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Die Bilanz der Bundesbank und jene anderer Notenbanken des Euroraums weisen aktuell hohe „operative“ Verluste auf, bedingt durch die Diskrepanz aus den weiterhin niedrig verzinsten Wertpapierbeständen aus Anleihekäufen und den mittlerweile höher verzinsten Einlagen der Geschäftsbanken. Indes bildet die aktuelle Bilanzierungspraxis die einhergehenden Wertverluste nicht annähernd marktnah ab – obschon ein Verkauf der Wertpapiere vor Endfälligkeit laut dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Public Sector Asset Purchase Programme die Regel sein sollte. Aber selbst unter der aktuellen Bewertungspraxis ist eine Eigenkapitallücke zukünftig nicht ausgeschlossen, was für Notenbanken gemeinhin als unproblematisch gesehen wird. Risiken bestehen jedoch im Kontext einer Rekapitalisierung durch den Staat. Innerhalb des Euroraums könnten nationale und europäische Vorgaben ebensolche Kapitalzuführungen notwendig machen.

Die Deutsche Bundesbank macht „operative“ Verluste. Ursächlich ist vor allem eine negative Zinsspanne zwischen den langfristig festen und niedrigen Erträgen aus den Anleiheankäufen einerseits (Aktiva) und den gestiegenen Zinsen auf Einlagen der Geschäftsbanken (Passiva) andererseits. Mit den Ankäufen hatte die Europäische Zentralbank (EZB) ein Swapgeschäft von festen zu variablen Zinssätzen initiiert, das wegen der in der Notenbankbilanz herbeigeführten Fristeninkongruenz zu hohen Verlusten im Zuge der geldpolitischen Straffung führte (Belhocine et al., 2023, S. 8 f.; Krämer & Weidmann, 2024).

Für das Jahr 2023 wurde der Bundesbank ein ausgeglichenes Ergebnis noch möglich, indem sie ihre Wagnisrückstellungen komplett (19,2 Mrd. Euro) und die verbliebenen Rücklagen weitgehend (2,4 Mrd. Euro) auflöste (Deutsche Bundesbank, 2024a). Zum Ende des Jahres 2024 wird erstmals seit einem halben Jahrhundert wieder ein Bilanzverlust erwartet. Man plant, die in den nächsten Jahren erwarteten Fehlbeträge als Verlustvortrag auszuweisen und später mit Überschüssen sukzessive abzutragen. Die eigentlich gewohnten Gewinnabführungen an den Bundeshaushalt dürften also noch über längere Zeit ausbleiben. Auch andere Zentralbanken des Euroraums sind betroffen. So wurde für die niederländische Notenbank (DNB) zeitweise eine notwendige staatliche Kapitalzuführung befürchtet (Knot, 2022; De Nederlandsche Bank, 2023). Indes ist der mögliche Umgang mit Verlusten aufgrund der jeweiligen Regelwerke unter den nationalen Zentralbanken (NZBen) des Eurosystems sehr heterogen ausgestaltet.

Die EZB hatte für das Jahr 2023 erstmals seit 2004 wieder einen Jahresfehlbetrag zu vermelden in Höhe von 1,3 Mrd. Euro und trotz vollständiger Auflösung der Rückstellung für finanzielle Risiken von 6,6 Mrd. Euro (EZB, 2024a). Ähnlich der Bundesbank will auch die EZB die in den nächsten Jahren anfallenden Fehlbeträge als Verlustvortrag in der Bilanz ausweisen und später mit zukünftigen Überschüssen verrechnen. Kritiker bemängeln das als „irreführenden Trick“, da die EZB (ähnlich wie die Federal Reserve Bank, Fed) ihre Verluste als positiven Vermögenswert verbucht, statt diese als negativen Gewinnvortrag im Eigenkapital auf der Passivseite der Bilanz auszuweisen (Buiter, 2024).

Bei häufig ähnlich gelagerter Verlustursache differieren die Rahmenbedingungen gegenüber vielen Notenbanken außerhalb der Eurozone, was die Suche nach gemeinsamen Lösungsansätzen erschwert. So muss die britische Staatskasse Verluste der Bank of England (BoE) sofort durch Transfers ausgleichen. Bis 2025 werden jährliche Haushaltsbelastungen von rund 2 % des BIP erwartet, zumal die BoE – anders als die EZB oder die Fed – aktive Verkäufe ihrer Wertpapierbestände durchführt und dadurch merkliche Verluste realisiert (Plickert & Siedenbiedel, 2023).

