Unternehmen fällt es zunehmend schwer, Stellen zu besetzen. Dabei sind ländliche Räume aktuell offenbar stärker von Fachkräfteengpässen betroffen als städtische Räume. Umfassend analysiert wurden diese regionalen Disparitäten bislang jedoch nicht. Wir untersuchen das Ausmaß von Stadt-Land-Unterschieden, betrachten ihre Entwicklung im Zeitverlauf und zeigen, mit welchen strukturellen Merkmalen die regionale Engpasssituation in Zusammenhang steht.
Fachkräfteengpässe prägen den deutschen Arbeitsmarkt seit mehreren Jahren und haben sich über die Zeit verschärft (Bonin und Rinne, 2022). Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist infolge eines anhaltenden Arbeitsmarktbooms, der sich weitgehend losgelöst von konjunkturellen Ausschlägen vollzog (Hutter und Weber, 2023), stetig gestiegen. Sie konnte zunächst durch Zuwanderung und eine steigende Erwerbsbeteiligung noch weitgehend bedient werden, sodass die Beschäftigung immer neue Rekordstände erreichte (Bossler und Popp, 2023). Im Zuge des demografischen Wandels scheiden jedoch immer mehr Erwerbspersonen aus dem Arbeitsmarkt aus. Ihnen stehen vergleichsweise schwach besetzte Erwerbseintrittskohorten gegenüber. Als Folge sind Arbeitskräfte heute so knapp wie seit dem Wirtschaftswunder nicht mehr (Hutter und Weber, 2023).
Unternehmen können aufgrund dieser Entwicklung ihre vakanten Stellen oft nur verzögert oder gar nicht mit geeigneten Arbeitskräften besetzen. Dies kann das wirtschaftliche Wachstum, die Innovationskraft und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft hemmen (Burstedde et al., 2020). Laut IAB-Stellenerhebung lag der Anteil der offenen Stellen an der gesamten betrieblichen Personalnachfrage – die Vakanzrate – im ersten Quartal 2023 bei 3,7 %. Diese Vakanzrate übertraf damit das Vor-Pandemie-Niveau: Im vierten Quartal 2019 waren 3,3 % aller Stellen unbesetzt (Kubis, 2023).
In der öffentlichen Diskussion werden Fachkräfteengpässe insbesondere in Bezug auf besonders betroffene Berufe (z. B. in den Bereichen Pflege und Klempnerei, Sanitär-, Heizungs-, Klimatechnik) und Branchen (z. B. Metall- und Elektroindustrie) thematisiert. Da sich die Branchen- und Berufsstruktur zwischen Regionen stark unterscheidet, dürften die Engpässe auch auf regionaler Ebene variieren. Daneben können sich weitere Faktoren auf das Ausmaß regionaler Engpässe auswirken. So ist der demografische Wandel in vielen ländlichen Räumen, insbesondere in Ostdeutschland, weiter fortgeschritten als in Städten. Zudem beeinflusst die Situation am regionalen Arbeitsmarkt Stellenbesetzungsprozesse. Unter anderem ist davon auszugehen, dass Betriebe ihre Vakanzen dort schneller besetzen können, wo mehr Personen arbeitslos und damit arbeitssuchend sind.
Wenn Fachkräfteengpässe regional unterschiedlich ausfallen, die Verfügbarkeit von Fachkräften aber eine Voraussetzung für Innovationen und Wachstum darstellt (Burstedde et al., 2020), droht dies regionale Disparitäten zu vertiefen, sofern ausgeprägte Engpässe insbesondere in strukturschwachen ländlichen Regionen auftreten. Befunde von Hickmann et al. (2021) sowie Bossler und Popp (2023) zeigen, dass ländliche Regionen aktuell tatsächlich stärker von Fachkräfteengpässen betroffen sind als städtische Arbeitsmärkte. Wir untersuchen darüber hinaus, ob Fachkräfteengpässe dauerhaft in ländlichen Regionen ausgeprägter sind oder ob sich erst in den vergangenen Jahren ein Rückstand gegenüber Städten herausgebildet hat. Zudem analysieren wir, ob zwischen den strukturellen Rahmenbedingungen auf Regionsebene (Demografie, Arbeitsmarkt, Wirtschaftsstruktur) und der regionalen Engpasssituation Zusammenhänge zu erkennen sind, die eine mögliche Erklärung für die stärkere Betroffenheit ländlicher Regionen liefern.
