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Nach mehr als einem Jahrzehnt rasant steigender Immobilienpreise scheint sich das Blatt zu wenden. Viele Faktoren, die die Immobilienpreise beeinflussen, haben sich in den letzten Monaten geändert. Zu den wichtigsten Faktoren gehören die Zinsen, das Einkommen und die Demografie. In der Regel wirken steigende Zinsen dämpfend auf die Immobilienpreise, während Einkommens- und Bevölkerungswachstum die Preise erhöhen. Die Hypothekenzinsen, die seit Ende 2008 fast kontinuierlich gesunken sind, steigen seit Ende 2021 wieder. Der Effektivzinssatz bei den Wohnungsbaukrediten an private Haushalte stieg zwischen November 2021 und Mai 2022 von 1,28 % auf 2,25 % und befindet sich damit auf dem Niveau von 2014. Interessanterweise hat sich das Kreditvolumen dabei nicht verändert. Wahrscheinlich nimmt man die Baukredite mit steigenden Zinsen wahr, bevor sie noch weiter steigen. Gleichzeitig wird erwartet, dass die wirtschaftliche Leistung im laufenden und im kommenden Jahr deutlich nachlassen wird. So prognostiziert das IWF, dass die Wachstumsrate des realen BIP lediglich 1,2 % im Jahr 2022 und 0,8 % im Jahr 2023 betragen wird. Im Jahr 2021 betrug die Wachstumsrate fast 3 %. Dies bedeutet, dass die realen Einkommen schrumpfen und entsprechend weniger Geld für den Erwerb der Immobilien ausgegeben werden kann. Vor allem belasten die rasant steigenden Energiepreise die Kaufkraft und bringen frisch gebackene Hauseigentümer in Gefahr, die Zinszahlungen nicht mehr leisten zu können.

Die bislang erwähnten Faktoren sollten zu abnehmenden Immobilienpreisen führen. Die demografische Entwicklung kann allerdings in die entgegengesetzte Richtung wirken. Die Gesundheitsschutzbeschränkungen der Coronapandemie 2020 haben dazu geführt, dass der Wanderungssaldo — der Haupttreiber des Bevölkerungswachstums — mit 220.000 Personen deutlich niedriger ausgefallen ist als im Vorcoronajahr (327.000 Personen), was zu einem leichten Rückgang der Bevölkerung in Deutschland geführt hat. Aber 2021 kam die Nettowanderung mit 329.000 Personen wieder auf das vorpandemische Niveau. 2022 ist aufgrund des Ukrainekriegs wohl mit einer noch stärkeren Wanderung zu rechnen. Alleine in den ersten vier Monaten 2022 betrug der Wanderungssaldo rund 794.000 Personen. Bei der durchschnittlichen Haushaltsgröße von zwei Personen würde das einer zusätzlichen Nachfrage von fast 400.000 Wohnungen entsprechen. Diese Lücke zu decken, wird umso schwieriger sein als die Bauaktivität nachlässt. Im Jahr 2021 ist die Zahl der fertiggestellten Wohnungen (293.393) zum ersten Mal seit 2010 zurückgegangen, sodass der Plan der Bundesregierung, 400.000 Wohnungen im Jahr zu bauen, nicht erreicht werden konnte. Der andere Faktor, der die Immobilienpreise nach oben drückt, sind die steigenden Baukosten. Im Mai 2022 haben die Baupreise im Vergleich zum Vorjahresmonat um 17,6 % zugelegt, was der höchste Anstieg seit Mai 1970 ist!

Es gibt also Faktoren, welche die Nachfrage nach Immobilien sowohl dämpfen als auch erhöhen. Die dämpfende Wirkung dominiert in jüngster Zeit. Als Resultat sind die realen Immobilienpreise in Deutschland im 1. Quartal 2022 zum ersten Mal seit 2010 leicht (um 0,2 % im Vergleich zum 4. Quartal 2021) zurückgegangen. In den nächsten Jahren werden die realen Hauspreise wahrscheinlich stagnieren bzw. leicht sinken. Die spekulative Phase des Schweinezyklus auf dem Immobilienmarkt scheint seinem Ende näher zu kommen. Nichtdestotrotz spielt dabei auch die Stimmung der Marktteilnehmer:innen eine wichtige Rolle. Einerseits kann es, wenn die Mehrheit von ihnen an eine platzende spekulative Blase glaubt, zu spürbaren Preiskorrekturen kommen. Andererseits, angesichts der negativen Dynamiken bei anderen Aktiva (Aktien, Gold, Kryptowährungen usw.) kann der Wohnungsmarkt weiterhin als ein relativ sicherer Hafen betrachtet werden, was einer Preiskorrektur entgegenwirken kann.

Der Preisrückgang wird den Immobilieneigentümer:innen schaden, vor allem denjenigen, die ihre Immobilien auf dem Gipfel der Preisblase erworben haben. Die Haushalte mit niedrigeren Einkommen, die Immobilien kaufen wollten, werden dabei auch leiden, denn der Preisrückgang wird durch die steigenden Zinsen und Energiekosten überkompensiert. Die Mieter:innen werden wahrscheinlich auch verlieren, denn die Mieten, die stärker mit der Wohnraumknappheit verbunden sind als die Kaufpreise, werden tendenziell weiter steigen. Wenn dazu noch die Preisblase platzen sollte, wird das auch gesamtwirtschaftliche Konsequenzen haben. Es wird also kaum Gewinner geben. Um diesen negativen Tendenzen vorzubeugen, könnte der Staat die folgenden Maßnahmen ergreifen: Zum einem wäre es sinnvoll, die Grunderwerbsteuer zu reformieren, nämlich eine progressive Besteuerung einzuführen. Die Immobilien mit niedrigen Werten könnten aus der Besteuerung ausgenommen werden, was eine Ersparnis für die Käufer:innen je nach Bundesand von bis zu 6,5 % des Kaufpreises schaffen würde. Zum anderen sollte das Erbbaurecht ausgeweitet werden. In diesem Fall könnten die Käufer:innen einen beträchtlichen Teil des Preises sparen, den sie sonst für den Erwerb des Bodens ausgeben würden.

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© Der/die Autor:in 2022

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DOI: 10.1007/s10273-022-3246-9