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Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronapandemie haben die Volkswirtschaften der EU schwer getroffen. Zur Unterstützung haben die Mitgliedstaaten erhebliche Finanzmittel in die Wirtschaft gelenkt und die EU hat die entsprechenden Beihilferegeln, die den Wettbewerb im Binnenmarkt schützen sollen, gelockert. Als Folge sind die Beihilfeausgaben der Mitgliedstaaten teilweise stark angestiegen. Die unterschiedliche Betroffenheit von der Pandemie innerhalb der EU und die teils erheblichen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei den Beihilfen im Jahr 2020 führten zu Befürchtungen, dass der Wettbewerb insbesondere zugunsten Deutschlands verzerrt wird. Die offiziellen Daten und Aussagen der EU können dies zumindest für 2020 nicht bestätigen.

Die Coronapandemie und die ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus ab Frühjahr 2020 waren ein außerordentlicher externer Schock für die gesamte Welt, als auch für die Wirtschaft in den einzelnen Staaten. Allein für Deutschland haben die ersten beiden Pandemiejahre zu einem Wertschöpfungsausfall von 350 Mrd. Euro geführt (Grömling, 2022). Die Lockdowns, das heißt administrativ verordnete Einschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens nahezu weltweit, haben Stabilisierungsmaßnahmen seitens des Staates induziert. Auf Ebene der EU müssen staatliche Beihilfen jedoch genehmigt werden, da ansonsten die Gefahr besteht, dass der Wettbewerb im Binnenmarkt verzerrt wird. Die getätigten Beihilfen werden durch die EU-Kommission (Eurostat, 2023) veröffentlicht. Aktuell können die Jahre 2019 und 2020 miteinander verglichen werden. Damit können die ersten Auswirkungen der Pandemie auf die Beihilfen abgeschätzt werden. Staatliche Unterstützungen, die 2021 oder 2022 erfolgt sind, können jedoch noch nicht erfasst werden. Die vorliegende Analyse stellt somit nur ein Zwischenergebnis der Auswirkungen der Coronapandemie auf die staatlichen Beihilfen dar.

Gesetzliche Grundlage für staatliche Beihilfen

Um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten und um Verzerrungen sowie Ineffizienzen auf dem Binnenmarkt zu vermeiden, ist staatliche Beihilfe in der EU reguliert und wird durch die EU-Kommission überwacht. Staatliche Beihilfe umfasst dabei jegliche Vorteile, welche nationale Behörden bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen selektiv gewähren (EU-Kommission, o. J.). Geregelt ist dies in Art. 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV). Es gibt jedoch Beihilfen, die mit dem Binnenmarkt vereinbar sind. Gemäß Art. 107(3)(b) AEUV stellen etwa „Beihilfen […] zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats“ eine solche Ausnahme dar. Auf Grundlage dieses Artikels hat die EU-Kommission im März 2020 einen befristeten Rahmen („COVID-19 Temporary Framework – TF“) für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft infolge der Coronapandemie eingerichtet (EU-Kommission, 2020).

Der neue befristete Beihilferahmen ermöglicht es den Mitgliedstaaten, betroffenen Unternehmen leichter Liquiditätshilfe zu verschaffen, etwa in Form von Zuschüssen, Steuervorteilen oder zinsvergünstigten Darlehen. Bedingung für die Genehmigung von Beihilfe in diesem Rahmen ist, dass die finanziellen Schwierigkeiten der Unternehmen auf die Coronapandemie zurückzuführen sind. Im weiteren Verlauf der Pandemie wurde der befristete Rahmen sechsmal ergänzt. So wurden die Beihilferegeln beispielsweise geändert, um Arbeitsplätze zu sichern und Start-ups zu fördern. Darüber hinaus wurden die Obergrenzen für bestimmte Beihilfemaßnahmen angehoben sowie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, rückzahlbare Beihilfeinstrumente, die im Zuge des befristeten Rahmens gewährt wurden, in andere Formen von Beihilfe umzuwandeln (EU-Kommission, 2022a). Mit der fortschreitenden Aufhebung der pandemiebedingten wirtschaftlichen Restriktionen, hat die EU-Kommission entschieden, den befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen Ende Juni 2022 weitgehend einzustellen.

