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Alleinerziehende Eltern und ihre Kinder profitieren besonders von frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten. Dennoch erhalten in Deutschland knapp ein Drittel der Alleinerziehenden mit Betreuungsbedarf für ihre unter dreijährigen Kinder keinen Betreuungsplatz. Obwohl rund 70 % der Kitaleitungen angeben, das Vergabekriterium „Alleinerziehend“ bei der Platzvergabe zu berücksichtigen, können die vorherrschenden Vergabeverfahren die Umsetzung der Kriterien nicht gewährleisten. Dieser Beitrag zeigt, wie bundesweit transparente Vergabekriterien gestaltet werden und durch geeignete, zentral verwaltete Zuteilungssysteme auf kommunaler Ebene umgesetzt werden können.

Alleinerziehende Eltern haben in Deutschland ein deutlich höheres Armutsrisiko als andere Familien (Lenze, 2021). Im Jahr 2020 repräsentierten Haushalte von Alleinerziehenden nahezu ein Fünftel aller Haushalte mit minderjährigen Kindern, während ihr Anteil an Haushalten mit minderjährigen Kindern, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II beziehen, mehr als die Hälfte (52 %) betrug (Lenze, 2021). Alleinerziehende Eltern und ihre Kinder können in besonderem Maße von der Nutzung frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsangebote profitieren. Kindertagesbetreuung fördert die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit und erhöht die elterliche Zufriedenheit, insbesondere für alleinerziehende Mütter, wie z. B. durch die Evaluation des Ausbaus der Kinderbetreuung in Deutschland gezeigt wurde (Bauernschuster und Schlotter, 2015; Schober und Stahl, 2016; Schober und Schmitt, 2017).

Studien zeigen, dass institutionelle Kinderbetreuung auch langfristig mit geringerem Armutsrisiko für Alleinerziehende und Mütter zusammenhängt (Zagel und van Lancker, 2022). Frühkindliche Bildungs- und Betreuungsangebote sind ebenfalls entscheidend für die Entwicklung von Kindern aus benachteiligten Familien, die zu Hause wenig Förderung erfahren können (unter anderem Blau, 2021). In Deutschland reduzieren solche Angebote nachweislich soziale Disparitäten in der Schulfähigkeit (Cornelissen et al., 2018), fördern die Entwicklung kognitiver Kompetenzen (Ghirardi et al., 2023), sozial-emotionaler Kompetenzen (Felfe und Lalive, 2018) und die Sprachentwicklung (Klein und Sonntag, 2017; Ghirardi et al., 2023). Trotz des umfangreichen Ausbaus der öffentlich geförderten Kinderbetreuung seit Mitte der 2000er Jahre stehen jedoch nicht genügend subventionierte Plätze zur Verfügung, um den Bedarf zu decken. So erhielten im Jahr 2021 26 % der Eltern mit Betreuungsbedarf für ihre unter dreijährigen Kinder keinen Platz. Diese Quote liegt bei alleinerziehenden Eltern mit 32 % höher als bei Paarfamilien mit 25 % (vgl. Abbildung 1). In Westdeutschland treten diese Unterschiede dabei deutlicher zutage als in Ostdeutschland. So ist im Westen die Bedarfsunterdeckung bei alleinerziehenden Eltern mit 39 % deutlich höher als bei Paarfamilien (mit 30 %). Dieses Ungleichgewicht wirft die Frage auf, wie der Alleinerziehenden-Status in der Vergabepraxis der Einrichtungen in Deutschland berücksichtigt wird.

Abbildung 1
Bedarfsunterdeckungsquote nach Alleinerziehenden-Status und Ost/West 2021
Bedarfsunterdeckungsquote nach Alleinerziehenden-Status und Ost/West 2021

N = 5.011. Bedarfsunterdeckungsquote wird berechnet als der Anteil von unter dreijährigen Kindern ohne Betreuungsplatz an allen unter dreijährigen Kindern mit Betreuungsbedarf.

Quelle: KiBS (10.17621/kibs2021), gewichtete Daten, eigene Berechnungen.

