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Die Deutsche Telekom ist die mit Abstand größte Betreiberin von Fest- und Mobilfunknetzen in Deutschland. Deshalb kommt ihrer strategischen Positionierung nationale Bedeutung für die Entwicklung der infrastrukturellen Grundlagen der Digitalisierung zu. Nachfolgend wird angenommen, dass diese Positionierung wesentlich durch die Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom geprägt wird. Die Kapitalmarktbewertung des Konzerns während der Amtszeiten der vier bisherigen Vorstandsvorsitzenden werden unter Einbezug von drei Börsenindizes und den Big-Five-Tech-Unternehmen verglichen. Daraus werden Schlussfolgerungen zu aus Kapitalmarktsicht sinnvollen Strategieelementen der Deutschen Telekom und zur Berechtigung wirtschaftspolitischer Forderungen nach Netzinvestitionsabgaben von großen Over-The-Top-Unternehmen gezogen.

Presseartikeln zufolge ist damit zu rechnen, dass der gegenwärtige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom, Timotheus Höttges, sein Amt nicht mehr bis zu dessen Vertragszeitende (31.12.2026) wahrnehmen wird (Alvares de Souza Soares, 2022). Die Deutsche Telekom ist nach Umsatz und Marktkapitalisierung der bei weitem größte in Deutschland ansässige Konzern, der Netze zur Telekommunikation betreibt (Knips und Wernick, 2021, 9, 13). Der sich abzeichnende personelle Wechsel an der Führungsspitze ist Anlass um zu analysieren, wie die strategische Entwicklung der Deutschen Telekom seit dem Amtsantritt von Höttges am 1.1.2014 sowie in den Amtsperioden seiner Vorgänger verlaufen ist. Mit der Strukturierung der Vergleiche nach den Amtszeiten der Vorstandsvorsitzenden ist die Prämisse verbunden, dass die Person an der Spitze eines Großkonzerns die Entwicklung des Unternehmens maßgeblich beeinflusst. Die Entwicklung der Deutschen Telekom ist von gesamtwirtschaftlicher Relevanz, weil auf das Unternehmen in Deutschland etwa 40 % der jährlichen Investitionen in Telekommunikationsnetze entfallen (Bundesnetzagentur, 2022, 50; Dialog Consult und VATM, 2021, 9; Gerpott, 2018, 204-206). Sie hat damit erhebliche Bedeutung für die Qualität des „infrastrukturellen Rückgrats“ der Digitalisierung der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Beurteilung dieser Entwicklung wird aussagekräftiger, wenn sie anhand von objektiven Maßstäben (Benchmarks) kalibriert wird. Als Benchmarks kommen a) unternehmensintern intertemporal vergleichende Gegenüberstellungen sowie b) unternehmensextern Quer- und Längsschnittvergleiche von Leistungskriterien für die Amtszeiten sämtlicher Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom in Betracht. Da der Konzern eine börsennotierte Aktiengesellschaft mit erheblichen Handelsvolumina seiner Eigenkapitalanteile ist und Börsenkurse – anders als jahresabschlussbasierte Kennzahlen (z. B. Eigenkapitalrendite) mit aufgrund von durch Rechnungslegungsvorschriften eröffneten Spielräumen – nicht direkt vom Management eines Unternehmens „gestaltet“ werden können, verwenden die nachfolgenden Analysen als Leistungskriterien mit Börsenkurs und Marktkapitalisierung (Zahl der ausgegebenen Aktien x Börsenkurs Aktie zu Börsenschluss) zwei (eigen)kapitalmarktbasierte Variablen. Der erste Börsengang der Deutschen Telekom fand am 18.11.1996 statt, sodass erst ab diesem Stichtag Kapitalmarktdaten zur Verfügung stehen und Amtszeiten davor nicht berücksichtigt werden können.1 Seit dem 18.11.1996 wurde die Deutsche Telekom durch folgende Vorstandsvorsitzende geführt:

  • Ron Sommer (18.11.1996 bis 16.7.2002; 5,7 Amtsjahre);
  • Kai-Uwe Ricke (15.11.2002 bis 12.11.2006; 4,0 Amtsjahre);
  • René Obermann (13.11.2006 bis 31.12.2013; 7,1 Amtsjahre);
  • Timotheus Höttges (ab 1.1.2014 mit 30.9.2022 als fiktivem Amtszeitende; 8,8 Amtsjahre).