Neben der Lockerung der Beihilferegeln, hat die EU-Kommission im Mai 2020 ein zeitlich befristetes Aufbauinstrument, „NextGenerationEU“ (NGEU) zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie in Höhe von aktuell knapp 800 Mrd. Euro vorgeschlagen, welches durch die Mitgliedstaaten und den Rat im Dezember 2020 beschlossen wurde. Der Betrag ist an die Inflation gekoppelt, weshalb die tatsächliche Auszahlung noch höher liegen dürfte. Die ersten Gelder im Rahmen des NGEU sind 2021 geflossen. Somit sind diese Zahlungen nicht Teil der hier verwendeten Daten, da sich diese nur auf den Zeitraum bis Ende 2020 beziehen.

Aufgrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und den damit einhergehenden Preissteigerungen insbesondere für Energie, hat die EU-Kommission im März 2022 erneut einen befristeten erweiterten Beihilferahmen, den Temporary Crisis Framework (TCF), vorgestellt (EU-Kommission, 2022b). Dieser beruht erneut auf Art. 107(3)(b) AEUV und soll nach derzeitigem Stand bis Ende 2023 gelten. Die Beihilfe soll Firmen zukommen, die etwa von gestörten Lieferketten aufgrund der Sanktionen gegen Russland betroffen sind oder die Unterstützung bei stark gestiegenen Energiepreisen benötigen. Es gibt nun seitens der EU-Kommission Überlegungen, den Geltungsbereich des TCF zu einem „Temporary Crisis and Transition Framework“ auszubauen, sodass die Mitgliedstaaten alle möglichen erneuerbaren Energiequellen unterstützen können. Dies ist auch als Antwort auf den „Inflation Reduction Act“ gedacht (EU-Kommission, 2023a; 2023b). Die Beihilfen, die im Rahmen des TCF bewilligt wurden, sind nicht Teil dieser Analyse, da die verfügbaren Beihilfedaten derzeit nur bis Ende 2020 vorliegen; zumal der TCF sich nicht auf die Coronapandemie bezieht, was der Gegenstand dieser Analyse ist.

Umfang und Verteilung staatlicher Beihilfen in der EU

Gemäß Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 (Amtsblatt der EU, 2004) ist die EU-Kommission verpflichtet, einmal jährlich die Zahlen zu den getätigten Beihilfen zu veröffentlichen. Dies geschieht mittels des „Scoreboard“ (EU-Kommission, 2022a). Dazu müssen die Mitgliedstaaten bis zum 30. Juni eines Jahres für das jeweilige Vorjahr an die Kommission berichten. Aktuell (Februar 2023) liegen die Daten bis einschließlich 2020 vor. Daher liefern die Daten einen ersten Einblick in die Auswirkungen der Coronapandemie auf die Beihilfen. Zudem sind die Wirkungen des NGEU-Programms und weiterer Programme noch nicht inbegriffen, wodurch die Effekte auf Basis der Beihilfen der jeweiligen Mitgliedstaaten nicht nivelliert sein dürften.

Die EU-Kommission (2022a, 75) legt dar, wie die Erfassung der Beihilfen durch die Mitgliedstaaten zu erfolgen hat. Die Meldefrist bis zum Juni ermöglicht es, dass die konkret getätigten sowie vertraglich festgelegten Beihilfen nahezu vollständig vorliegen. Sollte dies jedoch nicht der Fall sein, ist der jeweilige Staat verpflichtet, das Residuum zu schätzen. Dies kann jedoch dazu führen, dass die Erfassung von Staat zu Staat variiert und sich über die Zeit leicht verändert. Entsprechend stellt die Kommission auch klar, dass der jeweilige Staat für die Genauigkeit verantwortlich ist. Ein weiterer Aspekt ist, dass die Höhe der zu meldenden Beihilfen vom jeweils gewählten Mittel der Beihilfe abhängt. Ein direkter staatlicher Zuschuss ist beispielsweise entsprechend seiner Höhe anzusetzen, da eine konkrete Auszahlung stattfindet und er budgetwirksam ist. Demgegenüber werden staatliche Garantien jedoch nicht gemäß ihrer nominalen Höhe angesetzt, sondern nur der entstehende Vorteil muss gemeldet werden: Durch die Garantie übernimmt der Staat das Ausfallrisiko und das jeweilige Unternehmen profitiert durch bessere Konditionen. Auch wenn die Garantie nicht zum Zuge kommt, weil das Unternehmen den Kredit zurückzahlt, muss die Garantiedienstleistung dennoch als Beihilfe angegeben werden. Daraus ergeben sich möglicherweise auch Unterschiede in der öffentlichen Berichterstattung, weil die Garantien 1:1 aufgenommen werden, auch wenn diese nicht auszahlungswirksam sind und auch nicht so gemeldet werden.