Priorisierungspraxis und Platzvergabe in Deutschland

Die aktuelle Forschungsliteratur hat bisher wenig Aufmerksamkeit auf die Priorisierungspraxis der Einrichtungen und deren Vergabekriterien gerichtet (Mierendorff et al., 2022). Im Fokus stehen vielmehr die Inanspruchnahme sowie Segregation in der Zusammensetzung von Einrichtungen nach demografischen Merkmalen (Hogrebe et al., 2021; Jessen et al., 2020), die Relevanz elternseitiger Präferenzen bei der Wahl von Einrichtungen (Ziesmann, 2022) oder elternseitige Zugangshürden (Yerkes und Javornik, 2018). Es gibt jedoch Hinweise auf angebotsseitige Probleme bei der Vergabepraxis in Deutschland. So zeigen beispielsweise Jessen et al. (2020) auf Basis der KiBS-Daten des Deutschen Jugendinstituts, dass die deutlichen sozialen Disparitäten in der Nutzung frühkindlicher Bildungs- und Betreuungseinrichtungen nicht allein durch unterschiedliche elterliche Nachfrage erklärt werden können. Auch nach Berücksichtigung von Betreuungskosten blieben die sozialen Unterschiede bestehen, besonders in Regionen mit knappen Betreuungsplätzen, was auf Diskriminierung oder ineffizientes Suchverhalten hinweisen könnte. Robuste Evidenz für Diskriminierung bezüglich des Migrationshintergrundes bei der frühkindlichen Betreuungsplatzvergabe finden Hermes et al. (2023) auf Basis eines Feldexperimentes.

Die Literatur zu den in Deutschland verbreiteten Platzvergabeverfahren zeigt, dass ein dezentrales Vergabesystem vorherrscht, bei dem die Einrichtungsleitungen die Vergabeentscheidungen nach dem Windhund- oder First-Preference-First-Verfahren treffen (Herzog und Klein, 2018). Diese Praxis ist intransparent, zeitaufwendig und führt zu unfairen Entscheidungen, selbst wenn Vergabekriterien vorhanden sind und von den Einrichtungsleitungen befolgt werden. Reischmann et al. (2021) zeigen anhand von zwei deutschen Städten, dass durch solche Vergabeverfahren für 20 % der Eltern unfaire Vergabeentscheidungen zustande kommen. Diese Eltern erhielten keinen Betreuungsplatz in ihrer bevorzugten Einrichtung, während die Einrichtung Bewerber mit niedriger Priorität nach den Vergabekriterien aufnahm, die eigentlich nur nachranging einen Platz erhalten sollten.

Priorisierungspraxis in Deutschland

Nur erwerbstätige Alleinerziehende werden prioritär berücksichtigt

Für einen ersten Einblick dokumentieren wir die Priorisierungspraxis in Deutschland anhand von Kriterienkatalogen, die einige wenige westdeutsche Städte mit Punktesystem in der Platzvergabe online veröffentlichen. Aus Tabelle 1 ist ersichtlich, dass der Status des Alleinerziehens in allen ermittelten Katalogen von Relevanz ist, aber stets an den Beschäftigungsstatus des Elternteils gebunden ist, d. h. der Alleinerziehenden-Status alleine ist kein relevantes Kriterium. Das Ausmaß der Priorisierung variiert deutlich zwischen den einzelnen Städten. Um das Ausmaß der Priorisierung zu dokumentieren, errechnen wir zunächst den Anteil der Punktezahl, die durch das Kriterium „Alleinerziehend in Beschäftigung“ relativ zu Doppelverdiener-Paarfamilien erreicht werden kann. Beispielsweise kann in Pforzheim durch das Kriterium „Alleinerziehend in Erwerbstätigkeit“ 1 Punkt erreicht werden. Im Verhältnis zu den für Doppelverdiener-Paarfamilien maximal erreichbaren 3 Punkten machen diese Zusatzpunkte 33,3 % aus. Der entsprechende Wert in Mainz und Mannheim liegt bei jeweils 7,4 %. Ein Wert von 0 % zeigt an, dass Alleinerziehende keine zusätzlichen Punkte erhalten. Ein Wert von 100 % bedeutet, dass der Alleinerziehenden-Bonus genauso wichtig ist wie alle anderen Kriterien zusammen. Zudem liegen keine transparenten Informationen zum Vergabeverfahren vor. Es bleibt demnach unklar, wie und ob diese Kriterien bei der Vergabe von Betreuungsplätzen auch tatsächlich angemessen berücksichtigt werden.

