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Der Ausstieg aus der kommerziellen Nutzung der Atomenergie in Deutschland wird in diesen Wochen endgültig geregelt (18. AtG-Novelle). Zu zahlen hat der Bund abschließend insgesamt 2,428 Mrd. Euro. Davon werden lediglich 142 Mio. Euro für den Politikansatz des „raus aus den Kartoffeln, rein in die Kartoffeln“ an EnBW, E.ON und RWE gezahlt. Mit der 11. AtG-Novelle im Herbst 2010, nach der Finanzkrise 2009, waren relativ zum Beendigungsgesetz von 2002 zusätzliche Stromerzeugungsmengen gewährt worden – die sogenannte Laufzeitverlängerung um acht bzw. 14 Betriebsjahre. Die Erträge daraus waren abgeschätzt und in einem begleitenden öffentlich-rechtlichen Vertrag im Verhältnis 50 : 50 auf Konzerne und Bund aufgeteilt worden. Diese Verlängerung des „goldenen Endes“ der Kernkraftnutzung wurde mit der Ausstiegsentscheidung nach Fukushima in Form des sogenannten beschleunigten Atomausstiegs widerrufen. Investitionsaufwendungen, welche die Konzerne im Vertrauen auf die Zusage vom Herbst 2010 vorgenommen hatten, werden ihnen erstattet – ein legitimer Entschädigungsvorgang.

Es bleiben 2,286 Mrd. Euro, welche die Konzerne RWE und Vattenfall im Verhältnis 40 : 60 erhalten. Aus dem Bundeshaushalt wird für die konzerninterne Nichtnutzung von Erzeugungsrechten aus den AKW Krümmel und Brunsbüttel (Vattenfall: 1,43 Mrd. Euro) und Mülheim-Kärlich (RWE: 0,86 Mrd. Euro) gezahlt. Dem stehen die anderen beiden Atomkonzerne, EnBW und E.ON, gegenüber, die Erträge in gleicher Größenordnung durch Zusatz-Einsatzzeiten über die Regelung im Beendigungsgesetz von 2002 hinaus auf dem Markt erzielen. Das ist ein asymmetrischer Ausgleichsvorgang, für Mindernutzung wird gezahlt, Mehrnutzung wird nicht abgeschöpft. Er erscheint deshalb illegitim.

Von der Abschlusszahlung, die den endgültigen „Rechtsfrieden“ unter den Beteiligten herstellen soll, fließen Vattenfall fast 60 % zu. Der vom Bund finanzierte Rechtsfrieden umfasst auch das (völlig überteuerte) Verfahren vor dem Washingtoner Schiedsgericht, das unter dem Energie­charta-Vertrag nur dem ausländischen Staatskonzern Vattenfall offensteht. Auch das wird beendet. Weshalb sollte sich in der hohen Abschlusszahlung an Vattenfall nicht auch die besondere Hebelkraft widerspiegeln, über die dieser Konzern als einziger mit seinem Zugang zum Washingtoner Schiedsgericht verfügt?

In dieser Abschlussentscheidung kulminieren zwei Tendenzen: Die Konsolidierung der Eigentumsordnung des Grundgesetzes sowie der klimapolitisch bedingte Bedarf an Ausstiegen aus angestammten Kapitalgüter-Nutzungen. Vermögensminderungen durch Stranded Assets werden häufiger. Von wem sie getragen werden, vom Eigentümer der Kapitalgüter oder vom Staat, entscheidet am Ende die kodifizierte Eigentumsordnung, das Justizsystem.

Art. 14 GG schützt das bürgerliche Eigentum. Gesetzesgestützte Enteignung ist gestattet gegen Ausgleich eines „Schadens“, der dadurch zugemutet wird. „Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen“, heißt es. Das sind Formulierungen, die an Karl Marx’ Analyse der bürgerlichen Eigentumsordnung oder an Katharina Pistors Code des Kapitals erinnern. Art. 14 GG ist im Wortlaut seit 70 Jahren unverändert geblieben. Immer erneute Auslegungen des Textes durch die Rechtsprechung haben daraus bis heute eine regelrechte bürgerliche Eigentumsordnung geschaffen. Auf ihr beruht die Entschädigungszahlung von 2,29 Mrd. Euro. Mit der AtG-Novelle vom 10. Juli 2018 hatte die Politik versucht zu sagen: „Gleicht das Plus und das Minus untereinander aus!“ Doch das wurde vom Verfassungsgericht nicht mitgetragen. Die etablierte Eigentumsordnung zeigt sich asymmetrisch hinsichtlich Schäden und leistungslosen Extra-Erträgen, die durch staatliche Eingriffe herbeigeführt werden.

Die letzten 50 Jahre sind geprägt von einem wissenschaftsgestützten Vorgang von immer neu entdeckten Umweltgefährdungen durch rechtlich zugelassene Produktionsverfahren. Umweltpolitik ist die systematische Einschränkung von zugelassenen Produktionsweisen. Ob diese Einschränkung eine entschädigungspflichtige „Enteignung“ darstellt, entscheidet die Eigentumsordnung. Trotz der Entdeckung der Problematik in den späten 1960er Jahren wurde sie aber in Deutschland nie explizit geregelt. Faktisch haben wir eine Case-Law-Entwicklung hinter uns. Allein im Bereich der Elektrizitätserzeugung reiht sich ein Ausstiegsvorgang an den nächsten. Es begann mit dem Waldsterben, als die Gesetzgebung Anfang der 1980er Jahre den Stromkonzernen Entschwefelung und Entstickung auferlegte. Das Paket wurde mit den Konzernen abgestimmt, damit deren Weg nach Karlsruhe unterblieb. Mit dem ersten Atomausstieg verfuhr man ebenso. Seitdem wurden drei Kohleausstiege beschlossen – auch mit der Ruhrkohle lief es gut. Mit dem Verfahren beim zweiten Atomausstieg wurden Präzedenzen geschaffen, die uns bei den Kämpfen um Entschädigungen für Kohlekraftwerke noch teuer zu stehen kommen können.

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DOI: 10.1007/s10273-021-2909-2