Der Umfang der staatlichen Beihilfen als Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den Jahren 2019 und 2020 ist in Abbildung 1 dargestellt. 2019 wurde mit 2,2 % des BIP auf Malta relativ gesehen am meisten für Beihilfen ausgegeben. Ungarn und Litauen mit rund 1,8 % folgen dahinter. Der niedrigste Wert wurde mit ca. 0,3 % in Irland sowie Luxemburg verzeichnet. In Deutschland waren es 2019 1,5 %. Auffällig ist, dass der Anteil von 2019 auf 2020 in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU gestiegen ist. Folglich führte die Pandemie dazu, dass EU-weit die Beihilfen zugenommen haben und der jeweilige Staat somit verstärkt in das Wirtschaftsgeschehen eingegriffen hat. 2020 wurde der höchste Anteil am BIP für Beihilfen in Polen und auf Malta mit jeweils rund 4,8 % verzeichnet. Die höchste prozentuale Zunahme wurde jedoch in Griechenland gemessen, welches seine Ausgaben um rund 600 % gesteigert hat (von 0,6 % auf 4,3 %). In Italien haben sich mit einer Zunahme um rund 365 % die Beihilfen ebenfalls sehr dynamisch entwickelt. Deutschland kommt 2020 auf einen Wert von rund 3,4 % und liegt damit gleichauf mit Slowenien auf dem fünften Platz. Damit sind die Beihilfen in Deutschland um rund 125 % gewachsen. Irland und Luxemburg weisen mit ca. 0,6 % sowie 0,7 % erneut die niedrigsten Anteile auf. Die niedrigste Veränderung gab es mit etwas mehr als + 24 % in Schweden.

Abbildung 1
Staatliche Beihilfen 2019 und 2020 in der EU als Anteil am BIP
in %; BIP in jeweiligen Preisen
Staatliche Beihilfen 2019 und 2020 in der EU als Anteil am BIP

Quelle: Eurostat (2023); eigene Darstellung.

Die Darstellung als Anteil am BIP birgt jedoch die Gefahr, die Veränderung nicht adäquat darzustellen, weil die Pandemie durch den negativen Effekt auf internationalen Handel sowie Reisetätigkeit und die Einschränkung des gesellschaftlichen Lebens im Inland negativ auf das BIP wirkt: Obwohl die tatsächliche Höhe der Beihilfe unverändert geblieben ist, kann durch ein Sinken des BIP der Anteil gestiegen sein. Aufgrund unterschiedlicher Betroffenheit sowie Maßnahmen zur Eindämmung des Virus ist dieser Effekt zudem nicht für alle betrachteten Staaten gleich. Daher wurde auch die absolute Zunahme an Beihilfen in Mio. Euro von 2019 auf 2020 für die Mitgliedstaaten betrachtet. Dabei hat sich bestätigt, dass der Umfang staatlicher Beihilfen in allen Ländern zugenommen hat:

  • Aufgrund der größeren Wirtschaftsleistung dominieren Deutschland, Italien, Frankreich und Polen diese Aufstellung. Mit Abstand wurde jedoch in Deutschland mit zusätzlich 62,6 Mrd. Euro die größte Zunahme verzeichnet. Die anderen Länder folgen mit weitem Abstand. Die geringste Zunahme gibt es mit jeweils rund 120 Mio. Euro in Estland und Zypern.
  • Auch in absoluten Werten haben sich die Beihilfen in Griechenland (+ 536 %) und Italien (+ 328 %) am dynamischsten entwickelt. Mit zusätzlichen 24 % war die Entwicklung in Schweden am schwächsten. In Deutschland sind die gewährten Vorteile in Mio. Euro um rund 120 % gewachsen.