Messung von regionalen Fachkräfteengpässen
Zur Messung regionaler Fachkräfteengpässe verwenden wir die Vakanzrate. Hierfür werden Informationen zu den offenen Stellen und den Beschäftigten je Region benötigt. Prinzipiell ist in der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) die Zahl der offenen Stellen auf Kreisebene verfügbar. Da jedoch nicht alle Unternehmen die BA zur Besetzung ihrer Stellen einschalten, umfasst die Statistik nur rund 40 % aller offenen Stellen (Gürtzgen et al., 2023). Dies ist für regionale Analysen problematisch, weil diese sogenannte Meldequote regional variiert: Sie ist in ländlichen Räumen (Abgrenzung gemäß Küpper, 2016) etwas höher als in städtischen Regionen (eigene Berechnungen basierend auf IAB-Stellenerhebung).
Eine weitere Datenquelle ist die IAB-Stellenerhebung, die die Zahl aller offenen Stellen am Arbeitsmarkt anhand repräsentativer Betriebsbefragungen ermittelt (Kubis, 2023). Aufgrund der Fallzahlen können kleinräumig vergleichende Analysen, z. B. auf Kreisebene, auf dieser Grundlage zwar nicht durchgeführt werden. Allerdings lassen sich repräsentative Meldequoten für Regionstypen (ländliche und städtische Räume) je Jahr und Anforderungsniveau berechnen. Diese verwenden wir, um die der BA gemeldeten Stellen auf die Gesamtzahl der offenen Stellen in jeder der 360 deutschen Kreisregionen hochzurechnen (Bossler und Popp, 2023).
Um regionale Vakanzraten zu ermitteln, setzen wir die hochgerechnete Zahl an offenen Stellen in Bezug zur gesamten regionalen Arbeitsnachfrage, d. h. der Summe aus sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (SvB) und offenen Stellen (Kubis, 2023). Da unser Fokus auf Engpässen bei Fachkräften liegt, betrachten wir ausschließlich Vakanzraten oberhalb von Hilfs- und Anlerntätigkeiten.
Größere Fachkräfteengpässe in ländlichen Räumen
In Abbildung 1 ist die für Fachkräfte berechnete Vakanzrate für ländliche und städtische Räume von 2013 bis 2022 abgetragen. Im gesamten Zeitraum sind die Engpässe in ländlichen Regionen im Mittel höher als in städtischen Regionen. Der Unterschied zwischen den Vakanzraten beträgt etwa 25 %. Zwischen 2013 und 2022 hat sich die Intensität der Fachkräfteengpässe in beiden Regionsgruppen etwa verdoppelt (von 2,6 % auf 4,9 % bzw. von 2,0 % auf 4,1 %), sodass der absolute Unterschied auf 0,8 Prozentpunkte am aktuellen Rand gestiegen ist. Während der Covid-19-Pandemie hat sich die Situation durch den Rückgang der Arbeitsnachfrage zwar etwas entspannt, doch schon 2022 bewegt sich die Vakanzrate in beiden Regionstypen wieder über dem jeweiligen Vor-Pandemie-Niveau.
Abbildung 1
Vakanzrate für Fachkräfte in ländlichen und städtischen Räumen
Differenz der Vakanzraten in Prozentpunkten mit 95 %-Konfidenzintervall.
Quelle: Statistik der BA, IAB-Stellenerhebung; eigene Berechnungen.
Mit einer Regressionsanalyse untersuchen wir, inwiefern die Intensität der Fachkräfteengpässe mit regionalen Strukturfaktoren zusammenhängt (Gleichung 1). Als abhängige Variable verwenden wir die von uns für die Fachkräftenachfrage berechnete Vakanzrate einer Kreisregion r im Jahr t, . Diese regressieren wir auf Variablen, die die Rahmenbedingungen für Stellenbesetzungsprozesse in den Regionen abbilden (Demografie, Arbeitsmarktbedingungen, Berufs- und Betriebsgrößenstruktur, vgl. Tabelle 1). Damit bereinigen wir die Unterschiede in der Vakanzrate zwischen ländlichen und städtischen Regionen (Term I (r=ländlich)) um Faktoren, die sich auf das Arbeitsangebot, die Arbeitsnachfrage oder einen möglichen Mismatch vor Ort auswirken können und so die Intensität der regionalen Fachkräfteengpässe beeinflussen. Der allgemeine Anstieg der Fachkräfteengpässe wird mit Jahreseffekten erfasst.