Methodik

Leistungsmaße

Zur Erfassung der Bewertung der Deutschen Telekom durch den Kapitalmarkt werden offizielle Tagesschlusskurse der Börse Frankfurt herangezogen. Im Kurs eines Unternehmens spiegeln sich die Erwartungen seiner Anteilseigner:innen bezüglich ihrer zukünftigen Geldzuflüsse aus dessen Aktie wider. Unter Rückgriff auf die Kurse am ersten und letzten Amts-/Börsenhandelstag eines Vorstandsvorsitzenden wird als geometrische Reihe eine mittlere prozentuale jährliche Kursveränderung für jeden Vorstandsvorsitzenden berechnet. Diese Variable wird als erstes Maß der Leistung eines Vorstandsvorsitzenden aus Kapitalmarktsicht interpretiert. Als zweites Leistungsmaß wird analog zur durchschnittlichen jährlichen prozentua­len Kursveränderung die mittlere prozentuale Veränderung der Marktkapitalisierung pro Vorstandsvorsitzendenamtsjahr bestimmt. Diese Variable weicht dann vom ersten Maß ab, wenn die Zahl der ausgegebenen Aktien am ersten und/oder letzten Betrachtungsstichtag z. B. aufgrund bei einer Kapitalerhöhung platzierter zusätzlicher Aktien2 oder einer Aktienteilung nicht identisch ist.

Benchmarks zur Einordnung der zwei Leistungsmaße

Um das erste Leistungsmaß auch über Querschnittsbetrachtungen einordnen zu können, wurden für die Amtszeiträume der Vorstandsvorsitzenden die jährlichen mittleren Veränderungsraten von folgenden drei Börsenindizes als Benchmarks bestimmt:

  • DAX-40: Der Index umfasst die 40 nach Umsatz und Marktkapitalisierung bedeutsamsten in Deutschland beheimateten börsennotierten Unternehmen. Das Gewicht der Deutsche-Telekom-Aktie in diesem Index lag Ende September 2022 bei etwa 6,4 %.
  • STOXX Europe 600 Telecommunications: Der Index wird aus 22 aus Europa stammenden und dem STOXX Europe 600 angehörenden großen Telekommunikationsunternehmen gebildet, zu denen auch die Deutsche Telekom zählt und von denen sechs Unternehmen keine „klassischen“ Fest-/Mobilfunknetzbetreiber, sondern Telekommunikationsausrüster, Funkturm-, Satelliten- oder Rundfunknetzbetreiber sind.
  • S&P 500 Communication Services: Der Index umfasst als Teilmenge des S&P 500 der größten börsennotierten Unternehmen mit Hauptsitz in den USA 26 Unternehmen, die elektronische Kommunikations- und Mediendienste anbieten (unter anderem Big-Five-Tech-Unternehmen, Netflix), von denen weniger als 20 % „klassische“ Fest-/Mobilfunknetzbetreiber wie die Deutsche Telekom sind. In diesem Index befindet sich auch T-Mobile US, deren Mehrheitsgesellschafterin die Deutsche Telekom ist.

