Ein Vergleich der Arbeits- und Lebensbedingungen in den USA und in Deutschland im Jahr 2022 zeigt, dass Deutschland bei einer Vielzahl von Indikatoren besser abschneidet als die USA. Gemessen werden die Arbeits- und Lebensbedingungen anhand von zwölf Dimensionen unter Rückgriff auf über 80 Subindikatoren. Zum Vergleich: Der traditionelle Indikator BIP, der oft für internationale Vergleiche herangezogen wird, lag in den USA 2022 über dem deutschen Wert. Im Folgenden werden nun die Ergebnisse der alternativen Messung analysiert.
Die hier vorgestellte Studie vergleicht die Arbeits- und Lebensbedingungen in den USA und in Deutschland im Stichjahr 2022. Der traditionelle Indikator, der oft für internationale Vergleiche der wirtschaftlichen „Leistung“ herangezogen wird, ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner – häufig auch als Wohlstand interpretiert. Das BIP allein hat für Ländervergleiche der Lebensbedingungen allerdings wenig Aussagekraft. Indessen messen wir die Arbeits- und Lebensbedingungen in zwölf Dimensionen, die in 15 Themenfelder aufgegliedert werden. Dieses Vorgehen unterstützt die These von Stiglitz et al. (2010), die sich mit dem Ruf nach Messmethoden „beyond GDP“ zusammenfassen lässt.
Zwar existieren diverse Studien, die das BIP durch andere eindimensionale hochaggregierte Indikatoren ersetzen, und zudem zwei globale Vergleichsstudien, der von den Vereinten Nationen unterstützte „World Happiness Report“ (Helliwell et al., 2023) und der „Better Life Index“ der OECD (2020 und 2023a). Beide Studien verwenden ähnliche Dimensionen des Vergleichs, jedoch sehr wenige, häufig nicht repräsentative Subindikatoren. Zudem verwenden sie eine Mischung aus objektiven und subjektiven Indikatoren, deren Aggregation jedoch zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen führen kann.1 Demnach haben Deutschland und die USA im Durchschnitt relativ ähnliche Werte für „Happiness“ bzw. für die „Lebensqualität“. Die Mängel dieser Studien versucht dieser Beitrag durch eine andere Methodik mit einem stärker granularen Ansatz zu vermeiden.
Die Methodik der Studie
Was soll unter Arbeits- und Lebensbedingungen in einem Land verstanden werden und um wessen Lebensbedingungen geht es? Hier werden Indikatoren für zwölf Dimensionen der Arbeits- und Lebensbedingungen verglichen bei Gleichgewichtung der Dimensionen und ohne Aggregation zu einem Gesamtindikator „Wohlfahrt“ oder „Lebensqualität“. Die Zahl der Dimensionen sollte weder zu groß, noch zu klein und damit zu grob gewählt sein. Hier werden nicht die Werte für einen statistischen „Durchschnittsbürger“ verglichen, sondern eher die Werte für „Normalverbraucher“, also „Median-Einwohner“, soweit die Daten verfügbar sind. Damit wird die Mehrheit der Einwohner in den Fokus gerückt, die die untere Hälfte der Einwohner (soweit es um Einkommen und Vermögen geht) vollständig einschließt. Zwar teilt der Median die Bevölkerung in zwei gleich große Teile, aber der Median approximiert die Mehrheit der Bevölkerung besser. Dies ist sinnvoll, wenn Durchschnitts- und Medianwerte stark voneinander abweichen, wie es bei starker Ungleichverteilung der Fall ist.