Die Fed hat aufgrund der Rolle des US-Dollars als Leitwährung einen Sonderstatus. Seit 2001 hatte sie aus Erträgen bis 2022 insgesamt 1,36 Billionen US-$ an das US-Finanzministerium überwiesen (von Petersdorff-Campen, 2023). Doch aufgrund der Leitzinserhöhungen sind seit September 2022 die Zinszahlungen der Fed für Reserven und liquiditätsabschöpfende Repogeschäfte (Reverse Repo) höher als die Zinserträge aus ihren Anleihebeständen. Für 2023 fiel daher ein Rekordverlust von 114,3 Mrd. US-$ an (Fed, 2024a). Rein rechnerisch übersteigen die operativen Verluste mittlerweile das Eigenkapital der US-Notenbank (Buiter, 2024): Ende Juni 2024 wies die Fed kumulierte operative Verluste („cumulative deferred asset position“) von rund 180 Mrd. US-$ aus (Fed, 2024b). Diese müssen mit zukünftigen Erträgen zunächst abgetragen werden, bevor es wieder zu Überweisungen an die US-Staatskasse kommen kann. Darüber hinaus weist die Fed nicht realisierte kumulierte Verluste ihrer geldpolitischen Wertpapierbestände („System Open Market Account“, SOMA) aus. Ende 2023 führte eine solche Bewertung zu Marktpreisen zu nicht realisierten Verlusten von 948,4 Mrd. US-$ (Fed, 2024c, S. 37).

Flexibilität bei bilanzieller Bewertung der Wertpapierbestände

Die meisten Zentralbanken bilanzieren ihre geldpolitischen Wertpapierbestände nicht zu Marktpreisen, darunter die Fed und das Europäische System der Zentralbanken (ESZB). So haben die Notenbanken des Euroraums eine Wahlmöglichkeit: Bewertung „mit dem Marktpreis oder zu fortgeführten Anschaffungskosten“ (Art. 9 Abs. 4 EZB-Beschluss (EU) 2016/2247 vom 3.11.2016).1 Fortgeführte Anschaffungskosten sind dabei die um planmäßige Wertberichtigungen korrigierten historischen Anschaffungskosten.2 Herangezogen wird dabei die Summe der zukünftigen Cashflows einer Anleihe, abgezinst mit dem Marktzinssatz zum Zeitpunkt des Erwerbs. Kapitalverluste aufgrund gestiegener Marktzinsen müssen demnach erst beim Verkauf als realisiert gebucht werden. Demgegenüber würden bei Marktpreisbewertung die zukünftigen Cashflows der Anleihe mit dem aktuellen Marktzinssatz abgezinst. Beide Bewertungsmethoden führen indes nur dann zum gleichen Gesamtergebnis, wenn die betreffende Anleihe bis zur Endfälligkeit gehalten wird (Sveriges Riksbank, 2024a).

Nach dem kaufmännischen Vorsichtsprinzip ist die Werthaltigkeit des Anleiheportfolios während der Haltedauer laufend zu hinterfragen, um gegebenenfalls Abschläge aufgrund niedrigerer Marktkurse vorzunehmen. Doch eine bilanzielle Bewertung zu Marktpreisen vermeiden die NZBen der Eurozone bislang, obwohl das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, 2020) in seinem PSPP-Urteil „ein zeitlich und volumenmäßig unbegrenztes Halten erworbener Staatsanleihen bis zur Endfälligkeit“ als „ein Indiz für eine unzulässige monetäre Haushaltsfinanzierung im Sinne von Art. 123 Abs. 1 AEUV“ (Rn. 192) bewertet. Dass die angekauften Anleihen zumindest im Regelfall nicht bis zur Endfälligkeit gehalten werden, betrachtet das BVerfG als eine derjenigen Garantien, die in ihrer Gesamtschau das Einhalten des Verbots der monetären Staatsfinanzierung gewährleisten sollen (Hansen & Meyer, 2020, S. 39 ff.). Hierbei dürfe „das Regel-Ausnahme-Verhältnis … nicht in sein Gegenteil verkehrt werden“ (Rn. 211).