Benchmarks: Big-Five-Tech-Unternehmen (GAMMA)

Um das zweite Leistungsmaß einordnen zu können, wurde für die Amtszeiträume der Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom für folgende fünf Unternehmen die mittlere prozentuale Veränderung der Marktkapitalisierung pro Amtsjahr aus Tagesschlusskursen der Börse New York ermittelt: Google/Alphabet, Apple, Meta/Facebook, Microsoft und Amazon. Sie werden auch als „Big-Five-Tech“-Konzerne und mit dem Akronym GAMMA bezeichnet. Jedes dieser Unternehmen betreibt Plattformen, die Dienste für den Massenmarkt (z. B. Video-Sharing, soziale Medien) über das Internet (Over The Top [OTT]) bereitstellen, ohne selbst in großem Maßstab eigene Anschlussnetze zu besitzen. GAMMA (und nicht etwa in anderen Ländern beheimatete etablierte Telekommunikationsnetzbetreiber) werden deshalb als Benchmarks gewählt, um erkunden zu können, inwieweit es Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom gelungen ist, bessere Leistungswerte zu erzielen als Plattformbetreiber, die sich bei elektronischen Kommunikationsdiensten strategisch anders als die Deutsche Telekom aufstellen. Für GAMMA wird deren Marktkapitalisierung als Leistungsmaß herangezogen, weil diese Variable infolge etlicher GAMMA-Kapitalerhöhungen oder -Aktiensplits im Betrachtungszeitraum für unternehmensübergreifende Leistungsvergleiche weniger problematisch ist als allein auf Basis von Börsenkursveränderungen gebildete Indikatoren.

Bewertung der Deutschen Telekom durch den Kapitalmarkt nach Amtszeiten der Vorstandsvorsitzenden

Tabelle 1 berichtet die mittlere prozentuale Schlusskurs/-Indexveränderung der Deutschen Telekom pro Amtsjahr der Vorstandsvorsitzenden seit dem 18.11.1996. Für dieses Leistungsmaß weist die Amtszeit von Höttges bzw. Sommer mit 4,35 % bzw. -4,84 % die beste bzw. schlechteste Ausprägung der vier Vorsitzenden auf. Die Rangplätze 2 bzw. 3 belegen die Amtsperioden von Ricke bzw. Obermann. Ordnet man das erste Leistungsmaß nicht durch intertemporale unternehmensinterne Vergleiche, sondern durch unternehmensexterne Kriterien (drei Aktienindizes) im Querschnitt ein, ergibt sich aus Tabelle 1 folgendes Bild: Die Deutsche Telekom erreicht während der Höttges-Amtszeit durchweg bessere Werte als die Benchmarks. Hingegen sind die Werte für die Amtsperioden der drei weiteren Vorstandsvorsitzenden ohne Ausnahme schlechter als die Benchmarks. Die Gegenüberstellungsergebnisse zwischen der Deutschen Telekom und den drei Indizes sind für die zwei Vorgänger von Höttges weniger eindeutig, sie lassen sich aber insgesamt so interpretieren, dass der Amtszeit von Ricke Rang 2 und der von Obermann Rang 3 zuzuweisen ist.

Tabelle 1
Durchschnittliche Schlusskursveränderung von der Deutschen Telekom und drei Aktienindizes
in % pro Amtsjahr der Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom
Vorstandsvorsitzender (Amtszeit mit Börsennotierung) Deutsche
Telekom
DAX-40 STOXX
Europe 600 Telco
S&P 500 Communica­tion Services
Ron Sommer (18.11.1996 bis 16.7.2002) -4,84a 6,54 4,41 -3,50
Kai-Uwe Ricke (15.11.2002 bis 12.11.2006) 4,03 18,98 7,40 8,09
René Obermann (13.11.2006 bis 31.12.2013) -1,07 5,84 -0,47 0,78
Timotheus Höttges (1.1.2014 bis heute)b 4,35 2,94 -4,88 0,53

a Die Veränderungen werden generell ab dem Börsengang der Deutschen Telekom am 18.11.1996 berechnet. An diesem Tag betrug der Eröffnungskurs der Deutschen-Telekom-Aktie 14,57 Euro, der Schlusskurs 16,97 Euro. b Die Veränderungen während der Amtszeit von Höttges werden mit dem 30.9.2022 als fiktivem Amtszeitende berechnet.