Die folgenden zwölf Dimensionen werden verwendet: Löhne bzw. Gehälter, verfügbare Haushaltseinkommen, privater Konsum, privates Vermögen, Gesundheit, Umweltqualität, persönliche Sicherheit, Wohnverhältnisse, Ausbildung sowie Forschung und Entwicklung, Gendergerechtigkeit, sozialpolitische Standards sowie Einkommens- und Vermögensungleichheit. Ein hoher Wert in der letzten Kategorie wird als negativ bewertet, da Ungleichheit häufig negativ wie ein Katalysator auf die meisten anderen Dimensionen wirkt (Wilkinson und Picket, 2010; OECD, 2015). In der finalen Analyse wurden aus den zwölf Dimensionen die drei Themen Armut, Alterseinkommen und „Work-Life-Balance“, also das Verhältnis von Arbeitszeit zu Freizeit auf Jahresbasis, herausgelöst und als eigenständige Themenfelder gewertet, da sie indirekt in den Themen Einkommen und Konsum enhalten sind. Die so festgelegten 15 Kategorien werden „Themenfelder“ genannt und final bewertet. Für die Themenfelder wird jeweils eine ordinale Bewertung vorgenommen: Welches Land schneidet besser ab? Dafür wird anhand der Subindikatoren taxiert, ob das bessere Abschneiden eines Landes in einer Dimension sehr stark, stark oder eher schwach ausgeprägt ist. Dabei wird sowohl die Zahl der überlegenen Subindikatoren als auch der Grad der Überlegenheit der einzelnen Indikatoren berücksichtigt. Die Bewertung erfolgt ohne eine quantitative einheitliche Metrik für alle Themenbereiche und Subindikatoren. Bei bis zu neun Subindikatoren je Themenfeld ist die Bewertung relativ eindeutig, aber letztendlich subjektiv, jedoch transparent.2 Ist das Ergebnis jedoch uneindeutig aufgrund der Subindikatoren, wird Ähnlichkeit der Verhältnisse angenommen. Die 80 Subindikatoren sind in der Langfassung der Studie dargestellt (Priewe, 2024). Die Themenfelder werden gleich gewichtet – ähnlich wie beim OECD-Ansatz – da sie alle miteinander zusammenhängen.3 Wegen einer fehlenden eindimensionalen Metrik für Lebensqualität werden Aggregationen vermieden. Für die Subindikatoren wurden fast ausschließlich Angaben aus den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, Statistiken der OECD und der UN und deren Unterorganisationen verwendet (einschließlich der Weltbank), abgesehen von amtlichen Statistiken beider Länder. Die Auswahl der 15 Themenfelder ist subjektiv, ähnlich wie bei allen alternativen Wohlstandsmessungen. Allerdings ist der Begriff der „Arbeits- und Lebensbedingungen“ enger gefasst als der Begriff „Wohlstand“.
Das Stichjahr 2022 wurde gewählt, um den aktuellen Rand abzubilden und nicht in ein eindeutiges Krisenjahr (wie etwa zurzeit der Coronapandemie) zu fallen. Falls Daten für das Stichjahr nicht verfügbar waren, wurden die jüngst verfügbaren Daten verwendet. Aus der Wahl eines Stichjahres folgt, dass bewusst eine statische Analyse vorgenommen wird. Historische Trends werden als Hintergrundinformationen einbezogen (vgl. Priewe, 2024).
Wichtige Strukturmerkmale für die USA und Deutschland im Vergleich
Das BIP je Einwohner ist in den USA, gerechnet in Kaufkraftparitäten (KKP), gut 21 % höher als in Deutschland (WDI, 2023). Dieser Niveauunterschied existiert mit gewissen Fluktuationen seit Langem, trotz hohem Leistungsbilanzüberschuss in Deutschland und chronischem Defizit in der konsumgetriebenen US-Wachstumsdynamik. Allerdings sind die Jahresarbeitszeiten je Beschäftigten in den USA 35 % länger als in Deutschland (2022), dem OECD-Land mit den niedrigsten Arbeitszeiten (bedingt sowohl durch einen hohen Teilzeit-Anteil, aber auch durch kürzere Wochen- und Jahresarbeitszeiten der Vollzeit-Beschäftigten) (OECD, 2023h). Die niedrigen Arbeitszeiten haben nicht nur mit der Tarifpolitik in Deutschland zu tun, sondern auch mit dem gesetzlichen Urlaubsanspruch und mit der stark ausgeprägten Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. In den USA hat sich die Jahresarbeitszeit seit Jahrzehnten kaum vermindert. Landesweit geregelte Lohnfortzahlung bei Krankheit existiert nicht. Mehr Freizeit impliziert ceteris paribus ein geringeres BIP und/oder eine geringere Lohnsumme. Indessen war das Wirtschaftswachstum in den USA im Trend seit 2000 deutlich höher, aber nicht das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens. Die Nettozuwanderungsrate war in etwa gleich, aber das natürliche Bevölkerungswachstum war in den USA deutlich höher, auch aufgrund der jüngeren Altersstruktur. Der demografische Wandel hat in Deutschland stärker (oder früher) als in den USA eingesetzt und zeigt sich in einem höheren Anteil von Ein-Personen-Haushalten.
