Die chinesische Konjunktur wurde auch im vergangenen Jahr stark von der Coronapandemie beeinflusst. Maßgeblich hierfür war die strikte Null-COVID-Strategie. Umfangreiche Kontrollen und extrem restriktive Regeln im Personenverkehr mit dem Ausland bremsten die wirtschaftliche Aktivität. Vor allem aber führten strikte Lockdowns, die schon beim Auftreten weniger Fälle ergriffen wurden und auch große und wirtschaftsstarke Regionen betrafen, zeitweise zu starken wirtschaftlichen Beeinträchtigungen. So ging das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Frühjahr 2022 erneut stark zurück, gefolgt von einem kräftigen Wiederanstieg im dritten Quartal. Im Herbst stieg die Zahl der COVID-19-Infektionen abermals an, worauf die Regierung zunächst wieder mit Mobilitätsbeschränkungen und Lockdowns reagierte. Diese Stop-and-Go-Konjunktur prägte die wirtschaftliche Entwicklung in China seit Ausbruch der Pandemie (vgl. Abbildung 1) und hatte beträchtliche Auswirkungen auf die übrige Welt, trug sie doch erheblich zu den globalen Lieferengpässen bei.
Abbildung 1
Bruttoinlandsprodukt China
Quartalsdaten, Veränderung gegenüber dem Vorquartal. Gerahmt: Jahresdaten, Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %.
Quelle: National Bureau of Statistics, China.
Anfang Dezember 2022 vollzog die chinesische Regierung jedoch eine Wende in ihrer COVID-Politik und lockerte trotz weiter steigender Infektionen sukzessive viele Bestimmungen, die zur Eindämmung der Pandemie eingeführt worden waren. So wurden Quarantänebestimmungen für Einreisende aus dem Ausland erheblich gemildert und inländische Reisebeschränkungen, COVID-19-Massentestungen und die Politik der Lockdowns weitgehend ausgesetzt. Zu Beginn 2023 folgten weitere Lockerungen und auch der internationale Flug- und Reiseverkehr soll wieder ohne signifikante Einschränkungen möglich sein. Die plötzliche Abkehr von der Null-COVID-Strategie ist sowohl ein Risiko als auch eine Chance für die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft.
Problematisch ist, dass sich in einer Bevölkerung, die überwiegend noch keinen Kontakt mit dem Virus hatte, offenbar eine enorme Infektionswelle entwickelt. Innerhalb weniger Wochen hat sich China von einem Land mit einer im Vergleich zur Bevölkerungsgröße sehr niedrigen Zahl an Infektionen zu einem der größten COVID-19-Hotspots der Welt entwickelt. Derzeit lässt sich die tatsächliche Zahl der Infektionen nur schwer nachvollziehen, auch weil der Umfang der Testungen drastisch reduziert wurde. Offizielle Zahlen unterschätzen das Ausmaß der Infektionen offenbar massiv. Gerade die ältere Bevölkerung weist in China noch eine recht geringe Impfquote auf. Lediglich 40 % der über 80-Jährigen haben mindestens drei COVID-19-Impfungen erhalten und Booster-Impfungen liegen häufig sehr weit zurück. Die im Vergleich zu den heimischen Impfstoffen vermeintlich effektiveren ausländischen Präparate sind in China bis heute nicht zugelassen. In der Folge ist das Gesundheitssystem bereits erheblich belastet und es wird von Engpässen in der Medikamentenversorgung berichtet (Economist, 2022). Demnach könnte die Zahl der Todesopfer in Verbindung mit COVID-19 im ungünstigen Fall innerhalb der nächsten Monate auf 1,5 Mio. steigen.
Vor diesem Hintergrund wird die wirtschaftliche Entwicklung in China wohl in der nächsten Zeit weiter gebremst werden. Vor dem Politikwechsel hatten restriktive Mobilitätsbestimmungen und Lockdowns zur Eindämmung der Infektionen auf die wirtschaftliche Aktivität gedrückt. So gingen im November die Einzelhandelsumsätze im Vergleich zum Vorjahr um knapp 6 % zurück und die Industrieproduktion expandierte mit 2,2 % nur noch wenig. Der Außenhandel schwächte sich ebenfalls deutlich ab. Die nominalen Ausfuhren waren im November um 8,7 % niedriger als ein Jahr zuvor, die Einfuhren gingen sogar um 10,6 % zurück. Seit Ende der Null-COVID-Politik wird die Konjunktur dadurch belastet, dass die Konsument:innen bemüht sind, eine Ansteckung durch die Reduzierung von Kontakten zu vermeiden. Auf der Produktionsseite dürfte ein hoher Krankenstand bremsen. Bereits verfügbare Indikatoren wie das Verkehrsaufkommen in den großen chinesischen Städten, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und die Zahl der inländischen Flüge sind seit Anfang Dezember jedenfalls deutlich zurückgegangen (Bloomberg, 2022). Der Caixin Einkaufsmanagerindex lag im Dezember sowohl für das Verarbeitende Gewerbe als auch für den Dienstleistungssektor deutlich unter der Schwelle von 50 Punkten und signalisiert damit eine konjunkturelle Abschwächung.