Quelle: eigene Berechnungen.

Für die durchschnittliche prozentuale Veränderung der Marktkapitalisierung der Deutschen Telekom pro Amtsjahr der Vorstandsvorsitzenden seit dem ersten Börsengang ist gemäß Tabelle 2 in der Amtszeit von Sommer ein positiver Wert von 2,57 % zu beobachten. Dieser Zuwachs ist allerdings zum großen Teil auf die starke Erhöhung der Zahl der ausgegebenen Aktien infolge der zwei weiteren Börsengänge 1999 und 2000 (vgl. Fußnote 2) zurückzuführen. In den Amtsperioden der drei weiteren Vorstandsvorsitzenden nahm die Zahl nicht annähernd in ähnlichem Umfang zu. Deshalb ist das zweite Maß als Basis für eine Leistungsrangreihe der Amtszeiten der Vorstandsvorsitzenden nur bei Ausschluss der Periode unter Sommer geeignet. Für die übrigen drei Vorstandsvorsitzenden erhält man gemäß Tabelle 2 folgende Reihung: Höttges Rang 1, Ricke Rang 2 und Obermann Rang 3.

Tabelle 2
Durchschnittliche Veränderung Marktkapitalisierung Deutsche Telekom und von fünf Plattformbetreibern
in % pro Amtsjahr der Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom
Vorstandsvorsitzender (Amtszeit mit Börsennotierung) Deutsche Telekom Google Apple Meta Micro-
soft
Ama-zon
Ron Sommer (18.11.1996 bis 16.7.2002) 2,57 / 13,81 / 19,91 54,16a
Kai-Uwe Ricke (15.11.2002 bis 12.11.2006) 5,03 129,36b 88,49 / -1,22 18,09
René Obermann (13.11.2006 bis 31.12.2013) -0,79 14,04 31,18 19,56c 1,03 40,11
Timotheus Höttges (1.1.2014 bis heute)d 5,48 14,80 18,74 11,62 21,83 23,40

a Die Veränderung während der Amtszeit von Sommer wird vom Tag der Amazon-Erstnotierung (15.5.1997) an berechnet. b Die Veränderung während der Amtszeit von Ricke wird vom Tag der Google-Erstnotierung (19.8.2004) an berechnet. c Die Veränderung während der Amtszeit von Obermann wird vom Tag der Facebook-/Meta-Erstnotierung (18.5.2012) an berechnet. d Die Veränderungen während der Amtszeit von Höttges werden mit dem 30.9.2022 als fiktivem Amtszeitende berechnet.

Quelle: eigene Berechnungen.

Beim Querschnittsvergleich der Marktkapitalisierungsveränderungen mit denen von GAMMA in Tabelle 2 schneidet die Deutsche Telekom nur in einem Fall (Microsoft während der Ricke-Amtszeit) besser ab als ein Benchmark. Dieser Ausreißer lässt sich dadurch erklären, dass Microsoft mit dem Abflachen der Umsätze/Gewinne aus dem Windows-Betriebssystem zunächst nicht dazu in der Lage war, erfolgreich andere Geschäftsfelder (z. B. Cloud Computing) zu erschließen (O’Grady, 2015, 5-13; Wang et al., 2012, 257). Ansonsten bewertet der Kapitalmarkt die GAMMA-Positionierungen, unabhängig davon, wer an der Spitze der Deutschen Telekom steht, durchweg deutlich positiver als die strategische Ausrichtung als vertikal integrierter Betreiber und Vermarkter von Telekommunikationstransport- und Anschlussnetzen (im Ergebnis ähnlich Axon, 2022, 8). Für die vier Amtsperioden der Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom sind die Unterschiede zu GAMMA bei den Marktkapitalisierungsveränderungen nicht so ausgeprägt, dass eine klare Leistungsrangreihe der Vorstandsvorsitzenden gebildet werden kann.