Tabelle 1
Berücksichtigung des Alleinerziehenden-Status in aktuell online verfügbaren Kriterienkatalogen mit Punktesystem
Stadt Alleinerziehend in Erwerbstätigkeit als Punktekriterium enthalten Ausmaß der Priorisierung (= Anteil in % der zusätzlichen Punkte durch „Alleinerziehend in Erwerbstätigkeit“ an für Doppelverdiener-Paarfamilien max. erreichbarer Punktzahl) Weitere Kriterien Informationen zum Vergabe-verfahren
Mainz (Stand: 2022) 7,4 (=2/27) Beschäftigungsumfang, Geschwisterkinder in Einrichtung, Alter des Kindes nein
Mannheim (Stand: 2018) 7,4 (=2/27) Beschäftigungsumfang, Geschwisterkinder in Einrichtung, Alter des Kindes nein
Pforzheim (Stand: 2020) 33,3 (=1/3) Alter des Kindes, Geschwisterkinder in Einrichtung, [Berücksichtigung bisheriger Betreuung (Ü3-Platz)] nein
Reutlingen (Stand: 2021) 7,7 (=1/13) Beschäftigungsumfang, Geschwisterkinder in Einrichtung, Alter des Kindes, [Berücksichtigung bisheriger Betreuung (Ü3-Platz)] nein
Stuttgart* (Stand: 2022) 20,0 (=1/5) Geschwisterkinder in Einrichtung, Kind/Elternteil mit Behinderung im Haushalt, Wohnsitz im Stadtbereich, Alter des Kindes nein
Wuppertal (Stand: 2020) 14,3 (= 1/7) Geschwisterkinder in Einrichtung, Alter des Kindes, Wartezeit nein

1 Angabe „alleinlebend“ wird beim Einwohnermeldeamt geprüft. Ausmaß der Priorisierung: Punkte des „Alleinerziehend in Erwerbstätigkeit“-Kriteriums im Verhältnis zu maximal erreichbarer Punktzahl von Doppelverdiener-Paarfamilien; ohne Berücksichtigung des Kriteriums „bisherige U3-Betreuung“ (nur für Ü3-Platzvergabe relevant) und „Alter des Kindes“ (immer ein Kriterium, aber nur teilweise mit konkreter Punktzahl belegt). Weitere Kriterien in absteigender Reihenfolge der Wichtigkeit nach Punkten.

Quelle: eigene Online-Recherche.

Für 30 % der Einrichtungsleitungen ist der Alleinerziehenden-Status kein relevantes Kriterium

Die dargestellten Kriterienkataloge geben lediglich einen selektiven Einblick in die Relevanz bestimmter Vergabekriterien, da nur wenige Städte und Kommunen ihre Kriterienkataloge öffentlich zugänglich machen. Daher stützen wir unsere Analysen zusätzlich auf die Daten verschiedener Einrichtungsleitungs-Befragungen. Dabei beziehen sich zwei Datenquellen auf Ergänzungsstudien zu Haushalts- und Individualbefragungen: Die SOEP-Ergänzungsstudie „Kinder und Kitas in Deutschland“ (K2ID-SOEP) aus den Jahren 2014/2015 bzw. das Nationale Bildungspanel (NEPS) aus den Jahren 2015 bis 2018, während die dritte Datenquelle „Entwicklung von Rahmenbedingungen in der Kindertagesbetreuung“ (ERiK) auf einer repräsentativen Einrichtungsstichprobe aus dem Jahr 2020 beruht. Die Ergebnisse dokumentieren, in welchem Umfang Alleinerziehende prioritäre Berücksichtigung bei der Platzvergabe in vorschulischen Betreuungseinrichtungen finden (vgl. Tabelle 2). Rund 80 % der Leitungspersonen, die in der K2ID-SOEP-Studie und in der Neugeborenen-Studie des NEPS befragt wurden, geben an, ein Kriterium, das „Alleinerziehend“ erwähnt, bei der Vergabe ihrer freien Betreuungsplätze zu berücksichtigen.