= α + +
+ + + I (r=ländlich) + (1)
Tabelle 1
Potenzielle Faktoren regionaler Fachkräfteengpässe
Indikator | Messzeitpunkt | |
---|---|---|
Demografie | Anteil SvB 55+: Anteil über 55-Jähriger an allen SvB1 | t-5 |
Relation Schulabsolvent:innen: Schulabsolvent:innen mit mind. Hauptschulabschluss3 zu SvB1 | t-5 | |
Nettomigrationsrate4: Binnenwanderungssaldo von Erwerbspersonen relativ zur Zahl der in der Region wohnenden Erwerbspersonen | t-2 | |
Wachstum ausländischer SvB: Vorjahresveränderung des Anteils von ausländischen Beschäftigten an allen SvB2 | t-1 | |
Arbeitsmarkt | Arbeitslosenquote4 | t-1 |
Beschäftigungswachstum: Vorjahresveränderung des SvB-Bestands1 | t-1 | |
Medianlohn: Median des Tagesentgelts der SvB (Vollzeit)1, inflationsbereinigt mit Verbraucherpreisindex3 | t-1 | |
Anteil Teilzeit: Anteil Teilzeit-Beschäftigte an allen SvB1 | t-1 | |
Beschäftigungsquote Frauen: Anteil SvB an der Bevölkerung (15 Jahre bis Regelaltersgrenze) unter Frauen2 | t-1 | |
Berufs-, Betriebsgrößenstruktur | Anteil Engpassberufe: Anteil SvB in Berufsgruppen und Anforderungsniveaus, die im Jahr 2022 als Engpassberufe eingestuft wurden, an allen SvB2 | 2013a |
Anteil Kleinbetriebe: Anteil SvB in Betrieben mit weniger als 50 Beschäftigten an allen SvB5 |
a Wir berücksichtigen in der Regressionsanalyse die Berufs- und Betriebsgrößenstruktur zu Beginn des Untersuchungszeitraums, da sie kurz- bis mittelfristig weitgehend konstant ist.
Quelle: 1 IAB-Beschäftigtenhistorik; 2 Statistik der BA; 3 Statistisches Bundesamt; 4 Integrierte Erwerbsbiographien des IAB; 5 Betriebs-Historik-Panel.
Wir schätzen Gleichung (1) mittels der Methode der kleinsten Quadrate und gewichten die Regionen dabei entsprechend ihrer Größe. In einer Modellerweiterung ersetzen wir die Konstante α durch fixe Regionseffekte, ur . Während in der Basisspezifikation sowohl die Variation zwischen den Regionen als auch zwischen den Jahren verwendet wird, um die Zusammenhänge zwischen der Vakanzrate und den Indikatoren zu schätzen, wird im erweiterten Modell ausschließlich die zeitliche Veränderung genutzt.
Die Ergebnisse der Regressionsanalysen sind in Abbildung 2 zusammengefasst. Sie zeigt die geschätzten Koeffizienten und die dazugehörigen Konfidenzintervalle für die beiden Schätzansätze (ohne fixe Regionseffekte (OLS) und mit fixen Regionseffekten (FE)). Die Stärke der Korrelation der verschiedenen Indikatoren mit der Vakanzrate ist unmittelbar vergleichbar, da alle Koeffizienten standardisiert sind. Vor allem die regionalen Arbeitsmarktbedingungen hängen demnach mit dem Ausmaß der Fachkräfteengpässe zusammen (vgl. Abbildung 2a). Erwartungsgemäß ist die Vakanzrate ceteris paribus in den Regionen höher, in denen ein vergleichsweise geringer Anteil der Arbeitskräfte arbeitslos ist.
Abbildung 2
Zusammenhang zwischen Fachkräfteengpässen und regionalen Charakteristika
Quelle: vgl. Tabelle 1; eigene Berechnungen.
Ein negativer Zusammenhang mit der Vakanzrate ist auch für das Beschäftigungswachstum zu beobachten. Dies könnte darauf hindeuten, dass eine höhere Knappheit an Arbeitskräften das Beschäftigungswachstum bremst. Dies steht im Einklang mit Simulationsrechnungen von Bossler und Popp (2023), demgemäß die Beschäftigung in Deutschland im Jahr 2022 um rund 1,8 Mio. Arbeitsplätze höher hätte ausfallen können, wenn sich die Stellenbesetzungsprobleme noch auf dem geringeren Niveau des Jahres 2010 bewegt hätten.