Es ergeben sich folglich leichte Unterschiede, je nachdem ob der Anteil am BIP oder der Betrag betrachtet wird. Die Aussage, dass Beihilfen stark zugenommen haben, gilt jedoch unabhängig von der Betrachtungsweise. Eine bloße Steigerung der Ausgaben muss jedoch noch nicht zwangsläufig bedeuten, dass die entsprechenden Zahlungen im Zusammenhang mit der Pandemie stehen. Vor diesem Hintergrund wird die konkrete Zusammensetzung untersucht.

Die Daten bezüglich der Beihilfe (Eurostat, 2023) liegen für jeden Staat in Summe sowie für insgesamt 18 Beihilfekategorien vor. Beispielsweise können Beihilfen für Beschäftigung, Kultur, Regionalentwicklung oder für Forschung und Entwicklung gezahlt werden. Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats stellen dabei basierend auf dem AEUV eine eigene Kategorie dar. 2019 spielten Beihilfen zur Behebung einer Wirtschaftskrise keine Rolle, da in diesem Bereich keine Zahlungen gemeldet wurden. 2020 hat sich dies mit der Einrichtung des befristeten Beilhilferahmens TF durch die EU-Kommission vollständig gewandelt. Dies offenbart die Höhe der Beihilfen zur Behebung einer Störung im Vergleich zu allen Beihilfen in Relation zum BIP (vgl. Abbildung 2). Insgesamt 15 der betrachteten 27 Staaten gaben mehr als die Hälfte ihrer Beihilfen für diesen Zweck aus. Den höchsten Anteil verzeichnete Polen. Von Beihilfen von insgesamt rund 4,8 % des BIP entfielen 3,8 Prozentpunkte auf die Krisen-Zahlungen. Griechenland mit rund 3,6 % und Malta mit 3 % des BIP weisen ebenfalls hohe Anteile zur Krisenbewältigung auf. Die geringste Bedeutung haben entsprechende Zahlungen in Irland und Schweden mit jeweils rund 0,2 % des BIP. In Deutschland galten von allen Beihilfen von 3,4 % des BIP rund 1,9 Prozentpunkte und damit mehr als 50 % der Behebung der wirtschaftlichen Störung. Dies stellt den sechsthöchsten Wert dar. In Bezug auf Deutschland ist zusätzlich bemerkenswert, dass 2019 rund 83 % aller Beihilfen auf den Bereich Umweltschutz entfielen. Dies war der höchste Anteil an Beihilfen und stand zudem für die größte absolute Zahlung innerhalb der betrachteten Staaten (Eurostat, 2023). 2020 entfielen jedoch nur noch rund 37 % der Beihilfen auf den Umweltschutz.

Abbildung 2
Staatliche Beihilfen 2020 in der EU zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats als Anteil am BIP im Vergleich zu allen Beihilfen
in %; BIP in jeweiligen Preisen
Staatliche Beihilfen 2020 in der EU zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats als Anteil am BIP im Vergleich zu allen Beihilfen

Quelle: Eurostat (2023); eigene Darstellung (mit Rundungsdifferenzen).

Zwischen den Mitgliedstaaten unterscheiden sich die Zahlungen zur Überwindung der Krise somit deutlich. Daraus ergibt sich die Frage, ob dies zu möglichen Verzerrungen des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt führen könnte oder ob die unterschiedlich hohen Zahlungen objektiv gerechtfertigt werden können.

