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Zu wenige institutionelle Anleger sind bereit, in junge und innovative Unternehmen zu investieren. Das hemmt die langfristigen Wachstumsaussichten der deutschen Wirtschaft. Stattdessen halten institutionelle Anleger in Deutschland konservativere Portfolios als ihre europäischen Pendants, da sie besonders stark in Anleihen investieren. Eine ergänzende, kapitalgedeckte Altersvorsorge aufzubauen und Hindernisse für Investitionen in risikoreichere, aber wachstumsfördernde Aktivitäten abzubauen, kann dabei helfen, langfristig mehr Wachstumskapital zu mobilisieren.

Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Phase anhaltender Stagnation. Während das Wachstum im EU-Vergleich vor der COVID-19-Pandemie stark war, fiel es danach besonders schwach aus. Wie kommen wir aus dieser Flaute heraus? Die öffentliche Debatte konzentriert sich zum Großteil auf schwache Investitionen, Anreize und Innovationen. Aber es gibt immer zwei Seiten der Wirtschaft – die Realwirtschaft und die Finanz­wirtschaft. Auch die besten unternehmerischen Ideen und zukunftsweisenden Investitionsprojekte werden nicht zu tatsächlichem Wachstum führen, wenn sie nicht finanziert werden. Deutschland braucht mehr Investitionen in junge und innovative Unternehmen. Diese Unternehmen werden sich wahrscheinlich nicht aus den traditionellen Quellen wie Bankkrediten finanzieren, die in den letzten Jahrzehnten für die deutsche Wirtschaft von zentraler Bedeutung waren. Stattdessen braucht Deutschland dafür einen stärkeren Kapitalmarkt.

Eine umfassende Literatur im Bereich der Unternehmensfinanzierung und Makroökonomie macht deutlich, dass Kapitalmärkte generell besser als Banken geeignet sind, Unternehmen mit hohen Risiken und wenigen Sicherheiten zu finanzieren. Dies gilt insbesondere für Start-ups, die wichtige Triebkräfte von innovationsbasiertem Wachstum sind (z. B. durch die Entwicklung neuer Produkte oder die Verbesserung bestehender Technologien). Deren zumeist immaterielle Vermögenswerte sind für Banken als Kreditsicherheiten eher wenig geeignet (Bates et al., 2009; Dell’Ariccia et al., 2021). Neugründungen müssen zudem externe Mittel aufbringen, um in der Anfangsphase die Kosten für FuE-Aktivitäten und später für das Unternehmenswachstum zu decken. Gerade jenen Segmenten des deutschen Kapitalmarkts, die für innovative Wachstumsunternehmen besonders wichtig sind, wie der Wagniskapital- oder der IPO (Initial Public Offering)-Markt, fehlt es oft an der notwendigen Tiefe und Liquidität. In Deutschland mangelt es zum einen an großen institutionellen Anlegern wie Pensionsfonds, zum anderen investieren die bestehenden institutionellen Anleger eher konservativ in Anleihen statt in Aktien.

Es gibt im Wesentlichen zwei Gruppen von institutionellen Anlegern, die für die Tiefe und Liquidität des Kapitalmarktes entscheidend sind: Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds. Sie bündeln große Mengen an Mitteln, die für die langfristigen Kapitalanlagen zur Verfügung stehen. Aufgrund ihrer Größe können Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds in größerem Umfang in risikoreichere Projekte investieren und trotzdem ein gut diversifiziertes Vermögens­portfolio aufrechterhalten. Darüber hinaus zeigen Daten aus Dänemark, dass sich Investitionen von Pensionsfonds durch deren langfristiges Engagement positiv auf die Produktivität von Unternehmen auswirken (Pozzoli et al., 2022).

