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Dieser Beitrag ist Teil von Nachhaltigkeitsziele in der Wirtschaftspolitik

Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, der Kampf gegen den Klimawandel und der Erhalt der Biodiversität sind zentrale Herausforderungen für die nächsten Jahrzehnte. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, sind tiefgreifende Veränderungen im Verhalten von Verbraucher:innen und Produzierenden erforderlich. Die Wirtschaftspolitik muss diese Transformation gestalten. Welche Rolle spielen Lieferkettengesetze beim Erreichen dieser Nachhaltigkeitsziele?

Der Bundestag hat am 11. Juni 2021 ein Lieferkettengesetz beschlossen, das deutschen Unternehmen im Umgang mit ausländischen Handelspartner:innen Sorgfaltspflichten auferlegt. Im Mittelpunkt stehen mögliche Menschenrechtsverletzungen oder die Verletzung von Arbeitnehmerrechten bei unmittelbaren Zulieferern. Auch in anderen europäischen Ländern sind in den vergangenen Jahren vergleichbare Gesetze erlassen worden. Europäische Regeln zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten werden derzeit erarbeitet. Jeweils eigene Vorlagen der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments gehen über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus. Weitergehende Umweltstandards werden integriert und die Sorgfaltspflichten von Unternehmen verstärkt auf die gesamte Lieferkette bezogen.

Das deutsche Lieferkettengesetz

OECD und Vereinte Nationen (UN) haben 2011 jeweils eigene Richtlinien für den Umgang mit Menschenrechten in Geschäftsbeziehungen formuliert, die OECD mit besonderem Augenmerk für multinationale Unternehmen. Die Resolution zur allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 ist hier der Bezugspunkt. Die International Labor Organization (ILO) hat acht Prinzipien menschenwürdiger Arbeit formuliert, darunter die Ablehnung von Zwangs- und Kinderarbeit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit für Beschäftigte und das Recht auf kollektive Lohnverhandlungen. Unternehmen werden in diesen Dokumenten aufgefordert, Verantwortung für die Wahrung von Menschenrechten zu übernehmen, ein entsprechendes Monitoring in ihre Managementprozesse zu integrieren und Anlaufstellen für den Konfliktfall einzurichten.

Auch in vielen Ländern, die UN-, OECD- oder ILO-Standards ratifiziert haben, ist die Menschenrechtslage problematisch. Ein detaillierter Überblick findet sich in IfW (2021). Wenn es an staatlichen Institutionen fehlt, die den Menschenrechten Geltung verschaffen könnten, stellt sich die Frage, ob es alternative Durchsetzungsmöglichkeiten gibt. So werden Unternehmen, die mit einem solchen Land über Handelsbeziehungen und Lieferketten verbunden sind, zu Adressaten.

Zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte diente in Deutschland ein nationaler Aktionsplan (Auswärtiges Amt, 2020). 2020 fand eine Überprüfung statt, inwiefern deutsche Unternehmen der Erwartung gerecht werden, den Umgang mit Menschenrechtsfragen in ihrer Organisationsstruktur zu verankern. Das Ziel, dass 50 % aller Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten die gewünschten Maßnahmen ergreifen, wurde deutlich verfehlt. Das deutsche Lieferkettengesetz soll dem begegnen.Das Gesetz betrifft Unternehmen mit Sitz in Deutschland sowie unselbständige Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten. Ab 2024 werden auch Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten einbezogen. Die Sorgfaltspflichten beziehen sich insbesondere auf: das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, die Achtung der lokalen Regeln zum Arbeitsschutz und der Koalitionsfreiheit von Beschäftigten, das Verbot der Ungleichbehandlung von Beschäftigten, eine angemessene Entlohnung gemäß etwa des dort geltenden Mindestlohns, sowie einige umweltbezogene Risiken.

Unternehmen werden zu einer Reihe von Maßnahmen verpflichtet. Dazu gehören: Das Installieren eines geeigneten Risikomanagements und die Verankerung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich und bei unmittelbaren Zulieferern.1 Auch besteht die Pflicht, bei Menschenrechtsverletzungen Maßnahmen zur Abhilfe zu ergreifen. Es wird behördlicherseits kontrolliert, ob Unternehmen ihren Sorgfaltspflichten nachkommen. Verstöße können mit Bußgeldern sowie dem Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge geahndet werden. Der Umfang der Sorgfaltspflichten wird von Art und Umfang der Geschäftstätigkeit sowie dem Einflussvermögen des Unternehmens abhängig gemacht. Der Abbruch von Geschäftsbeziehungen wird nur bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gefordert. Ziel ist vielmehr „Stay and Behave“, also die Nutzung des eigenen wirtschaftlichen Einflusses, um zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage zu gelangen.

