Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Dieser Beitrag ist Teil von Update für die Medienökonomik in Zeiten von Algorithmen, Desinformation und Hassrede

Die liberale Demokratie und ihre als „der Westen“ bekannte Wertegemeinschaft steht vor einer historischen Zerreißprobe – von außen aber auch von innen. Im Zentrum dieser Entwicklung steht nicht zuletzt die umkämpfte Transformation der Medienwelt. Die einschneidende Rede des US-Vizepräsidenten, J. D. Vance, auf der Münchener Sicherheitskonferenz hat dies eindrücklich unter Beweis gestellt. In den USA ist bereits seit längerem ein Bruch zwischen der Politik und den traditionellen Medien zu beobachten. Unter dem Nimbus einer vermeintlich kompromisslosen Meinungsfreiheit wird in der zweiten Amtszeit von Donald Trump, so scheint es, die Idee von „neuen Medien“ und „alternativen Fakten“ noch einmal deutlich politischen Aufwind erfahren. Mit der Einstellung des Faktencheck-Programms auf den Social-Media-Plattformen Facebook und Instagram, gab Meta-Chef Mark Zuckerberg einen ersten Wink, wohin die Reise gehen soll.

In einer Zeit, in der Digitalunternehmen wie Google/Alphabet, Meta und ByteDance den Zugang zu Kommunikation, Nachrichten und Informationen dominieren, steht die Meinungsbildung unter völlig neuen Vorzeichen. Der Aufstieg globaler Megaplattformen hat das Geschäftsmodell der traditionellen Massenmedien massiv unter Druck gesetzt. In vielen Ländern, auch in Europa, hat dies zu einer stark gestiegenen Konzentration der Medienunternehmen (im Bereich Fernsehen, Zeitungen, Buchverlage, Suchmaschinen) geführt und damit zu einer Abnahme der Pluralität (Noam, 2016; Bleyer-Simon et al., 2024). Doch damit nicht genug: Was die jüngste Entwicklung durch die Einbindung künstlicher Intelligenz (KI) von früheren Medienkrisen unterscheidet, ist eine Disruption der Medienlogik selbst (Klinger & Svenson, 2014). Die Verwendung von komplexen Algorithmen hat das Angebot von Medieninhalten grundlegend verändert. Themen und Ereignisse werden zunehmend selektiv ausgewählt, Informationen und Nachrichten personalisiert verbreitet. Die neuartige Form des Medienkonsums verwischt die Grenzen zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen (Stichwort: „influencer“), zwischen Information und Unterhaltung („infotainment“) und zwischen der publizistischen und der ökonomischen Dimension von Mediengütern, etwa durch die inhaltliche Verflechtung von Information und Werbung („native advertising“).

Zweifellos sind die Folgen dieser Entwicklung nicht allesamt negativ zu beurteilen. Man denke etwa an das didaktische Potenzial von klug aufbereitetem „infotainment“ im Bereich des lebenslangen Lernens. Gleichwohl wäre es ordnungspolitisch naiv, den durch KI und Algorithmen getriebenen Wandel des Mediensektors sich selbst zu überlassen oder dabei auf die politische Neutralität ihrer Betreiber zu vertrauen. Medien sind sowohl ökonomische Leistungs- als auch publizistische Funktionsträger (­Dreiskämper, 2013). Sie haben einen grundlegenden Einfluss auf die Ordnung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft (Habermas, 1962/2023; Luhmann, 2017). Für eine liberale Demokratie ist ihre Funktionsfähigkeit als „vierte Gewalt“ geradezu konstituierend. Der Schutz demokratischer Werte erfordert im digitalen Zeitalter allerdings mehr als eine radikale Entfesselung der Meinungsfreiheit im Internet, er erfordert strukturelle Lösungen, um die Meinungs- und Medienvielfalt zu sichern, die redaktionelle Unabhängigkeit zu wahren und die Macht globaler Plattformen zu begrenzen.