Arbeitslosigkeit und Inflation sind im Trend seit 2000 sehr ähnlich, mit leicht niedrigerer Inflation und etwas höherer Arbeitslosigkeit in Deutschland (ILO, 2023). Die Armutsquoten sind in den USA deutlich höher. Das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte (in Prozent des BIP) ist leicht höher als in Deutschland, aber der private Konsum hat einen ähnlich großen Anteil am BIP (knapp 70 % 2022) (CEA, 2023; Destatis, 2023a). Ein Unterschied besteht darin, dass das verfügbare Haushaltseinkommen in Deutschland durch staatliche Sachleistungen aus den Sozialversicherungen aufgefüllt wird.
Während der Gini-Koeffizient als grobes Maß der Ungleichheit der Einkommensverteilung in beiden Ländern vor Steuern nahezu gleich ist, ist er nach Steuern in Deutschland deutlich niedriger als in den USA (OWID, 2024b). Hinzu kommt, dass die Rüstungsausgaben der USA relativ zum BIP 2,5-mal höher ausfallen. Die Relation der verfügbaren Einkommen des obersten Fünftels der Haushalte zum untersten Fünftel ist in den USA deutlich höher als in Deutschland. Bei einer um etwa sieben Prozentpunkte höheren Abgabenquote ist der Spielraum für Umverteilung in Deutschland wesentlich größer (CEA, 2023). Beide Länder tendieren zu Pro-Rich-Wachstum des BIP, aber die USA viel stärker als Deutschland. Darunter wird ein Wachstumstyp verstanden, bei dem das Einkommenswachstum der oberen Schichten tendenziell über dem durchschnittlichen Wachstum der Einkommen insgesamt liegt. Dies gilt noch viel ausgeprägter für die Vermögensverteilung.
Ergebnisse
Tabelle 1 zeigt die 15 Themenfelder und nachrichtlich drei weitere Indikatoren aus anderen Untersuchungen. Die rechte Spalte zeigt, dass Deutschland in zehn und die USA in vier Themenfeldern besser dastehen, während bei den Alterseinkommen kein eindeutiger Unterschied ersichtlich ist. Wird das jeweilige Ausmaß des Vorteils mit 3, 2 bzw. 1 Punkt(en) bewertet, lautet das Ergebnis für Deutschland im Vergleich zu den USA 23:6. Deutschlands Vorteile resultieren vor allem aus fünf Themenfeldern: Work-Life-Balance, Umwelt/Klima, Gesundheit, individuelle Sicherheit und Geschlechtergerechtigkeit. Die USA haben mittelstarke Vorteile bei den Haushaltseinkommen sowie beim privaten Verbrauch je Einwohner. Vorteile im Bereich Bildung und Wohnverhältnisse sind nur schwach. Betrachtet man die zahlreichen Subindikatoren, dann zeigen fast alle in jedem Themenfeld in die gleiche Richtung (wenn man die schwachen Vorteile ausklammert). Nachfolgend werden die wichtigsten Bereiche eingeordnet (für eine ausführliche Darstellung siehe Priewe, 2024).