Konkret benennt das BVerfG als eine Garantie innerhalb der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung, dass „Ankäufe begrenzt oder eingestellt und erworbene Schuldtitel wieder dem Markt zugeführt werden müssen, wenn eine Fortsetzung der Intervention zur Erreichung des Inflationsziels nicht mehr erforderlich ist“ (Rn. 216). Dies hätte bereits aktive Anleiheverkäufe anlässlich des Inflationsgeschehens vor der geldpolitischen Straffung implizieren können. Entsprechend wäre eine Neubewertung zu aktuellem Kurswert folgerichtig, zumal ein Verkauf vor Endfälligkeit den (bislang nahezu nicht praktizierten) Regelfall darstellen müsste – gegebenenfalls mit Realisierung von deutlichen Verlusten. Allerdings erklärte Bundesbankpräsident Joachim Nagel Anfang 2024, dass es „aus geldpolitischer Sicht ... derzeit überhaupt keine Notwendigkeit [gibt], Anleihen zu verkaufen“ (Deutsche Bundesbank, 2024c).

Derweil nimmt der erweiterte EZB-Jahresabschluss eine (fiktive) Bewertung der geldpolitischen Wertpapierbestände zu Marktpreisen vor: Ende 2023 wären der EZB bei marktkonformer Bewertung Verluste von 39,9 Mrd. Euro (59,3 Mrd. Euro 2022) entstanden, mithin um 9,4 % (13 % 2022) höhere gegenüber der Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten (EZB, 2024b, S. 48). Zumindest im Jahr 2022 hätte das zu einem negativen Nettoeigenkapital von -7,7 Mrd. Euro geführt (4,6 Mrd. Euro 2023) (EZB, 2024b, S. 15; Buiter, 2024). Es wird von der EZB allerdings nur der eigene Portfoliowert zu Marktpreisen ausgewiesen, die Bestände der nationalen ESZB-Notenbanken werden lediglich zu fortgeführten Anschaffungskosten beziffert. Die Deutsche Bundesbank wiederum weist mögliche Bewertungsgewinne und -verluste infolge einer (fiktiven) Bewertung ihrer eigenen Bestände zu Marktpreisen aus. Demnach wären der Bundesbank Ende 2023 zusätzliche Bewertungsverluste in Höhe von 96,2 Mrd. Euro entsprechend 9,5 % (138,7 Mrd. Euro bzw. 13 % 2022) gegenüber fortgeführten Anschaffungskosten zu verzeichnen gewesen, „und zwar größtenteils aus geldpolitischen Beständen an Staatsanleihen (PEPP Public Sector Securities und PSPP)“ (Deutsche Bundesbank, 2024b, S. 53 und 65).

Der Wertansatz zu fortgeführten Anschaffungskosten unterliegt indes einer gewissen Überprüfung, indem der EZB-Rat anhand jährlicher Werthaltigkeitstests mögliche finanzielle Risiken beurteilt (EZB, 2024b, S. 49). Bisher war allerdings – trotz deutlich gesunkener Marktwerte – noch kein Wertberichtigungsbedarf ersichtlich, „da erwartet wird, dass weiterhin alle Zahlungsverpflichtungen … vereinbarungsgemäß geleistet werden“ (Deutsche Bundesbank, 2024b, S. 54). Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung ihrer Werthaltigkeitstests verweist die EZB auf internationale Rechnungslegungsstandards (IFRS/IAS), dort explizit auf das Erfordernis „objektiver Hinweis[e] auf eine Wertminderung“ (§ 59 IAS 39, 2024), etwa die Erwähnung des drohenden Zahlungsausfalls eines Euro-Mitgliedstaats in der Tagespresse.3 Das genaue Procedere der Werthaltigkeitstests wird jedoch ebenso wenig offengelegt wie mögliche Entscheidungskriterien zwischen einer Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten oder zu Marktpreisen. Die EZB bewahrt sich diesbezüglich eine gewisse Flexibilität, die auch in der Antwort auf einen Antrag4 auf Offenlegung eines EZB-Beschlusses zur gemeinsamen Verlusttragung aus geldpolitischen Geschäften betont wurde: „Die EZB muss … sich einen gewissen Ermessensspielraum bewahren“, denn eine solche Offenlegung könne „den Druck auf nationale Zentralbanken erhöhen, bestimmte Regelungen zum Umgang mit Verlusten zu unterstützen, die ihre Ertragsrisiken minimieren“.5 Übertragen auf die bilanzielle Bewertungspraxis könnte ein Ermessensspielraum ebenfalls als Prävention gegenüber nationalen Partikularinteressen dienen – allerdings auf Kosten der Transparenz und gegebenenfalls irgendwann auch zulasten nationaler Budgets, insbesondere bei etwaig entstehender Nachschusspflicht.