Eine ordnungsökonomische Einordnung

Zwischen Wirtschaft, Medien und demokratischem Diskurs bestehen bedeutende Wechselwirkungen. Der Mediensektor ist sowohl das Ergebnis der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung als auch ein Teil des Ordnungsrahmens, in dem Wirtschaft und Gesellschaft stattfinden und medial vermittelt werden. In einem privatwirtschaftlich organisierten Mediensektor wäre es jedoch verfehlt, aus der öffentlichen Aufgabe „der Medien“ einen konkreten Auftrag für einzelne Medienunternehmen abzuleiten. Das Ziel liberaler Medienpolitik muss darin bestehen, einen (rechtlichen) Ordnungsrahmen zu gewährleisten, der es der Öffentlichkeit ermöglicht, sich mit verlässlichen Informationen und Meinungsvielfalt zu versorgen, um selbstbestimmt an demokratischen Entscheidungsprozessen teilhaben zu können.

Aufgrund der Multidimensionalität des Mediensektors scheint eine ordnungsökonomische Perspektive für dessen Analyse besonders geeignet. Das Prinzip der „Interdependenz der Ordnungen“, also die wechselseitige Beeinflussung und Durchdringung der verschiedenen gesellschaftlichen Teilordnungen, gehört gewissermaßen zum ökonomischen Grundverständnis der Ordnungsökonomik. Ein empirisches Beispiel, das den Nexus zwischen der Wirtschaft und der Medienlandschaft verdeutlicht, ist die globale Finanzkrise 2008. Die Krise traf in ihrer Vehemenz nicht nur Banken und Finanzmärkte, sondern wirkte wie ein Katalysator auf die bereits durch Digitalisierung und verändertes Konsumverhalten angestoßenen Veränderungen der Medienlandschaft. Laut einer Studie der Open Society Foundation (2010) verloren Medien in vielen Ländern während dieser Zeit 30 % bis 60 % ihrer Einnahmen. Nachrichtenredaktionen wurden entsprechend verkleinert oder zusammengelegt, was zu einem Qualitätsverlust in der Berichterstattung führte. Rückblickend hat die Finanzkrise den Strukturwandel der gesamten Nachrichtenbranche verstärkt, der sich als fortschreitende Erosion des werbebasierten Geschäftsmodells vieler Medienhäuser charakterisieren lässt (Trappel & Tomaz, 2021, S. 7).

Rein ökonomisch betrachtet ist der Mediensektor mit anderen Dienstleistungsbranchen durchaus vergleichbar. Das Ziel ist eine nachfrage- bzw. konsumentenorientierte Bedarfsdeckung, in dem Fall nach Unterhaltung, Informationen und Nachrichten, welche sich prinzipiell im Rahmen eines marktwirtschaftlichen Wettbewerbs effektiv und wohlfahrtsoptimal gewährleisten lässt. Dessen ungeachtet scheint aufgrund der besonderen Stellung des Mediensektors eine differenziertere Betrachtung geboten. Lässt man das Motiv der Unterhaltung zunächst außer Acht, geht es beim Konsum von Medien darum, verlässliche Nachrichten und Informationen zu erhalten, um sich möglichst frei eine Meinung bilden sowie am öffentlichen Diskurs teilhaben zu können. Ob und inwieweit sich ein in dieser Hinsicht funktionsfähiger Wettbewerb einstellt, hängt im Wesentlichen von den marktstrukturellen Gegebenheiten ab. Hierzu zählen unter anderem die Zahl und Marktmacht der Marktteilnehmer, der Heterogenitätsgrad der Güter bzw. die Struktur der Präferenzen auf Seite der Nachfrage, die Markttransparenz sowie die Offenheit des Marktes. Für unsere knappe Analyse sollen diese Aspekte sinnvolle Orientierungspunkte bieten.

Die Marktstruktur

Ohne Zweifel handelt es sich bei Nachrichten und Informationen um keine homogenen Güter, die sich anhand eines objektiven Qualitätsstandards differenzieren lassen. Zwar existieren objektive Maßstäbe wie journalistische Sorgfalt oder faktische Richtigkeit, jedoch spielen letztlich immer auch subjektive Erwartungen und die individuelle Interpretation eine Rolle bei ihrer Beurteilung. Sowohl das Angebot als auch die Nachfrage von Mediengütern wird in der Regel durch eine politische Orientierung geprägt. Journalisten arbeiten in der Tendenz für Medienhäuser, deren weltanschauliche Grundhaltung ihren eigenen Überzeugungen entspricht. Auf der Nachfrageseite scheint eine entsprechende Selektion beim Medienkonsum noch naheliegender. Von einem rationalen Wettbewerb über den Preis kann auf dem Medienmarkt daher nur bedingt die Rede sein.

