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Frankreich hat ein Parlament mit unklaren Mehrheitsverhältnissen gewählt. Stärkste Kraft ist das Linksbündnis Neue Volksfront (NFP) unter der Führung des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon geworden. Der rechtsextreme Rassemblement National (RN) ist – entgegen der Befürchtungen nach dem ersten Wahlgang – hinter dem alten Regierungsbündnis von Emmanuel Macron nur auf dem dritten Platz gelandet. Auch wenn Erleichterung besteht, dass damit eine Regierungsmehrheit des fremdenfeindlichen und nationalistischen RN verhindert werden konnte, sind die Parlamentssitze dennoch insgesamt an die Ränder des politischen Spektrums gerückt. Vorläufig steht diesem polarisierten Parlament noch ein reformorientierter und europafreundlicher Präsident gegenüber, dessen Handlungsmöglichkeiten nun jedoch stark eingeschränkt sind.

Beide Blöcke am Rande des politischen Spektrums weichen mit ihren programmatischen Ausrichtungen signifikant von den Parteien der Mitte ab. Die NFP, die jetzt den Anspruch auf die Regierung erhebt, steht für die dezidierte Abkehr von dem Reformkurs Macrons. Sie will den hohen französischen Mindestlohn noch weiter erhöhen, in die Preisbildung für Grundnahrungsmittel und Energie eingreifen, die Renten- und Arbeitsmarktreformen Macrons zurücknehmen sowie Unternehmen und Vermögende höher besteuern. Für Europa lehnen die Linken nicht nur neue Freihandelsabkommen ab, sondern wollen sogar existierende Abkommen aufkündigen. Der RN würde ebenfalls den Renteneintritt wieder vorziehen und die Mehrwertsteuer auf Energie senken. Der RN strebt eine Senkung der französischen Beiträge zur EU an, befürwortet Grenzkontrollen im Binnenmarkt und steht dem Green Deal und einem integrierten Binnenmarkt für Energie feindlich gegenüber. Beiden Blöcken ist gemeinsam, dass sie die EU, die USA, das Ausland insgesamt sowie den Markt für die Probleme Frankreichs verantwortlich machen. Außerdem lehnen sie eine Europäisierung der Verteidigungspolitik ab. Gerade auch wichtige Repräsentanten des Linksblocks, wie Jean-Luc Mélenchon, sind zudem durch anti-deutsche Positionierungen aufgefallen.

Diese Polarisierung der französischen Politik hat sub­stanzielle Folgen für die EU und ihre Handlungsmöglichkeiten. Dies gilt nicht zuletzt auf dem Schlüsselfeld des EU-Haushalts. Eine der wichtigsten Aufgaben der sich neu formierenden Europäischen Kommission sind die Verhandlungen über den kommenden EU-Finanzrahmen für die Jahre 2028 bis 2034. Hier stellt sich nicht nur die Frage nach dem Budgetvolumen, sondern auch nach der Ausgabenstruktur und möglicher Schuldenfinanzierung.

Bislang wäre unter der Annahme eines weiterhin stark pro-europäisch und stabilitätsorientierten Frankreichs folgende Entwicklung für den EU-Haushalt realistisch gewesen: In weiter steigendem Maße hätte sich die EU im nächsten Finanzrahmen für europäische öffentliche Güter im Bereich Verteidigung, Ukrainehilfe, Migration und Klima engagieren können. Möglicherweise hätte ein sich reformierendes Frankreich auch die Skepsis Deutschlands und der Nordeuropäer gegen erneute schuldenfinanzierte Budgets überwinden können. Im Konzert mit den Südeuropäern war es das Ziel des Macron-Lagers, die Schulden-Konstruktion des ursprünglich als Ausnahme geplanten NextGenerationEU (NGEU), zu einem permanenten Element des EU-Finanzsystems fortzuentwickeln. Das französische Wahlergebnis hat diese Perspektive zerschlagen. Das Szenario einer über neue EU-Schulden finanzierten Ausweitung des EU-Haushalts ist aus drei Gründe unwahrscheinlicher geworden.