Tabelle 1
Überblick der Themenfelder des Ländervergleichs
Themenfelder | Ausmaß des Vorteils1 | Vorteil | ||
---|---|---|---|---|
USA | Deutschland | |||
1 | Löhne/Gehälter, Median | 1 | D | |
2 | Haushaltseinkommen, Median | 2 | USA | |
3 | Armut (Kinder, Arbeitsleben) | 2 | D | |
4 | Alterseinkommen, Median | 0 | 0 | - |
5 | Work-Life-Balance | 3 | D | |
6 | Vermögen, pro Kopf, Median | 1 | D | |
7 | privater Verbrauch, pro Kopf | 2 | USA | |
8 | Umwelt/Klima | 3 | D | |
9 | Gesundheit | 3 | D | |
10 | individuelle Sicherheit | 3 | D | |
11 | Wohnverhältnisse | 1 | USA | |
12 | Bildung/Erziehung, FuE | 1 | USA | |
13 | Geschlechtergerechtigkeit | 3 | D | |
14 | Netzwerk soziale Sicherheit | 2 | D | |
15 | Ungleichheit von Einkommen und Vermögen | 2 | D | |
16 | Summe 1-15 | 6 | 23 | USA = 4; D = 10 |
17 | „Happiness“2 | (1) | (1) | - |
18 | Lebenszufriedenheit3 | (1) | D | |
19 | BIP je Einwohner4 | (3) | USA |
1 Ausmaß des Vorteils: 0 = uneindeutig, 1 = eher schwach, 2 = stark, 3 = sehr stark;
2 Helliwell et al., 2023;
3 Better Life Index, OECD, 2020 und 2023a;
4 WDI 2023.
Quelle: eigene Berechnungen auf der Grundlage der Subindikaoren, vgl. Priewe (2024).
Löhne
Die Stundenproduktivität ist in Deutschland leicht höher als in den USA (CEA, 2023; Destatis, 2023a). Wegen der längeren Arbeitszeit ist das durchschnittliche Jahresgehalt in den USA für Vollzeit-Beschäftigte rund 15 % höher (OECD, 2023h; Destatis, 2023b). Jedoch liegt das Mediangehalt für Vollzeit-Beschäftigte leicht über dem in den USA, trotz 16 % niedrigerer Arbeitszeit für diese Arbeitnehmergruppe in Deutschland (BLS, 2023; Destatis, 2023b, 2023c). Die US-amerikanische Gender-Lohnlücke beim Mediangehalt für Vollzeit-Arbeitskräfte ist mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland (OECD, 2022). Der Mindestlohn in den USA, als ungewichteter Durchschnitt der Mindestlöhne der Bundesstaaten berechnet, liegt etwa ein Viertel unter dem in Deutschland (umgerechnet in US-Dollar auf Kaufkraftparitäten) (US Department of Labor, 2023; BMAS, 2023). Definiert man den Niedriglohnsektor durch ein Lohnniveau unter zwei Drittel des Medianlohns (nur auf Vollzeit-Arbeitskräfte bezogen), dann ist der Umfang dieses Sektors in Deutschland etwa 16 % kleiner als der US-amerikanische (OECD, 2022). Nimmt man allerdings den Sektor der Teilzeitarbeit hinzu, steht Deutschland etwas ungünstiger da.
Verfügbare Haushaltseinkommen
Die verfügbaren US-Haushaltseinkommen (berechnet mit Äquivalenzkennziffern) liegen deutlich über den deutschen (OECD, 2023b). Dies gilt für die durchschnittlichen Haushaltseinkommen (+35 %), aber auch für die Median-Einkommen (+21 %) und die Einkommen der Rentner (Durchschnitt +45 %, Median-Einkommen +27 %). Der wichtigste Grund ist die fehlende Berücksichtigung der längeren Arbeitszeiten in den USA. Bei den durchschnittlichen Haushaltseinkommen entspricht der US-Vorteil exakt dem Nachteil bei der Arbeitszeit. Ein zweiter Grund ist der höhere Anteil von Vermögenseinkommen in den USA, insbesondere bei den wohlhabenden Rentner-Haushalten. Der Vorteil für die US-Haushalte vermindert sich, wenn die wesentlich höheren kostenfreien (oder subventionierten) öffentlichen Güter berücksichtigt werden. Die Sachleistungen werden für Deutschland auf 8.800 US-$ je Person geschätzt, in den USA auf nur 2.876 US-$ (berechnet in KKP-US-$) (EU-Datenbank AMECO, 2023 für 2021). Dieser Unterschied kann den Rückstand beim Median-Haushaltseinkommen je nach Haushaltsgröße mehr als ausgleichen.