Ökonomische Analyse

Lieferkettengesetze erhöhen die Kosten der Geschäftsbeziehungen entlang von Lieferketten. Für jeden Zulieferer entsteht ein zusätzlicher Aufwand durch die Notwendigkeit, diesen in das geforderte Management menschenrechtsbezogener Risiken einzubeziehen. Es handelt sich hierbei um fixe Kosten, also um Kosten, die unabhängig vom Geschäftsvolumen anfallen. In der Literatur zu globalen Wertschöpfungsketten werden derartige fixe Kosten als Erklärung dafür angesehen, dass nur ein relativ kleiner Anteil von Firmen überhaupt ins Ausland exportiert bzw. Vorprodukte aus dem Ausland bezieht (etwa Antras und Chor, 2022).

Eine Evaluation der Wirkungen des deutschen Lieferkettengesetzes ist zurzeit noch nicht möglich ist. Die evidenzbasierte Literatur zur Wirkung von Handelshemmnissen in globalen Lieferketten (etwa Grossman und Helpman, 2020; Handley et al., 2020; Barattieri und Cacciatore, 2020; Flaaen und Pierce, 2019) begründet allerdings die Sorge, dass die Geschäftsbeziehungen in problematische Lieferländer – also Länder, in denen der Schutz von Menschen- und Arbeitnehmerrechten unzureichend ist – eingeschränkt werden. Das Ziel des „Stay und Behave“ würde dann verfehlt.

In einem Gutachten hat der wissenschaftliche Beirat des BMWK (2022) zu der Frage Stellung genommen, wie sich der Prüfaufwand von Unternehmen reduzieren ließe. Ein vermeidbarer Prüfaufwand entsteht, wenn auch Handelspartner aus Ländern mit gut funktionierenden rechtsstaatlichen Institutionen in das Monitoring möglicher Menschenrechtsrisiken einbezogen werden müssen. Eine Positivliste, die solche Länder aufführt, würde Unternehmen bei der Wahrung ihrer Sorgfaltspflichten daher entlasten, ohne dass die Gefahr besteht, die Effektivität des Schutzes vor Menschenrechtsverletzungen zu schwächen. Vermeidbarer Prüfaufwand entsteht auch, wenn es zu einer mehrfachen Überprüfung ausländischer Unternehmen durch alle europäischen Handelspartner:innen kommt. Zur Vermeidung solcher Mehrfachprüfungen können Positiv- und Negativlisten auch für Unternehmen dienen. Negativlisten nennen Unternehmen, in denen es nachweislich immer wieder zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen kommt und die daher von Handelsbeziehungen ausgeschlossen werden müssen. Positivlisten zertifizieren Unternehmen, in denen es nachweislich nicht zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist.

Nachhaltigkeitsziele über die Wahrung der Menschenrechte hinaus

Unternehmen, die vom deutschen Lieferkettengesetz betroffen sind, sollen dabei helfen, die Schwäche rechtsstaatlicher Institutionen oder den mangelnden Schutz von Menschen- und Arbeitnehmerrechten im Ausland zu überwinden. Darüber hinausgehende Nachhaltigkeitsziele verlangen andere politische Antworten als die Ausweitung unternehmerischer Sorgfaltspflichten.

