Die Ukraine und Moldau sind gemeinsam mit Georgien und Bosnien-Herzegowina die neuesten EU-Beitrittskandidaten. Die EU hat ihnen den Kandidatenstatus zu einem Zeitpunkt zuerkannt, an dem ihre Existenz als unabhängige Staaten durch den russischen Angriffskrieg (Ukraine) und vielfältige hybride Übergriffe bedroht ist. Beide Ländern verknüpfen den Beitrittsprozess besonders mit der Hoffnung, auf diese Weise einen institutionellen Anker für die weitere politische Entwicklung hin zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu gewinnen und die wirtschaftliche Systemtransformation durch immer engere wirtschaftliche Integration mit den EU-Mitgliedstaaten zu verstetigen.
Die Freizügigkeit für Arbeitskräfte aus den Beitrittsländern in der EU stand bei der ersten Osterweiterung 2004 ganz am Ende des Beitrittsprozesses. Die meisten EU-Mitgliedstaaten nahmen sogar besondere Übergangsfristen in Anspruch, sodass etwa in Deutschland die Freizügigkeit erst 2011 hergestellt wurde. Im Vereinigten Königreich hingegen – dem weitaus größten EU-Mitgliedstaat ohne Übergangsfrist – kam es nach 2004 zu einem unerwartet hohen Zuzug von Arbeitskräften aus den neuen Beitrittsländern. Obwohl die Zugewanderten sich gut in den Arbeitsmarkt integrierten, trug die hohe Zuwanderung in kurzer Zeit wesentlich zur Migrationsskepsis eines Teils der Bevölkerung und letztlich zur Entscheidung für den Brexit im Juni 2016 bei.
Im Fall der Ukraine und Moldaus wird es praktisch unmöglich sein, die Freizügigkeit für Arbeitskräfte auf einen Zeitpunkt lange nach dem eigentlichen EU-Beitritt zu verschieben. Derzeit leben gut 4 Mio. ukrainische Staatsangehörige als Kriegsflüchtlinge in der EU. Ihr aktueller Schutzstatus aufgrund der EU-Richtlinie für temporären Schutz (Temporary Protection Directive, TPD; auch „Massenzustrom-Richtlinie“) läuft im März 2025 aus. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wird dann vermutlich noch andauern und Kriegsflüchtlinge werden nicht zurückkehren können. Es liegt also nahe, den künftigen Schutzstatus für Kriegsflüchtlinge auf der Grundlage des anstehenden EU-Beitrittsprozesses zu regeln.
Moldau hat bereits heute eine große Diaspora in der EU, jedenfalls gemessen an der eigenen – niedrigen und weiter sinkenden – Bevölkerungszahl. Zusätzlich haben viele moldauische Staatsangehörige Zugang zur rumänischen Staatsbürgerschaft und damit zur EU-Unionsbürgerschaft; für diese Menschen gilt bereits heute die Freizügigkeit zur Arbeitsaufnahme. Die Statusunterschiede zwischen moldauischen Staatsangehörigen mit oder ohne rumänischen Pass sowie mit oder ohne Familienangehörige, die regulär in der EU leben, dienen keinem erkennbaren sinnvollen Zweck.
Es liegt also nahe, den rechtlichen Status von Arbeitskräften aus der Ukraine und Moldau in der EU in naher Zukunft auf der Grundlage der ohnehin angestrebten EU-Mitgliedschaft zu regeln. Freizügigkeit für ukrainische und moldauische Arbeitskräfte in der EU wäre nicht nur gut für die potenziellen Eingewanderten und ihre potenziellen Arbeitgeber in der EU; die Freizügigkeit wäre auch ein klares Signal, dass die Integration dieser Staaten mit der EU fortschreitet und konkrete Ergebnisse hervorbringt. Damit würde der Beitrittsprozess als institutioneller Anker für die weitere politische und wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder gestärkt. Gleichzeitig wirft ein solches Vorgehen Fragen auf folgenden Themen auf: die Erfolgsaussichten des EU-Beitrittsprozesses insgesamt; ob und warum die Ukraine und Moldau durch eine frühe Personen-Freizügigkeit gegenüber anderen Kandidatenländern privilegiert werden sollten; und nicht zuletzt zu den wirtschaftlichen Auswirkungen.
EU-Beitritt der Ukraine und Moldau realistisch?