Der negative Zusammenhang zwischen dem regionalen Lohnniveau und der Vakanzrate spiegelt möglicherweise wider, dass in Regionen mit einem hohen Lohnniveau das vorhandene Arbeitskräftepotenzial besser ausgeschöpft wird, z. B. durch eine bessere Mobilisierung der stillen Reserve. So zeigen Carrillo-Tudela et al. (2023), dass es Betrieben in Deutschland schneller gelingt, offene Stellen zu besetzen, wenn sie relativ hohe Lohnangebote machen.
Was die demografischen Faktoren betrifft, zeigt sich, dass Fachkräfteengpässe in Regionen mit relativ vielen älteren Arbeitskräften, d. h. mit einem hohen Abgangspotenzial aus dem Arbeitsangebot, tendenziell höher ausfallen. Unter allen berücksichtigten Faktoren weist der Anteil Älterer die stärkste Korrelation mit der Vakanzrate auf. Andere demografische Faktoren, die sich potenziell auf die Zugänge in das Arbeitsangebot auswirken, wie z. B. die Zuwanderung von Arbeitskräften, spielen dagegen bisher offenbar keine Rolle für die Entwicklung der regionalen Fachkräfteengpässe. Da die Binnenmigration und mehr noch die Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland sich nur auf einem sehr geringen Niveau bewegen, sind die regionalen Unterschiede in der Wanderungsbilanz möglicherweise zu niedrig, um nennenswerte Effekte zu erzielen.
Auch das mit Schulabsolvent:innen verbundene Zugangspotenzial, das in ländlichen Regionen im Durchschnitt ein günstigeres Verhältnis zur Gesamtbeschäftigung aufweist als in städtischen (vgl. Tabelle 2), korreliert nicht mit der regionalen Vakanzrate. Dies könnte auf Bildungsmobilität zurückzuführen sein. Ein bedeutender Anteil der Schulabsolvent:innen verlässt nach dem Schulabschluss die Heimatregion, um eine (Hochschul)Ausbildung zu beginnen und später eine erste Beschäftigung anzutreten. Häufig handelt es sich bei den Zielregionen der jungen Arbeitskräfte um urbane Arbeitsmärkte (Meister et al., 2019).
Tabelle 2
Ausgewählte Merkmale für ländliche und städtische Räume
t = 2013 | t = 2022 | |||
---|---|---|---|---|
ländlich | städtisch | ländlich | städtisch | |
Anteil SvB 55+ (in %, t-5) | 11,6 | 11,2 | 20,3 | 18,1 |
Relation Schulabsolvent:innen (in %, t-5) | 4,2 | 2,9 | 3,2 | 2,4 |
Arbeitslosenquote (in %, t-1) | 5,8 | 8,0 | 4,5 | 7,2 |
Beschäftigungswachstum (in %, t-1) | 2,1 | 2,3 | 1,5 | 1,4 |
Medianlohn (in Euro des Jahres 2022, t-1) | 85,4 | 104,0 | 98,2 | 117,6 |
Anteil Engpassberufe (in %, t) | 37,6 | 32,6 | ||
Anteil Kleinbetriebe (in %, t) | 50,9 | 38,6 |
Die Werte beziehen sich auf den Zeitraum, den wir je Merkmal in der Regressionsanalyse betrachten. Der Anteil älterer Arbeitskräfte (Anteil SvB 55+) in ländlichen Räumen von 11,6 % entspricht also dem Wert des Jahres 2008 (= 2013-5), da der Anteil Älterer um fünf Jahre zeitverzögert in die Analyse eingeht.
Quelle: vgl. Tabelle 1; eigene Berechnungen.
Wird lediglich die zeitliche Variation der Indikatoren in der Analyse verwendet („FE“ in Abbildung 2), verstärkt sich insbesondere die positive Korrelation zwischen dem Anteil der älteren Arbeitskräfte und der Vakanzrate. Die Fachkräfteengpässe haben somit in den vergangenen zehn Jahren vor allem in jenen Regionen deutlich zugenommen, in denen das Abgangspotenzial aus dem Arbeitsangebot durch einen wachsenden Anteil älterer Arbeitskräfte zwischen 2008 und 2017 relativ stark gestiegen ist.