Mögliche Verzerrung des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt durch Lockerung der staatlichen Beihilfen

Im Zuge der Lockerung der staatlichen Beihilferegelungen in der EU während der Coronapandemie ist eine Diskussion darüber entbrannt, inwiefern dies zu Verzerrungen des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt führen könnte (Agnolucci, 2022). Aktuell hat sich vor dem Hintergrund der Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine diese Diskussion nochmals intensiviert (euractiv.com, 2022). Begründet wird diese These einer potenziellen Wettbewerbsverzerrung damit, dass die Mitgliedstaaten unterschiedlich viel für Beihilfen aufbringen können, um die dort ansässigen Unternehmen zu unterstützen. Somit hätten diese Unternehmen einen Vorteil gegenüber jenen aus Mitgliedstaaten mit weniger finanziellen Mitteln (euractiv.com, 2021 und Agnolucci, 2022). Besonders in der Kritik steht hierbei Deutschland. Auf Basis dieser Begründung wird auch argumentiert, dass die Notwendigkeit für einen kollektiven EU-Fonds bestehe, damit die Unterstützung für die Mitgliedstaaten fair und gleich sei (EU-Kommission, 2023b).

Im Folgenden soll daher die These einer möglichen Verzerrung durch die Lockerung der Beihilferegelungen anhand der krisenbedingten Beihilfeausgaben näher untersucht werden. Da sich die zuvor verwendeten Daten lediglich auf den Zeitraum bis Ende 2020 beziehen, wird hierfür zusätzlich auf Befragungsdaten der EU-Kommission (2022b) zurückgegriffen, welche den Zeitraum bis Mitte 2021 erfassen. Im Unterschied zu den offiziellen Daten der EU-Kommission im Scoreboard, handelt es sich bei den Befragungsdaten um Nominalbeträge, weswegen diese höher ausfallen. Die EU-Kommission hat hierbei mehrere Befragungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten unter den Mitgliedstaaten durchgeführt, um herauszufinden wie viel diese im Rahmen der coronabedingten staatlichen Beihilfemaßnahmen von den genehmigten Mitteln tatsächlich ausgezahlt haben.1 Zusammen mit den offiziell veröffentlichten Daten der EU-Kommission im Scoreboard lassen sich daraus mehrere Schlüsse ziehen. So besteht erstens eine große Diskrepanz zwischen der Höhe, der durch die Mitgliedstaaten beantragten und durch die EU-Kommission bewilligten Beihilfen und der tatsächlich ausgezahlten Mittel. Im Durchschnitt über die Mitgliedstaaten wurden lediglich 24 % der bewilligten Beihilfen auch tatsächlich bis Mitte 2021 ausgezahlt. Deutschland liegt mit einem Anteil von 8,5 % deutlich darunter. Spitzenreiter beim Anteil der tatsächlichen Beihilfeausgaben ist Rumänien mit 68,3 %. Dies verdeutlicht, dass es bei der Diskussion über eine mögliche Verzerrung des Binnenmarkts entscheidend darauf ankommt, die tatsächlich erfolgten Beihilfeausgaben zu betrachten, und nicht bloß die genehmigten Finanzmittel, um ein realistisches Bild zu erhalten.

Zweitens zeigt sich bei einer Betrachtung der krisenbedingten Beihilfeausgaben in Relation zum Wirtschaftseinbruch 2020 (vgl. Abbildung 3) bei den meisten Mitgliedstaaten eine gewisse Korrelation. In der Regel erscheint die Höhe der coronabedingten Beihilfeausgaben somit angemessen in Anbetracht des Wirtschaftseinbruchs, den sie abfedern sollen. Die Mitgliedstaaten scheinen somit die temporäre Lockerung der Beihilferegeln im Sinne eines Kriseninstruments genutzt zu haben und nicht exzessiv vorgegangen zu sein. Kein Staat fällt durch eine übermäßige Nutzung der krisenbedingten Beihilfeausgaben aus dem Rahmen. Die Evidenz für 2020 spricht somit nicht für eine Verzerrung des Binnenmarkts durch die kurzfristige Lockerung der Beihilferegelungen im Rahmen der Coronapandemie durch einzelne Mitgliedstaaten; zumal bei dieser Betrachtung nur die staatlichen krisenbedingten Beihilfeausgaben betrachtet werden, im weiteren Verlauf der Pandemie standen den Mitgliedstaaten über NGEU noch zusätzlich erhebliche Finanzmittel zur Verfügung.