Tabelle 2
Relevanz des Kriteriums „Alleinerziehend“ bei der Betreuungsplatzvergabe im Überblick
  K2ID-SOEP  
Erhebungsjahr Kriterium „Alleinerziehend /beide Eltern erwerbstätig“ wird berücksichtigt (in %) N
2014/2015 79,5 518
  NEPS  
  Kriterium „soziale Bedürftigkeit (z.B. alleinerziehender Elternteil)“ sehr/eher wichtig (in %)  
2015 80,2 469
2016 81,0 432
2017 81,9 454
2018 79,5 386
  ERiK  
  Kriterium „Kinder mit einem alleinerziehenden Elternteil“ wird berücksichtigt (in %)  
2020 68,7 3.778

K2ID-SOEP: „Nach welchen Auswahlkriterien werden dann die vorhandenen Plätze vergeben? Bitte geben Sie an, welches Kriterium als erstes, zweites, drittes etc. berücksichtigt wird.“ NEPS: „Wie wichtig sind folgende Kriterien für die Aufnahme in Ihrer Einrichtung?“ Antwortoptionen: sehr wichtig, eher wichtig, eher unwichtig, sehr unwichtig (dargestellt sind hier die Kategorien sehr und eher wichtig); ERiK: „Welche Kriterien werden bei der Vergabe von Kinderbetreuungsplätzen berücksichtigt?“

Quelle: K2ID-SOEP (10.5684/k2id-soep-2013-15/v1), NEPS SC1 (10.5157/NEPS:SC1:7.0.0), ERiK (10.17621/erik2020), eigene Berechnungen.

Kritisch anzumerken an diesen Ergebnissen ist, dass der Status des Alleinerziehens in beiden Studien nicht losgelöst von anderen Kriterien bewertet werden kann. Während in der K2ID-SOEP-Studie der Alleinerziehenden-Status gemeinsam mit dem Erwerbsstatus beider Eltern angeführt wird, verweist die NEPS-Studie lediglich auf den Aspekt der sozialen Bedürftigkeit für den das Alleinerziehen beispielhaft genannt ist. Hinweise darauf, wie hoch der Anteil an Einrichtungsleitungen ist, die dem Status des Alleinerziehens losgelöst von anderen Kriterien eine Relevanz beimessen, liefern die Analysen der ERiK-Daten. Diese zeigen eine tendenziell geringere Bedeutsamkeit des Kriteriums „Alleinerziehend“, wenn es nicht mit anderen Kriterien vermischt wird. So geben 70 % des Leitungspersonals an, dieses Kriterium bei der Platzvergabe zu berücksichtigen. Folglich spielt es in 30 % der Betreuungseinrichtungen keine relevante Rolle bei der Vergabe von freien Plätzen. Trotz einer allgemein hohen Akzeptanz des Alleinerziehenden-Status scheinen alleinerziehende Eltern nicht überall prioritär berücksichtigt zu werden. In Kombination mit dem höheren Betreuungsbedarf von Alleinerziehenden kann dies ein Grund dafür sein, weshalb die Betreuungslücke unter ihnen sogar größer ausfällt als unter Paarfamilien (vgl. Abbildung 1).

Einrichtungsleitungen priorisieren das Vorhandensein von Geschwisterkindern und Alter des Kindes

In welcher Relation das Kriterium des Alleinerziehenden-Status im Vergleich zu anderen Kriterien steht, verdeutlicht Tabelle 3. Sowohl die K2ID-SOEP- als auch die NEPS-Daten ermöglichen ein Ranking der Kriterien nach ihrer von Einrichtungsleitungen wahrgenommenen Wichtigkeit beim Vergabeprozess. Der Alleinerziehenden-Status nimmt auf Basis beider Befragungen den dritten Platz unter den Kriterien ein, die berücksichtigt bzw. als besonders wichtig empfunden werden. Auffällig ist zudem, dass in beiden Studien das Vorhandensein von Geschwisterkindern sowie das Alter des Kindes das Ranking der Vergabekriterien anführen.