Dass die Konsumenten von Medieninhalten mehr oder weniger stabile Präferenzen haben, die an ihren subjektiven Wertvorstellungen orientiert sind, ist im Vergleich mit anderen Märkten nicht ungewöhnlich. Obgleich in diesem Fall offenkundig die Gefahr besteht, dass das intendierte Bedürfnis nach verlässlichen Informationen dem eigenen „confirmation bias“ zum Opfer fällt. Aus wettbewerbsökonomischer Sicht scheint hier das Leitbild der Konsumentensouveränität das entscheidende Kriterium zu sein. Doch genau hierin liegt die Krux: Durch die Digitalisierung der Medien hat sich der Konsum grundlegend verändert. Die Verbreitung von Inhalten auf Plattformen wie YouTube, Facebook, X (vormals: Twitter), TikTok oder Telegram folgt algorithmischen Mustern, welche für den Konsumenten äußerst intransparent sind. Im alltäglichen Gebrauch haben die Nutzer dieser Plattformen nur wenig Bewusstsein oder Kontrolle darüber, was ihnen wann und in welcher Aufmachung präsentiert wird. Das marktwirtschaftliche Grundprinzip „freedom of choice“ wird damit ausgehöhlt. Die Souveränität verschiebt sich zunehmend in Richtung der Unternehmen, die den Algorithmus programmieren, zumal ihnen im Zuge dessen eine Gatekeeper-Position zufällt.

Aus ordnungsökonomischer Sicht ist diese Entwicklung aus mindestens zwei Gründen problematisch. Zum einen verstehen sich die Betreiber von Social-Media-Plattformen üblicherweise als Marktplatz von Mediengütern, nicht aber als deren Produzenten, wodurch sie die Verantwortung für deren Inhalte von sich weisen. Zu den Grundsätzen einer marktwirtschaftlichen Ordnung gehört jedoch das Prinzip der Haftung, das besagt: Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen. Die häufige Ausnahme vom Haftungsprinzip ermöglichte es den Plattformen hingegen, den traditionellen Medien große Teile der Werbeeinnahmen streitig zu machen, ohne dabei Verantwortung für die Richtigkeit und Qualität der Medieninhalte zu übernehmen. Von den negativen Externalitäten durch Fake News und Desinformation für die Gesellschaft ganz zu schweigen. Durch die Zunahme von KI-generierten Medieninhalten wird die Frage der Haftung zukünftig umso schwieriger zu beantworten sein.

Zum anderen besteht aus wettbewerbspolitischer Sicht der Verdacht, dass globale Megaplattformen ihre Machtposition als Gatekeeper nutzen, um ein weiteres Grundprinzip der Marktwirtschaft zu ihren Gunsten auszuhebeln: das Prinzip der Marktoffenheit. Um den Wettbewerb zu erhalten und der Konzentration von Medienunternehmen etwas entgegenzusetzen, ist es unerlässlich, dass der Markt für Mediengüter bestreitbar bleibt, also keine systemischen Hürden für den Marktzugang bestehen. Als Gatekeeper sind globale Megaplattformen jedoch in der Lage, genau dies zu tun, indem sie die digitale In­frastruktur ihrer Plattformtechnologie nach ihrem eigenen ökonomischen Kalkül ausrichten, durch den Einsatz ihrer Algorithmen weite Teile des Informations- und Kommunikationsflusses kontrollieren und zudem über das Datenmonopol ihrer Nutzer verfügen (Nielsen & Ganter, 2022). Eine solche Vermachtung des Mediensektors ist nicht nur aus ökonomischen Gesichtspunkten problematisch, sondern ebenso für den demokratischen Diskurs, da die Einschränkung des Wettbewerbs die Informations- und Meinungsvielfalt gefährdet.

