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Die Nachrichten in den vergangenen Wochen machen Hoffnung: Die Gasspeicher sind voll, noch dazu verbrauchen Haushalte und Unternehmen deutlich weniger Energie als im Vorjahr, und die Börsenpreise für Strom und Gas geben erkennbar nach. Viele Beobachter:innen sehen den Scheitelpunkt der Teuerungswelle schon gekommen. Als erstes Indiz wird angeführt, dass die Erzeugerpreise im Oktober 2022 gegenüber dem Vormonat bereits rückläufig waren. Auch die Inflation, also der Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahr, hat im November etwas nachgelassen. Allerdings kann dies auch eine Momentaufnahme sein, die allein über die Entwicklung der Energiepreise bestimmt ist. Denn der Anstieg der Erzeugerpreise ist in vielen anderen Wirtschaftszweigen noch längst nicht vorüber. Die wegen der Coronakrise gestörten Lieferketten funktionieren keinesfalls wieder reibungslos. Unternehmen werden weiterhin versuchen, die gestiegenen Kosten an ihre Kund:innen durchzureichen – der Inflationsdruck dürfte entlang der Wertschöpfungskette erst allmählich nachlassen. Der Scheitelpunkt der Inflation ohne Energie liegt wahrscheinlich noch vor uns.

Energie und Rohstoffpreise treiben die Teuerung

Seit der Wiedervereinigung sind die Verbraucherpreise in Deutschland im Durchschnitt um 1,7 % gestiegen. Erst im Nachgang der Coronakrise und mit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine legte die Teuerung teils rasant zu – seit diesem Herbst sogar mit zweistelligen Raten. Die Ursachen liegen im Wesentlichen in der Teuerung von Energie- und Nahrungsmitteln. Veranschaulichen lässt sich dies am Beispiel von vier Gütern dieser Kategorien: Sie tragen maßgeblich zur jetzigen Entwicklung bei, sind aber vor 2021 teils aufgrund ihres teils geringen Konsumanteils, teils wegen der geringen Volatilität – kaum ins Gewicht gefallen (vgl. Abbildung 1).

Bei dem ersten Gut handelt es sich um Erdgas: Monate vor der militärischen Eskalation hat Russland begonnen, die Gaslieferungen nach Deutschland zu reduzieren. Dies hat den jahrelang stabilen Gaspreis bereits ab Herbst 2021 kräftig angeschoben. Ähnliches kann für den Ölpreis beobachtet werden. Die Heizkosten sind seit 2021 bei Gas um 77 % bzw. bei Öl um 107 % in die Höhe geschossen. Der Ölpreis überträgt sich zudem rasch und im Gleichschritt auf die Kraftstoffpreise. Diese liegen noch um etwa die Hälfte höher als ein Jahr zuvor. Mit einer Rückkehr auf das Preisniveau der Vorjahre ist sobald allerdings nicht zu rechnen. Gerade das Gas – dies bestätigen auch die Markt­erwartungen, die in den Energie-Futures zum Ausdruck kommen – wird deutlich teurer bleiben. Die Futures signalisieren allmählich sinkende Preise, was auch zu den jüngst gesunkenen Teuerungsraten der Energiekomponenten bei den Erzeuger- wie auch Verbraucherpreisindizes passt.

Abbildung 1
Teuerung aus Sicht der Verbraucher:innen
Teuerung aus Sicht der Verbraucher:innen

Linien: Änderung gegenüber Vorjahr in %, Balken: in Prozentpunkten.

Quelle: Statistisches Bundesamt (Werte bis Oktober 2022, vorläufige Zahlen für Inflation und Energieindex für November 2022), eigene Berechnungen.

Ähnliche Entwicklungen zeigen sich bei Nahrungsmitteln: Die Preise für Speisefette und -öle spiegeln den Preisauftrieb besonders deutlich wider. Weil sie zu einem guten Teil aus den wichtigen Agrarrohstoffländern Ukraine und Russland eingeführt werden, haben Knappheitserwartungen die Weltmarktpreise angefacht. Dabei spielt allerdings das Angebot eine noch untergeordnete Rolle – die eingeführte Tonnage ist bislang deutlich höher als im Vorjahr; offenbar stocken aber viele Produzenten aus Sorge vor Lieferengpässen ihre Vorräte auf und nehmen dabei auch höhere Preise in Kauf. Die Preisentwicklung der überwiegenden Mehrheit der übrigen Güter deckt sich weitgehend mit der allmählich anziehenden Kerninflation.

Dies zeigt, dass ein großer Teil der Inflation wohl dann verpuffen wird, wenn sich die Energiepreise beruhigen. Gleichwohl deutet die weiter steigende Kerninflation – im November dürfte sie, anders als die gesamte Teuerung, zugenommen haben – auf eine erhebliche Kostenwelle entlang der Produktionsketten hin, die sich auch in den kommenden Monaten weiter fortsetzen wird. Vorboten hierfür sind die Erzeugerpreise, die im Sommer 2022 insgesamt um fast die Hälfte höher lagen als 2021. Betroffen waren vor allem energie- und insbesondere gasintensive Bereiche, wie die Gasförderung, Raffinerien, die Stromerzeugung und die chemische Industrie. Die Preissteigerungen setzen sich jetzt in Zweit- und Drittrundeneffekten fort: Getrieben von den steigenden Vorleistungskosten ziehen die anderen Bereiche bei den Preisen mehr und mehr nach.

