So präsentierte Keynes die Idee, bei Kapitalanlagen eine ähnlich langfristige Bindung durchzusetzen wie bei Eheschließungen, die nach damaligen britischen Recht nur unter strengen Voraussetzungen auflösbar waren (Keynes, 1936, 160). Allerdings griff er diese Überlegung in anderen Zusammenhängen nicht auf, wohl weil er fürchtete, dass Anleger unter dieser Bedingung vor Investitionsentscheidungen zurückschrecken könnten (vgl. auch Skidelsky, 2009, 74).

Keynes sah daher mit Sorge, dass der Anteil derjenigen Unternehmen, deren Inhaber sich nicht an Kapitalmarktdaten orientierten, deutlich zurückging, wobei er vor allem die Entwicklung in den USA als problematisches Vorbild für Großbritannien wahrnahm (Keynes, 1936, 151, vor allem Fußnote 2 sowie 159 f.). Aus seiner Sicht war der Kapitalismus nur dann dauerhaft funktionsfähig, wenn ein großer Teil der Wirtschaft nach unternehmerischen Prinzipien und nicht auf der Grundlage von Finanzmarktdaten gesteuert wurde.

Kapitalmarktorientierung und die Illusion der Berechenbarkeit

Die Befürchtungen von Keynes erscheinen aus heutiger Sicht wie ein prophetischer Blick auf die zurückliegenden Jahrzehnte. So setzte sich seit den 1980er Jahren das Ziel der Shareholder-Value-Maximierung weltweit als Managementprinzip durch, mit der Folge, dass unzählige Unternehmen umstrukturiert und Arbeitsplätze abgebaut wurden. Die Protagonisten dieser Maxime wie Alfred Rappaport (1986) erhoben den Vorwurf, dass das Management bislang die Interessen der Anteilseigner vernachlässigt habe, indem Investitionen getätigt wurden, deren Erträge unter den Renditen der Kapitalmärkte lagen. Unternehmen galten nunmehr nur noch dann als profitabel, wenn sämtliche Geschäftsbereiche „ihre Eigenkapitalkosten verdienten“, d. h. wenn ihre risikoadjustierten Renditen oberhalb derjenigen Gewinne lagen, die durch eine Alternativanlage am Kapitalmarkt erzielbar gewesen wären (vgl. auch Hecker, 2018).

Manager, die der Maxime des Shareholder Value folgten, verkündeten daher ihren Aktionären erfolgsgewiss, dass sie keine Investitionen tätigen würden, deren erwartete Renditen unterhalb kapitalmarktbasierter Benchmarks, d. h. durchschnittlich erzielbarer Aktienrenditen, lagen (vgl. beispielsweise Kohn, 2001). Investitionsverzicht zwecks Verwirklichung kapitalmarktorientierter Mindestrenditen wurde zum Gebot der Stunde. So ließ sich in empirischen Analysen wiederholt feststellen, dass Unternehmen, die nach Shareholder-Value-Gesichtspunkten gesteuert wurden, ihre Investitionen zugunsten von Gewinnausschüttungen oder Aktienrückkäufen reduzierten (vgl. Gutierrez und Philippon, 2016; sowie Lazonick, 2013).

Unterstützung erfuhr dieser Trend durch Innovationen an den Finanzmärkten. So wurden seit der Entwicklung des Capital Asset Pricing Models in den 1960er Jahren zunehmend komplexere Ansätze zur Portfoliosteuerung vorgestellt, die es ermöglichten, Renditeerwartungen und Risiken in ein scheinbar optimales Verhältnis zu setzen.8 Zudem führte die Verbreitung von Ratingnoten für Wertpapiere durch international anerkannte Ratingagenturen dazu, dass Risiken über verschiedene Anlageklassen hinweg vergleichbar erschienen und auch von Anlegern ohne besondere Sachkenntnisse beurteilt werden konnten. So galten beispielsweise zahlreiche Tranchen von Kreditverbriefungen als ähnlich sicher wie Staatsanleihen von Industrieländern, sodass Investoren diese Produkte weltweit zu vergleichbaren Bedingungen kaufen und verkaufen konnten. An den Finanzmärkten setzte sich daher die Erwartung durch, dass ein breites Spektrum von Produkten jederzeit bewertbar und kurzfristig liquidierbar wäre. Dementsprechend erschien es nicht nur legitim, sondern zwecks Renditemaximierung sogar geboten, Eigenkapitalquoten soweit wie möglich zu reduzieren, da die Wahrscheinlichkeit unerwarteter Verluste, die durch Eigenkapital aufgefangen werden mussten, als gering eingeschätzt wurde.