Abbildung 2b zeigt die Bedeutung der Berufs- und Betriebsgrößenstruktur. Die Ergebnisse deuten an, dass die regionale Vakanzrate unter anderem deshalb variiert, weil Berufe und Betriebsgrößenklassen in unterschiedlichem Maße von Fachkräfteengpässen betroffen sind und sich diese Strukturen zwischen den Regionen signifikant unterscheiden. Ein positiver Zusammenhang zwischen dem regionalen Anteil der Engpassberufe bzw. der Kleinbetriebe und der Vakanzrate zeigt sich verstärkt ab 2017/2018.
Unterschiedliche Rahmenbedingungen in ländlichen und städtischen Regionen
Abschließend stellt sich die Frage, inwieweit die unterschiedliche Intensität der Fachkräfteengpässe in ländlichen und städtischen Regionen auf die hier betrachteten Regionscharakteristika zurückgeführt werden kann. Es zeigen sich teilweise ausgeprägte Unterschiede zwischen den Regionstypen für jene Variablen, die sich durch einen signifikanten Zusammenhang mit der regionalen Vakanzrate auszeichnen (vgl. Tabelle 2).
In beiden Regionstypen liegt der Anteil der älteren Arbeitskräfte zu Beginn des Beobachtungszeitraums auf einem ähnlichen Niveau und ist bis zu dessen Ende erheblich angestiegen – in ländlichen Regionen jedoch etwas stärker, was zu den Disparitäten in der Vakanzrate beigetragen haben dürfte. Gleiches gilt für die Arbeitsmarktbedingungen: Die höhere Arbeitslosenquote in den städtischen Regionen, die zudem weniger gesunken ist als jene in den ländlichen Räumen, steht im Einklang mit geringeren Engpässen in urbanen Regionen. Dies trifft auch auf das höhere Lohnniveau zu. Nicht zuletzt dürften die höheren Beschäftigtenanteile in Engpassberufen und in Kleinbetrieben in den ländlichen Regionen zur unterschiedlichen Intensität der Fachkräfteengpässe beitragen. Die höheren Anteile der Engpassberufe in ländlichen Räumen sind insbesondere auf vergleichsweise hohe Beschäftigtenanteile betroffener Land-, Forst- und Gartenbauberufe, Fertigungsberufe sowie Bau- und Ausbauberufe zurückzuführen.
Dass sich die unterschiedlichen Vakanzraten in ländlichen und städtischen Regionen weitgehend auf die betrachteten Regionseigenschaften zurückführen lassen, zeigt Abbildung 3. Gegenübergestellt sind die unbereinigte Differenz der Vakanzraten zwischen den beiden Regionstypen (schwarze Linie in Abbildung 1 und 3) und die bereinigte Differenz, die sich aus dem Regressionsmodell ergibt, in dem die verschiedenen Regionscharakteristika berücksichtigt werden (blaue Linie). Die Unterschiede zwischen den Regionstypen werden durch die in das Modell aufgenommenen Merkmale erheblich reduziert. Für mehrere Jahre ist keine bedeutende Abweichung mehr festzustellen. In einzelnen Jahren ergibt sich sogar eine negative Differenz, d. h. unter Berücksichtigung der verschiedenen Merkmale fällt die bereinigte Vakanzrate in den ländlichen Regionen geringer aus als in den städtischen.
Abbildung 3
Bereinigte und unbereinigte Differenz der Vakanzraten ländlicher und städtischer Räume
Abgebildet sind die geschätzten Koeffizienten ϑt inkl. 95 %-Konfidenzintervall, d. h. die Differenz in den Vakanzraten (in Prozentpunkten) zwischen ländlichen und städtischen Räumen. Die (un)bereinigte Differenz ergibt sich aus einem Modell mit (ohne) Indikatoren für Demografie, Arbeitsmarkt und Berufs-/Betriebsgrößenstruktur.
Quelle: vgl. Tabelle 1; eigene Berechnungen.
Fazit
In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Stellenbesetzungsprobleme von Betrieben sowohl in ländlichen als auch in städtischen Regionen deutlich verstärkt. Die Fachkräfteengpässe waren in ländlichen Räumen dabei stets ausgeprägter und ihre stärkere Betroffenheit ist sogar noch etwas gestiegen. Demografische Faktoren, regionale Arbeitsmarktbedingungen sowie die Berufs- und Betriebsgrößenstruktur stehen hinter diesen Disparitäten. Daraus ergeben sich Hinweise, an welchen Hebeln angesetzt werden könnte, um Fachkräfteengpässen in besonders betroffenen ländlichen Regionen, aber auch darüber hinaus, zu begegnen.