Aber selbst ohne Marktpreisausrichtung waren für das ESZB-Wertpapierportfolio planmäßige Abschreibungen vorzunehmen, wodurch dessen Bilanzwert immer weiter nach unten von jenem Liquiditätsbetrag abweicht, der dem Geschäftsbankensystem ursprünglich durch die Ankäufe zugeführt wurde (vgl. Abbildung 1 und 2). Denn gemäß Bilanzierung zu fortgeführten Anschaffungskosten müssen Wertpapiere, die zu Kursen über dem Nennwert erworben wurden, im Laufe der Zeit zur Fälligkeit hin nach unten abgewertet werden – und vice versa (ECB, 2023, Q3.3.1). So wurde der Bestandswert (Stand Mai 2024) des seit März 2015 laufenden Public Sector Asset Purchase Programme (PSPP) um 7,2 % gemindert – entsprechend 176,6 Mrd. Euro. Für das ESZB-Portfolio des im Mai 2020 aktivierten Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) war indes eine planmäßige Wertberichtigung von 3 % bzw. 51,5 Mrd. Euro vorzunehmen. Betrachtet man lediglich die überwiegend angekauften Wertschriften der öffentlichen Hand, dann beläuft sich der planmäßige Korrekturbedarf des PEPP auf 3,1 % bzw. 51,1 Mrd. Euro. Im Rahmen beider Ankaufprogramme wurden zu Phasen fallender Marktzinsen vergleichsweise höher verzinste Staatsanleihen teils mit Agio angekauft. Dafür muss nun während der Haltedauer laufend korrigiert werden (anteiliges Agio).

Abbildung 1
Fortgeführte Anschaffungskosten – Prozentuale Wertberichtigung des PSPP-Portfolios des ESZB
Fortgeführte Anschaffungskosten – Prozentuale Wertberichtigung des PSPP-Portfolios des ESZB

Quelle: eigene Berechnungen basierend auf Tabellen „History of cumulative purchase breakdowns under the PSPP“ und „History of cumulative purchase breakdowns under the APP“. Stand vom 31. Mai 2024, https://www.ecb.europa.eu/mopo/implement/app/html/index.en.html#pspp.

Abbildung 2
Fortgeführte Anschaffungskosten – Prozentuale Wertberichtigung des PEPP-Portfolios des ESZB
Fortgeführte Anschaffungskosten – Prozentuale Wertberichtigung des PEPP-Portfolios des ESZB

Nur Anleihen des öffentlichen Sektors.

Quelle: eigene Berechnungen basierend auf Tabellen „Bimonthly breakdown of public sector securities under the PEPP“ und „History of PEPP purchases broken down by asset category“. Stand vom 31. Mai 2024, https://www.ecb.europa.eu/mopo/implement/pepp/html/index.en.html.