Alles in allem ergeben die intertemporalen Vergleiche zwischen den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom und die intratemporalen Gegenüberstellungen für die vier Vorstandsvorsitzenden in Tabelle 1 folgende Leistungsränge: Höttges Rang 1, Ricke Rang 2, Obermann Rang 3 und Sommer Rang 4. Um die ungleichen Bewertungen in den Amtsperioden erklären zu können, ist zu analysieren, wie sich die strategische Positionierung des Konzerns zwischen den vier Amtszeiten unterscheidet. Außerdem ist zu untersuchen, wie haltbar eine aktuell wieder intensiv diskutierte Erklärung für den GAMMA-Bewertungsvorsprung (fehlende Netzinvestitionen großer OTT-Unternehmen) gegenüber der Deutschen Telekom sowie anderen klassischen Netzbetreibern (z. B. Orange, Telefónica) und die daraus abgeleitete Forderung nach der Abhilfemaßnahme „Infrastrukturabgabe“ (Krempl, 2022) großer OTT-Plattformen ist.

Erklärungsansätze

Strategische Positionierung der Deutschen Telekom

Die strategische Positionierung während der Sommer-Amtszeit zeichnet sich aus durch

  • internationale Beteiligungen an Fest-/Mobilfunknetzbetreibern in Europa (Italien, Kroatien, Niederlande, Nordmazedonien, Österreich, Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn), Asien (China, Indonesien, Malaysia, Philippinen) und den USA, die in Asien zum Teil nach kurzer Zeit wieder verkauft wurden;
  • Vorbereitung des von der EU auferlegten Verkaufs des Breitbandkabelgeschäfts in Deutschland;
  • getrennte Führung des Festnetz-, Mobilfunk- und Internetzugangsgeschäfts in Deutschland.

Diese Strategie wird vom Kapitalmarkt relativ zu denen seiner drei Nachfolger am schlechtesten bewertet (vgl. Tabelle 1).

Die Amtszeit von Ricke ist durch folgende Positionierungselemente geprägt:

  • Verkauf des Breitbandkabelgeschäfts in Deutschland;
  • Verkauf von Geschäften vor allem in Asien sowie von Satelliten-/Festnetzbeteiligungen in Europa;
  • organisatorische Integration des Festnetz- und Internetzugangsgeschäfts in Deutschland.

Diese Ausrichtung wird vom Kapitalmarkt besser als die unter Sommer und Obermann eingestuft (vgl. Tabelle 1).

Während der Amtszeit von Obermann ragen folgende Positionierungselemente heraus:

  • Verkauf des Breitbandkabel- und Rundfunksendergeschäfts in Deutschland, von Geschäften vor allem in Asien sowie von Satelliten-/Festnetzbeteiligungen in Europa bei Scheitern des Verkaufs von T-Mobile US;
  • Aufbau eines deutschsprachigen entgeltpflichtigen TV-Angebots über das Internet;
  • Kostenreduktionsprogramme primär in Deutschland.

Diese Strategie wird relativ zu der seines direkten Vorgängers bzw. Nachfolgers vom Kapitalmarkt als weniger ertragsbringend wahrgenommen (vgl. Tabelle 1).

Wesentliche Merkmale der Strategie unter dem Vorstandsvorsitzenden Höttges bis Ende September 2022 sind:

  • Beteiligungsausbau an und Stärkung von T-Mobile US (unter anderem Fusion mit Sprint);
  • VDSL-Vectoring-Ausbau und Vorbereitung des FTTB/H-Ausbaus mit (Finanz-)Partnern bei gleichzeitigem Verkauf von Randgeschäften (z. B. Hosting, E-Commerce-Plattformen, Telefonverzeichnisse) in Deutschland;
  • Verkauf Mobilfunkgeschäft in Großbritannien und den Niederlanden sowie Funkturmsparte in Deutschland.

