Seit einigen Jahren rückt das Thema Sicherheit immer stärker in den Mittelpunkt politischer Debatten und gesellschaftlicher Wahrnehmung. Der Economic Policy Uncertainty Index (Baker et al., 2024) zeigt für Deutschland seit Beginn des Ukraine-Krieges historische Höchststände. Die deutsche Exportwirtschaft wird durch Kriege, geopolitische Fragmentierung und internationale Konflikte massiv belastet, und die weltweite Verunsicherung und Konsumzurückhaltung infolge von Kriegen und Konflikten dämpfen hierzulande die Investitionstätigkeit.
Sicherheit als ökonomischer Standortfaktor
Sicherheit ist seit jeher für Konsumenten und Unternehmen eine wesentliche Voraussetzung für Erwartungsbildung, Verlässlichkeit und Risikomanagement. Private Akteure sind dabei auf Bedingungen angewiesen, die sie selbst weder schaffen noch garantieren können. Der Staat hat für äußere und innere Sicherheit als öffentliche Güter Sorge zu tragen; sein Mandat beruht auf der völkerrechtlich anerkannten Souveränität sowie dem rechtsstaatlich definierten Gewaltmonopol. Die Hoffnung, zunehmende wirtschaftliche Kooperation über Märkte – national wie international – entfalte pazifizierende Wirkung (Wandel durch Handel) und schaffe selbstdurchsetzend Sicherheit, hat sich nicht bestätigt.
Die geopolitischen Entwicklungen der jüngsten Zeit haben die Herausforderung der äußeren Sicherheit fundamental verändert. Während Diskussionen um die innere Sicherheit nie ganz von der politischen Agenda verschwunden waren und durch die erhöhte Terrorgefahr im letzten Jahrzehnt wieder stärker in den Fokus gerückt wurden, erhielt das Thema äußere Sicherheit erst mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 eine größere Aufmerksamkeit in Politik und Öffentlichkeit. Dieser Krieg bedroht die europäische territoriale Sicherheitsordnung unmittelbar. Nach 1990 hatte Deutschland zunächst eine sicherheitspolitische Wende vollzogen. Es wies der Sicherung der territorialen Integrität nur noch einen untergeordneten Rang zu und verließ sich auf die Sicherheitsgarantie des NATO-Schutzschilds. Die eigenen militärischen Kapazitäten wurden zurückgebaut, die allgemeine Wehrpflicht 2011 ausgesetzt. Die mit alldem verbundene fiskalische „Friedensdividende“ beträgt – nimmt man das NATO-Ziel von 2 % des nationalen Verteidigungsbudgets am Bruttoinlandsprodukt als Referenz – über 600 Mrd. Euro für die vergangenen drei Jahrzehnte (Bardt, 2021).
Die Zurückbesinnung auf die Landesverteidigung ist dringend notwendig, zumal die USA sich bereits unter der Obama-Administration mit dem „Pivot to Asia“ zunehmend den Herausforderungen in Asien zugewandt haben. Es ist wahrscheinlich, dass die USA sich im Ukraine-Krieg zum letzten Mal als „europäische“ Nation militärisch engagieren. Zugleich wächst weltweit die Gefahr militärischer Konflikte, etwa durch die Drohgebärden Chinas gegenüber Taiwan und anderen Anrainerstaaten im südchinesischen Meer. Aber auch hier spielt Europa eine Rolle: Traditionell westliche Alliierte wie Japan, Südkorea oder die Philippinen wenden sich nicht nur an die USA, sondern setzen ebenso auf Europäer als Verbündete, wenn es um Sicherheitsinteressen gegenüber China geht. Ein militärischer Konflikt um Taiwan zwischen den Supermächten USA und China scheint ohnehin nicht mehr ausgeschlossen. Die Ära des Friedens, gewahrt durch ein effektives internationales Völkerrecht, ist fragil geworden, da internationale Organisationen für dessen Durchsetzung erlahmt sind und es an einer willigen Hegemonialmacht fehlt, die universell gültige Rechte auch durchsetzt. Anders ausgedrückt: Wir befinden uns in einer „neuen Epoche des Risikos“ (SIPRI, 2022) und Europa ist mittendrin.