Die durchschnittliche Restlaufzeit des jeweiligen Programm-Portfolios steckt dabei die Zeitachse ab, auf der die Wertkorrekturen sukzessive bilanziert werden. Während die Restlaufzeit des PEPP-Bestands (öffentlicher Sektor) bisher zwischen 6,3 und 7,7 Jahren schwankte (7,3 Jahre Stand Mai 2024), lag jene des PSPP-Bestands anfangs oft oberhalb von 8 Jahren, um sich dann auch Richtung 7 Jahren zu bewegen (7,0 Jahre Stand Mai 2024) (ECB, 2024a, 2024b). Indes weichen die Restlaufzeiten nach Emissionsland teils deutlich voneinander ab, was insbesondere bei einer Bewertung gemäß Marktpreisen zu größeren Unterschieden hinsichtlich dann fälliger Wertberichtigungen führen dürfte. Während beispielsweise die Restlaufzeit deutscher Anleihen unter dem PSPP 6,7 Jahre und unter dem PEPP 6,8 Jahre beträgt, sind es für Anleihen Spaniens 7,3 bzw. 7,2 Jahre; Italiens 7,0 bzw. 7,4 Jahre; Portugals 7,3 bzw. 7,6 Jahre; Irlands 8,0 bzw. 8,8 Jahre und für die nur unter dem PEPP angekauften Anleihen Griechenlands 8,5 Jahre (Stand Mai 2024). Auch deshalb könnte die Neigung national differieren, sich von der bisherigen Bewertungspraxis zugunsten einer marktnäheren Bewertung zu verabschieden.

Dass selbst eine Bilanzierung gemäß fortgeführten Anschaffungskosten schon zu einer erheblichen Heterogenität der Wertberichtigungen führen kann, wurde im Kontext des Securities Markets Programme (SMP) deutlich, unter dem das ESZB Anleihen von fünf Eurostaaten angekauft hatte. Betrachtet man die Jahre 2012 bis 2014 (vgl. Tabelle 1), dann fiel für spanische Staatspapiere eine geringe Wertberichtigung zwischen 1,0 % und 1,4 % an. Im Gegensatz dazu wiesen die Wertschriften Portugals einen Korrekturbedarf von 4,0 % bis 5,3 % auf, diejenigen Griechenlands sogar von 8,3 % bis 9,1 %. Die damals bereits ersichtliche Heterogenität der Wertkorrekturbedarfe dürfte sich bei einer Wertansetzung zu Marktpreisen allerdings noch erheblich weiter ausgeprägt haben.

Tabelle 1
Wertberichtigung der SMP-Staatsanleihen: Fortgeführte Anschaffungskosten vs. Nominalwert

in %

Emittent 2012 2013 2014
Griechenland 9,14 8,30 8,59
Irland 4,23 5,15 4,12
Italien 3,70 3,23 3,02
Portugal 5,26 4,04 4,03
Spanien 1,35 1,03 1,04
Gesamtbestand 4,27 3,72 3,41

Quelle: eigene Berechnungen basierend auf Tabelle „History of SMP holdings per issuer“ der EZB, https://www.ecb.europa.eu/mopo/implement/app/html/index.en.html.

Eine Eigenkapitallücke – (K)ein Problem?

Im Gegensatz zu Geschäftsbanken streben Notenbanken keine Gewinne an. Zudem ist ihre Zahlungsunfähigkeit ausgeschlossen, da sie sich das Geld selbst schaffen können, um Verpflichtungen in eigener Währung nachzukommen (Bell et al., 2023; Nagel, 2024). Beispielsweise führten Wechselkursänderungen in den 1970er Jahren zu hohen Verlusten auf die Währungsreserven der Bundesbank, was dieser letztlich ein negatives Eigenkapital bescherte. Aus juristischer Sicht war die Bundesbank laut ihrem damaligen Präsidenten Helmut Schlesinger zwar überschuldet, „aber nicht zahlungsunfähig, weil wir ja letztlich selbst das Geld drucken konnten“ (zitiert nach Braunberger, 2017). Innerhalb der Bundesbank wurde jedoch diskutiert, ob die Bundesregierung direkt für die Verluste der Bundesbank aufkommen sollte. Aber auch ohne Rekapitalisierung habe letztlich „natürlich die Regierung die Kosten mitgetragen, weil wir einige Jahre lang keine Gewinne an den Bund abführten, bis der Verlustvortrag abgeschmolzen war“ (zitiert nach Braunberger, 2017).

In ähnlicher Weise wiesen die Notenbanken Chiles, der Tschechischen Republik, Israels und Mexikos über Jahre ein negatives Eigenkapital auf (Archer und Moser-Boehm, 2013). Auch weil die Kapitallücken durch spätere Notenbankgewinne wieder geschlossen wurden, entstanden keine Instabilitäten (Bell et al., 2024, S. 9 f.). Allerdings kann bei langfristig negativem Eigenkapital die Reputation Schaden nehmen und das Risiko politischer Einflussnahme steigen – speziell im Kontext einer Rekapitalisierung durch den Staat, was auch Autoren aus dem Hause der EZB zu bedenken geben (Schwarz et al., 2014, S. 10; Ducrozet et al., 2022, S. 2 f.).