Die deutsche Versicherungswirtschaft ist groß: Ihre Vermögenswerte machen rund 65 % des BIP aus. Die Portfoliozusammensetzung der deutschen Versicherungsunternehmen ist jedoch eher konservativ, wie Abbildung 1 zeigt. Im Jahr 2022 waren etwa ein Drittel ihrer Vermögenswerte in Eigenkapitalbeteiligungen einschließlich Private Equity investiert, während Staats- und Unternehmensanleihen mehr als 40 % ausmachten. Im Vergleich dazu weisen Versicherungsunternehmen in skandinavischen Ländern einen viel größeren Portfolioanteil risikoreicher Vermögenswerte, wie Aktien, Private Equity und Hedgefonds, auf. Die Portfoliozusammensetzung deutscher Versicherungsgesellschaften ist mit jener ihrer französischen und italienischen Pendants vergleichbar.

Abbildung 1
Portfoliozusammensetzung von Versicherungsunternehmen in ausgewählten europäischen Ländern, 2022
Portfoliozusammensetzung von Versicherungsunternehmen in ausgewählten europäischen Ländern, 2022

Die Kategorie Anleihen ist nicht weiter untergliedert. Grundstücke und Gebäude umfassen Immobilienfonds. Darlehen umfassen Hypotheken. Bargeld und Einlagen umfassen Geldmarktfonds.

Quelle: European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA), Berechnungen der Autoren.

Ein möglicher Grund für die sehr konservative Anlagestrategie liegt in der Art der Produkte, die deutsche, französische oder italienische Lebensversicherungen verkaufen. Bei traditionellen Lebensversicherungen erhält der oder die Versicherte eine garantierte Rendite plus eine Überschussbeteiligung. Das Versicherungsunternehmen wählt aus, wie sie das Vermögen verwaltet und trägt das finanzielle Risiko. Diese Portfolios bestehen überwiegend aus risikoarmen festverzinslichen Anlagen wie Staatsanleihen. Dies stellt sicher, dass sie eine Mindestrendite erzielen, ohne ein großes Risiko einzugehen. Index- und fondsgebundene Versicherungen bieten dagegen keine garantierte Rendite, sondern eine Auswahl verschiedener Anlagerisiken und -erträgen. Der Versicherungs­nehmer oder die Versicherungsnehmerin trägt das Risiko einer niedrigen Anlagerendite. Während die Rückstellungen für index- und fondsgebundene Lebensversicherungen in Deutschland, Italien und Frankreich 10 % bis 25 % der Verbindlichkeiten aller Versicherer ausmachen, sind es in Schweden und Finnland über 60 %. Betrachtet man die 30 Länder des Europäischen Wirtschaftsraums, so zeigt sich in Abbildung 2 ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Anteil risikoreicher Vermögenswerte, in die Versicherungsunternehmen investieren, und den Rückstellungen für Lebensversicherungen im Verhältnis zu den Gesamtverbindlichkeiten. Diese Rückstellungen geben einen Hinweis auf die Höhe der Lebensversicherungen ohne garantierte Rendite.

Abbildung 2
Risikobehaftete Vermögenswerte und Rückstellungen für nicht garantierte Lebensversicherungen

Q4/2022

Risikobehaftete Vermögenswerte und Rückstellungen für nicht garantierte Lebensversicherungen

30 Länder des Europäischen Wirtschaftsraums, risikoreiche Vermögenswerte definiert als Aktien, Hedge-Fonds und Private-Equity-Fonds. Technische Rückstellungen für index- und fondsgebundene Lebensversicherungen im Verhältnis zu den Gesamtverbindlichkeiten.

Quelle: EIOPA.

Die zweite wichtige Gruppe von institutionellen Anlegern sind Pensionsfonds. Im Vergleich zu ihren Pendants im Ausland sind die deutschen Pensionsfonds im Verhältnis zum BIP sehr klein und investieren konservativ. Im Jahr 2022 machte das Vermögen der privaten Pensionsfonds weniger als 10 % des deutschen BIP aus (vgl. Abbildung 3) und nur 12 % ihres Vermögens waren 2022 in Aktien und anderen Eigenkapitalbeteiligungen angelegt. Dies steht im Gegensatz zu Volkswirtschaften, wie den Niederlanden, der Schweiz und Schweden, in denen die Vermögenswerte zwischen knapp 100 % und 150 % des BIP ausmachen, wobei der Aktienanteil nach Angaben der OECD zwischen 25 % und 50 % liegt. Selbst in Ländern mit einem ähnlich großen Pensionsvermögen wie Deutschland, z. B. in Frankreich, Italien oder Spanien, ist der Anteil der Aktienanlagen wesentlich höher.