Es ist nur dann sinnvoll, beim künftigen rechtlichen Status der ukrainischen und moldauischen Arbeitskräfte an die Regeln bei EU-Mitgliedschaft anzuknüpfen, wenn der EU-Beitritt auch eine realistische Perspektive darstellt. Allerdings rechnen viele Beobachter wegen der langwierigen und ergebnisarmen Beitrittsverhandlungen mit einigen Westbalkanstaaten und der Türkei nicht mehr mit einem baldigen Beitritt neuer Mitgliedstaaten.
Die Probleme liegen einerseits in der wenig proaktiven Herangehensweise einiger Beitrittskandidaten an die notwendige umfassende und vorbehaltlose Anpassung nationalen Rechts an die EU-Rechtsordnung (Acquis communautaire). Darum geht es im Kern bei den Beitrittsverhandlungen: Das europäische Recht steht nicht zur Disposition; es ist nur zu klären, wie die Beitrittskandidaten die Geltung europäischen Rechts gewährleisten und gegebenenfalls Vorgaben in nationales Recht umsetzen. Diese Aufgabe ist technisch-juristisch wie administrativ anspruchsvoll: Der Acquis communautaire wird in einer umfassenden Studie als Netzwerk von 365.000 Dokumenten beschrieben (einschließlich einschlägige Gerichtsentscheidungen) (Fjelstul, 2019). Neben administrativer Kompetenz sind seitens der Regierungen der Beitrittsländer auch politischer Wille und Durchsetzungsfähigkeit gefragt.
Auch wenn die Umsetzung des EU-Acquis eine technisch und administrativ anspruchsvolle Aufgabe ist, regelt der Acquis doch überwiegend Angelegenheiten, die die Beitrittsländer ohnehin rechtlich regeln müssen (und dies tun sie weitgehend auch schon). Es wird also nicht in erster Linie neues Recht (und damit vielleicht neue Bürokratie) geschaffen, sondern es wird vorhandenes und notwendiges Recht zwischen den Mitgliedstaaten und Beitrittsländern vereinheitlicht. Die Ukraine und Moldau haben diesen Prozess der Rechtsangleichung durch ihre Assoziierungsabkommen mit der EU auf vielen Rechtsgebieten bereits begonnen. Die technischen und administrativen Herausforderungen dürften sie mit entsprechender Unterstützung durch die EU auch künftig bewältigen können – wie zuvor zehn ganz unterschiedliche Transformationsländer im Zuge der EU-Osterweiterung 2004.
Der politische Wille zur Umsetzung des EU-Acquis ist in der Ukraine und Moldau jedenfalls bei den gegenwärtigen Regierungen groß. Allein die Aussicht auf weitere umfangreiche militärische und wirtschaftliche Unterstützung durch die EU und ihre Mitgliedstaaten stellt einen starken Anreiz dar, den Integrationsprozess mit der EU voranzubringen. Letztlich dürfte das Interesse der Bevölkerung und Wählerschaft an einem möglichst raschen EU-Beitritt (nicht zuletzt wegen der Vorteile der Personen-Freizügigkeit) den internen politischen Prozess dominieren.
Andererseits bezieht sich manche Skepsis im Hinblick auf den EU-Beitrittsprozess nicht auf die Beitrittskandidaten, sondern auf die Fähigkeit der EU selbst, neue Mitglieder in ihre Entscheidungsprozesse und Abläufe einzugliedern und dabei als Union handlungsfähig zu bleiben. Demnach müsse sich die EU erst selbst reformieren, bevor sie weitere Mitglieder aufnehmen könne. Andernfalls sei ihre Handlungsfähigkeit gefährdet, da innerhalb der bestehenden Governance-Strukturen bereits mit 27 kleinen und großen Mitgliedsländern die anstehenden Aufgaben kaum noch effizient bewältigt werden könnten.
Der Lissabon-Vertrag hat bereits wichtige Schritte etwa in Richtung Mehrheitsentscheidungen ermöglicht und zeichnet auch weitere denkbare institutionelle Reformen vor. Aber die Aufnahme neuer Mitglieder setzt Einstimmigkeit unter den jeweiligen Mitgliedern voraus. Für die europäische Integration der Ukraine und Moldaus (ebenso wie der Westbalkanstaaten und der Türkei) bedarf es also eines Plan B: Welche (gegebenenfalls temporären) Alternativen zur Vollmitgliedschaft sind in der EU konsensfähig und gleichzeitig für die Partnerländer so attraktiv, dass sie auf dieser Grundlage die politischen Herausforderungen bei ihrer weiteren Transformation zu Demokratie und Marktwirtschaft überwinden können?
