Nach dem Aus der Kernenergie sieht nun auch die Erdgaszukunft düster aus. Ob künftig noch ausreichend Erdgaslieferungen aus Russland nach Deutschland kommen, bleibt höchst unsicher. Wenn das milliardenschwere Projekt Nord Stream 2 als Resultat der Ukrainekrise endgültig gestoppt wird, fühlt sich Moskau massiv geschädigt. Eine solche Konfrontation gefährdet alle künftigen Erdgasgeschäfte mit Russland. Doch Russlands Invasion in die Ukraine lässt keine Alternative zu. Eine Erfahrung aktualisiert sich angesichts der Ukrainekrise: Visionen (Klimaneutralität ohne CO2 -freie Kernkraft) verflüchtigen sich, wenn die Realpolitik zuschlägt. Erdgaskraftwerke sind keine Option mehr. In den vergangenen zehn Jahren ist eine Totalreform der Energiepolitik begonnen worden: allmählicher Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen und Stilllegungen der Kernenergieanlagen. Der Strombedarf steigt gleichzeitig beträchtlich. Ein Viertel an Zuwachs ist schon in den nächsten zehn Jahren wahrscheinlich – nicht zuletzt durch politisch gewünschte E-Mobilität.
Deutschland könnte von ausländischen Erfahrungen lernen. Großbritannien hat eine Verringerung der CO2-Emissionen erreicht, ohne dass die Energieverbraucher:innen mit überteuerten Rechnungen konfrontiert wurden. Der Ausstieg aus der Kohleverstromung wurde markteffizient durch einen Aufschlag auf die europäischen CO2-Zertifikatspreise erreicht. Der Kohleeinsatz ist hierdurch unrentabel geworden.
Im Gegensatz zum britischen Vorgehen, wo neue Reaktoren geplant sind, hat die Bundesregierung durch Stilllegungen der Meiler bis zum Jahr 2022 eine Kapitalentwertung noch rentabler und im internationalen Vergleich sicherer Kernkraftwerke eingeleitet. Es entstehen Standortnachteile für deutsche Elektrizitätsversorger, und das in Deutschland angesammelte Know-how für die nukleartechnische Entwicklung geht unwiderruflich verloren. Dabei ist die CO2-freie Kernenergie weltweit und vor allem in Europa keineswegs ein Auslaufmodell. Kernenergiestrom ist zwar teurer geworden und für die Entsorgung von Atommüll sind allseits taugliche Lösungen noch nicht in Sicht. Doch sind Fortschritte in der Entsorgung zu erkennen – vorausgesetzt die Erkundung geologisch geeigneter Formationen wird nicht wie in Deutschland schon seit Jahrzehnten blockiert.
Deutschlands Stilllegungen werden am Ende keinen globalen Ausstieg aus der Nukleartechnik bewirken, sondern lediglich den Bezug von Kernenergiestrom aus teilweise unsicheren Reaktoren aus dem Ausland verstärken. Ein solcher Import ist leider erforderlich, um die Stromversorgung rund um die Uhr in Deutschland zu sichern. Denn erneuerbare Energien fallen unstetig an. Hinzu kommt, dass nationale Engpässe in der großräumigen Netzinfrastruktur und in der Speicherung berücksichtigt werden müssen. Konkret bedeutet eine standortverträgliche Energiewende mit geringen CO2-Emissionen um das Jahr 2050: Aufbau des CO2-Emissionshandels in der EU auf der Basis schrittweise steigender Mindestpreise sowie Ausweitung der Emittenten. Neben den CO2-Ausstoßmengen durch Kraftwerke und Industrie müssen auch die Sektionen Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft als Verursacher erfasst und durch ständig steigende CO2-Zertifikatskosten belastet werden.
Je mehr Länder außerhalb der EU in das CO2-Bepreisungssystem eingebunden werden können, desto besser werden die für die Klimaschutzvorsorge notwendigen Anpassungen mit Dekarbonisierung und mehr ökologischer Effizienz standortverträglich gelingen. Grüne Wasserstoffe würden wettbewerbsfähig, wenn fossile Rohstoffe durch die Internalisierung der Externalitäten (ständige Verteuerung durch CO2-Besteuerung) auf den Märkten an Attraktivität verlieren. Flankiert werde sollte der ökologische Strukturwandel durch Abscheidung und Speicherung klimarelevanter Spurengase in unterirdischen Kavernen. Das Primat der Klimaneutralität von Energieversorgung reicht nicht; Zuverlässigkeit und Wettbewerbsfähigkeit müssen gleichrangig sein. Für den worst case in der Ukrainekrise empfiehlt sich folgende Schadensvorsorge, um Blackouts zu verhindern: Weiterbetrieb der drei noch verfügbaren Reaktoren über 2022 hinaus und Reaktivierung der drei Ende 2021 stillgelegten Anlagen – allesamt dann mit garantierten Nutzungszeiten von fünf bis zehn Jahren; beschleunigter Ausbau regenerativer Quellen; außerdem Bezug von verflüssigtem Erdgas; darüber hinaus Aktivierung noch verfügbarer Kraftwerke aus der Reserve mit Verstromung deutscher Braun- und Steinkohle.
Schließlich ist es neben dem Bau deutscher LNG-Terminals unumgänglich, neue Gaslagerstätten im Inland mittels Fracking endlich zu mobilisieren und das politische Verbot der kommerziellen Nutzung von „unkonventionellem Fracking“ aus dem Jahr 2016 sofort aufzuheben. In Deutschland schlummern noch erhebliche Schiefergasressourcen – immerhin die viertgrößten Vorräte in Europa.