Es wird immer klarer, dass erfolgreiches Wirtschaften vor allem drei Dinge voraussetzt: Frieden, funktionsfähige Lieferketten und stabile Währungen. Verunsicherung und brüchige Lieferketten sind für das traditionelle Globalisierungsmodell eine Bedrohung. Krieg ist immer eine Katastrophe. Inflation und Rezessionsangst werden die nahe Zukunft in Deutschland bestimmen. Das Inflationsziel der EZB von mittelfristig 2 % wird wohl auf längere Sicht verfehlt. Bei dramatisch steigenden Preisen hat die EZB im September 2022 den Leitzins ein weiteres Mal erhöht; weitere Zinsschritte werden wohl folgen. Denn mit 1,25 % liegt dieser Zins immer noch deutlich unter der durchschnittlichen Inflationsrate von 9,1 % (Stand: August 2022) in der Eurozone. Dabei gibt es erhebliche Differenzen zwischen den einzelnen Mitgliedsländern der Eurozone. In den USA wurde der Leitzins inzwischen auf 3,25 % gesetzt. In der Eurozone wie auch in den USA sind die Jahre der Nullzinspolitik vorbei. Die Erfahrungen der USA mit den Zinserhöhungen lassen erwarten, dass die Zinsschritte der EZB das Inflationsgeschehen kurzfristig nicht bremsen können. Kurzum: Bei steigenden Zinsen scheint sich die Inflation zu verfestigen.
Zinspolitik ist das zentrale geldpolitische Instrument jeder Zentralbank. Die steigenden Leitzinsen werden vielfach als Reaktion auf die dramatische Inflationsentwicklung verstanden. Die Inflation in der Eurozone von durchschnittlich 9,1 % (HVPI) wird von den baltischen Staaten mit einer Inflationsrate von über 20 % deutlich überschritten. In Deutschland hat die Inflation im August 2022 – gemessen im HVPI – bei 8,8 % gelegen. Am unteren Ende der Inflationsskala bewegt sich Frankreich mit 6,6 %. Warum dieser Preisauftrieb durch Zinspolitik allein nicht gebremst werden kann, liegt auf der Hand. Diese Inflation hat keine geldpolitische Ursache. Sie geht vor allem auf einen Preisschock zurück. Massiv schlägt die Preisentwicklung bei Energie zu Buche – weltweit. Aber es ist ein Irrtum, wenn daraus abgeleitet wird, dass Zinspolitik nicht wirkt. Tatsächlich braucht es Zeit, bis die Wirkungsweise der Zinspolitik auch in der Realwirtschaft ankommt.
Tatsächlich wird Energie auf jeder Ebene des Wirtschaftens benötigt; steigende Energiepreise führen letztendlich zu Preissteigerungen in allen Bereichen. Dazu kommt, dass sich die internationalen Lieferketten nicht als krisenresistent erwiesen haben. Angebotsseitig sind erhebliche Knappheiten festzustellen. Darüber hinaus lässt sich durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine eine weitere massive Verunsicherung feststellen. All diese Probleme lassen sich geldpolitisch nicht in den Griff bekommen.
In diesem Gefüge entsteht die Frage: Ist die Zinswende notwendig? Diese Frage muss mit „Ja“ beantwortet werden. Das Zinsgefälle zwischen den beiden Währungsräumen befeuert die Wechselkursentwicklung von US-Dollar und Euro. In der letzten Zeit hat der Euro stark an Außenwert verloren. Dies hat weitreichende Konsequenzen. Denn viele Länder der Eurozone sind auf den Import von fossilen Energieträgern angewiesen. Diese Geschäfte werden im Allgemeinen in US-Dollar abgewickelt. Ohnehin sind die Weltmarktpreise für Energie explodiert. Im Falle der Eurozone verteuert die Abwertung des Euro zusätzlich zur extrem dynamischen Preisentwicklung auf den internationalen Energiemärkten die Einfuhr. Hier wird Inflation importiert.
Die Zinserhöhung ist auch als Signal an die Märkte notwendig. Nicht nur an die Finanzmärkte. Hierbei geht es darum, auch die Inflationserwartungen mittelfristig zu brechen. Ohnehin haben beispielsweise in Deutschland die Geschäftsbanken die Zinswende der EZB teilweise schon im Vorjahr vorweggenommen – so verteuerten sich Baukredite bereits in der 2. Jahreshälfte 2021 merklich. Interessanterweise gilt: Auch wenn inzwischen die Kreditkosten gestiegen sind, so können Schuldner:innen immer noch ein gutes Geschäft machen. Denn die Inflationsraten liegen erheblich über den Zinssätzen. Das ist eine real negative Verzinsung. Die Schuldenlast schrumpft.
Vor diesem Hintergrund gefährden die gestiegenen Kreditzinsen auch keine sinnvollen Investitionen. Investitionen, die in der aktuellen Situation eine Nullzinspolitik erfordern, um Rendite zu ermöglichen, sind weder sinnvoll noch nachhaltig. Erneuerbare Energien rentieren sich. Daher ist auch die Transformation auf ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell nicht durch die Zinserhöhung in Gefahr. Nicht zuletzt durch eine immer weiter verzögerte Transformation zu sozial-ökologischer Nachhaltigkeit steckt das Land in einer Dauerkrise – verursacht auch durch eine missverstandene Globalisierungsstrategie, verzögerten Strukturwandel und die Tolerierung chronischer Verteilungsprobleme. Wenn dann noch exogene Schocks wie Corona oder gar eine extreme Situation wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine dazukommt, drohen zwangsläufig Inflation und Rezession. Insbesondere aber sind die Zinserhöhungen der EZB nicht für die sich andeutende Rezessionsphase verantwortlich.