In Deutschland betrifft diese neue Risikoumgebung nicht nur die äußere und innere Sicherheit. Es kommen moderne Dimensionen der Sicherheit hinzu, die unter dem Begriff „hybride Bedrohungen“ zusammengefasst werden. Darunter versteht man meist verdeckte Angriffe durch feindliche Staaten, Gruppen und Akteure, die auf die Zersetzung liberaler, vor allem westlicher Demokratien und die Schwächung ihrer Integrität abzielen, um den eigenen geopolitischen Einfluss auszuweiten und strategische Interessen durchzusetzen (Jungwirth et al., 2023). Der Verfassungsschutz registrierte jüngst deutlich stärkere Angriffe aus Russland, China und Iran gegenüber Deutschland, in Form von Spionage, illegitimer Einflussnahme, Desinformationskampagnen und Cyberangriffen (BMI, 2024).
Fiskalische Folgen der verbrauchten Friedensdividende
Das Thema Sicherheit ist nicht nur ein politisches Problem und eine staatliche Aufgabe im engeren Sinne, sondern eng mit ökonomischer Resilienz und der Funktionsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft verknüpft. Die Sicherheitsfragen unserer Zeit sind komplex und ein zentraler Bestandteil bei der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen sozialen Marktwirtschaft und der demokratischen Ordnung. Für die Wirtschaftspolitik und die Finanzpolitik markiert die neue Epoche der sicherheitspolitischen Risiken einen tiefgreifenden Wandel, da viel mehr finanzielle Ressourcen in Sicherheit investiert werden müssen als zuvor. Anders gewendet: Die Betriebskosten des globalen Wirtschaftssystems und die Standortkosten nationaler Sicherheit sind dramatisch angestiegen. Während die Erschöpfung der Globalisierung seit geraumer Zeit zu diagnostizieren ist (Hüther et al., 2019), hat sich die Dringlichkeit neuer sicherheitspolitischer Anstrengungen erst mit der „Zeitenwende“ infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine politisch und gesellschaftlich vermittelt. Fiskalisch wurde dem bisher nur ansatzweise und somit unzureichend Rechnung getragen.
In Abbildung 1a sind die jährlichen Ausgaben im Bundeshaushalt für die drei Säulen der Sicherheit preisbereinigt mit dem Basisjahr 2020 dargestellt. Die Ausgaben für äußere Sicherheit, maßgeblich der Haushalt des Verteidigungsministeriums, nehmen den Großteil der Ausgaben für Sicherheit ein und sind zwischen 2015 und 2022 real kräftig gestiegen von 31 Mrd. auf fast 45 Mrd. Euro. Im Haushaltsplan für 2025 werden trotz der Rekordansätze für die Verteidigung durch den starken Preisanstieg real nur knapp über 44 Mrd. Euro für äußere Sicherheit bereitgestellt; immerhin signifikant mehr als in den Jahren 2023 und 2024.
Abbildung 1
Ausgaben des Bundes für Sicherheit

Quelle: eigene Berechnung und Darstellung auf Basis von BMF (2024).
Die Ausgaben für innere Sicherheit stiegen zwischen 2015 und 2017 deutlich um über 40 %, doch seitdem gab es im Aggregat keine sichtbare reale Aufwärtsbewegung mehr. Den größten Posten nimmt bei der inneren Sicherheit die Bundespolizei ein, deren Budget zwischen 2015 und 2025 real um 1 Mrd. Euro gestiegen ist (BMF, 2024). Auch die Ausgaben für den zweitgrößten Posten der inneren Sicherheit, das Bundeskriminalamt, haben sich im selben Zeitraum fast verdoppelt. Die Ausgaben für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge blieben nach dem Anstieg nach 2015 recht stabil, wohingegen die Ausgaben für Integration und Migration sowie Vertriebene deutlich volatiler waren und beispielsweise 2025 um über 44 % gegenüber 2024 gekürzt wurden.
Die Ausgaben für die Abwehr hybrider Gefahren im Bundeshaushalt – darunter werden die Nachrichtendienste, IT-Sicherheit und politische Bildung gefasst – verzeichnen seit 2015 eine kräftige Aufwärtsbewegung, insbesondere in den Jahren nach 2020, mit einem vorübergehenden Einbruch im schwierigen Haushaltsjahr 2024, was besonders deutlich wird an den indexierten Ausgaben im Bundeshaushalt (vgl. Abbildung 1b).