Wirtschaftlich positiv wirkt die Abkehr von der Null-COVID-Politik dadurch, dass mit umfangreichen Lockdowns und damit verbundenen Produktionseinbrüchen nun nicht mehr zu rechnen ist. Damit ist die Grundlage für eine stetige Expansion der Produktion gelegt, die an Fahrt gewinnen dürfte, wenn die derzeitige COVID-19-Welle – vermutlich im Frühjahr – ihren Höhepunkt überschritten hat. Für die Weltwirtschaft ist damit voraussichtlich ein wieder stetigerer Strom von Vorleistungen und Endprodukten verbunden, sodass die Lieferengpässe, welche die Weltkonjunktur in den Jahren 2021 und 2022 gebremst haben, wohl weiter an Bedeutung verlieren werden.
Gleichzeitig würde ein konjunktureller Aufschwung in China die globale Nachfrage nach Energierohstoffen erhöhen und damit Aufwärtsdruck auf die derzeit ohnehin hohen Preise ausüben. Zwar hat China seine Energieimporte in den vergangenen Monaten zunehmend aus Russland bezogen, wo infolge rückläufiger Nachfrage aus Europa weitere Kapazitäten frei werden. Gleichwohl könnten sich weltweit neuerliche Anspannungen an den Energiemärkten ergeben. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass sich im Verlauf des Jahres 2023 eine sehr kräftige Konjunkturerholung in China einstellt. Damit ist jedoch wohl nicht zu rechnen, denn neben COVID-19 gibt es noch weitere Faktoren, die derzeit die wirtschaftliche Dynamik in China dämpfen.
Insbesondere ist die Immobilienkrise noch nicht überwunden. Die Zahl der neuen Baumaßnahmen liegt aktuell rund 50 % niedriger als 2021 und auch die Preise für Wohnungen sind zuletzt weiter gefallen (vgl. Abbildung 2). Der direkte und indirekte Beitrag des Immobiliensektors zum chinesischen BIP beträgt rund 25 % und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung wird daher im erheblichen Maße von der Konjunktur in diesem Bereich beeinflusst. Immobilien sind darüber hinaus die wichtigsten Vermögenswerte für chinesische Haushalte. Rund 70 % der Vermögen wurden 2020 in Form von Immobilien gehalten. Die Immobilienkrise hat daher auch entsprechend großen Einfluss auf die Vermögen der Haushalte und den damit verbundenen inländischen Konsum. Im November wurde ein 16-Punkte-Plan zur Stabilisierung des Immobilienmarkts bekanntgegeben, der zusätzliche Maßnahmen zur Stützung des Immobiliensektors enthält. Die beschlossenen Maßnahmen zielen insbesondere darauf ab, den Finanzierungsengpässen bei den Immobilienentwicklern zu begegnen und die Fertigstellung von unvollendeten Projekten zu ermöglichen, um auf diese Weise die Verunsicherung der Käufer:innen zu verringern, die 2022 das Vertrauen in eine vertragsgerechte Abwicklung der Baumaßnahmen verloren haben. Ob die beschlossenen Maßnahmen ausreichen werden, das Vertrauen in die langfristige Wertbeständigkeit von Immobilien kurzfristig wiederherzustellen, und eine rasche Trendwende am Immobilienmarkt zu erreichen, darf allerdings bezweifelt werden.
Abbildung 2
Immobilienpreise neu errichteter Wohnimmobilien
Veränderung gegenüber dem Vormonat.
Quelle: National Bureau of Statistics, China.
Literatur
Bloomberg (2022), China’s Soaring Covid Cases Push Economic Activity Off A Cliff, https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-12-23/china-s-soaring-covid-cases-push-economic-activity-off-a-cliff#xj4y7vzkg (6. Januar 2023).
Economist (2022), Covid-19 is tearing through China, https://www.economist.com/china/2022/12/28/covid-19-is-tearing-through-china (6. Januar 2023).