Vermögen
Wie zu erwarten, sind die Nettovermögen der privaten Haushalte in den USA im Durchschnitt 2,4-mal so groß (2020 bzw. 2021) und damit wesentlich größer als in Deutschland, nicht zuletzt infolge der Dominanz der kapitalbasierten Altersversorgung. In zwei annähernd vergleichbaren Studien der Deutschen Bundesbank (2023) und von Hays und Sullivan (2022) zeigt sich jedoch, dass das Median-Vermögen je Haushalt in Deutschland, umgerechnet auf US-Dollar in KKP leicht höher war. Eine Untersuchung von Crédit Suisse (2022) zum Gini-Koeffizienten bei der Vermögensverteilung fand eine relativ geringe Differenz von 0,85 zu 0,79 USA/Deutschland, was beides extrem hohe Werte sind.
Deutschland schneidet besser ab
Auf die günstigere Work-Life-Balance wurde bereits hingewiesen. Im Jahr 2022 lag die tatsächliche Jahresarbeitszeit in den USA bei 1.811 Stunden, in Deutschland bei 1.341 Stunden. Teilzeit ist eingeschlossen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die bezahlte Arbeitszeit in Deutschland wesentlich höher liegt (Lohnfortzahlung bei Krankheit, Urlaub usw.).
Im Bereich Umwelt/Klima stützt sich die Analyse auf sechs Subindikatoren. Am extremsten sind die Unterschiede beim Ausstoß von Treibhausgasen je Einwohner (2021): Die USA emittierten doppelt so viel wie Deutschland (OWID, 2024a). Ähnlich deutlich ist der Ausstoß von CO2 je Einwohner, sowohl wenn produktionsbasierte als auch wenn konsumbasierte Emissionen (also Emissionen, die in Importgütern inkorporiert sind) betrachtet werden. Der ökologische Fußabdruck, berechnet nach der Metrik des Global Footprint Network (2023), war in den USA 44 % größer als in Deutschland (2021). Beim Anteil von erneuerbarer Energie an der Energieerzeugung lagen die USA bei der Hälfte des deutschen Anteils (2022) (Enerdata, 2023). Schließlich wurden die beiden Umwelt-Indikatoren des OECD-‚Better Life Index‘ zu Feinstaub und zur subjektiven Bewertung der Wasserqualität einbezogen. Bei Feinstaub schneidet Deutschland schlechter ab (2017 bis 2019), bei der wahrgenommenen Wasserqualität etwas besser als die USA (OECD, 2020).
Im Bereich Gesundheit wurden neun Subindikatoren verwendet, wobei Deutschland nur bei einem leicht schlechter als die USA bewertet wird. Am deutlichsten ist die Differenz bei der Lebenserwartung (bei Geburt, 2021): 76 zu 81 Jahre, obwohl die USA 16,6 % des BIP für Gesundheit ausgeben, die Deutschen nur 12,7 % (WDI, 2023; OECD, 2023i).4 Bei Ärzten, Krankenschwestern und Krankenhausbetten (bezogen auf Einwohnerzahlen) schneiden die USA deutlich schlechter ab, bei Todesfällen infolge der Coronapandemie um 68 % schlechter als Deutschland (Johns Hopkins University, 2023) und Fettleibigkeit ist in den USA mehr als doppelt so häufig wie in Deutschland (GOO 2024). Der Bloomberg Global Health Index platziert die USA auf Rang 75 in der Weltrangliste, Deutschland auf Rang 23 (Bloomberg, 2023). Nur beim Bloomberg Health Security Index, der vor allem die technische Ausstattung berücksichtigt, sind die USA weltweit führend, während Deutschland auf Rang 8 steht.