Das erwähnte NATO-Ziel für die Verteidigungsausgaben wurde selbst im Jahr 2023 mit 1,6 % des BIP deutlich verfehlt (Bardt, 2024a). Im Jahr 2024 soll das NATO-Ziel erstmals erreicht werden, vor allem dank des Sondervermögens Bundeswehr. Allerdings fallen darunter auch die militärische Unterstützung der Ukraine sowie ein nicht näher definierter Rest, der aus verschiedenen anderen Teilen des Bundeshaushalts zu den Verteidigungsausgaben gezählt wird und der zuletzt sehr stark auf über 11 Mrd. Euro angestiegen ist (Bardt, 2024b).
Die Finanzierung der Verteidigungsausgaben ist aus den Steuereinnahmen zu gewährleisten. Dafür fehlen bisher mittelfristig – nach Auslaufen des Sondervermögens Bundeswehr – die budgetpolitischen Voraussetzungen; der Ansatz im Finanzplan des Bundes für das Jahr 2028 – vorgesehen sind 80 Mrd. Euro – ist nicht substanziell unterlegt. Die Einrichtung des Sondervermögens für die Bundeswehr außerhalb des Staatsschuldenrechts gemäß Art. 109 und 115 GG kann ordnungspolitisch begründet werden, weil eine Nachfinanzierung einer mehr als 20-jährigen Unterfinanzierung bei der Ausstattung der Bundeswehr nicht aus dem Steuerhaushalt eines Jahres zu leisten ist. Das Sondervermögen mit 100 Mrd. Euro dürfte für diesen Zweck nicht ausreichen; eher sind 300 Mrd. Euro als erforderlich anzusehen (Deutscher Bundestag, 2023). Obgleich für diesen Sonderhaushalt ein spezielles Kontrollgremium eingerichtet wurde, ist Streit darüber entbrannt, ob die Nutzung dieses Etats dem angedachten Verwendungszweck entspricht.
Fachkräftemangel und Mobilisierung von Reservisten
Im jüngsten Wehrbericht wird deutlich, dass die Bundeswehr immer noch in einem beklagenswerten Zustand ist. Vor allem werden im Wehrbericht neben Materialengpässen – teils verursacht durch große Abgaben von Gerät und Munition an die Ukraine – Personalvakanzen und Infrastrukturmängel als Hauptprobleme angeführt (Deutscher Bundestag, 2024). Damit wird die zweite große Herausforderung für die Herstellung der Wehrfähigkeit Deutschlands erkennbar: die Verfügbarkeit von Personal.
Der Fachkräftemangel in der deutschen Volkswirtschaft führt zu erheblichen Friktionen für die Bundeswehr. Denn für den Konfliktfall muss mit einer viel höheren Anzahl von Reservisten gerechnet werden. Derzeit leisten etwa 34.000 Reservisten Dienst in regelmäßigen Übungen bei der Bundeswehr, der Bedarf liegt jedoch bei rund 60.000 (Bundeswehr, 2024). Es ist davon auszugehen, dass bis Ende des Jahrzehnts bei sich weiter verschärfender Konfliktlage der Bedarf auf 200.000 ansteigen wird. Das wird nur in Zusammenarbeit mit den Unternehmen zu organisieren sein. Bisher besteht dafür aber in der Wirtschaft kaum ein Bewusstsein.
Die ohnehin schon hohen Personalkosten werden nach den Anpassungen der Mindestleistungen für Reservistendienstleistende und aufgrund des zunehmenden Personalbedarfs nochmals ansteigen. Schon jetzt wird mehr als ein Drittel der Ausgaben für die Kommandobehörden und Truppen ausgegeben (36 %), also für Sold, Fürsorgemaßnahmen und Sozialversicherungsbeiträge. Im Vereinigten Königreich, das einen fast gleich großen Verteidigungshaushalt hat (ohne den Atomwaffenkomplex), entfallen 29 % der Ausgaben des Ministry of Defense auf Gehälter und Kosten für das Militärpersonal (vgl. Abbildung 2). Die Bundeswehr hat mit über 181.000 Berufssoldaten und Reservisten zwar eine größere Truppenstärke als Großbritannien mit 171.00 Soldaten (inkl. Reservisten) – jedoch sind die Ausgaben pro Soldat mit 104.120 Euro in Deutschland deutlich höher als im Vereinigten Königreich mit umgerechnet 89.960 Euro.