Teuerungswelle ebbt voraussichtlich erst 2024 ab

Dies spricht für vorerst auf breiter Basis weiter steigende Preise auf der Verbraucherstufe. Die Frage ist, wann diese Teuerungswelle insgesamt bricht, d. h. wann auch die Kerninflation wieder zurückgeht. Um dies zu bestimmen, wird auf die derzeit dominierende Kraft der Erzeugerpreisentwicklung abgestellt: Ausgehend von den Futures-Kursen für Erdöl und Erdgas wird geschätzt, wie sich die Energiepreise in den kommenden Quartalen auf die Erzeugerpreise auswirken und diese wiederum mit der Kernrate der Verbraucherpreisentwicklung zusammenhängen.1

Der Gas-Futures-Markt signalisiert für das Winterhalbjahr 2022/2023 noch anhaltend hohe Notierungen, im Sommer einen leichten Rückgang auf ein immer noch erhöhtes Plateau und erst ab dem Jahreswechsel 2023/2024 eine deutliche Entspannung bei den Gaspreisen. Das Prognosemodell ergibt dementsprechend zunächst weiter zulegende Erzeugerpreise – die energieintensivsten Branchen werden sogar noch bis in den Spätsommer kommenden Jahres ihre gestiegenen Kosten weiterreichen (vgl. Abbildung 2). Für die Verbraucher:innen bedeutet das nichts Gutes: Steigende Erzeugerpreise kommen, durchschnittlich bis zu einem Jahr verzögert, auch bei ihnen an. Die Kernrate könnte mit gut 6,5 % ihren Zenit zwar jüngst erreicht haben – allerdings wird sie gemäß dem Prognosemodell auf diesem hohen Niveau noch bis in den Spätsommer 2023 verharren (vgl. Abbildung 3). Erst danach ist mit einem Rückgang der Kernrate zu rechnen. Im Jahresdurchschnitt klettert sie damit noch einmal um rund 1 ¼ Prozentpunkte höher, auf dann etwa 6 % im Jahr 2023. Auch die Inflationsrate, die bereits 2022 satte 8 % verzeichnen dürfte, wird mit 8,8 % im Jahr 2023 ein Allzeithoch erreichen. In den folgenden Jahren schlägt sich dann der Rückgang der Energiepreise nieder – die Inflation dürfte unter diesen Vorzeichen nur noch leicht positiv sein und dann 2025 sogar deutlich negativ ausfallen. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Preisniveau wieder auf das von vor dem Krieg zurückkehrt: Im Gegenteil – es dürfte dauerhaft einen sichtbaren Niveausprung halten.

Abbildung 2
Teuerung aus Sicht der Produzenten, inklusive Prognose

Erzeugerpreisindex, 2015=100

Teuerung aus Sicht der Produzenten, inklusive Prognose

Quartalsdurchschnitte; Prognose ab November 2022.

Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen.

Abbildung 3
Verbraucherpreise (linke Achse) und Produzentenpreise (rechte Achse)

Veränderung gegenüber dem Vorjahreszeitraum in %; Prognose ab 11/2022

Verbraucherpreise (linke Achse) und Produzentenpreise (rechte Achse)

Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen.

Was die Geldpolitik tun kann

Und was tut die Europäische Zentralbank angesichts dieses Ausblicks? Wenig, könnte man meinen: In den vergangenen Monaten wurden die Leitzinsen zwar um 2 Prozentpunkte angehoben und die Anleihekaufprogramme werden nicht mehr ausgeweitet. Gemessen an der historisch hohen Inflationsrate in Deutschland wie im Euroraum mag man die Geldpolitik aber durchaus noch als expansiv bezeichnen. Versagt die Zentralbank also in ihrem Bemühen, Preisniveaustabilität zu gewährleisten – oder vielmehr: wiederherzustellen? Ein solches Urteil ist unangebracht: Die Spielräume der Geldpolitik, den im Wesentlichen durch äußere Einflüsse bedingten Anstieg der Inflation in Schach zu halten, sind überschaubar. Zwar könnte die Zentralbank durch eine restriktivere Geldpolitik den Außenwert des Euro stärken und so den Anstieg der in Euro ausgedrückten Preise von Importgütern dämpfen. Aber der Euro liegt derzeit gegenüber dem US-Dollar weniger als 10 % unter seinem Vorjahreswert; gemessen am effektiven Wechselkurs ist der Außenwert des Euro sogar nur um knapp 2 % gesunken. Der darauf zurückgehende Anstieg der Konsumentenpreise ist entsprechend gering – überschlägig dürfte dieser Einfluss weit weniger als 1 Prozentpunkt ausmachen. Die zweite Möglichkeit für die Zentralbank, auf die Inflation Einfluss zu nehmen, besteht darin, durch Zinsanhebungen die Konjunktur zu dämpfen. Eine überausgelastete Wirtschaft geht in der Regel mit höherer Preisdynamik einher – aber von Überauslastung kann in der aktuellen Situation kaum die Rede sein.