Der Kampf gegen Armut, Kinderarbeit und Klimawandel

Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission sieht vor, dass Unternehmen auch entwicklungspolitische Aufgaben im Kampf gegen Kinderarbeit und klimapolitische Aufgaben zur Eindämmung der Erderwärmung zugesprochen werden. Unternehmen gestalten Arbeitsbeziehungen. Insofern haben Sorgfaltspflichten, die sich auf Menschen- und Arbeitnehmerrechte beziehen, auch einen Anknüpfungspunkt bei dem, was Unternehmen tatsächlich tun. Unternehmen betreiben in Entwicklungsländern aber typischerweise keine Schulen oder finanzieren Einkommenstransfers. Von Unternehmen sollte daher nicht verlangt werden, eigene entwicklungspolitische Strategien zur Vermeidung von Kinderarbeit zu entwickeln. Dieser Aufgabe muss sich die Entwicklungspolitik selbst stellen, sie kann nicht an Unternehmen delegiert werden.2

Ähnliches gilt für die Einhaltung der Ziele zur Verringerung des CO2-Ausstoßes. Der Richtlinienentwurf zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten sieht hinsichtlich Klimaschutz zwar keine Sorgfaltspflichten im engeren Sinne vor. Die Mitgliedstaaten werden allerdings dazu verpflichtet dafür zu sorgen, dass Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem jährlichen Umsatz ab 150 Mio. Euro sowie in der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten mit einer Umsatzhöhe von mind. 150 Mio. Euro in der EU einen Plan verabschieden, mit dem sichergestellt wird, dass ihr Unternehmensmodell und ihre -strategie im Einklang mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und dem 1,5 °C-Ziel des Paris-Abkommens stehen. Eine unternehmerische Pflicht, an der Erreichung der EU-Klimaziele mitzuwirken, ist jedoch kaum zu operationalisieren. Die Heterogenität der Unternehmen ist groß, sodass der Beitrag zur Erreichung der Klimaziele für jedes Unternehmen ein anderer sein sollte. Die Instrumente zur Erreichung der internationalen Klimaziele liegen in der Hand der Politik (etwa Wissenschaftlicher Beirat des BMWI, 2021).

Sozial- und Umweltstandards, fairer Handel, Tierwohl

Sollte es ein Ziel der Handelspolitik sein, über die Wahrung von Mindeststandards bei Menschen- und Arbeitnehmerrechten hinauszugehen? Wenn andere Länder zwar die Mindeststandards einhalten, aber in Bezug auf Arbeitnehmerrechte oder Umweltschutz deutlich unter den Standards der EU-Länder liegen, sollte die EU dann Maßnahmen ergreifen, die einem solchen „Dumping“ entgegenwirken?

Ein Beispiel: Ein deutsches Unternehmen hat bisher mit einem deutschen Zulieferer zusammengearbeitet, der sich an deutsche Arbeitnehmerstandards hält und Tariflöhne zahlt. Jetzt bietet sich die Zusammenarbeit mit einem Zulieferer aus einem Entwicklungsland an, der dieselben Vorprodukte günstiger liefern kann, da seine Arbeitskräfte länger arbeiten, nur einen Bruchteil der deutschen Löhne erhalten und Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind, die in Deutschland als gesundheitsgefährdend verboten sind. Di Tella und Rodrik (2020) haben in einer Umfrage in den USA gezeigt, dass die Mehrheit der Befragten in einem ähnlichen Beispiel Handelssanktionen gegen den ausländischen Zulieferer für angemessen halten. Auch in Deutschland würden viele Menschen diesen Fall vermutlich als „Sozialdumping“ betrachten. Solche Handelssanktionen wären problematisch. Sie hätten einen anmaßenden Charakter: „Wir treiben nur Handel mit euch, wenn ihr unsere Wertvorstellungen übernehmt.“ Solche Regeln könnten zudem leicht für protektionistische Zwecke missbraucht werden. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass es auch in Deutschland in früheren Zeiten längere Arbeitszeiten, niedrigere Löhne und weniger Arbeitsschutz gegeben hat. Jedes Land muss die Möglichkeit haben, in diesen Wohlstand hineinzuwachsen.

Wie nun sollte mit Unterschieden in der Regulierung der Arbeitsmärkte, beim Tierwohl oder im Umweltschutz umgegangen werden, wenn handelspolitische Sanktionen nicht genutzt werden? Vielen sind die Produktionsbedingungen importierter Waren wichtig. Sie möchten, dass Lebensmittel ökologisch nachhaltig produziert wurden. Eine Stärkung der Konsumierendensouveränität ist hier die Antwort. Transparenz über die Produktionsbedingungen entlang einer Lieferkette ist wünschenswert, um Menschen in die Lage zu versetzen, ihre Konsum­entscheidungen auch über die Produktionsbedingungen der konsumierten Güter treffen zu können.