Tabelle 3
TOP 3-Vergabekriterien im Überblick
K2ID-SOEP    
(2014/2015) 1 Geschwisterkinder
  2 Ältere Kinder
  3 Alleinerziehend erwerbstätig/beide Eltern erwerbstätig
NEPS    
(2018) 1 Geschwisterkinder
  2 Alter des Kindes
  3 soziale Bedürftigkeit (z. B. alleinerziehender Elternteil)

K2ID-SOEP: „Nach welchen Auswahlkriterien werden dann die vorhandenen Plätze vergeben? Bitte geben Sie an, welches Kriterium als erstes, zweites, drittes etc. berücksichtigt wird.“ NEPS: „Wie wichtig sind folgende Kriterien für die Aufnahme in Ihrer Einrichtung?“ Antwortoptionen: sehr wichtig, eher wichtig, eher unwichtig, sehr unwichtig (dargestellt sind hier die Kategorien sehr und eher wichtig); Kein Ranking möglich auf Basis von ERiK.

Quelle: K2ID-SOEP (10.5684/k2id-soep-2013-15/v1); NEPS SC1 (10.5157/NEPS:SC1:7.0.0); eigene Berechnungen.

Alleinerziehenden-Kriterium relevanter in West-Bundesländern mit relativ größerer Betreuungslücke

Im Vergleich nach Bundesländern zeigen sich regionale Unterschiede in der Prävalenz des Alleinerziehenden-Kriteriums. Abbildung 2 verdeutlich ein Ost-West-Gefälle in der prioritären Berücksichtigung von Kindern mit einem alleinerziehenden Elternteil bei der Vergabe von Betreuungsplätzen. Der Alleinerziehenden-Status wird in Westdeutschland von 77 % der Einrichtungsleitungen als relevantes Kriterium angegeben, in Ostdeutschland sind es nur 41 %. Auffällig ist dabei, dass diese Prävalenz mit dem Ausmaß der allgemeinen Betreuungslücke für unter Dreijährige korrespondiert. In Bundesländern, in denen die Betreuungslücke größer ausfällt, es also mehr Kinder ohne einen Betreuungsplatz trotz Betreuungsbedarf gibt, wird das Kriterium des Alleinerziehens eher genannt (mit Ausnahme der beiden Stadtstaaten Hamburg und Berlin). Dieser Zusammenhang erscheint plausibel, da generell Vergabekriterien dort notwendig und relevant werden, wo Betreuungsplätze relativ knapper sind. Platzmangel führt nicht nur zu einer erhöhten Notwendigkeit von Priorisierungskriterien, sondern vor allem zu einer erhöhten Notwendigkeit der wirksamen Umsetzung dieser Kriterien im Vergabeprozess. Die Daten der Einrichtungsleitungs-Befragungen erlauben jedoch keinerlei Rückschlüsse auf die tatsächliche Umsetzung von Kriterien. Die deutlich größere Bedarfsunterdeckungsquote unter Alleinerziehenden im Vergleich zu Paarfamilien, vor allem in Westdeutschland (vgl. Abbildung 1), deutet darauf hin, dass die eingesetzten Vergabeverfahren das Alleinerziehenden-Kriterium nicht ausreichend durchsetzen können.

Abbildung 2
Betreuungslücke und Prävalenz des Kriteriums „Alleinerziehend“ nach Bundeländer
Betreuungslücke und Prävalenz des Kriteriums „Alleinerziehend“ nach Bundeländer

N = 3,742. ERiK: „Welche Kriterien werden bei der Vergabe von Kinderbetreuungsplätzen berücksichtigt?“ – Kinder mit einem alleinerziehenden Elternteil.