Übersättigung und ihre Folgen

Der wirtschaftliche Wettbewerb kann nicht mit dem publizistischen Wettbewerb gleichgesetzt werden. Gleichwohl erscheint die Annahme begründet, dass die Wahrscheinlichkeit, Informations- und Meinungsvielfalt zu erreichen, umso größer ist, je mehr unabhängige Medienunternehmen um die Gunst der potenziellen Konsumenten streiten. Aus Sicht von sozialen Medien ließe sich das Argument anführen, dass gerade ihre Plattformstruktur es ermöglicht hat, das Angebot an Information und freiem Meinungsaustausch in bis dato unbekannte Dimensionen zu katapultieren. Zu vernachlässigbaren Transaktionskosten – sieht man von der Preisgabe der persönlichen Daten einmal ab – kann sich nahezu jeder als Produzent öffentlicher Nachrichten betätigen. Jedoch lässt sich das Adam Smith’sche Diktum „Je größer der Markt, desto größer der Wohlstand für alle“ nicht ohne Weiteres auf die öffentliche Aufgabe des Mediensektors übertragen. Denn auch wenn mit steigender Zahl an unabhängigen Medienakteuren die Wahrscheinlichkeit von Informations- und Meinungsvielfalt zunimmt, stellt Medienpluralismus allein keine hinreichende Bedingung für demokratische Diskursfähigkeit dar.

Die schier unendliche Informationsflut in den sozialen Medien ist hierfür das beste Beispiel. Wie Behre et al. (2024) im Digital News Report 2024 des Reuters Institute zeigen, fühlen sich in Deutschland 41 % der Bevölkerung von der Menge an verfügbaren Nachrichten erschöpft. In der Altersgruppe zwischen 18 und 24 Jahren waren es mit 51 % über die Hälfte (Behre et al., 2024, S. 59–62). Die stark zersiedelte Informationslage sowie der fehlende Qualitätsstandard und dessen Kontrolle erschweren es den Nutzern sozialer Medien, verlässliche Informationen von irreführenden zu unterscheiden. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass die Produzenten von Social-Media-Inhalten keinen journalistischen Qualitätsstandards verpflichtet sind.

Der Verdacht liegt nahe, dass neben der steigenden Konzentration der Medienunternehmen, was man als mangelnden Außenpluralismus beschreiben könnte, auch ein zu großer Binnenpluralismus innerhalb eines Mediennetzwerks die Informations- und Meinungsvielfalt gefährdet. Wenn also die nahezu unbegrenzte und heterogene Informationsfülle in den sozialen Medien ihre Nutzer bei der Meinungsbildung überfordert. Hinsichtlich des Binnenpluralismus scheint die funktionale Beziehung zwischen der Zahl der Medienschaffenden sowie der von ihnen verbreiteten Nachrichten einerseits und der effektiven Meinungsvielfalt sowie der Qualität der demokratischen Debatte andererseits nicht monoton steigend zu sein. Vielmehr verläuft diese – so unsere Hypothese – in Form einer umgekehrten J-Kurve (Abbildung 1).

Abbildung 1
Verhältnis von Binnenpluralismus und Diskursqualität in den sozialen Medien
Verhältnis von Binnenpluralismus und Diskursqualität in den sozialen Medien

Quelle: eigene stilisierte Darstellung.

Idealtypisch fungieren soziale Medien als ein offener Marktplatz für Ideen, auf dem unterschiedliche Meinungen verbreitet, debattiert und evaluiert werden. Dabei ist Wettbewerb, wie auf Gütermärkten, unverzichtbar. Er stellt sicher, dass niemand das Narrativ monopolisiert. Mehr „Sender“ bedeuten dabei mehr Perspektiven und eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass die „Empfänger“ mit unterschiedlichen Standpunkten konfrontiert werden. Diese Vielfalt fördert kritisches Denken und hilft der Öffentlichkeit, ein differenziertes Verständnis komplexer Themen zu entwickeln. Steigt die Zahl der „Sender“ auf den Plattformen jedoch über ein bestimmtes Maß, nehmen die Vorteile des Binnenpluralismus ab – und verkehren sich sogar ins Gegenteil. Zum einen, weil die Menge an täglichen Informationen und Nachrichten schlicht zu groß für den einzelnen Nutzer ist, um sie effektiv überblicken und validieren zu können. Damit steigen die Transaktionskosten der Konsumenten in Form von Such- und Kontrollkosten. KI-Agenten und Algorithmen könnten hier unterstützen, bergen jedoch das Risiko, durch personalisierte Selektion den Diskurs zu fragmentieren und selbstreferenzielle Echokammern zu schaffen. Zum anderen kommt der Überfluss an Nachrichten und Informationen einem gesättigten Markt gleich. Die Folge ist ein verschärfter Wettbewerb um Aufmerksamkeit, der letztlich auf Kosten des Inhalts geht. Auch hier kann Technologie Teil des Problems oder aber der Lösung sein. Ein Vergleich der Algorithmen verdeutlicht dies: Während der Algorithmus von X Inhalte priorisiert, die Sensationen und politische Polarisierung fördern, stellt der Algorithmus von Threads auf soziale Vernetzung und allgemeine Interessen ab (Belsky, 2024).