Besonders eklatant sind die Unterschiede im Bereich individueller Sicherheit, bei dem fünf Subindikatoren verwendet wurden. Die Zahl der vorsätzlichen Morde je 100.000 Einwohner ist in den USA 6,4-mal so groß wie in Deutschland; die USA stehen auf Weltrang 155, eine Stufe unter der Russischen Föderation, Deutschland auf Rang 43 (UNODC, 2023). Die Zahl der Insassen in US-Gefängnissen ist 8,4-mal so groß, bezogen auf die Einwohnerzahl. Auch die Todesrate bei Verkehrsunfällen ist mehr als 3-mal so groß (WHO, 2023). Beim Korruptionsindex von Transparency International rangieren die USA auf dem Weltrang 24, Deutschland auf Rang 9 (2022) (Transparency International online). Zum Bereich Geschlechtergerechtigkeit wurden neun Subindikatoren verwendet, die teilweise auf synthetischen Indikatoren der OECD bzw. auf dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) beruhen (OECD, 2023d, 2023j, 2023k, 2023l). Einer davon ist der Gender Inequality Index der UNDP (2023), der Deutschland in der Weltrangliste auf Platz 19 einstuft und die USA auf Platz 44. Im „Social Institutions and Gender Index“ der OECD, der viele Aspekte integriert, erhält Deutschland einen Indexwert von 12,4, die USA 19,1 (null bedeutet keine Diskriminierung). Die OECD hat zusätzlich einen Index „Gewalt gegen Frauen“ konstruiert, der aus drei Komponenten besteht. Die USA sind dabei über fünfmal schlechter als Deutschland aufgestellt. Eine der Komponenten betrifft die Gewalterfahrung von Frauen, basierend auf Befragungen; in Deutschland hatten demnach 22 % der befragten Frauen Gewalt erfahren, in den USA 36 % (OECD, 2023d). Die Unterschiede bei Kosten von Kinderbetreuung in Prozent des Nettoeinkommens von Haushalten mit zwei Verdienern sind extrem; ebenso die Regelungen bei bezahltem Mutterschafts- und Elternurlaub.
Schließlich ist auf die Unterschiede bei den Regelungen zur Sozialpolitik hinzuweisen, insbesondere was die allgemeine Pflicht zur Krankenversicherung, Regelungen zur Arbeitslosenversicherung, analoge Regelungen zum deutschen Bürgergeld, Unfallversicherung, Lohnfortzahlung bei Krankheit und die Pflegeversicherung angeht. Hohe Studiengebühren und ein im Vergleich zu Deutschland genereller Mangel an öffentlichen Gütern zeigen Systemunterschiede im Charakter des Sozialstaats, wie sie von Esping-Anderson (1990) schon früh beschrieben wurden.
Die USA schneiden besser ab
Im Bereich privater Konsum pro Kopf sind die USA um ein Drittel stärker als in Deutschland, selbst wenn man kostenlose öffentliche Güter berücksichtigt; ohne letztere wäre die Diskrepanz noch größer. Allerdings gibt es für diesen Indikator keine Median-Werte, d. h. der Konsum der Wohlhabenden aus dem obersten Fünftel der Haushalte spielt hier eine große Rolle. Der höhere Konsum wird nur ermöglicht, weil die Arbeitszeiten in den USA so lang sind. Nimmt man den Konsum in Verbindung mit dem Median-Haushaltseinkommen, dann wäre die Diskrepanz geringer, aber läge immer noch mit 21 % zugunsten der USA, und wäre weiter deutlich vermindert, wenn öffentliche Güter bzw. Dienstleistungen einbezogen würden. Mit Blick auf die längeren Arbeitszeiten in den USA nehmen die Vorteile bei verfügbaren Haushaltseinkommen und privatem Konsum ab. Zudem muss man berücksichtigen, dass die USA nur gut 3 % des Haushaltseinkommens sparen, die Deutschen im Trend etwa 11 %. In den USA trägt dies zum Handelsbilanzdefizit und zum hohen Haushaltsdefizit bei, umgekehrt in Deutschland.
Allein bei den Wohnverhältnissen und bei Bildung/Erziehung scheinen die USA leicht im Vorteil zu sein (OECD, 2023f). Allerdings sind die Daten nicht ganz eindeutig. Der deutlich größeren Wohnfläche je Einwohner stehen qualitative Mängel bei der energetischen Effizienz entgegen. Jedoch ist die Obdachlosigkeit in Deutschland höher, trotz der wesentlich höheren Armutsraten in den USA. Die OECD bewertet den tertiären Ausbildungssektor in den USA stärker als in Deutschland, weil je Studierende(n) deutlich mehr ausgegeben wird, teilweise mit Hilfe hoher Studiengebühren (OECD, 2023g). Unberücksichtigt bleibt in diesem Vergleich der viel stärkere duale Ausbildungsbereich in der beruflichen Bildung, der nicht zum tertiären Sektor zählt. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung relativ zum BIP sind in den USA um 0,3 Prozentpunkte leicht höher.