Zwischenschritt: Beitritt zum EU-Binnenmarkt
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur EU-Vollmitgliedschaft ist in jedem Fall die Teilnahme am EU-Binnenmarkt. Diese beinhaltet im Kern die „4 Freiheiten“: freier Warenverkehr, freier Dienstleistungsverkehr, freier Kapitalverkehr und Personen-Freizügigkeit – also Niederlassungsfreiheit und Arbeitsaufnahme (auch selbständig) in jedem Mitgliedstaat. Die EU-Assoziierungsabkommen der Ukraine und Moldaus beinhalten bereits wichtige Schritte auf dem Weg in den Binnenmarkt. Im Kern beschreibt „Teilnahme am EU-Binnenmarkt“ die Situation von Norwegen, Island und Liechtenstein als Mitglieder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Firmen aus EWR-Ländern und EU-Mitgliedstaaten sind im Binnenmarkt gleichberechtigt; daher bedingt die Teilnahme am EU-Binnenmarkt auch flankierende Maßnahmen, wie die Harmonisierung von Produktstandards, eine gemeinsame Wettbewerbspolitik und gemeinsame sektorale Politiken (Transport, Energie) (EC, o. J.). Der uneingeschränkte Marktzugang in der EU macht die Mitgliedschaft im Binnenmarkt für die Partnerländer attraktiv. Allerdings nehmen die Partnerländer nur beratend an den Entscheidungen der EU über die Weiterentwicklung des EU-Acquis teil. Das ist aus ihrer Sicht ein umso größerer Nachteil, je länger sie von Entscheidungen ausgeschlossen bleiben. Gerade dadurch wird aber den Beitritts-Skeptikern in der EU der Wind aus den Segeln genommen, weil die Partnerländer nicht in die Governance-Struktur der EU eingebunden werden und gegebenenfalls auch an gewissen „teuren“ Politiken wie etwa der Gemeinsamen Agrarpolitik nicht teilnehmen.
Mithin ist neben der Vollmitgliedschaft auch eine Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt – sei es als Zwischenschritt oder anstelle der Vollmitgliedschaft – eine plausible Option für die weitere europäische Integration der Ukraine und Moldaus (ESI, o. J.). Im Binnenmarkt würde ebenfalls die Personen-Freizügigkeit für ukrainische und moldauische Staatsangehörige gelten. Auch im Hinblick auf diese Option ist es daher sinnvoll, den Rechtsstatus der ukrainischen Flüchtlinge in der EU, der bald ohnehin neu geregelt werden muss, auf der Grundlage der Personen-Freizügigkeit zu organisieren.
Wie wahrscheinlich ist es, dass in den nächsten Jahren die Ukraine und Moldau (mindestens) Binnenmarkt-Mitglieder werden? Immerhin muss bei den Beitrittsverhandlungen für den Binnenmarkt Einigung in vielen potenziell kontroversen Politikfeldern erzielt werden, die im Übrigen auch Voraussetzung für eine EU-Vollmitgliedschaft sind. Hier kommt zum Tragen, dass der verschärfte russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seit 2022 die geostrategischen Optionen der Staaten Ost- und Südosteuropas und im Kaukasus zugespitzt hat: Abgesehen von einer engeren Integration mit der EU (institutionell verankert mindestens durch die Mitgliedschaft im Binnenmarkt) oder einer engen Anlehnung an Russland (wie Belarus und bisher auch Armenien – etwa durch Mitgliedschaft in der Eurasischen Wirtschaftsunion) bleibt immer weniger Raum für eine „neutrale“ Außenpolitik und Entwicklungsstrategie. Es liegt daher im Interesse der EU, den Staaten der Region (Osteuropa, Westbalkan, Kaukasus) attraktive Bedingungen für eine institutionelle, wirtschaftliche und politische Integration mit der EU anzubieten – über die ohnehin umfangreiche finanzielle Unterstützung hinaus. Eine Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt hat daher gute Chancen, die notwendige breite Unterstützung durch die aktuellen EU-Mitglieder zu finden.