Auf diese Weise machte die Anerkennung unkalkulierbarer Unsicherheiten, die für das Denken von Keynes charakteristisch war, nunmehr einer neuartigen Berechenbarkeitsillusion Platz.9 Diese erleichterte es wiederum den Unternehmensberatungen, finanzmarktorientierte Benchmarks weltweit und branchenübergreifend durchzusetzen. Unternehmen, deren risikoadjustierte Renditen unter den durchschnittlichen Renditeversprechen der Kapitalmärkte lagen, konnten nunmehr als „Wertvernichter“ identifiziert werden und galten als Kandidaten für feindliche Übernahmen mit dem Ziel der Umstrukturierung bzw. Zerschlagung.

Die Finanzmarktkrise als Ende von Illusionen

Spätestens die Finanzmarktkrise ab 2008 hat die Grenzen kapitalmarktorientierter Steuerungsansätze deutlich gemacht. Es zeigte sich, dass die Erwartung einer vollständigen Kalkulierbarkeit künftiger Entwicklungen auf Illusionen beruhte und dass auch Märkte für Finanzprodukte mit vormals guten Ratingnoten illiquide werden können. Damit wurde offensichtlich, dass die von Keynes betonte Kategorie der Unsicherheit unverändert relevant ist (King, 2016).

Eine weitere aktuelle Herausforderung stellt der Übergang zu einer klimaneutralen, CO2-armen Wirtschaftsweise dar. In Anbetracht der unverändert großen Bedeutung von Finanzmärkten für die Unternehmenssteuerung arbeiten die Regierungen und Regulierungsbehörden weltweit mit Nachdruck an regulatorischen Standards, die eine Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten in die Preisbildung im Finanzsystem sicherstellen sollen.10 Dabei ist jedoch offensichtlich, dass Kapitalmärkte, die eine Finanzierung von Investitionen in nachhaltige Technologien ermöglichen, zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für den ökologischen Umbau der Wirtschaft darstellen. Vielmehr hängt das Gelingen einer derartigen Transformation von Innovationsimpulsen ab, die teilweise aus der Wissenschaft, aber ebenso aus der Unternehmenspraxis kommen müssen.

Innovation und Nachhaltigkeit – Unternehmertum im 21. Jahrhundert

Im Hinblick auf die Transformation der Wirtschaft hin zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit ist daher in jüngster Zeit verstärkt die Rolle von Unternehmen thematisiert worden (vgl. beispielsweise Schneidewind, 2018; Hübscher und Neuhäuser, 2020). Dabei wird zumeist hervorgehoben, dass ein nachhaltiger Wandel nur dann gelingen kann, wenn Unternehmen kreativ daran mitwirken, indem sie eigenverantwortlich neue Lösungen ausprobieren, zwar ohne Erfolgsgarantie, aber mit der Aussicht auf überdurchschnittliche Gewinne im Erfolgsfall. Im Rahmen derartiger Debatten zur Corporate Social Responsibility (CSR) wird zumeist die institutionelle Verantwortung von Unternehmen als kollektiven Akteuren hervorgehoben und die Bedeutung von Organisationsstrukturen und Anreizsystemen betont.

Gleichwohl ist es wichtig, neben der institutionellen Verantwortung von Unternehmen auch die persönliche Motivation des Top-Managements zu thematisieren. Schließlich gehen strategische Unternehmensentscheidungen stets auf Abwägungsprozesse von Führungspersonen zurück, die wiederum auf subjektiven Bewertungen von Chancen und Risiken aufbauen. Daher erscheint eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft nur dann erfolgversprechend, wenn Vorstände ihre Aufgaben unternehmerisch im Sinne von Keynes wahrnehmen, d. h. aus persönlicher Motivation heraus Veränderungsprozesse gestalten und dabei langfristige Zielsetzungen verfolgen.

Hierfür kann ein Rückblick auf Keynes wichtige Impulse liefern, insbesondere indem die Bedeutung unternehmerischer Entscheidungen für die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft hervorgehoben wird und Alternativen zur vermeintlich zwingenden Logik finanzmarktorientierter Benchmarks aufgezeigt werden. So wird deutlich, dass unternehmerische Freiheit keineswegs – wie in den vergangenen Jahrzehnten suggeriert – mit einer primären Orientierung an Finanzmarktdaten einhergehen sollte, sondern (im Gegenteil!) dass letztere die Zukunftsfähigkeit der Marktwirtschaft gefährdet. Auf diese Weise bietet sich zudem die Möglichkeit, CSR-Überlegungen nicht nur betriebswirtschaftlich zu motivieren, sondern auch in der volkswirtschaftlichen Theorie zu verankern.

Ausblick

Es zeigt sich, dass die Überlegungen von Keynes zum Unternehmertum heute wichtige Hinweise geben, wie der Übergang zu nachhaltigen Geschäftsmodellen im Rahmen einer Marktwirtschaft gelingen kann.