Im Falle von Schwedens Notenbank erfährt dies besondere Praxisrelevanz, denn laut dem seit 2023 geltenden „Sveriges Riksbank Act“ hat die Riksbank dem schwedischen Parlament einen Antrag auf Wiederherstellung eines Basisniveaus (41,7 Mrd. Schwedische Kronen für 2023) vorzulegen, falls das Eigenkapital unter ein Mindestniveau (20,9 Mrd. Schwedische Kronen) fällt. Die Riksbank gehört zu einer Minderheit unter den größeren Notenbanken, die Bewertungsverluste ihrer geldpolitischen Wertpapierbestände gemäß Marktpreisen ausweist (unter anderem auch die Notenbanken Australiens sowie der Schweiz). Entsprechende Buchverluste ließen ihr Eigenkapital im Vorzeichen auf -2 Mrd. Schwedische Kronen wechseln (2023). Folgerichtig beantragte die Riksbank-Führung Anfang 2024 eine Kapitalzuführung von 43,7 Mrd. Schwedische Kronen, denn um das Vertrauen in eine unabhängige Geldpolitik zu erhalten, sei es „notwendig, dass die Riksbank ... über genügend Eigenkapital und Erträge verfügt, um ihre Kosten zu decken“ (Sveriges Riksbank, 2024b).

Innerhalb der Eurozone könnten derweil bereits die hohen Staatsanleihebestände der NZBen Anlass für politischen Druck bieten. So erhielten Geschäftsbanken im Zuge ihrer Staatsanleiheverkäufe an das ESZB entsprechende Reservebestände, die ihnen nunmehr risikolose Zinseinkünfte bescheren. Rechnet man die Zentralbank dem Staatssektor hinzu, dann werden die Staatsanleihen im ESZB-Portfolio faktisch mit dem EZB-Einlagezins verzinst (Krämer & Weidmann, 2024; Cecchetti & Hilscher, 2024, S. 11 ff.). Die staatlichen Finanzierungskosten wären unmittelbar mit der Leitzinshöhe verknüpft – mithin liegen politische Begehrlichkeiten nahe.

Unabhängig vom Anlass wären Wechselkursverluste und die Abwahl des Euro als Leitwährung drohende Folgen politischer Einflussnahme auf geldpolitische Entscheidungen. Wohl auch deshalb betont die EZB in ihrem Konvergenzbericht (2022) den notwendigen Erhalt der Unabhängigkeit. Deshalb müsse, sofern „das Nettoeigenkapital einer NZB ihr Grundkapital unterschreitet oder sich gar ins Negative kehrt, ... der jeweilige Mitgliedstaat die NZB innerhalb eines vertretbaren Zeitraums mit einem angemessenen Kapitalbetrag mindestens bis zur Höhe des Grundkapitals ausstatten“ (EZB, 2022, S. 26). Nach Auslegung der Bundesbank wird seitens der EZB „jedenfalls dann eine Ausgleichspflicht angenommen, wenn durch Höhe und Nachhaltigkeit der Verluste Zweifel an der Fähigkeit der nationalen Zentralbank bestehen, ihre Aufgaben erfüllen zu können“ (Deutsche Bundesbank, 2012, S. 28). Die Bundesrepublik Deutschland wäre dann verpflichtet, Kapital nachzuschießen (Bundesrechnungshof, 2023, S. 13).6 Insofern hält die Währungsunion rechtliche Bedingungen vor, welche die Mitgliedstaaten zur Kapitalzufuhr an ihre NZBen verpflichten können (Hansen & Meyer, 2024b).7

Das sei laut EZB auch deshalb erforderlich, weil die NZBen von ihrer „Konzernmutter“ EZB aufgefordert werden können (Art. 28.1 ESZB-Satzung, 2016), weitere Beiträge als Kapitaleinlage zu leisten (EZB, 2022, S. 27). Bereits zu Beginn der Eurokrise hatte die EZB im Jahr 2010 beschlossen, ihr gezeichnetes Kapital um 5 Mrd. Euro zu erhöhen – wohl auch wegen drohender Wertverluste angekaufter Staatsanleihen (EZB, 2010 sowie 2000, Art. 1). Bei weiteren Kapitalaufstockungen müssten die anteiligen Mittel von der Bundesbank bereitgestellt werden, was wiederum den Bundeshaushalt belasten dürfte.