Erstens ist der trotz aller Differenzen im Detail bislang bestehende deutsch-französische Grundkonsens über die Ausrichtung des Integrationsprozesses so nicht mehr existent. Auch für die NFP ist das gemeinsame Handeln der EU kein Teil der Lösung, sondern eher eine ungebührliche Einschränkung französischer Souveränität. Die NFP steht dem zentralen Integrationsprojekt eines marktwirtschaftlich organisierten Binnenmarkts kritisch gegenüber und verfolgt nach außen einen dezidiert protektionistischen Kurs mit einer klaren Absage an Prinzipien des Freihandels. Zentrale Projekte, für die viele andere Mitgliedstaaten mehr EU-Geld mobilisieren wollen – Verteidigung und Ukrainehilfe – stoßen bei Frankreichs Linksblock nicht auf Sympathie. Angesichts dieser künftigen Meinungsverschiedenheiten zwischen Frankreich und seinen europäischen Partnern über die richtigen Ausgabeschwerpunkte ist ein Konsens über eine Budgetausweitung schwer vorstellbar.

Zweitens verschlechtert die nun unausweichliche Abkehr Frankreichs vom Reformkurs Macrons die Bonität Frankreichs und damit auch die der EU. Schon bei der Etablierung von NGEU war der Zinsaufschlag der EU-Anleihen gegenüber deutschen Staatsanleihen enttäuschend hoch. Die Kreditwürdigkeit der EU wird nicht durch eigene Einnahmequellen abgesichert, sondern durch die Bereitschaft der Mitgliedstaaten zur Beitragszahlung. Weil sich Frankreichs Kreditwürdigkeit mit der Hinwendung der französischen Wählerschaft in Richtung Fiskalpopulismus nun noch rascher in Richtung der Bonität Italiens bewegen dürfte, sinkt auch die EU-Kreditwürdigkeit weiter. All das spricht für steigende Zinskosten auch für die EU, auch wenn die EZB einer wirtschaftlich strauchelnden französischen Linksregierung durch neue Anleihekäufe Hilfestellung geben könnte. Dennoch ist damit zu rechnen, dass zusätzliche europäische Schulden wegen der hohen und unmittelbar wirksamen Zinsbelastung im EU-Haushalt an Attraktivität verlieren.

Drittens wird es politisch für Länder wie Deutschland, die Niederlande und Finnland immer schwerer, ihren eigenen Wählern gegenüber zusätzliche Finanzgarantien für andere Mitgliedstaaten zu vermitteln. Die NGEU-Verschuldung ist durch eine wechselseitige Haftung aller Mitgliedstaaten gekennzeichnet. Fallen die Beitragszahlungen eines Landes an die EU zur Verzinsung und Tilgung von EU-Schulden aus, dann müssen die anderen umso mehr Geld nachschießen. Dieser Haftungsverbund ist im derzeit gültigen Eigenmittelbeschluss für die NGEU-Schulden klar definiert. Diese über den EU-Haushalt konstruierte gesamtschuldnerische Haftung war politisch durchsetzbar, weil die Pandemie als unverschuldetes, exogenes Krisenereignis gewertet wurde. Diese Wahl steht nun hingegen für die Abkehr Frankreichs von einer Wirtschafts- und Europapolitik der fiskalischen Verantwortung. Die daraus folgende weitere Verschlechterung der französischen Staatsfinanzen ist eindeutig selbstverursacht. Es ist kaum denkbar, dass eine deutsche Bundesregierung die Finanzpolitik eines in den linken Fiskal-Populismus abdriftenden Frankreichs mit höheren deutschen Garantien für den EU-Haushalt absichern würde, ohne vom Wähler abgestraft zu werden.