Diese Strategie wird vom Kapitalmarkt relativ zu denen seiner drei Vorgänger am besten beurteilt (vgl. Tabelle 1).

Fehlende Netzinvestitionen großer OTT-Unternehmen?

Gemäß Tabelle 2 sind die Veränderungsraten der Marktkapitalisierung der Deutschen Telekom von 1996 bis heute fast ohne Ausnahme niedriger als die von GAMMA. Etablierte Telekommunikationsnetzbetreiber tragen seit 2012 vor, dass ihre relativ zu GAMMA schlechtere Bewertung durch den Kapitalmarkt zu einem wesentlichen Teil darauf zurückzuführen sei, dass GAMMA und weitere OTT-Konzerne wie insbesondere Netflix nicht nennenswert in eigene Netze investieren würden, sondern ihre Dienste über die Anschlussnetze klassischer Telekommunikationsunternehmen wie der Deutschen Telekom realisieren würden, ohne hierfür zu bezahlen (ETNO, 2012; ETNO 2021; Wettach, 2022). Diese Sicht wird vereinzelt auch in Veröffentlichungen vertreten, die nicht in bezahltem Auftrag von Telekommunikationsunternehmen erstellt wurden (Herwig, 2022). Abgelehnt wird sie hingegen nicht nur von etlichen Mitgliedern des Europäischen Parlaments und Netzaktivist:innen, die gegen solche Zahlungen von OTT-Anbietern primär eine Verletzung des Prinzips des diskriminierungsfreien, gleichberechtigten Transports sämtlicher Inhalte über das Internet (Netzneutralität; Fetzer, Peitz und Schweitzer, 2012, 779-780) anführen (European Parliament, 2022; Rudl, 2022). Darüber hinaus wird sie unter anderem vom Body of European Regulators for Electronic Communications (BEREC) sowie von der Vertretung Deutschlands bei der Europäischen Kommission kritisiert (BEREC, 2012; Bertuzzi, 2022).

Diese Ablehnung ist keinesfalls deshalb überzeugend, weil eine Infrastrukturabgabe das Netzneutralitätsgebot von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2015/2120 verletzen würde, da es in dieser Norm nicht um Transitverkehr zwischen OTT-Plattformen und Telekommunikationsnetzbetreibern geht. Vielmehr ist die Zurückweisung mindestens aus folgenden vier Gründen sachgerecht:

  1. Es ist zu bezweifeln, dass OTT-Plattformbetreiber keine signifikanten Beträge in Netze investieren. Sie investieren zwar nicht in Anschlussnetze mit Glasfaserkabeln bis zum Gebäudekeller oder in die Wohnung (Fiber-To-The-Building bzw. Home [FTTB bzw. FTTH]). Sie wenden aber erhebliche Mittel für Datenzentren, Glasfaserkabel zum Verkehrstransport zwischen Datenzentren und Technik zur Unterstützung des Verkehrsaustauschs mit Telekommunikationsnetzbetreibern sowie zur Datenspeicherung in Endnutzernähe (Content Delivery Nodes) auf. In einer von Google finanzierten Studie werden diese Investitionen in Europa mit durchschnittlich 4,5 Mrd. US-$ pro Jahr im Zeitraum 2014 bis 2017 geschätzt, wobei hiervon der größte Teil auf GAMMA entfällt (Abecassis, Morgan und Osman, 2018, 7, 19).
  2. Telekommunikationsnetzbetreiber profitieren von den Investitionen der OTT-Plattformbetreiber in F&E zur Schaffung neuer Dienste und in attraktive Inhalte, weil sie Endkundschaft so dazu motivieren, Internetanschlüsse mit hohen Bandbreiten nachzufragen, die Telekommunikationsnetzbetreibern höhere Deckungsbeiträge ermöglichen als Anschlüsse mit niedrigen Geschwindigkeiten.
  3. Verkehrsmengenabhängige Zahlungen von OTT-Plattformbetreibern für den Ausbau von FTTB/H-Netzen verkennen, dass die Netzkosten klassischer Telekommunikationsanbieter wie der Deutschen Telekom primär durch die Zahl sowie Lage der Endkundenanschlüsse und nur zu einem kleinen Teil vom Verkehrsvolumen bestimmt werden.
  4. Der Wechsel zu einem „Sending Party Network Pays“-Mechanismus bei der Abrechnung von Verkehr zwischen Netzbetreibern erhöht die Marktmacht von Anschlussnetzbetreibern gegenüber OTT-Plattformen deutlich und erzeugt Regulierungsbedarf, weil OTT-Plattformbetreiber zwingend auf jedes Anschlussnetz angewiesen sind, um ihre Kundschaft lückenlos zu erreichen (BEREC, 2012).