Die stärkere Betroffenheit ländlicher Räume hängt vor allem mit der vielfach weiter fortgeschrittenen demografischen Alterung zusammen. Prognosen deuten darauf hin, dass der damit verbundene Rückgang der Erwerbspersonenzahl ländliche und strukturschwache Regionen auch weiterhin besonders betreffen wird (Maretzke et al., 2021). Dies kann ihre wirtschaftliche Entwicklung bremsen und bestehende regionale Disparitäten verstärken. Ländliche Räume würden daher besonders davon profitieren, die Erwerbsbeteiligung Älterer zu steigern, z. B. durch die Förderung des Erhalts der Beschäftigungsfähigkeit, flexible Regeln zum Eintritt in den Ruhestand mit entsprechenden Arbeitsanreizen sowie flexible Arbeitszeitmodelle und an das Alter angepasste Tätigkeiten in den Betrieben (Walwei, 2023).
Weiterbildungsmaßnahmen sind eine wichtige Voraussetzung zur Deckung von Fachkräftebedarfen. Sie werden jedoch von Kleinbetrieben, auf die in ländlichen Räumen ein hoher Beschäftigungsanteil entfällt, seltener angeboten. Vor diesem Hintergrund heben Margarian et al. (2022) die Bedeutung eines wirksamen Personalentwicklungsmanagements in Unternehmen in ländlichen Regionen hervor. Da gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen die entsprechenden Möglichkeiten begrenzt sind (Bonin, 2020; Margarian, 2017), könnte eine enge Verzahnung mit anderen Akteuren wie regionalen Gebietskörperschaften, Arbeitsagenturen und Kammern zu einer erfolgreichen Fachkräftesicherungsstrategie für ländliche Regionen beitragen (BBSR, 2015).
Auch der Einsatz arbeitssparender neuer Technologien kann entlastend wirken – direkt, aber auch indirekt, wenn er, bei entsprechender Qualifizierung des Personals, mit einer höheren Beschäftigungsquote z. B. älterer Erwerbspersonen einhergeht und zu einer Steigerung der Arbeitsproduktivität führt, die höhere Löhne rechtfertigt (Bonin und Rinne, 2022). Dies gilt gerade in ländlichen Regionen mit niedrigem Lohnniveau. Ferner könnte die Möglichkeit, Telearbeit zu verrichten, Beschäftigungspotenziale in ländlichen Räumen erschließen (OECD, 2023a). Befunde von Alipour et al. (2021) deuten darauf hin, dass das Homeoffice-Potenzial von Arbeitsplätzen außerhalb von Großstädten zu einem geringeren Teil ausgeschöpft wird als in den Zentren. Seit Beginn der COVID-19-Pandemie sind hier jedoch Fortschritte zu beobachten – die unter anderem durch den beschleunigten Ausbau einer leistungsfähigen digitalen Infrastruktur weiter auszubauen wären.
Nicht zuletzt sollte stärker in das künftige Arbeitskräftepotenzial investiert werden. Die aktuellen PISA-Ergebnisse (OECD, 2023b) weisen erneut darauf hin, dass in diesem Bereich erhebliches ungenutztes Potenzial liegt. Gleichwohl wird angesichts rückläufiger Bevölkerungszahlen in vielen ländlichen Gebieten die Finanzierbarkeit einer wohnortnahen Ausbildungsinfrastruktur zunehmend infrage gestellt. Dabei zeigen Studien, dass sich Schulschließungen negativ auf die regionale Bevölkerungs- und Beschäftigungsentwicklung (für ostdeutsche Regionen siehe Freier et al., 2021) sowie, auch aufgrund einer schlechten Verkehrsanbindung in ländlichen Räumen, auf die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen (Sixt, 2013), auswirken. Auch der Anteil der Schulabgänger:innen ohne Abschluss ist in ländlichen Regionen im Mittel etwas höher als in den Agglomerationen (BBSR, 2023), was unter anderem das Einmünden in den Ausbildungsmarkt erschwert (Fitzenberger et al., 2023) und damit die Wahrscheinlichkeit einer beruflichen Qualifizierung mindert. Vor diesem Hintergrund müssen neue Ansätze entwickelt werden, die darauf abzielen, die Bildungsinfrastruktur in ländlichen Regionen zu stabilisieren (OECD, 2021).
Literatur
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