Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) in Deutschland steht im Feuer: Zum einen entzünden sich regelmäßig Debatten am Rundfunkbeitrag. Zum anderen befürchten die privaten Verlagshäuser, dass der ÖRR durch seine starke Finanzierung und die großen Redaktionen in der Lage ist, mit reichweitenstarken Digitalangeboten ihr Geschäftsmodell zu unterminieren. Hierbei geht es vor allem um „presseähnliche Texte“. Sie sind auf reichweitenstarken Webseiten wie der „tagesschau.de“ dank des Rundfunkbeitrags kostenfrei abrufbar, während Privatmedien sich häufig mit Bezahlschranken finanzieren.
Im Zuge der geplanten Reform der Rundfunkstaatsverträge steht eine Reduzierung der presseähnlichen Texte im Raum. Während sich die Debatte in Zeiten von Desinformation und strauchelndem Lokaljournalismus polarisiert, hat der Chefredakteur des WDR, Stefan Brandenburg, den privaten Medienhäusern die Hand gereicht: „Beide, Zeitungen und Öffentlich-Rechtliche, erfüllen eine Aufgabe in unserer Gesellschaft. Sie sollten es stärker gemeinsam tun.“ Weiter schlägt er vor: „Unsere Haltung als Öffentlich-Rechtliche sollte dabei sein: Wie können wir Zeitungen unterstützen? Das heißt für uns: ihre Recherchen verbreiten, sie ins Licht stellen“ (Brandenburg, 2024). Was zunächst wie eine Geste der Solidarität klingt, bringt drei entscheidende Probleme mit sich: Den ÖRR als (unabsichtlichen) Gatekeeper für Inhalte, die „Foxconnisierung“ privater Medien zu „Auftragsfertigern“ und nicht zuletzt fehlender Wettbewerb bei Formaten und Ideen.
Zunächst einmal klingt eine Kooperation charmant. Mit seiner großen Reichweite gibt der öffentliche Rundfunk Recherchen, Reportagen und Interviews der Privatmedien viel Sichtbarkeit. Doch der Teufel steckt im Detail: Wird der ÖRR zu einem wichtigen Distributions- und Werbeinstrument für die privaten Medien, wird er zu einem bedeutsamen Gatekeeper für Inhalte, selbst wenn das gar nicht intendiert ist: Wer anderen eine Bühne gibt, so wie hier für die ÖRR-Formate vorgeschlagen, der entscheidet, was dort aufgegriffen, geschrieben und zitiert werden soll. Das passiert jeden Tag in jeder Redaktion.
Doch wenn sie im Hinterkopf haben, dass es über öffentlich-rechtliche Medien später ausgespielt werden soll, sortieren die Redaktionen der Privaten mit der berühmten „Schere im Kopf“ eventuell bereits aus, woran überhaupt gearbeitet, in welche Richtung recherchiert wird. Das Ergebnis wäre eine gleichförmigere Presselandschaft mit blinden Flecken, ohne dass es dazu irgendeine Art von Zensur oder Blattlinie beim ÖRR bräuchte. Bereits jetzt demonstrieren die Mechanismen von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken, wie sehr Online-Artikel auf das sogenannte Clickbaiting, das Erhaschen von Klicks mittels reißerischer Überschriften, hingeschrieben werden. Nun mag man einwenden, dass Schreibstile unabhängig sind von der Frage, wie breit das Meinungsspektrum ausfällt. Doch es ist ein eindrücklicher Beleg dafür, wie sehr sich Redaktionen den Usancen von Plattformen beugen, wenn ihre Einnahmen davon abhängen. Eine Anpassung an den (öffentlich-rechtlichen) Distributionskanal ist also alles andere als abwegig.
Die privaten Medien drohen zu Auftragsfertigern zu werden, wie es etwa Foxconn für Apple ist. Seit zehn Jahren existiert ein Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Fraglich ist, was der Mehrwert für die Privaten sein soll, wenn gemeinsame Ergebnisse umfassend von den öffentlichen Formaten verbreitet werden – dort ohne Bezahlschranke und mit dem Label der Neutralität, das viele Zeitungen bewusst nicht wählen. Abgesehen von einigen wenigen Kennern umfangreicher Texte wird es der großen Mehrheit genügen, die Haupterkenntnisse gratis über Kanäle des ÖRR zu rezipieren.
Ein weiteres Argument gegen den ÖRR als „Bühne“ für die Privaten ist grundsätzlicherer Natur. Die Medienlandschaft ist in rasantem Wandel. Abseits von Inhalten erfordert das neue, innovative Formate. Ein Patentrezept gibt es nicht. Es braucht Wettbewerb um die besten Ideen und Konzepte. Wenn sich die Verbreitung von Inhalten zunehmend auf den ÖRR verengen sollte, wird sich früher oder später die Frage stellen, wie mediale Innovation gelingen soll. Nicht weil der ÖRR per se nicht experimentierfreudig ist, sondern weil sich bei jeder Form von Monopolisierung Beharrungskräfte etablieren. Auch der öffentliche Rundfunk wird besser durch den Wettbewerb, in dem er mit den Privaten steht. Doch der kann nur fortdauern, wenn es starke Wettbewerber gibt, die mit eigenen Angeboten vorangehen können und nicht vom ÖRR wirtschaftlich abhängig sind. ÖRR und private Verlage müssen im digitalen Zeitalter einen neuen modus vivendi finden. Die Öffentlichen als Bühne der Privaten scheint dafür ungeeignet.
Literatur
Brandenburg, S. (2024, 23. Oktober). Sollen wir digital in die Kreisliga absteigen? Frankfurter Allgemeine Zeitung.