Im Ergebnis gibt es keinen strukturellen Nachteil klassischer Telekommunikationsnetzbetreiber gegenüber GAMMA und anderen OTT-Plattformen dadurch, dass nur Erstere in Anschlussnetze investieren. Eine Infrastrukturabgabe, die aktuell besonders eindringlich vom Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom gefordert wird (BCG, 2022, 19), wird die beobachteten Bewertungsunterschiede zwischen der Deutschen Telekom und GAMMA losgelöst von der persönlichen Leitungsstärke eines Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom nicht nivellieren. Die Bewertungsunterschiede sind vielmehr darauf zurückzuführen, dass GAMMA in Märkten aktiv sind, denen der Kapitalmarkt derzeit aufgrund vielfältiger innovationsgetriebener Wachstumspotenziale eine höhere finanzielle Attraktivität zuschreibt als den Märkten, die klassische Telekommunikationsunternehmen wie die Deutsche Telekom bedienen.

Ausblick

Die qualitativen Analysen sprechen dafür, dass die Positio­nierung der Deutschen Telekom während der Amtszeit des Vorstandsvorsitzenden, der aus Kapitalmarktsicht den Konzern relativ zu den übrigen Vorstandsvorsitzenden am besten geführt hat, durch drei Eckpfeiler charakterisiert ist: 1. Investitionen in die Stärkung von T-Mobile US, 2. Reduktion des Engagements auf europäischen Märkten außerhalb Deutschlands und 3. Ausbau von VDSL-Anschlussnetzen (und nicht von FTTB/H-Netzen) unter Einbezug von Wettbewerbenden und Finanzinvestierenden in Deutschland. Demgegenüber ist in der Amtszeit des Vorstandsvorsitzenden, der vom Kapitalmarkt am schlechtesten beurteilt wird, eine Internationalisierung des Konzerns ohne klare regionale Ausrichtung und Leistungskonzentration zu beobachten.

Aus Kapitalmarktsicht ist derzeit das US-amerikanische Mobilfunkgeschäft und nicht etwa der FTTB/H-Netzausbau in Deutschland der wichtigste Werttreiber der Deutschen Telekom. Für den Bund, der auch mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem ersten Börsengang der Deutschen Telekom mit einem Gesamtanteil von 30,4 % immer noch der wichtigste Deutsche-Telekom-Aktionär ist, impliziert dieser Befund ein Dilemma. Wenn der Bund die Rückflüsse aus seiner Deutsche-Telekom-Beteiligung maximieren will, dann muss er den Vorstandsvorsitzenden ermutigen, in den Ausbau des USA-Geschäfts zu investieren. Wenn der Bund dagegen den Ausbau von FTTB/H als Basis für die Digitalisierung Deutschlands im Einklang mit dem in der „Gigabitstrategie“ der Bundesregierung enthaltenen Anspruch, bis 2030 die Versorgung von 100 % der Privathaushalte mit einem FTTH-Anschluss sicherzustellen (Bundesregierung, 2022, 11), vorantreiben will, dann hat er auf die Deutsche Telekom einzuwirken, aufgrund knapper Finanzmittel eher nicht das USA-Geschäft, sondern den FTTB/H-Ausbau in Deutschland zu stärken. Voraussetzung dafür, dass der Bund auf den Umgang der Deutschen Telekom mit diesem Dilemma Einfluss nehmen kann, ist jedoch, dass er seine Deutsche-Telekom-Anteile nicht veräußert. Von daher ist nicht zu erwarten, dass die aktuelle Bundesregierung der vielfach seit dem ersten Börsengang 1996 vorgetragenen Empfehlung, die Deutsche Telekom vollständig zu privatisieren (z. B. Monopolkommission, 2003, 46; Wambach, 2017, 156), in einer politischen Konstellation, die eher eine Verstärkung als die Rücknahme staatlicher Industriepolitik begünstigt, Beachtung schenken wird.