Abbildung 3
Relation zwischen Beihilfeausgaben zur Behebung einer beträchtlichen Störung des Wirtschaftslebens und Wirtschaftseinbruch 2020 in der EU
in %; Wirtschaftseinbruch als Rückgang des BIP 2020 gegenüber 2019 in % von 2019; BIP in jeweiligen Preisen
Relation zwischen Beihilfeausgaben zur Behebung einer beträchtlichen Störung des Wirtschaftslebens und Wirtschaftseinbruch 2020 in der EU

Quelle: Eurostat (2023); eigene Darstellung.

Dennoch werden bei der Betrachtung der krisenbedingten staatlichen Beihilfeausgaben als Anteil am BIP (vgl. Abbildung 2) Differenzen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten deutlich. Hier liegt Polen mit einem Anteil von 3,8 % vorne, gefolgt von Griechenland (3,6 %) und Malta (3,0 %). Deutschland liegt mit 1,9 % nahezu gleichauf mit Italien (1,8 %). In Schweden und Irland hingegen beträgt der Anteil nur 0,2 %, was allerdings auch wesentlich damit zu tun hat, dass beide Staaten im Jahr 2020 gewachsen sind. Bei einer Betrachtung der Nominalbeträge an coronabedingten Beihilfeausgaben gemäß den Befragungen der EU-Kommission für den Zeitraum bis Mitte 2021 als Anteil am Vorkrisen-BIP sind die Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten tendenziell noch größer. Bei dieser Betrachtung ist Italien mit einem Anteil von 9,4 % Spitzenreiter, gefolgt von Spanien (8,4 %) und Frankreich (6,6 %). Deutschland liegt mit einem Anteil von knapp 4 % eher im Mittelfeld. Am unteren Rand liegt erneuert Irland mit einem Anteil von 0,4 %. Je nach Betrachtung variiert demnach die Zusammensetzung.

Unabhängig von der betrachteten Erhebungsmethode der Daten bestehen demnach Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. Längerfristig hätten diese Unterschiede das Potenzial, sich verzerrend auf den Wettbewerb im Binnenmarkt auszuwirken. Es besteht die Gefahr eines Subventionswettlaufs zwischen den Mitgliedstaaten, der nicht nur von Deutschland geführt würde, wie die Daten zeigen. Dies spricht dafür, die generell strenge Auslegung des Beihilfeverbots beizubehalten und dieses nur in begründeten Ausnahmen temporär zu lockern. Andernfalls drohen kostspielige Ineffizienzen, die sich langfristig nachteilig auf die EU auswirken würden. Eine nachhaltige Industriepolitik sollte sich vielmehr darauf konzentrieren, Verfahren zu beschleunigen sowie Förderstrukturen in der EU übersichtlicher zu gestalten und zu vereinfachen. Zudem könnten durch eine Koordinierung sowie Bündelung der Mittel der Mitgliedstaaten zusätzliche Potenziale gehoben werden, wovon die Mitgliedstaaten und die EU als Ganzes profitieren.

Fazit

Durch die Coronapandemie ist unter anderem die Wirtschaft in vielen Staaten unter großen Druck geraten. Zur Abfederung der wirtschaftlichen Krise in der EU hat die EU-Kommission im Frühjahr ihre strengen Beihilfeverordnungen gelockert. Mithilfe der derzeit offiziell verfügbaren Daten der Beihilfeausgaben bis Ende 2020 lassen sich erste Auswirkungen der Lockerungen analysieren.

Der Umfang an Beihilfen ist während der Coronapandemie im Vergleich zu 2019 in allen Mitgliedstaaten sowohl als Anteil am jeweiligen BIP als auch in absoluten Beträgen erheblich gestiegen. Zudem hat sich die Zusammensetzung der Beihilfen verändert und die Beihilfeausgaben in den Mitgliedstaaten sind unterschiedlich stark gewachsen. Während 2019 keine Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben gezahlt wurden, gaben 2020 insgesamt 15 der betrachteten 27 Staaten mehr als die Hälfte ihrer Beihilfen für diesen Zweck aus. Insbesondere der Anstieg der Unterschiede im Ausmaß von Beihilfen hat zu Diskussionen geführt, ob diese den Wettbewerb im Binnenmarkt verzerren und wie diesem Problem gegebenenfalls beizukommen wäre.