Abbildung 3
Anlagevermögen der privaten Pensionsfonds in der OECD, 2022
Anlagevermögen der privaten Pensionsfonds in der OECD, 2022

BE = Belgien, CH = Schweiz, DE = Deutschland, DK = Dänemark, ES = Spanien, FI = Finnland, FR = Frankreich, IE = Irland, JP = Japan, NL = Niederlande, NO = Norwegen, PL = Polen, SE = Schweden, UK = Großbritannien. Gewichteter Durchschnitt der EU27 ohne Zypern. Unter Verwendung der Daten für 2021 für Belgien und die Schweiz. Nicht autonome betriebliche Altersversorgungssysteme sind nicht enthalten.

Quelle: OECD, eigene Berechnungen.

Diese länderspezifischen Unterschiede spiegeln vor allem die Unterschiede in den Rentensystemen wider: Während andere Länder – zumindest teilweise – zu einer kapitalgedeckten Rentenversicherung übergegangen sind (z. B. Schweden, Schweiz, Dänemark), setzt Deutschland weiterhin überwiegend auf das Umlagesystem. In diesem System finanzieren die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern direkt die Rentenbezüge der älteren Menschen. Daher gibt es kaum Kapitalbildung.

Die Notwendigkeit größerer Pensionsfonds in Deutschland geht über ihre wichtige Rolle auf den Kapitalmärkten hinaus. Wie der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Jahresgutachten (SVR, 2023) betont, würde der Ausbau einer ergänzenden kapitalgedeckten Altersvorsorge angesichts der erheblichen demografischen Herausforderungen eine nachhaltigere Finanzierung ermöglichen als das Umlagesystem. Darüber hinaus könnte eine solche kapitalgedeckte Altersvorsorge die derzeit staatlich geförderte „Riester-Rente“ ersetzen (Nöh et al., 2024). Diese hat sich als teuer erwiesen und wirft aufgrund nicht benötigter Garantien nur geringe Renditen ab (Stotz, 2017; Bucher-Koenen et al., 2019).

Schließlich kann die Stärkung von Pensionsfonds dazu beitragen, die Corporate Governance der Unternehmen zu verbessern und damit deren Wert zu steigern. Pensionsfonds sind häufig aktive Investoren, die in den Unternehmen, in die sie investieren, Kontrollrechte ausüben (z. B. durch Vertreter:innen im Verwaltungsrat oder durch Teilnahme an Haupt­versammlungen). Empirische Studien deuten darauf hin, dass der Marktwert von Unternehmen anstieg, wenn sie etwa die Vorschläge des California Public Employees‘ Retirement System (CalPERS) annahmen und ihre Unternehmensführung entsprechend anpassten (Smith, 1996). Evidenz aus Schweden deutet auf eine ähnliche Wirkung von Investitionen öffentlicher oder unabhängiger Pensionsfonds auf den Unternehmenswert hin (Giannetti & Laeven, 2009). All diese Gründe ergänzen die ursprüngliche kapitalmarktbasierte Motivation, dass die private Altersvorsorge im Laufe der Zeit große „Kapitalsammelstellen“ schafft, die insbesondere den derzeit eher illiquiden Marktsegmenten, wie dem IPO- oder Wagniskapitalmarkt, Liquidität und Tiefe verleihen würden.