Fair-Trade-Siegel oder Bio-Siegel tragen auch heute schon zu dieser Transparenz bei. Der Koalitionsvertrag sieht zudem die Einführung eines Tierwohllabels vor. Solche Entwicklungen sind zu begrüßen. Sie führen über eine höhere Transparenz zu einer gesteigerten Konsumierendensouveränität. Dezentrale individuelle Kaufentscheidungen auf der Grundlage von Gütesiegeln haben einen schwächeren Einfluss auf die Bedingungen im Ausland als ein Agieren mit den Instrumenten der Handelspolitik, vermeiden aber auch, dem Ausland eigene politische Präferenzen aufzudrängen.

Da Verbraucher:innen zunehmend an der Wahrung von Nachhaltigkeitsstandards interessiert sind, sollten Unternehmen in die Lage versetzt werden, darauf in effizienter Weise zu reagieren. Dies kann eine Koordination der Unternehmen erfordern, eine Verabredung von Standards und eine Selbstverpflichtung, Geschäftsbeziehungen zu als problematisch erachteten Zulieferern zu kappen. Eine derartige Koordination auf Nachhaltigkeitsstandards kann mit dem Wettbewerbsrecht in Konflikt geraten. Eine Ausgestaltung der europäischen Lieferkettenregeln und eine Anpassung des europäischen Wettbewerbsrechts, die derartige Kooperationen erleichtert, wären daher wichtige Schritte auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Wirtschaft.

  • 1 Das deutsche Gesetz sieht konkrete Präventionsmaßnahmen zunächst nur für unmittelbare Zulieferer vor. Gegenüber mittelbaren Zulieferern muss ein Unternehmen nur tätig werden, wenn es konkrete Anhaltspunkte für Menschenrechtsverletzungen gibt.
  • 2 Dammert et al. (2017) zeigen eine Übersicht zur Wirkung wirtschaftspolitischer Maßnahmen auf Kinderarbeit. Zentrale Schlussfolgerungen sind, dass Verbote und Regulierungen gegen Kinderarbeit häufig die beabsichtigte Wirkung verfehlen und es zusätzlicher politischer Maßnahmen bedarf, die unmittelbar an den Ursachen der Kinderarbeit ansetzen.

Literatur

Antras, P. und D. Chor (2022), Global Value Chains, Handbook of International Economics, 5.

Auswärtiges Amt (2020), Monitoring zum Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte.

Barattieri, A. und M. Cacciatore (2020), Self-Harming Trade Policy? Protectionism and Production Networks, NBER Working Paper, 27630.

Dammert, A., J. de Hoop, E. Mvujkiyehe und F. Rosato (2017), Effects of Public Policy on Child Labor, World Bank Group, Policy Research Working Paper, 7999.

Di Tella, R. und D. Rodrik (2020), Labor market shocks and the demand for trade protection: Evidence from Online Survey, Economic Journal, 130, 1008-1030.

Flaaen, A. und J. Pierce (2019), Disentangling the Effects of the 2018-2019 Tariffs on a Globally Connected U.S. Manufacturing Sector, FEDS Working Paper, 2019-2086.

Grossman, G. und E. Helpman (2020), When Tariffs disturb global supply chains, NBER Working Paper, 27722.

Handley, K., F. Kamal und R. Monarch (2020), Rising Import Tariffs, Falling Export Growth: When Modern Supply Chains Meet Old-Style Protectionism, NBER Working Paper, 26611.

IfW (2021), Ökonomische Bewertung eines Lieferkettengesetzes. Endbericht.

Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2021), Ein CO2-Grenzausgleich als Baustein eines Klimaclubs.

Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2022), Menschenrechte und unternehmerische Sorgfaltspflichten.

Title:Sustainability Goals and Supply Chain Due Diligence Laws

Abstract:This article discusses whether supply chain due diligence laws are a suitable instrument for goals of sustainability. It uses the German due diligence law as an example and makes recommendations for the design of European rules. The emerging evidence on the effect of trade policies in global value chains suggests that, in response to such laws, firms may reorganise their supply chains away from countries that commit human rights violations. The German law, by contrast, wants firms to “Stay and Behave”, i. e. to work to improve human rights. The article discusses measures that give a “Stay and Behave” outcome its best chance.

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© Der/die Autor:in 2022

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Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.

DOI: 10.1007/s10273-022-3186-4