Mögliche Arbeitsmarkteffekte
Anders als bei der EU-Osterweiterung im Jahr 2004 wird Personen-Freizügigkeit für ukrainische und moldauische Staatsangehörige nur geringe Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte in der EU und in den Partnerländern haben, weil die Freizügigkeit in der Praxis bereits besteht durch den temporären Schutz für ukrainische Kriegsflüchtlinge und durch den Zugang vieler moldauischer Staatsangehöriger zur rumänischen Staatsbürgerschaft. Für ukrainische Staatsangehörige würde vor allem langfristig Rechtssicherheit geschaffen. Für moldauische Staatsangehörige (insgesamt nur etwa 3 Mio. Menschen einschließlich der Region Transnistrien) würden willkürliche Diskriminierungen zwischen verschiedenen Gruppen entfallen. Außerdem könnte die weitere Entwicklung rund um die Region Transnistrien beruhigt werden, wenn die moldauischen Staatsangehörigen dort (also fast die gesamte Bevölkerung) durch ihren moldauischen Pass Zugang zum EU-Arbeitsmarkt und neuen Verdienstmöglichkeiten bekämen.
Aus der Sicht der Ukraine bleibt die Emigration Entlastung und Herausforderung zugleich. Die Kriegszerstörungen haben das Produktionspotenzial und die Nachfrage nach Arbeitskräften reduziert. Die Emigration reduziert gleichzeitig das Arbeitsangebot und verringert so Arbeitslosigkeit und stützt das Lohnniveau. Andererseits erschwert Emigration die Gewinnung von Arbeitskräften für strategische Industrien und (trotz des ukrainischen Ausreiseverbots für Männer im wehrfähigen Alter) die Mobilisierung von Soldaten. Auch Moldau steht unverändert vor der Herausforderung, bei immer noch niedrigem Pro-Kopf-Einkommen und Lohnniveau hinreichend attraktive Lebensbedingungen für moldauische Staatsangehörige zu bieten, für die temporäre wie permanente Arbeitsmigration eine plausible und vielfach praktizierte Option der Lebensplanung darstellt.
Ist eine EU-weite Lösung erforderlich?
Grundsätzlich ist es denkbar, statt einer Lösung auf EU-Ebene den Rechtsstatus der ukrainischen Kriegsflüchtlinge nach dem Auslaufen des temporären Schutzes auf der Ebene der EU-Mitgliedstaaten zu klären. Die Betroffenen müssten dann z. B. Visa zur Arbeitsaufnahme oder zum Studium nach nationalen Regeln oder aber Asyl beantragen. Allerdings würde allein in Deutschland der Rückgriff auf nationale Regeln zu vielfältiger Unsicherheit für die Betroffenen und bürokratischem Aufwand führen. Dies wäre weder für die soziale und wirtschaftliche Integration der Kriegsflüchtlinge in Deutschland noch für eine geordnete Rückkehr im Rahmen eines Wiederaufbaus der Ukraine nach dem Krieg hilfreich (Schneider, 2024). Darüber hinaus würden sich nationale Regeln zwischen den EU-Mitgliedstaaten vermutlich deutlich unterscheiden, weil es vor allem um den Zugang zu den nationalen Arbeitsmärkten geht, den die Mitgliedstaaten entsprechend ihren wirtschaftlichen Interessen selbst gestalten. Dann käme es innerhalb der EU wahrscheinlich auch zu Sekundärmigration hin zu Mitgliedstaaten mit relativ großzügigen Aufnahmebedingungen – und letztlich weiteren Verwerfungen. Die großen Wanderungsbewegungen nach der EU-Osterweiterung 2004 aus den neuen Mitgliedstaaten in wenige „alte“ Mitgliedstaaten und die nachfolgende Migrationsskepsis bis hin zum Brexit mögen als Warnung dienen. Für moldauische Staatsangehörige ist eine EU-weite Regelung weniger dringlich, weil anders als bei der TPD für ukrainische Flüchtlinge keine relevante EU-weite Regelung ersatzlos auszulaufen droht. Moldauische Arbeitskräfte mit rumänischem Pass sind ohnehin bereits Unionsbürger.
Sollte die Personen-Freizügigkeit für alle EU-Beitrittskandidaten frühzeitig eingeführt werden?