Fazit

Aktuell und für mehrere Jahre drohen der Bundesbank und anderen Notenbanken des Euroraums hohe „operative“ Verlustausweise. Allerdings bildet die aktuelle ESZB-Bilanzierungspraxis die Wertverluste des geldpolitischen Anleiheportfolios nicht marktgetreu ab. Gleichwohl sah der EZB-Rat bisher keinen Wertberichtigungsbedarf – scheinbar annehmend, dass die Wertpapiere bis zur Endfälligkeit gehalten werden. Laut PSPP-Urteil des BVerfG müsste ein Verkauf vor Endfälligkeit jedoch den Regelfall darstellen, damit keine monetäre Staatsfinanzierung vorliegt. Demnach wäre eine Bewertung zu Marktpreisen sogar folgerichtig – gegebenenfalls mit erheblichen Buchverlusten.

Die zu befürchtenden Eigenkapitallücken werden für Notenbanken zwar gemeinhin als unproblematisch angesehen. Mögliche Risiken bestehen jedoch in Form politischer Einflussnahmen im Kontext einer Rekapitalisierung. Ebensolche Kapitalzuführungen könnten aufgrund von ESZB-Vorgaben allerdings notwendig werden. Nach einer Deutung der Bundesbank wird seitens der EZB eine Ausgleichspflicht jedenfalls dann angenommen, wenn Höhe und Nachhaltigkeit der Verluste dies erfordern.

  • 1 Siehe auch Art. 9 Abs. 5 EZB-Leitlinie 2016/2249 vom 3. November 2016.
  • 2 Hierfür wird der Unterschiedsbetrag zwischen Anschaffungs- und Rückzahlungswert (Disagio oder Agio) nach der internen Zinsfußmethode über die vertragliche Restlaufzeit verteilt, als Teil des Zinsertrags behandelt (Amortisation) und beim Anschaffungswert berücksichtigt (Deutsche Bundesbank, 2024b, S. 40).
  • 3 Antwort der EZB-Öffentlichkeitsarbeit vom 5. April 2023 auf eine Anfrage des Autors.
  • 4 Gemeinschaftlich beantragt mit Dirk Meyer, Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg.
  • 5 EZB-Antwort vom 4. März 2022 (LS/PS/2022/18), S. 2 f. Das Dokument liegt dem Autor vor.
  • 6 Zur Rolle des Bundesrechnungshofs bei der Rechnungslegung der Bundesbank sowie zur Frage, ob Bewertungsreserven auf Gold zukünftige Verluste ausgleichen können, vgl. Hansen & Meyer (2024a).
  • 7 Ferner kann aus Art. 88 GG für die Bundesrepublik als Anstaltsträger der Bundesbank eine Rekapitalisierungspflicht folgen, um die Funktionsfähigkeit der Bundesbank zu gewährleisten (BVerfG, 2016, Rn. 217)

Literatur

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BVerfG – Bundesverfassungsgericht. (2020). Urteil des Zweiten Senats zum PSPP-Programm vom 5. Mai 2020 – 2 BvR 859/15 –, Rn. 1–237.

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Title:Bundesbank Losses: Accounting Practice and Possible Obligation of the Federal Government to Make Additional Contributions

Abstract:The Bundesbank’s balance sheet and those of other central banks in the eurozone are currently showing high “operating“ losses due to the discrepancy between the low interest bearing securities holdings from bond purchases and the now higher interest bearing commercial bank deposits. However, the current accounting practice does not reflect the associated losses in value anywhere near the market level – even though, according to the PSPP ruling of the German Federal Constitutional Court, the sale of securities before final maturity should be the rule. Even under the current valuation practice, an equity gap cannot be ruled out in the future, which is generally seen as unproblematic for central banks. However, there are risks in the context of recapitalisation by the state. Within the eurozone, national and European requirements could make such capital injections necessary.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0127