Geopolitik und das destruktive Potenzial digitaler Medien

Die Zunahme von Fake News und Desinformation ist ein Symptom des Überangebots an Informationen. Im Ex­tremfall kann dies zu einer „tyranny of too many choices“ führen, in welcher die Vielfalt der Stimmen nicht zu informierten Bürgern führt, sondern zu einem Kampf um Aufmerksamkeit, in dem extreme Positionen vernünftige Debatten überlagern und eine Beteiligung der Bürger am demokratischen Prozess erschweren (Schwartz, 2005). In diesem Zusammenhang soll unsere Analyse um einen wichtigen Aspekt ergänzt werden, der in jüngster Zeit zunehmend Einzug ins Blickfeld der Ordnungsökonomik hält: die Geopolitik. Ging die bisherige Analyse im Grundsatz davon aus, dass die agierenden Akteure sowohl innerhalb der Wirtschaftsordnung als auch nach einem der gegebenen Marktstruktur entsprechendem rationalen Kalkül handeln, greift diese Annahme mit Blick auf die momentane geopolitische (Neu-)Ordnung zu kurz.

Es ist kein Geheimnis, dass digitale Medien und soziale Plattformen ein ideales Einfallstor für staatlich orches­trierte Desinformationskampagnen geworden sind (Echeverría et al., 2024; Hameleers, 2023; Broda & Strömbäck, 2024). Die Verwendung von KI und Algorithmen hat hinsichtlich des Wirkungsgrads von Desinformation eine zuvor ungekannte Hebelwirkung und zielt – anders als die zuvor beschriebenen Aspekte – ganz bewusst auf die Zersetzung der demokratischen Prozesse. Moderne Desinformationskampagnen zielen weniger darauf ab, mit aufwendig manipulierten Informationen die öffentliche Meinung zu beeinflussen – also gewissermaßen eine „unerkannte Lüge“ zu verbreiten. In der Logik von sozialen Medien ließe sich auf diese Weise wohl kaum eine nennenswerte Breitenwirkung erzielen, wobei auch hier die personalisierte Verbreitung durch KI und Algorithmen einen erheblichen Skaleneffekt haben dürfte. Im Zeitalter der sozialen Medien folgt Desinformation eher dem Prinzip „information overload“ (Briant, 2016). Dabei geht es eben nicht darum, den öffentlichen Diskurs mit glaubhaften Fehlinformationen zu lenken, sondern mit Fake News zu überfluten und damit zu verunmöglichen.

Die Philosophin Hannah Arendt beschrieb dieses Prinzip einmal wie folgt: „Wenn man permanent belogen wird, folgt daraus nicht, dass man die Lügen glaubt, sondern vielmehr, dass niemand mehr irgendetwas glaubt.“ (zitiert nach Markwardt, 2017). Beiden Strategien ist gemein, dass sie die Erkenntnis von Wirklichkeit verhindern, die öffentliche Meinung manipulieren und die Gesellschaft spalten. In der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen liberalen Demokratien und autoritären Systemen verfügen letztere in diesem Zusammenhang über einen strukturbedingten Vorteil. Mit ihrer destruktiven Propaganda wirken sie tief in den marktwirtschaftlich organisierten Mediensektor westlicher Demokratien hinein, die zum Teil ihre konstituierenden Prinzipien aufgeben müssten, wenn sie diese Einwirkung institutionell abwehren wollten (Bergsdorf, 1988, S. 80–81).