Abbildung 2
Verteidigungshaushalte Vereinigtes Königreich (ohne Atomwaffenkomplex), Deutschland (ohne Militärischer Abschirmdienst), Soll-Ausgaben für 2024

Quelle: eigene Berechnung und Darstellung auf Basis von BMF (2024) und Ministry of Defence (2024).
Die Ausgaben für militärische Forschung und Entwicklung liegen in Deutschland mehr als 2 Mrd. Euro unter denen Großbritanniens. Im Jahr 2024 machte dieser Bereich in Deutschland nur 2 % des Verteidigungshaushalts aus, während er in Großbritannien 7 % betrug. Auch der Posten für militärische Beschaffungen ist im deutschen Haushalt deutlich kleiner als der vergleichbare Posten des britischen Verteidigungsministeriums. Zwar fällt ein Großteil der militärischen Beschaffungen mit über 21 Mrd. Euro im Bundeshaushalt 2024 unter die Verpflichtungsermächtigungen für die kommenden Jahre; doch auch im Vereinigten Königreich gibt es im Defense Equipment Plan ebenfalls langfristig angelegte Beschaffungspläne, die über die aktuelle Haushaltsplanung hinausgehen.
Notwendige Verteidigungszusammenarbeit in der Europäischen Union
Ein weiterhin ungenutztes Potenzial in Sicherheitsfragen bildet der Handlungsraum Europäische Union. Sowohl für die innere Sicherheit (Migration, Sicherung der Außengrenzen) als auch für die äußere Sicherheit (Verteidigungsunion) sowie für die Abwehr hybrider Gefahren, insbesondere im Bereich der Cyberabwehr, ist die europäische Ebene zentral. Hinzu kommt, dass in einem Bündnisfall nach Art. 5 des NATO-Vertrages die Bundesrepublik aufgrund der geografischen Lage in besonderer Weise in die Aufmarschwege nach Osten eingebunden sein dürfte. Im Falle dieses Notstandes nach Art. 80a Abs. 3 Satz 1 GG greifen – noch aus den Notstandsgesetzen der 1960er Jahre stammend – die sogenannten Sicherstellungsgesetze, um die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen für Zwecke der Verteidigung, insbesondere zur Deckung des Bedarfs der Zivilbevölkerung und der eigenen, aber auch verbündeter Streitkräfte, sicherzustellen. Viele der dafür bedeutsamen Infrastrukturen, Systeme und Versorgungsleistungen wurden nach Ende des Kalten Krieges zurückgebaut, jedenfalls nicht in der heute wieder gebotenen Weise unterhalten. Daraus ergeben sich weitere fiskalische Anforderungen, und zwar an Bund, Länder und Kommunen. Das Thema wird bislang von der Politik unverantwortlicherweise ignoriert.
Beim Aufbau einer resilienten IT-Infrastruktur bestehen bereits von der Europäischen Kommission koordinierte Initiativen und Gemeinschaftsprojekte wie beispielsweise das Projekt EuroQCI (Aufbau einer Quantenkommunikationsinfrastruktur), das zur Sicherung der grenzüberschreitenden Kommunikationsinfrastruktur beitragen soll. Doch der IMD World Digital Competitiveness (2023) zeigt, dass die EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich auf die Abwehr hybrider Bedrohung vorbereitet sind, insbesondere in der Cyberabwehr: In den relevanten Kategorien zur Cybersicherheit befindet sich Deutschland nur in der Abwehr von Cyber-Piracy – gemessen an installierter nicht lizenzierter Software und damit Malware-gefährdeten PCs – in einem der vorderen Plätze von allen untersuchen 64 Ländern. Im Bereich der Cyber-Security allgemein liegt Deutschland deutlich unter dem EU-Schnitt auf Platz 37, im Bereich der Government Cyber Security Capacity liegt Deutschland nur knapp über dem EU-Durchschnitt auf Platz 30, jedoch weit abgeschlagen hinter dem Spitzenreiter Estland, der international auf Platz zwei liegt. Dass Estland gerade in dem Bereich der Cyber-Security Spitzenreiter ist, verwundert nicht. Denn das Land ist aufgrund seiner Nähe zu Russland und dem daraus resultierenden Konfliktpotenzial besonders durch hybride Angriffe gefährdet (Magnuson et al., 2022). Auch in Deutschland sollte das Bewusstsein für eine reale Kriegsgefahr geschärft werden.