So bleibt der Zentralbank wenig mehr als abzuwarten, bis der Anstieg der Energiepreise an Einfluss verliert – man bedenke, dass die Inflationsrate die Preisveränderungen gegenüber dem Vorjahr abbildet – und darauf hinzuwirken, dass die hohe Inflation sich nicht in steigenden Inflationserwartungen niederschlägt. Steigen nämlich die Inflationserwartungen, so kann dies zu höheren Lohnabschlüssen und damit weiter steigenden Kosten für die Unternehmen führen, die dann ihrerseits zu steigenden Preisen führen – eine ursprünglich temporär hohe Inflation kann sich so verstetigen. Bislang gibt es für eine solche Lohn-Preis-Spirale keine nennenswerten Anzeichen. Zwar wird in der anlaufenden Tarifrunde 2023 von den Gewerkschaften vielfach ein Reallohnausgleich – also ein Anstieg der Löhne im Gleichschritt mit den Preisen – gefordert. Die Erfahrung zeigt aber, dass es in den Verhandlungen zu deutlich niedrigeren Abschlüssen kommen wird und die Kaufkraftverluste oftmals auch über Einmalzahlungen ausgeglichen werden – ein auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sinnvolles Vorgehen, weil sich die Inflation so nicht verstetigt. Die historische Evidenz (Alvarez et al., 2022) spricht außerdem nicht unbedingt dafür, dass inflationsgetriebene Lohnsteigerungen ihrerseits zu nennenswerten Preissteigerungen führen; die Gefahr einer Verstetigung der hohen Inflationsraten ist daher derzeit eher gering.

Gleichwohl ist die Finanzpolitik gefragt, die mit den hohen Preissteigerungen einhergehenden sozialen Härten auszugleichen. Auf nationaler Ebene ist in dieser Hinsicht in den vergangenen Monaten einiges passiert. Mit den Entlastungspaketen der Bundesregierung – darin jüngst etwa die Dezember-Soforthilfe oder die Energiepreispauschale – wurden zuletzt weitere Milliardensummen in die Hand genommen, um die Haushalte zu entlasten. Besonders treffsicher sind diese Maßnahmen indes nicht, profitieren davon doch auch Menschen, die die gestiegenen Lebenshaltungskosten ohne weiteres auch selbst stemmen könnten. Eine Entlastung der gesamten Bevölkerung von den Folgen der Krise kann aber nicht Aufgabe der Politik sein (Boysen-Hogrefe, 2022) – irgendjemand muss den gesamtwirtschaftlichen Kaufkraftverlust, der mit dem Preisanstieg bei importierter Energie einhergeht, eben schultern. So hätte man sich eine etwas zielgerichtetere Politik gewünscht, die insbesondere den einkommensschwachen Haushalten unter die Arme greift, bis die Inflationswelle durch das Land geschwappt ist.

Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors Thore Schlaak wieder und nicht notwendigerweise die des Bundesministeriums der Finanzen.

    • 1 Dieses Vorgehen stellt primär auf die direkten Effekte der Energiepreise ab (Michelsen und Junker, 2022). Durch eine hinreichend lange Lagstruktur wird den wechselseitigen Wirkungen entlang der Wertschöpfungskette Rechnung getragen: Kostenschübe durch die Teuerung von Vorleistungen werden berücksichtigt, soweit sie auf die Energiepreise zurückzuführen sind, nicht aber darüber hinausgehende Preisanstiege auf vorgelagerten Produktionsstufen.

Literatur

Alvarez, J., J. Bluedorn, N. Hansen, Y. Huang, E. Pugacheva und A. Sollaci (2022), Wage-price spirals: What is the historical evidence?, IMF Working Paper, 221.

Boysen-Hogrefe, J. (2022), Die Finanzpolitik kann nicht alle entlasten, Wirtschaftsdienst, 102(8), 581-583, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/8/beitrag/die-finanzpolitik-kann-nicht-alle-entlasten.html (6. Dezember 2022).

Michelsen, C., und S. Junker (2022), Stark steigende Preise für Vorleistungen: Unternehmen in der Kostenfalle, MacroScope Pharma Economic Policy Brief, 7/2022, Stark steigende Preise für Vorleistungen: Unterneh - VFA, https://www.vfa.de › download › macroscope-2207.

Title:Peak Inflation: Has the Inflation Wave Been Broken?

Abstract:The slight slowdown of consumer price inflation in Germany in November does not yet constitute the beginning of lower inflation rates. Even though energy prices are dragging inflation, producer prices have drastically increased in the past year. Our estimates indicate that inflation rates will remain close to current levels until the end of 2023 and decrease only in 2024. Given the current fragile economic situation, restrictive monetary policy is not recommended. Rather, central banks should act attentively to prevent raising inflation expectations.

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© Der/die Autor:in 2022

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-022-3349-3

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