Quelle: ERiK (10.17621/erik2020), eigene Berechnungen, BMFSFJ, 2020.

Vergabeverfahren in Deutschland

Die aktuellen Vergabeverfahren für Kita-Plätze in Deutschland lassen sich in zwei Haupttypen einteilen: das First-Preference-First und das Windhund-Verfahren (Herzog und Klein, 2018). Das First-Preference-First Verfahren kommt zum Einsatz, wenn Eltern bei der Anmeldung ihre bevorzugten Kitas in einer Rangliste angeben können. Andernfalls wird das Windhund-Verfahren verwendet, dessen Ablauf in Tabelle 4 beschrieben ist. Dieses Verfahren gleicht einem dezentralen Markt, in dem Kitas unkoordiniert Angebote an Eltern senden. Einige Eltern erhalten dadurch mehrerer Angebote und blockieren somit Angebote für andere, was zu langen Wartezeiten führt. Das Verfahren ist zudem kompliziert für Eltern, die sich für Angebote entscheiden müssen, während andere noch ausstehen.

Tabelle 4
Vergleich von Status quo und IDAT-Verfahren
Windhund-Verfahren Iterative Deferred Acceptance (IDAT)
Verfahrensbeschreibung: Verfahrensbeschreibung:
1.  Zentrale Anmeldung mit Anmeldefrist 1.  Zentrale Anmeldung mit Anmeldefrist
2.  Eltern melden sich für Einrichtungen an, ohne diese in eine Reihenfolge zu bringen. 2.  Eltern melden sich für Einrichtungen an und bringen diese in eine Reihenfolge.
3.  Es gibt allgemeingültige Vergabekriterien, Kitas können mit ihren Angeboten davon abweichen (Trägerautonomie). 3.  Bewerber werden anhand allgemeiner Vergabekriterien vorsortiert, Kitas können mit ihren Angeboten davon abweichen.
4.  Kitas verschicken Angebote, die bis zu zwei Wochen lang gültig sind. 4.  Kitas registrieren ihre Angebote auf einer Plattform.
5.  Die Plattform automatisiert die Entscheidungen für die Eltern. In jeder Runde akzeptiert sie vorläufig jeweils das beste Angebot und lehnt alle anderen ab.

6.  Wenn kein Angebot mehr abgelehnt wird, werden die vorläufig akzeptierten Angebote final und an die Eltern verschickt.
Wahrgenommene Probleme: Vorteile:
1.  Verletzt Vergabekriterien 1.  Respektiert Vergabekriterien
2.  Kompliziert: Eltern müssen sich für Angebote entscheiden, während andere Angebote noch ausstehen. 2.  Einfach: Für Eltern ist es optimal, die Kitas nach ihren wahren Präferenzen aufzulisten (das Verfahren ist strategiesicher).
3. Lange Wartezeiten von mehreren Monaten: Einige Eltern erhalten mehrere Angebote gleichzeitig und blockieren damit Plätze für andere. 3.  Vergabe innerhalb eines Tages („Matching-Day“).

Im IDAT-Verfahren sind Abweichungen vom Windhund-Verfahren kursiv hervorgehoben.

Quelle: eigene Darstellung.

Beide Verfahren setzen die Vergabekriterien in der Praxis unzureichend um, selbst wenn die Einrichtungsleitungen diese in jedem Schritt der Vergabe befolgen. (Für das Windhund-Verfahren finden sich weitere Beispiele in Caspari et al., 2023).

Die unzureichende Durchsetzbarkeit der Vergabekriterien wirkt sich negativ auf Alleinerziehende aus. Reischmann et al. (2021) zeigen in zwei deutschen Städten erhebliche Verstöße gegen die Vergabekriterien. In 20 % der Fälle wurde festgestellt, dass Bewerber:innen um einen Kitaplatz benachteiligt wurden. Verstöße wurden unter anderem gegen die Kriterien des Familienstandes (alleinlebend mit Kind oder alleinerziehend) und der Berufstätigkeit festgestellt. Das Ausmaß der Betroffenheit von Alleinerziehenden hängt von der Gewichtung in den Zulassungskriterien ab. Je höher die Gewichtung des Familienstandes ist, desto stärker ist der Effekt.