Der größte Hebel, den Europa in Sicherheitsfragen hat, ist die Etablierung einer Verteidigungsunion. Allerdings sind die politischen Hürden hoch. Das Kernproblem bei der Durchsetzung einer Verteidigungsunion liegt in den noch unterschiedlichen Vorstellungen darüber, was eine Verteidigungsunion leisten soll. Die Debatten konzentrieren sich dabei auf drei Aspekte (Beetsma et al., 2024): erstens die Liberalisierung der Defense-Güter, zweitens die Koordinierung militärischer Zusammenarbeit und der Kapazitätserweiterung sowie drittens die Stärkung einer eigenen europäischen Verteidigungsindustrie durch Industriepolitik.
Für alle drei Aspekte bestehen Potenziale für europaweite Synergieeffekte. Der europäische Binnenmarkt für Verteidigungs- und Dual-Use-Güter ist unvollständig und unzureichend entwickelt. Aufgrund ineffizienter Marktstrukturen und der oft autarken Herangehensweise der Mitgliedstaaten kommt es zu einer Replikation und Redundanz von Waffensystemen. Nationale Industrien werden häufig bevorzugt, was zu einem Überangebot an militärischer Ausrüstung führt, das dennoch nicht ausreicht, um die NATO-Vorgaben zu erfüllen (Beetsma et al., 2024). Die Massenproduktion von Waffen ist in der europäischen Verteidigungsindustrie bisher nicht ausreichend entwickelt. Eine zentrale Herausforderung besteht in der Schaffung bzw. Stärkung der European Defence Technological and Industrial Base. Allerdings gibt es noch keine einheitliche Linie für die Entwicklung eines europäischen Verteidigungsbudgets, was die Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten erschwert (Beetsma et al., 2024).
In diesem Sinne sollten bestehende Instrumente gestärkt und weiterentwickelt werden, insbesondere die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. PESCO folgt dem Prinzip der differenzierten Integration, bei dem sich interessierte EU-Staaten freiwillig zusammenschließen, ohne auf das Einstimmigkeitsprinzip angewiesen zu sein (Fremerey & Gerards Iglesias, 2024). Dies macht PESCO zu einem sinnvollen Mechanismus auf dem Weg zu einer Verteidigungsunion.
Fiskalische Zwänge sind ein Sicherheitsrisiko: Revision der Staatstätigkeit
Die Verbesserung der Sicherheitslage in Deutschland ist eine Voraussetzung gedeihlicher Wirtschaftsentwicklung für alle Akteure. Der Staat muss für die öffentlichen Güter der äußeren und der inneren Sicherheit verlässlich sorgen. Die Ertüchtigung der Bundeswehr ist dafür zentral. Die fiskalischen Vorkehrungen über das Sondervermögen für die Wiederherstellung der Wehrfähigkeit sind allerdings ebenso unzureichend wie die Finanzplanung für die laufende Unterhaltung. Keinerlei fiskalische Vorsorge gibt es für die Anforderungen aus Sicherstellungsgesetzen für den Notfall.
Neben der Frage der angemessenen Finanzierungsquellen – Kreditfinanzierung des Sonderhaushalts, Steuerfinanzierung der laufenden Ausgaben – muss die Bundesregierung dringend eine fiskalische Gesamtbilanz erstellen, die alle absehbaren finanziellen Bedarfe erfasst. Gerade bei den Auswirkungen der Sicherstellungsgesetze sind in erheblichem Umfang die Kommunen betroffen, da diese vor Ort die Leistungen zu erbringen haben. Damit sind auch die Länder in ihrer besonderen Verantwortung für die Kommunen gefordert, die ohnehin die Vorhaltung und Bewirtschaftung kritischer Ressourcen zu gewährleisten haben.
Erst auf der Grundlage einer fiskalischen Gesamtbilanz „Sicherheitsraum Deutschland“ können die drohenden Allokationsprobleme in der Volkswirtschaft (Planung und Einsatz der kritischen Ressourcen, föderale Verantwortung) identifiziert und die drohenden Verteilungskonflikte bei der Verwendung der Steuereinnahmen bewertet werden. Die Verteidigungsausgaben verdrängen andere konsumtive Ausgaben des Staates und müssen letztlich nachhaltig dadurch erbracht werden. Eine Revision der Staatstätigkeit wird dafür unvermeidlich sein. Um die investiven Notwendigkeiten, die sich durch die Verteidigung insbesondere bei den Infrastrukturen verschärfend auswirken, angemessen adressieren zu können, muss entweder durch einen Transformations- und Infrastrukturfonds außerhalb der Schuldenbremse finanzielle Sicherheit geschaffen werden (Hüther, 2024), oder man wählt gezielt die Finanzierung über Infrastrukturgesellschaften mit finanzieller Transaktion, da eine Verfassungsänderung nicht mehr realistisch erscheint.
