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Die Inflation ist zurück. Seit Monaten beherrscht sie den öffentlichen Diskurs hierzulande und anderswo. Angesichts zweistelliger Inflationsraten überrascht das nicht. Einen solchen Preisauftrieb gab es vielerorts zuletzt vor mehreren Jahrzehnten. Entsprechend intensiv wird über die Ursachen und die Folgen dieser Entwicklung diskutiert, und die Politik beeilte sich, mit allerlei Maßnahmen gegenzusteuern. Auch wenn diese Maßnahmen nur bedingt effektiv und teils sogar kontraproduktiv waren, stießen sie angesichts der Dimension des Geldwertverfalls grundsätzlich auf breite Zustimmung.

Ähnlich ungewöhnlich reagierten die Zentralbanken. Anfangs als transitorisch abgetan, bekämpfen diese die anhaltende Inflation mittlerweile mit Zinserhöhungen, deren Ausmaß und Geschwindigkeit ihresgleichen suchen. Binnen weniger Monate stieg das Zinsniveau vielerorts von Null auf 3 %, 4 % oder gar 5 %. Infolgedessen erhöhten sich die Finanzierungskosten von Unternehmen und Privathaushalten erheblich. Und während die unbeliebten Verwahrentgelte für Bankenlagen quasi über Nacht abgeschafft wurden, zahlen viele Banken erstmals seit Jahren wieder Guthabenzinsen.

Auch wenn Letzteres häufig positiv wahrgenommen wird: Die Dynamik dieser Entwicklungen verunsichert viele. Für heutige Berufseinsteiger:innen sind nennenswert positive Nominalzinsen neu. Das stellt nicht nur kreditfinanzierte Anschaffungspläne infrage, es fordert zudem beim (erstmaligen) Aufbau von Vermögen heraus. Das gilt auch für junge Anlage- und Vermögensberater:innen, die dabei unterstützen sollen, denn Zinsprodukte spielten für sie bislang keine Rolle. Doch während die Zinsen „nur“ in den vergangenen Jahren nahe Null verharrten, bewegte sich die Inflationsrate ungleich länger auf niedrigem Niveau. So betrugen die jährlichen Preissteigerungen – gemessen am harmonisierten Verbraucherpreisindex von Eurostat – zwischen den 1990er Jahren und der Coronapandemie im Euroraum im Mittel nur rund 1,7 %. Im Jahr 2022 fielen sie mit 8,4 % knapp fünf Mal so hoch aus. In Deutschland ist die Diskrepanz mit 1,5 % im langjährigen Mittel versus 8,7 % im Jahr 2022 noch größer. Daran hat auch die jüngste Aktualisierung des Wägungsschemas durch das Statistische Bundesamt nichts geändert. Die niedrigen Inflationsraten in der Vergangenheit sind grundsätzlich erfreulich, nicht nur aus Sicht der Zentralbanken. Sie bedeuten aber auch, dass Inflation in dieser Zeit für das Wirtschaftsgeschehen quasi keine Rolle spielte. Weder Unternehmen noch Privathaushalte maßen der (erwarteten) Inflation nennenswerte Bedeutung bei, wenn es um Konsum- und Investitionsentscheidungen, Preisgestaltung oder Tarifverhandlungen ging.

Dass sich dies im aktuellen Inflationsumfeld anders darstellt, war zu erwarten; die hohen Tarifforderungen von Ver.di und Co waren absehbar. Doch dass diese Verhaltensänderung auch längerfristig anhalten kann, dürfte manche überraschen. Dabei spricht einiges dafür. Die kräftigen Preiserhöhungen in der gesamten Breite des Warenkorbs sind für eine ganze Generation eine neue Erfahrung. Nicht nur Auszubildende, Studierende und Berufseinsteiger:innen erleben dies zum ersten Mal (und sind angesichts ihres vergleichsweise niedrigen Einkommens besonders verunsichert), auch berufserfahrene Angestellte und Unternehmer unter 40 Jahren kannten das bislang nicht. Nun zeigt die Erfahrung, dass wirtschaftlich einschneidende Erlebnisse nicht nur kurzfristig schmerzhaft sind, sondern auch langfristig wirken, da sie ökonomisches Verhalten dauerhaft ändern können. So blieben beispielsweise Personen, die mit ihren Börsenengagements im Rahmen der New Economy Blase Schiffbruch erlitten hatten, den Kapitalmärkten fortan tendenziell fern. Ihre Sorge vor neuerlichen Verlusten war größer als die Aussicht auf hohe Renditen. Ähnliches lässt sich bei der Inflation beobachten: Menschen, die in jungen Jahren kräftige Preissteigerungen erleben, haben in ihrem späteren Leben ceteris paribus deutlich höhere Inflationserwartungen als Menschen ohne diese Erfahrung. Diese Erwartungen wiederum beeinflussen nach aktuellem Kenntnisstand über die Realzinsen wesentlich ihr Konsum- und Investitionsverhalten, wobei höhere Inflationserwartungen eher negativ wirken. Auch deswegen sind Zentralbanken so erpicht auf deren Verankerung.

Eben diese Zentralbanken tun also gut daran, ihren derzeitigen Kurs der Inflationsbekämpfung konsequent fortzusetzen, auch wenn (oder gerade weil) es nicht den aktuellen Erwartungen der Kapitalmärkte entspricht. Nur so lässt sich verhindern, dass sich die vor allem für junge Menschen ungewöhnlich kräftigen Preissteigerungen über höhere Inflationserwartungen auch langfristig negativ auswirken. Dies gilt umso mehr, da strukturelle Veränderungen (Demografie, Dekarbonisierung etc.) auf ein tendenziell höheres Inflationsumfeld in Zukunft hindeuten. Eine solche Politik mag unpopulär sein, notwendig ist sie dennoch.

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© Der/die Autor:in 2023

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2023-0043