Best-Practice-Lösungen: internationaler Vergleich

Als bewährte Lösung zur Durchsetzung von Vergabekriterien hat sich in der Schulplatzvergabe der Deferred Acceptance Algorithmus (DA) nach Gale und Shapley (1962) bewährt. Dieser Algorithmus mit „vorläufiger Annahme“ wird beispielweise für Schulen in New York, London und Paris angewendet. Im Bereich der Betreuungsplatzvergabe wird diese Lösung in anderen europäischen Ländern noch nicht flächendeckend genutzt. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Trägerstruktur im Kitasektor vielfältiger ist als im Schulbereich, was die Anwendung eines zentralen Algorithmus erschwert. Im Vergleich der EU27-Länder hat Deutschland den geringsten Anteil an öffentlichen Einrichtungen, direkt nach den Niederlanden und Irland, und die vielfältigste Trägerstruktur mit etwa gleich vielen Einrichtungen in öffentlicher, kirchlicher und nicht kirchlicher gemeinnütziger Trägerschaft (jeweils zwischen 30 % und 33 %) und nur 3 % gewerblichen Trägern (Schreyer und Oberhuemer, 2018). Frankreich zeigt dagegen mit einer überwiegend öffentlichen Trägerstruktur (99 %) eine bessere Position für die Nutzung eines zentralen Algorithmus. Obwohl die Umsetzung des Vorschlages in der südfranzösischen Stadt Valence erfolgreich verlief, stößt sie anderswo auf Kritik. Elisabeth Laithier, Autorin des Berichtes zur Kitaplatzvergabe für die Vereinigung französischer Bürgermeister (AMF, 2018), gibt zu bedenken, dass gewählte Amtsträger zögern, den politischen Entscheidungsprozess durch eine Maschine zu ersetzen (AlgorithmWatch, 2020). Diese Einstellung scheint nicht auf Frankreich beschränkt zu sein. Auch in Deutschland sind politische Entscheidungsträger zurückhaltend, die Kontrolle an einen Computer abzugeben. In einer Fallstudie zur Kitaplatzvergabe im Kreis Steinfurt betonen Caspari et al. (2023), dass die Kitaleitungen Wert darauf legten, das Kind auf der Bewerberliste bewusst manuell auszuwählen und sich bei der Entscheidung nicht ausschließlich auf einen Algorithmus zu verlassen.

Lösungsvorschlag: ein praxistaugliches Vergabeverfahren

Um eine breite Akzeptanz für eine algorithmenbasierte Kitaplatzvergabe zu schaffen, schlagen Reischmann et al. (2021) den IDAT-Algorithmus vor, der auf dem DA basiert. Der Ablauf des Verfahrens ist in Tabelle 4 beschrieben. Der Algorithmus integriert die Entscheidungsträger:innen in jedem Schritt und ermöglicht ihnen die Kontrolle. Der IDAT-Algorithmus löst damit nicht nur das Problem der Kriterientreue, sondern erleichtert Einrichtungsleitungen im Vergleich zum DA die schrittweisen Entscheidungen bezüglich sogenannter „Komplementaritäten“ im Kita-Markt, wie die Berücksichtigung von Geschwisterkindern und die Gruppenzusammensetzung. Das Verfahren könnte deutschlandweit angewendet werden und bei der Durchsetzung der Vergabekriterien, wie dem Alleinerziehenden-Kriterium, helfen. Die finanziellen Kosten sind gering, da der Algorithmus als Open-Source-Software verfügbar und unter kitamatch.com dokumentiert ist. Erste Anwendungen finden sich bereits in Großstädten und Landkreisen, und die politischen Kosten sind aufgrund des inklusiven Designs des Verfahrens als gering einzustufen.