Über die Amtszeiten der vier Vorstandsvorsitzenden seit dem ersten Börsengang 1996 hinweg wird die Deutsche Telekom vom Kapitalmarkt fast durchweg schlechter bewertet als GAMMA. Diesen Unterschied darauf zurückzuführen, dass GAMMA nicht in Anschlussnetze investieren, ist abwegig. Dementsprechend sollte die Bundesregierung daran festhalten, die Deutsche-Telekom-Forderung nach einer Infrastrukturabgabe für GAMMA und andere große OTT-Plattformen zu ignorieren. Vielversprechender ist eine Politik der Erleichterung von Investitionen der Deutschen Telekom in neue Geschäftsfelder, die zwar stark risikobehaftet sind, aber große Potenziale aufweisen.

  • 1 Folglich wird die am 1.1.1990 beginnende und am 31.12.1994 endende Amtszeit des ersten Vorstandsvorsitzenden Helmut Ricke vor der gesellschaftsrechtlichen Umwandlung bzw. formalen Privatisierung der Deutschen Telekom in eine Aktiengesellschaft zum 1.1.1995 ebenso wenig einbezogen wie der Teil der Amtszeit des zweiten Vorstandsvorsitzenden Ron Sommer vom 16.5.1995 bis zum Börsengang am 18.11.1996.
  • 2 Nach dem ersten Börsengang erhöhte die Deutsche Telekom ihr Aktienkapital in zwei Börsengängen am 28.6.1999 und 19.6.2000 (Kim und Kriwoluzky, 2021, 425-426) sowie darüber hinaus mehrfach in kleinerem Umfang zur Finanzierung von Akquisitionen (z. B. Erwerb von Aktien an T-Mobile US von Softbank im dritten Quartal 2021).

Literatur

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Wettach, S. (2022), Die Streamingschlacht, Wirtschaftswoche, 76(29), 36-37.

Title:Capital Market Valuation of the Terms of Office of the Chief Executive Officers of Deutsche Telekom After the Initial Public Offering

Abstract:Assuming that CEOs significantly shape a firm’s strategic positioning, the present study looks at two stock-exchange valuation criteria of the largest German telecommunications network operator, Deutsche Telekom, to reflect on the performance of the four CEOs leading the firm since its Initial Public Offering in 1996. The criteria are the average annual change rate of Deutsche Telekom’s (1) share price and (2) market capitalisation during a CEO’s term of office. The two measures are compared between the CEOs and with eight benchmarks (three stock indices, big-five tech companies). Results suggest that (1) Deutsche Telekom’s present CEO outperforms his predecessors mainly due to a clear emphasis on Deutsche Telekom’s mobile communication business in the US and (2) the CEO-independent lower value of Deutsche Telekom relative to Google, Apple, Meta, Microsoft, Amazon and other large over-the-top platform providers cannot be remedied through network access fees/cost contributions imposed on OTT companies.

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© Der/die Autor:in 2022

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DOI: 10.1007/s10273-022-3315-0