Fazit

Ungeachtet der multiplen Problemlagen steht für uns nicht in Frage, dass der Mediensektor grundsätzlich privat- und marktwirtschaftlich organisiert sein sollte. Der ökonomische, vor allem aber auch der publizistische Wettbewerb ist für den Erhalt einer liberalen Demokratie unerlässlich. Angesichts der aktuellen Entwicklungen besteht jedoch die Gefahr eines partiellen Marktversagens. In diesem Zusammenhang und mit Blick auf die gesellschaftliche Funktion des Mediensektors lassen sich verlässliche Informationen und Nachrichten als meritorische Güter definieren. Das auf Richard Musgrave (1956) zurückgehende Konzept der Meritorik beschreibt eine Marktsituation, bei der die individuelle Nachfrage oder das Angebot eines Gutes hinter dem gesellschaftlich gewünschten Ausmaß zurückbleibt, woraus gemeinhin ein staatlicher Korrekturbedarf abgeleitet wird. Im konkreten Fall bedeutet das die Schaffung eines Ordnungsrahmens, der den veränderten Herausforderungen auf dem Mediensektor gerecht wird. Der in Bezug auf Meritorik häufig bemühte „Paternalismusvorwurf“ verfängt hier insofern nicht, als dass das partielle Marktversagen aus dem zunehmenden Verlust der Konsumentensouveränität resultiert, also aus einer individualistischen Perspektive argumentiert wird (Lobigs, 2005, S. 28–30).

Aus der bisherigen Analyse lassen sich vier zentrale Problemfelder identifizieren (Abbildung 2): (1) das Fehlen eines tragfähigen Geschäftsmodells der traditionellen Medien, (2) der Verlust an Konsumentensouveränität bei der Nutzung von (sozialen) Medien im Internet, (3) die zunehmende Monopolisierung und die Umgehung marktwirtschaftlicher Prinzipien durch globale Plattformen sowie (4) die (geo-)politischen Risiken durch Fake News und Desinformation. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, bedarf es nach unserer Einschätzung ordnungspolitischer Gegenmaßnahmen. Diese sollten die mediale Vielfalt nicht einschränken, sondern sicherstellen, dass sowohl der Außen- als auch der Binnenpluralismus der Medienlandschaft den informierten Diskurs und damit die Demokratie stärkt. Aufgrund der fortgeschrittenen Vermachtung der digitalen Plattformen reichen Appelle an Subsidiarität und die individuelle Verantwortung nicht aus. Es bedarf struktureller Lösungen, die aufgrund der globalisierten Digitalmärkte nur auf europäischer Ebene effektiv umgesetzt werden können (Küsters & Störring, 2024).

Abbildung 2
Struktur des Arguments: Problemfelder – Akteure – Lösungen
 
Struktur des Arguments: Problemfelder – Akteure – Lösungen

Quelle: eigene stilisierte Darstellung, angelehnt an Dreiskämper (2013, S. 321).

Zu nennen sind hier die entschlossene Umsetzung des Europäischen Medienfreiheitsgesetzes (EMFA) und des Gesetzes über digitale Dienste (DSA) sowie deren effektive Begleitung durch technologische Innovationen und gezielte Förderprogramme. Anstelle von teuren Dauersubventionen könnte die wirtschaftliche Stabilisierung des traditionellen Mediensektors durch die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Nachrichtenmarktes erreicht werden. Gleichzeitig bleibt es essenziell, nationale und regionale Medieninhalte zu fördern, da die Spaltung zwischen urbanen und ländlichen Räumen bereits real ist und durch lokale Berichterstattung differenziert adressiert werden muss. Auch die Bereitstellung einer gemeinsamen digitalen Plattform sollte in diesem Zusammenhang diskutiert werden.

Darüber hinaus müssen wettbewerbsrechtliche Maßnahmen die Entflechtung der Monopolstrukturen im digitalen Werbemarkt sicherstellen. Bildungsinitiativen zur Medienkompetenz bleiben relevant, gleichzeitig müssen technische Lösungen wie KI-gestützte Tools die Transparenz und das Informationsangebot für die Nutzer digitaler Medien stärken und vor algorithmischer Manipulation schützen. Nur durch eine Kombination dieser Strategien kann in Europa ein pluraler und unabhängiger Mediensektor bestehen, der die Grundlage für einen nachhaltig freien und demokratischen Diskurs bildet.