Natürlich ist es eine alte Erfahrung mit Wahlsiegen von Parteien mit unrealistischen Wahlversprechen, dass sie nach der Regierungsübernahme viele ihrer Ankündigungen zumindest abmildern. Dies könnte nun auch für Frankreich gelten, wo der Linksblock über keine eigene Mehrheit verfügt. Dieser Einwand führt jedoch zu keiner fundamental anderen Bewertung. Frankreichs fiskalische Entwicklung war sogar schon im jetzt zugefallenen Reformfenster unter Macron instabil. Die nächste Regierung müsste fiskalisch eigentlich konservativer agieren als Macron bisher, um die Lage zu stabilisieren. Die NFP-Programmatik ist jedoch das genaue Gegenteil dessen, was Frankreich fiskalisch helfen und als Investitionsstandort wieder attraktiv machen könnte. Alle momentan vorstellbaren fiskalischen Kompromisse zwischen dem Macron-Lager und dem Linksblock würden die Lage der französischen Volkswirtschaft und ihrer Staatsfinanzen weiter destabilisieren.

Ein anderer Einwand gegen eine allzu pessimistische Sichtweise ist, dass die Kapitalmärkte oder die EU-Fiskalregeln die neue Regierung zur fiskalischen Vernunft zwingen wird. Auch das ist zweifelhaft. Die EZB hat mit ihren Zusagen, Zinsaufschläge im Euroraum einzudämmen, den Disziplinierungsdruck der Märkte weiter eingeschränkt. Auch könnte von einem zu starken Anstieg der französischen Spreads eine Destabilisierung der Staatsanleihemärkte in Südeuropa ausgehen. Hinzu kommt, dass der politische Druck auf die EZB groß sein dürfte, eine Linksregierung schon alleine deshalb zu stützen, weil sonst bei der nächsten Präsidentschaftswahl ein Wahlsieg des RN drohen könnte. Unabhängig von diesen politischen Kalkülen ist Frankreich aus Sicht der EZB jedoch ein klarer Fall von „too big to fail“, sodass eine populistische Finanzpolitik in Paris darauf hoffen kann, Hilfen der EZB zu erzwingen, wenn sich eine Schuldenkrise andeutet. Es rächt sich jetzt, dass die EZB mit ihrem Transmission Protection Instrument (TPI) im Grunde Blankoschecks für eine Begrenzung von Zinsaufschlägen ausgestellt hat und über keine Strategie verfügt, wie sie im Fall eines populistisch regierten großen Landes eine Aktivierung von TPI glaubwürdig ausschließen könnte. Dass der reformierte Stabilitäts- und Wachstumspakt französische Fiskalpopulisten zur Vernunft bringen könnte, ist wohl ebenfalls nur ein frommer Wunsch. Die Europäische Kommission hat eine notorisch schlechte Bilanz, die Regeln des Pakts gegen große Länder durchzusetzen. Die neuen Fiskalregeln bieten noch dazu derartig viel Interpretations- und Verhandlungsspielraum, dass ihre Glaubwürdigkeit sehr begrenzt sein dürfte. Auch hier ist mit einer fortschreitenden politisierten Auslegung der Regeln im Vorfeld der nächsten Präsidentschaftswahl in Frankreich und der Angst vor einem RN-Wahlsieg zu rechnen.

Das Wahlergebnis in Frankreich vom 7. Juli 2024 hat somit gravierende Konsequenzen. In Bezug auf den nächsten EU-Finanzrahmen dürfte es die bisherigen Träume über neue schuldenfinanzierte EU-Budgets in weitere Ferne rücken lassen. Wer das vorschnell als positiven Nebeneffekt einer ansonsten gefährlichen Entwicklung interpretiert, der übersieht eine ganz eindeutig negative fiskalische Konsequenz: Die seit Langem wünschenswerte Neuausrichtung der europäischen Ausgaben auf europäische Aufgaben rückt mit einer europaskeptischen Linksregierung in Frankreich in weite Ferne. Europa dürfte daher weiterhin unfähig bleiben, in nennenswertem Maße Finanzmittel für die echten europäischen öffentlichen Güter zu mobilisieren. Die EU könnte damit in einen Teufelskreis gelangen: Sie kann die europäische Herausforderungen nicht lösen; dies frustriert die Wählerschaft, die sich in Enttäuschung immer weiter vom Integrationsprojekt abwendet.

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© Der/die Autor:in 2024

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Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2024-0113

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