Mögliche Verzerrungen des Binnenmarkts durch die temporäre Lockerung der Beihilferegelungen während der Coronapandemie können anhand der Daten für 2020 nicht festgestellt werden, da die jeweiligen krisenbedingten Beihilfeausgaben in Anbetracht des Wirtschaftseinbruchs angemessen erscheinen. Zu diesem Schluss kommt auch die Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission, welche für die Überwachung der Beihilfen zuständig ist (EU-Kommission, 2022c). Bei längerfristiger Aufweichung des Beihilfeverbots droht jedoch ein ineffizienter Subventionswettlauf zwischen den Mitgliedstaaten, der die EU als Ganzes schwächen würde.

  • 1 Österreich hat sich an den Befragungen nicht beteiligt, weshalb für den Staat keine Daten vorliegen.

Literatur

Agnolucci, I. (2022), Will COVID-19 Make or Break EU State Aid Control? An Analysis of Commission Decisions Authorising Pandemic State Aid Measures, Journal of European Competition Law & Practice, 13(1), 3-16.

Amtsblatt der EU (2004), Verordnung (EG) 794/2004 der Kommission vom 21. April 2004 zur Durchführung der Verordnung (EG) 659/1999 des Rates über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags, 47. Jg., L 140, 1-134.

euractiv.com (2021), Massive German state aid to virus-hit firms? Others in EU doing as much or more: Vestager, https://www.euractiv.com/section/competition/news/massive-german-state-aid-to-virus-hit-firms-others-in-eu-doing-as-much-or-more-vestager/ (2. Februar 2023).

euractiv.com (2022), Deutschland bleibt wegen milliardenschwerem Abwehrschirm in der Kritik, https://www.euractiv.de/section/energie/news/deutschland-bleibt-wegen-milliardenschwerem-abwehrschirm-in-der-kritik/ (14. Februar 2023).

EU-Kommission (o. J.), State Aid Overview, https://competition-policy.ec.europa.eu/state-aid/state-aid-overview_en (6. Februar 2023).

EU-Kommission (2020), Mitteilung der Kommission, Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19, 2020/C 91 I/01.

EU-Kommission (2022a), State aid Scoreboard 2021, https://competition-policy.ec.europa.eu/system/files/2022-09/state_aid_scoreboard_note_2021.pdf (6. Februar 2023).

EU-Kommission (2022b), Mitteilung der Kommission, Befristeter Krisenrahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft infolge der Aggression Russlands gegen die Ukraine, 2022/C 131 I/01.

EU-Kommission (2022c), Competition – State aid brief, 1/2022 – February 2022, Directorate-General for Competition, https://data.europa.eu/doi/10.2763/41582.

EU-Kommission (2023a), Staatliche Beihilfen: Kommission konsultiert Mitgliedstaaten zum Vorschlag für einen Befristeten Rahmen zur Krisenbewältigung und zur Gestaltung des Wandels, Pressemitteilung, 1. Februar 2023.

EU-Kommission (2023b), Speech, Remarks by Executive Vice-President Vestager on the proposal for a State aid Temporary Crisis and Transition Framework, https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/speech_23_527 (8. Februar 2023).

Eurostat (2023), Aid by main objectives in current prices, AID_SCB_OBJ, bereitgestellt von European Commission - Directorate-General for Competition (DG COMP), (2. Februar 2023).

Grömling, M. (2022), Ökonomische Verluste nach zwei Jahren Coronapandemie, IW-Kurzberichte, 3.

Title:State Aid in the Light of the Corona Virus Pandemic

Abstract:The impact of the COVID-19 pandemic has hit the economies of the European Union hard. Member states have channeled significant financial resources into the economy and the EU has relaxed the relevant state aid rules designed to protect competition in the Single Market. State aid provided by member states has increased as a result, in some cases sharply. The differing degrees to which the pandemic has affected EU member states and the occassionally considerable discrepancy in state aid provided, both in terms of GDP and as an absolute amount in 2020, has led to fears that competition would be distorted in favour of Germany in particular. However, this is not confirmed by official data and statements of the EU, at least for 2020.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0054