Eine frühzeitige Umsetzung der Personen-Freizügigkeit für die Ukraine und Moldau könnte von den übrigen Beitrittskandidaten und ihren Fürsprechern in der EU als begründungsbedürftiges Privileg wahrgenommen werden (wobei es aus ukrainischer Sicht sicher kein Privileg ist, Opfer des russischen Angriffskriegs zu sein). Jedenfalls treffen einige unserer Überlegungen außer auf die Ukraine und Moldau möglicherweise auf weitere Beitrittskandidaten zu. Insbesondere die meisten Westbalkanstaaten haben eine eher geringe Bevölkerung und bereits heute eine (relativ) große Diaspora in vielen EU-Mitgliedstaaten; die Personen-Freizügigkeit würde also vermutlich keine große neue Wanderungsbewegung auslösen. Darüber hinaus hat etwa Deutschland mit der Westbalkan-Regelung bereits ein Sonderprogramm für Arbeitsvisa unter erleichterten Bedingungen.
Außerdem hat die EU für alle Westbalkanstaaten ebenso wie für die Ukraine und Moldau die Visaliberalisierung umgesetzt. Die Staatsangehörigen der Westbalkanstaaten können also für viele Zwecke (wenn auch nicht zur Arbeitsaufnahme) visafrei in die EU einreisen und sich dort 90 Tage lang innerhalb von jeweils 180 Tagen aufhalten. Die Visaliberalisierung setzt unter anderem voraus, dass die Partnerländer ihre Staatsangehörigen reibungslos wieder aufnehmen, falls diese ihr Aufenthaltsrecht in der EU verlieren. Damit ist klar, dass der Zugang von Staatsangehörigen der Partnerländer zu sozialstaatlichen Leistungen in den EU-Mitgliedstaaten auch bei Personen-Freizügigkeit wirksam an die vorherige erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt im Zielland geknüpft werden kann – entsprechend den Regeln, die auch für EU-Staatsangehörige gelten.
Im Fall der Türkei scheitert die Visaliberalisierung bisher daran, dass die EU bestimmte rechtsstaatliche Voraussetzungen in der Türkei nicht erfüllt sieht. Personen-Freizügigkeit nach den Regeln des EU-Binnenmarktes erfordert aber eine enge Zusammenarbeit beim Migrationsmanagement und Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit des Partnerlands. Bei der Entscheidung über das Timing der Personen-Freizügigkeit hängt es also immer von den Bedingungen im Partnerland ab, ob der Nutzen einer frühzeitigen Umsetzung etwa für die politische Absicherung des Integrationsprozesses mit der EU die möglichen Risiken überwiegt.
Fazit
Bei der EU-Osterweiterung im Jahr 2004 stand die Personen-Freizügigkeit in der EU für Staatsangehörige der neuen Mitgliedstaaten ganz am Ende des Integrationsprozesses – vielfach sogar verzögert durch lange Übergangsfristen nach dem eigentlichen EU-Beitritt. Heute ist die Arbeitsmarktintegration mit einigen Kandidatenländern wie der Ukraine bereits weit fortgeschritten. Wenn im März 2025 der temporäre Schutzstatus von 4 Mio. ukrainischen Kriegsflüchtlingen in der EU ausläuft, ist es sinnvoll, im Rahmen des laufenden EU-Integrationsprozesses die Personen-Freizügigkeit für ukrainische Staatsangehörige kurzfristig umzusetzen und damit für alle Betroffenen dauerhaft Rechtssicherheit zu schaffen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Integrationsprozess schließlich auf eine EU-Vollmitgliedschaft hinausläuft (wie bisher geplant) oder ob es zunächst (wenn die Beitritts-Skeptiker die Oberhand bekommen) bei einer Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt bleibt.
Literatur
EC – European Commission (o. J.), European Economic Area (EEA) Agreement https://trade.ec.europa.eu/access-to-markets/en/content/european-economic-area-eea-agreement (31. Mai 2024).
ESI – European Stability Initiative (o. J.), Offer the four freedoms to the Balkans, Ukraine, and Moldova, https://esiweb.org/proposals/offer-four-freedoms-balkans-ukraine-and-moldova (31. Mai 2024).
Fjelstul, J. C. (2019), The Evolution of European Union Law: A New Data Set on the Acquis Communautaire, European Union Politics, 20(4), 670-691, https://doi.org/10.1177/1465116519842947.
Schneider, J. (2024), Daueraufenthalt, Rückkehr oder zirkuläre Mobilität? Optionen für ukrainische Kriegsflüchtlinge nach dem vorübergehenden Schutz, SVR-Studie, 2024-1, Sachverständigenrat für Integration und Migration, https://www.svr-migration.de/wp-content/uploads/2024/01/SVR-Studie_Daueraufenthalt-Rueckkehr-oder-zirkulaere-Mobilitaet.pdf (31. Mai 2024).