Dabei werden auch Vorstände, die sich zu Nachhaltigkeitszielen bekennen, weiterhin gewinnorientiert wirtschaften, aber ohne in Aktionismus zu verfallen, wenn die Eigenkapitalrenditen ihrer Unternehmen unter den Rendite-Benchmarks der Kapitalmärkte liegen. Diese Grundhaltung kann sich einerseits aus einer ideellen Bindung an die Sachziele des jeweiligen Unternehmens ergeben. Andererseits könnte dahinter auch die ökonomische Einsicht stehen, dass die Übernahme von Unsicherheit als maßgebliche Unternehmerfunktion auch unerwartete Chancen mit sich bringt, wenn Innovationen neue Wachstumszyklen anstoßen und dadurch Pioniergewinne entstehen (Fücks, 2013; von Weizsäcker et al., 2009). Auf jeden Fall sollte die Lektüre von Keynes die Gewissheit vermitteln, dass es fatal wäre, aufgrund vielversprechender Kapitalmarktrenditen reale Investitionen in Zukunftstechnologien zu unterlassen.

Der vorliegende Beitrag stellt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors dar.

  • 1 Zweig charakterisierte damit in erster Linie das Lebensgefühl in der Habsburger-Monarchie vor dem Ersten Weltkrieg, allerdings lassen sich seine Ausführungen auch auf andere europäische Länder in dieser Zeitepoche übertragen, insbesondere auf die altehrwürdigen Institutionen des Vereinigten Königreiches.
  • 2 Dies beschrieb Keynes eindrücklich am Beispiel des US-Präsidenten Woodrow Wilson, vgl. Keynes (1919, 11-31).
  • 3 Keynes sprach dabei von „growing-pains of over-rapid changes“, vgl. Keynes (1969 [Erstveröffentlichung 1930], 209).
  • 4 Diese Zielsetzung von Keynes weist deutliche Analogien zum Capabilities Approach von Amartya Sen auf, vgl. beispielsweise Sen (2009, 231-251).
  • 5 Keynes Ausführungen zur Bedeutung von Unternehmern lassen dabei deutliche Anklänge an Joseph A. Schumpeter erkennen. Auch wenn Keynes Schumpeter in seiner General Theory nicht zitierte, äußerte er an anderer Stelle Zustimmung zu dessen Unternehmertheorie, vgl. Keynes (1971 [Erstveröffentlichung 1930], 85 f.) Zum Vergleich der Unternehmertheorien von Keynes und Schumpeter vgl. auch Hecker (2020, 22-27).
  • 6 An dieser Stelle zeigt sich erneut eine Parallele zu Knight (1921), der die Unternehmerfunktion in der Übernahme nicht versicherbarer Unsicherheiten sah und den Unternehmergewinn als Prämie dafür interpretierte.
  • 7 Dass ein derartiger Lebensstil ähnlich wie bei Polarforschern (wie beispielsweise Robert Scott, der trotz seines tragischen Scheiterns am Südpol von der britischen Öffentlichkeit als Held verehrt wurde) auch in einer Katastrophe enden konnte, war Keynes bewusst. Dies zeigen u. a. seine Ausführungen zum Selbstmord des schwedischen Industriellen Ivar Kreuger in einer Rundfunkansprache im Jahr 1932, in der er ebenfalls auf Metaphern aus der Polarwelt zurückgriff, als er beschrieb, wie der Betroffene „zwischen den Eisbergen einer frostigen Welt zerquetscht“ wurde, vgl. Hein (2008, 103 f.).
  • 8 Das CAPM wurde maßgeblich durch Sharpe und Lintner entwickelt, vgl. beispielsweise Lintner (1965) sowie Sharpe (1964).
  • 9 Selbst politische Unsicherheiten hatten nach dem Zusammenbruch des Ostblocks im Jahr 1990 vorübergehend einen Teil ihres Schreckens verloren, als der US-amerikanische Politologe Francis Fukuyama (2001) das „Ende der Geschichte“ verkündete. Dieses Überlegenheitsgefühl wich jedoch spätestens mit dem 11. September 2001 einer neuartigen Verunsicherung.
  • 10 Ein Beispiel dafür ist die EU-Taxonomie zur Abgrenzung nachhaltiger Anlagen, vgl. Bueren (2020).

Literatur

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Title:Keynes’s Reflections on Entrepreneurship: Of Entrepreneurs and South Pole Explorers

Abstract:From Keynes’s point of view, the success of market economies depends not only on government economic policy, but also on the initiatives of forward-looking entrepreneurs. In his opinion, entrepreneurs must distinguish themselves by forming long-term expectations despite omnipresent uncertainty and act accordingly at their own risk. In this way, they contribute significantly to economic stability, human capital formation and technological progress. Today, the importance of entrepreneurship is particularly evident with regard to the development of sustainable business models, whereas orientation towards capital market-based benchmarks can lead to serious misdirection.

© Der/die Autor:in(nen) 2021

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-021-2899-0