Schaut man sich viele der 15 Themenfelder genauer an, so stellt man deutliche Vorteile für die USA fest, die sich auf die oberen 20 % der Haushalte beziehen (vgl. Abbildung 1). Es zeigt sich, dass der entscheidende Unterschied zwischen den USA und Deutschland im deutlich reicheren 5. Quintil der Haushalte angesiedelt ist. Der Einkommensanteil bei den oberen Mittelschichten im 4. Quintil ist fast gleich, ebenso der Anteil des 10. Dezils. Dagegen ist die Oberschicht, hier im 9. Dezil, viel breiter als in Deutschland aufgestellt, erkauft mit geringeren Anteilen der Haushalte im 1., 2. und 3. Quintil. So wird deutlich, dass 44 % des gesamten verfügbaren Haushaltseinkommens bei den obersten 20 % landen, in Deutschland „nur“ 38 %.
Abbildung 1
Verfügbares Haushaltseinkommen in den USA und Deutschland 2019 nach Einkommensgruppen 2019
Quelle: OECD (2023e).
Fazit
Das bessere Abschneiden Deutschlands in den meisten Themenfeldern resultiert aus der Verwendung des Median-Ansatzes (bei Löhnen, verfügbarem Einkommen und Vermögen), aus der ungleich höheren arbeitsfreien Zeit, auf das Jahr gerechnet, aus den geringeren Armutsraten, aus der deutlichen Überlegenheit bei Umwelt, Gesundheit und Gender-Gleichheit, aus grundlegenden anderen Konstruktionsprinzipien des Sozialstaats, aber auch aus überkommenen institutionellen Erstarrungen (insbesondere im Bereich Sicherheit in den USA).
Ein kürzlich erschienener Vergleich der Lebensverhältnisse in den USA und den vier skandinavischen Ländern mit einer ähnlichen Fragestellung und Methodik unterstreicht die Ergebnisse dieser Studie – nur sind die Unterschiede wesentlich deutlicher als gegenüber Deutschland (Christensen et al. 2022): Der sprichwörtliche „Amerikanische Traum“ wird in Skandinavien realisiert, wie die Autoren schreiben. Übergreifend spielt die höhere Ungleichheit der Einkommen und Vermögen eine zentrale Rolle. Wem gehört das BIP bzw. das Volkseinkommen, ist die zugespitzte Frage. Dabei ist das BIP je Einwohner für die Beurteilung der Lebensbedingungen ein Irrlicht, das viel zu lange substanzielle empirische Analysen in den Schatten gerückt hat und überflüssig erscheinen ließ.
Dieser Aufsatz beruht auf der umfangreicheren englischen Version der Studie Priewe (2024).
- 1 Wie auch der Nationale Wohlfahrtsindex, der für internationale Vergleiche unbrauchbar ist.
- 2 Die extremen Bewertungen „sehr stark“ und „eher schwach“ sind relativ eindeutig. Die mittlere Kategorie ist die Restgröße, sodass der subjektive Bewertungsspielraum (bias) begrenzt ist.
- 3 Subjektive, auf Umfragen beruhende Indikatoren werden hier bis auf zwei Kategorien nicht verwendet. Sie sind keineswegs unwichtig, folgen aber einer anderen Fragestellung. Wir wollen vielmehr wissen, wie unterschiedlich die Arbeits- und Lebensbedingungen tatsächlich sind, nicht wie die jeweiligen Bedingungen oder Unterschiede wahrgenommen werden. Glücksempfindung ist eine genuin subjektive Kategorie und bleibt daher hier ausgeschlossen.
- 4 Deaton (2023) führt die erstaunlich geringe Lebenserwartung in den USA auf das geringe Humankapital und die niedrigen Einkommen von Personen ohne College-Abschluss zurück, die sich die hohen Gesundheitskosten nicht leisten können.
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