Zudem könnte Deutschland eine Lockerung der quantitativen Anlagegrenzen in Erwägung ziehen, von denen einige auf staatlicher Ebene festgelegt sind. Dies sollte größere Investitionen von Pensionsfonds in Private Equity und Wagniskapital fördern. Das Beispiel der USA zeigt, dass eine stärkere Beteiligung von Pensionsfonds eine wichtige Triebkraft für die Entwicklung der Wagniskapitalmärkte sein kann. So stiegen die Wagniskapital­investitionen von Pensionsfonds sprunghaft an, nachdem der Employment Retirement Savings Investment Act im Jahr 1978 dahingehend geändert worden war, dass zu Zwecken der Portfoliodiversifikation auch in risikoreichere Anlageformen investiert werden durfte. Dadurch konnten Pensionsfonds bis zu 10 % ihres Vermögens in Wagniskapitalfonds als Teil eines diversifizierten Portfolios investieren. In der Folge stiegen die jährlichen Wagniskapitalinvestitionen von Pensionsfonds von 100 Mio. bis 200 Mio. US-$ in den 1970er Jahren auf mehr als 4 Mrd. US-$ Ende der 1980er Jahre (Gompers, 1994; Gompers & Lerner, 1999).

Schlussfolgerung

Institutionelle Anleger sind der Schlüssel zur Entwicklung der Kapitalmärkte. In Deutschland sind diese eher schwach. Das ist zu einem großen Teil auf im internationalen Vergleich sehr kleine Pensionsfonds in Deutschland und die konservative Anlagestrategie der deutschen Versicherer zurückzuführen. Die Politik sollte die regulatorischen Hindernisse für Investitionen in risikoreichere, aber wachstumsfördernde Aktivitäten für institutionelle Anleger abbauen. Gleichzeitig könnte eine ergänzende kapitalgedeckte Altersvorsorge zu größeren Pensionsfonds führen, die größere und bis zu einem gewissen Grad risikoreichere Investitionen tätigen können.

Literatur

Bates, T. W., Kahle, K. M. & Stulz, R. M. (2009). Why do U.S. firms hold so much more cash than they used to? Journal of Finance, 64(5), 1985–2021.

Bucher-Koenen, T., Riedler, J. & Weber, M. (2019). Kapitalanlage eines staatlich organisierten Altersvorsorgefonds. (ZEW Gutachten für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv)). ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung.

Dell’Ariccia, G., Kadyrzhanova, D., Minoiu, C. & Ratnovski, L. (2021). Bank lending in the knowledge economy. Review of Financial Studies, 34(10), 5036–5076.

Giannetti, M. & Laeven, L. (2009). Pension reform, ownership structure, and corporate governance: Evidence from a natural experiment. Review of Financial Studies, 22(10), 4091–4127.

Gompers, P. A. (1994). Der Aufstieg und Fall des Risikokapitals. Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte, 1–26.

Gompers, P. A. & Lerner, J. (1999). What drives venture capital fundraising? NBER Working Paper, 6906. National Bureau of Economic Research.

Nöh, L., Schaffranka, C. & Werding, M. (2024). Ergänzende Kapitaldeckung der Altersvorsorge: Gründe, Gestaltungsoptionen und Auswirkungen. Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 25(1), 28–44.

Pozzoli, D., Jensen, S. E. H., Pinkus, D. & Beetsma, R. (2022). Pension fund investments raise firm productivity and innovation.

Smith, M. P. (1996). Shareholder activism by institutional investors: Evidence from CalPERS. Journal of Finance, 51(1), 227–252.

Stotz, O. (2017). Garantiekosten in der Altersvorsorge 2017 – Update der Garantiekostenstudie. Frankfurt School of Finance & Management.

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. (2023). Wachstumsschwäche überwinden – In die Zukunft investieren. Jahresgutachten 2023/24.

Title:Strengthening Capital Markets: Germany Needs More Institutional Investors

Abstract:Too few institutional investors are prepared to invest in young and innovative companies. This hampers the long-term growth prospects of the German economy. Instead, institutional investors in Germany hold more conservative portfolios than their European counterparts, investing heavily in bonds. Building up supplementary funded pensions and removing barriers to investing in riskier but growth-enhancing activities can help mobilise more growth capital in the long term.

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© Der/die Autor:in 2024

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2024-0141