Die Unternehmen sind indirekt durch die höheren Betriebskosten des weltwirtschaftlichen Systems und die steigenden Standortkosten betroffen und direkt durch die eigenen Sicherheitsvorkehrungen im Bereich der Cybersicherheit und der Wirtschaftsspionage. Dazu kommen die Folgen der steigenden Anzahl von Reservisten mit entsprechender Abwesenheit am Arbeitsort. Der Druck auf Rationalisierungsinvestitionen nimmt dadurch zu. Grundsätzlich muss es darum gehen, die Resilienz der Unternehmen durch hervorragende Bildungseinrichtungen, eine erstklassige Infrastruktur, einen europäischen Kapitalmarkt sowie schnelle staatliche Planungen und Verfahren zu stärken. Kurzum: alles, was derzeit angesichts der angebotsgetriebenen Nachfrageschwäche der deutschen Volkswirtschaft erörtert wird, muss erst recht mit Blick auf die Wehrhaftigkeit des Landes geleistet werden, und zwar umfassend und verlässlich.
Literatur
Baker, S., Bloom, N. & Davis, S. (2024, 11. Oktober). Measuring Economic Policy Uncertainty.
Bardt, H. (2021). Verteidigungsausgaben in Deutschland: Hohe Friedensdividende und niedrige NATO-Quote. IW-Trends Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung, 48(1), 41–59.
Bardt, H. (2024a). Keine Zeitenwende im Verteidigungshaushalt. In K. Bergmann & M. Diermeier (Hrsg.), Transformationspolitik: Anspruch und Wirklichkeit der Ampel-Koalition (S. 367–374). Transcript.
Bardt, H. (2024b). 2-Prozent-Nato-Ziel kann erreicht werden – Planung mit erheblichen Risiken. IW-Kurzbericht, 52.
Beetsma, R., Buti, M. & Nicoli, F. (2024). Defense as a European Public Good: Delivery and Financing. EconPol Forum, 25(4), 5–10.
Bundeswehr. (2024). Auftrag der Reserve.
BMI – Bundesministerium des Innern und für Heimat. (2024, 18. Juni). Verfassungsschutzbericht 2023 [Pressemitteilung].
BMF – Bundesministerium der Finanzen. (2024). Bundeshaushalt digital.
Deutscher Bundestag. (2023). Unterrichtung durch die Wehrbeauftragte: Jahresbericht 2022 (64. Bericht), Drucksache 20/5700.
Deutscher Bundestag. (2024). Unterrichtung durch die Wehrbeauftragte: Jahresbericht 2023 (65. Bericht), Drucksache 20/10500.
Fremerey, M. & Gerards Iglesias, S. (2024). Europäische Union: Institutionelle Verharrung oder Delors-Plan 2.0? In K. Bergmann & M. Diermeier (Hrsg.), Transformationspolitik: Anspruch und Wirklichkeit der Ampel-Koalition (S. 323–334). Transcript.
Hüther, M., Diermeier, M. & Goecke, H. (2019). Die erschöpfte Globalisierung: Zwischen transatlantischer Orientierung und chinesischem Weg (2. Aufl.). Springer.
Hüther, M. (2024). Ein gesamtstaatlicher „Transformations- und Infrastrukturfonds“ zur Stabilisierung der Schuldenbremse. Wirtschaftsdienst, 104(1), 14–20.
IMD World Digital Competitiveness (2023). Ranking 2023.
Jungwirth, R., Smith, H., Willkomm, E., Savolainen, J., Alonso Villota, M., Lebrun, M., Aho, A. & Giannopoulos, G. (2023). Hybrid threats: a comprehensive resilience ecosystem. Publications Office of the European Union, JRC129019.
Magnuson, S., Keay, M. & Metclaf, K. (2022). Countering Hybrid Warfare: Mapping Social Contracts to Reinforce Societal Resiliency in Estonia and Beyond. Texas National Security Review, 5(2).
Ministry of Defense (2024). Annual Report and Accounts 2023-24.
SIPRI. (2022). Environment of Peace: Security in a New Era of Risk.