Fazit

Trotz eines umfangreichen Ausbaus des öffentlich geförderten Kinderbetreuungsangebots bleiben die Bedarfe von einem Viertel der Paarfamilien und einem Drittel der Alleinerziehenden ungedeckt. Frühkindliche Bildungs- und Betreuungsangebote sind besonders vorteilhaft für Alleinerziehende und ihre Kinder, da sie nachweislich eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Entlastung ermöglichen, die sich positiv auf ihre Zufriedenheit mit dem Familienleben auswirkt. Da frühkindliche Betreuungsangebote die Erwerbsbeteiligung von Müttern unabhängig vom Familienstand fördern und das Armutsrisiko auch langfristig, nach einer möglichen Trennung, reduzieren, sollten die Anstrengungen hinsichtlich einer flächendeckenden Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsplätzen verstärkt werden.

Aktuell berichten Kitaleitungen, dass bei der Platzvergabe oft Geschwisterkinder und das Alter des Kindes priorisiert werden, während der Alleinerziehenden-Status erst an dritter Stelle, häufig in Verbindung mit dem Beschäftigungsstatus, berücksichtigt wird. Eine direkte Kopplung des Alleinerziehenden-Status an eine Erwerbstätigkeit ist kritisch zu beurteilen, da dadurch die gesundheitlichen und familiären Entlastungseffekte vernachlässigt werden.

Wie vorhandene Plätze vergeben werden, ist angesichts der bestehenden Knappheit von zentraler Bedeutung. Die aktuell in Deutschland verwendeten dezentralen Vergabeverfahren sind intransparent, langwierig und führen zu unfairen Entscheidungen in Bezug auf die Vergabekriterien. Auf Basis eines Vergleichs mit internationalen Best-Practice-Vergabeverfahren und unter Berücksichtigung der Marktstruktur schlägt dieser Beitrag den Iterative Deferred Acceptance (IDAT)-Algorithmus vor, der die Kitaleitungen in den Entscheidungsprozess integriert und das Problem der Kriterientreue löst. Der IDAT-Algorithmus erleichtert auch die Berücksichtigung komplementärer Kriterien wie Geschwisterkinder und Gruppenzusammensetzung.

Zur Verbesserung der Fairness und Effizienz des Platzvergabeverfahrens wird bundesweite Transparenz hinsichtlich der Vergabekriterien und deren Umsetzung durch geeignete, zentral verwaltete Zuteilungssysteme auf kommunaler Ebene empfohlen. Insbesondere in Regionen mit einem hohen ungedeckten Bedarf, der durch den aktuellen Fachkräftemangel zusätzlich verstärkt wird, ist es unwahrscheinlich, dass der kontinuierliche Ausbau der Betreuungsinfrastruktur den Bedarf in absehbarer Zeit vollständig decken wird. Infolgedessen sollte in diesen Regionen der besondere Bedarf von Alleinerziehenden als eigenständiges Kriterium zusätzlich zu anderen Faktoren, wie Erwerbstätigkeit und dem Alter des Kindes, berücksichtigt werden, um die Bedeutung frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsangebote für diese Gruppe adäquat zu berücksichtigen.

Wenn die Verbesserung der Fairness und Effizienz der Platzvergabe sowie die angemessene Berücksichtigung spezifischer Gruppen, wie z. B. Alleinerziehender, ein politisches Ziel sind, bedarf es passender Datenerhebungen und Forschung, um die Zielerreichung zu evaluieren.

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Title:Single Parents in the Allocation of Childcare Places: Status Quo and Recommendations for Action

Abstract:Single parents and their children benefit particularly from early childhood education and childcare programmes. Nevertheless, almost a third of single parents in Germany who need childcare for their children under the age of three are unable to find it. Although around 70 % of day care providers claim to take the single-parent criterion into account when allocating slots, the prevailing allocation procedures cannot guarantee that this is implemented. This article shows how transparent allocation criteria can be designed nationwide and how their implementation can be realised through suitable, centralised, municipal allocation systems. Particularly in (western) German regions with a high unmet demand for institutional childcare, single-parent status should be considered as an independent criterion in addition to other factors such as employment and child age.

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© Der/die Autor:in 2024

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

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DOI: 10.2478/wd-2024-0090