Literatur

Behre, J., Höllig, S. & Möller, J. (2024). Reuters Institute Digital News Report 2024: Ergebnisse für Deutschland. Hans-Bredow-Institut.

Belsky, S. (2024, 19. Juli). Brandertainment, Socialization at Scale, & Findings of Interest. Implications.

Bergsdorf, W. (1988). Über die Macht der Kultur. Kommunikation als Gebot der Politik. Deutsche Verlags-Anstalt.

Bleyer-Simon, K., Brogi, E., Carlini, R., Da Costa Leite Borges, D., Kermner, J. E., Nenadic, I., Palmer, M., Parcu, P. L., Reviglio Della Venaria, U., Trevisan, M., Verza, S. & Žuffová, M. (2024). Monitoring Media Pluralism in the Digital Era: Application of the Media Pluralism Monitor in the European Member States and in Candidate Countries in 2023. Centre for Media Pluralism and Media Freedom & European University Institute.

Briant, E. L. (2014). Propaganda and Counter-Terrorism: Strategies for Global. Manchester University Press.

Broda, E. & Strömbäck, J. (2024). Misinformation, Disinformation, and Fake News: Lessons from an Interdisciplinary, Systematic Literature Review. Annals of the International Communication Association, 48(2), 139–166.

Dreiskämper, T. (2013). Medienökonomie 1: Lehrbuch für Studiengänge medienorientierter Berufe: Konzeptionsansätze und theoretische Fundierungen der Medienökonomie. Lit Verlag.

Echeverría, M., García Santamaría, S. & Hallin, D. C. (2024). State-Sponsored Disinformation Around the Globe: How Politicians Deceive their Citizens. Routledge.

Habermas, J. (1962/2023). Strukturwandel der Öffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Suhrkamp.

Hameleers, M. (2023). Disinformation as a Context-Bound Phenomenon: Toward a Conceptual Clarification Integrating Actors, Intentions and Techniques of Creation and Dissemination. Communication Theory, 33(1), 1–10.

Klinger, U. & Svensson, J. (2014). The Emergence of Network Media Logic in Political Communication: A Theoretical Approach. New Media & Society, 17(8), 1241–1257.

Küsters, A. & Störring, M. (2024). Mehr Vielfalt statt Einfalt. Ordnungspolitische Impulse für einen resilienten europäischen Mediensektor. LEF Policy Papers, 3.

Lobigs, F. (2005). Medienmarkt und Medienmeritorik - Beiträge zur ökonomischen Theorie der Medien [Dissertation, Universität Zürich]. ZORA.

Luhmann, N. (2017). Die Realität der Massenmedien. Springer.

Markwardt, N. (2017, 8. März). USA Noir. ZEIT ONLINE.

Musgrave, R. A. (1956). A Multiple Theory of Budget Determination. FinanzArchiv/Public Finance Analysis, 17(3), 333–343.

Nielsen, R. K. & Ganter, S. A. (2022). The Power of Platforms: Shaping Media and Society. Oxford University Press.

Noam, E. M. (2016). Who Owns the World’s Media? Media Concentration and Ownership around the World. Oxford University Press.

Open Society Foundation. (2010, Januar). Footprint of Financial Crisis in the Media.

Schwartz, B. (2005). The Paradox of Choice: Why More Is Less. Harper Perennial.

Trappel, J. & Tomaz, T. (2021). The Media for Democracy Monitor 2021: How Leading News Media Survive Digital Transformation (Vol. 2). Nordicom.

Title:A Regulatory Framework for the “Brave New World” of Digital Media

Abstract:The digital transformation of media ecosystems, characterised by algorithmic curation, platform monopolies, and AI-generated content, poses unprecedented challenges to liberal democracies. This paper develops an updated ordoliberal framework to identify four systemic risks: (1) erosion of traditional media business models, (2) loss of consumer sovereignty in algorithm-driven environments, (3) market concentration among global tech platforms, and (4) geopolitical weaponisation of disinformation. Through the lens of ­Musgrave’s theory of merit goods, we argue that unregulated digital markets risk subverting media’s essential democratic functions as public informant and watchdog. Our policy framework proposes solutions at the European level, including structural separation of platform monopolies, AI transparency mandates and a truly unified internal market.

Beitrag als PDF

© Der/die Autor:in 2025

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2025-0045