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Ich bin ein fauler Ökonom und ständig auf der Suche nach neuen Methoden, Instrumenten und Software, die meine Arbeit erleichtern. Ein spannender Bereich ist derzeit die auf künstlicher Intelligenz (KI) basierende Anwendung ChatGPT. Als Large Language Model (LLM) ist es naheliegend, ChatGPT in der Textanalyse einzusetzen. Wir haben einen „ChatECB-Indikator“ entwickelt, der die EZB-Zinsprognose unterstützt, indem Reden und Interviews der EZB-Ratsmitglieder analysiert und von „taubenhaft“ bis „falkenhaft“ klassifiziert werden. Das ermöglicht einen besseren Überblick über die Stimmung im Rat, was neben anderen Prognoseinstrumenten gute Hinweise auf bevorstehende Änderungen der Geldpolitik liefert.

Die KI-basierte Textanalyse bietet zwei wesentliche Vorteile: Erstens können wir alle Reden der EZB-Ratsmitglieder auswerten, was ohne Hilfsmittel kaum möglich ist. Zweitens bietet die KI eine gewisse Objektivität, da Kommentare anhand eines konstanten Bewertungsschemas interpretiert werden. Wir füttern ChatGPT mit den Reden und Interviews früherer und heutiger Ratsmitglieder seit 1999, die wir mittels eines Webcrawlers gesammelt haben. In einem ersten Schritt selektiert die KI, ob eine Rede relevant für das Verständnis des geldpolitischen Kurses ist. Dabei werden allgemeine Reden, etwa über den digitalen Euro, aussortiert. In einem zweiten Schritt werden relevante Reden und Interviews von ChatGPT in das erwähnte Spektrum von „taubenhaft“ bis „falkenhaft“ klassifiziert. ChatGPT greift dabei auf sein erworbenes Wissen zurück, das es aus einem umfangreichen Textdatensatz aus verschiedenen Quellen im Internet erlangt hat. Zu den Trainingsdaten gehören Bücher, Artikel, Websites und andere geschriebene Formate, die sich auch mit der Klassifikation des Tonfalls der Reden von EZB-Ratsmitgliedern beschäftigen. Zusätzlich haben wir der KI die Einschätzung unserer Analysten bereitgestellt, damit sie die Reden der EZB-Vertreter besser einordnen kann. Auf Basis dieser Informationen werden die einzelnen Reden mit einem Wert zwischen -1 (extrem taubenhaft) und +1 (extrem falkenhaft) bewertet.

Wie jedes Analyse-Tool ist der ChatECB-Indikator nicht perfekt, signalisiert aber oft schon Monate vor der tatsächlichen Zinswende eine Änderung der Geldpolitik. Die erste Zinssenkung im Juni 2024 hat der Indikator frühzeitig signalisiert. Schließlich war der Indikator seit Ende 2022 deutlich gefallen und hat damit angezeigt, dass der Tonfall im EZB-Rat angesichts der sinkenden Inflation merklich taubenhafter wurde. Interessant ist, dass der Indikator am aktuellen Rand die Feinheiten der Kommunikation zur Geldpolitik wahrnimmt und zuletzt wieder leicht gestiegen ist. Einzelne Ratsmitglieder haben sich konservativer geäußert, als die Kerninflation sich seit Mai bei knapp 3 % stabilisierte. Insofern deutet unser Indikator auf weitere Zinssenkungen hin, die jedoch eher vorsichtig ausfallen dürften.

Natürlich gibt es noch weitere Möglichkeiten, diese KI-Applikation bei der volkswirtschaftlichen Analyse zu nutzen. Doch welche Aufgaben sollte man an die KI übertragen? Eine zielführende Heuristik lautet: Tätigkeiten, die mindestens dreimal ausgeführt werden, können an eine KI übertragen werden. Weitere Ansatzpunkte stellen zeit­intensive oder enervierende Tätigkeiten dar. Denkanstöße sowie einen Überblick über mögliche Anwendungsfelder liefert Korinek (2023). Um gute Ergebnisse zu erzielen, sind zwei Dinge grundlegend: Erstens sollte ChatGPT als Partner verstanden werden, nicht als Suchmaschine. Man interagiert mit der KI, entwickelt gemeinsam Ideen und tauscht sich während des Arbeitsprozesses aus – nicht umsonst beinhaltet das Akronym „ChatGPT“ den Begriff „Chat“. Zweitens ist das „Prompting“ entscheidend, also die Beschreibung des Auftrags, den ChatGPT erfüllen soll. Der richtige Befehl hilft der KI, hochwertige Ergebnisse zu liefern (eine Einführung in diese Themen bietet Birss (2024)).

Trotz aller Vorteile gibt es auch Risiken bei der Verwendung von GPT-Modellen. Neben potenziell vorurteilsbehafteten oder diskriminierenden Aussagen sowie Gefahren hinsichtlich Datenschutz, Verantwortung und Haftbarkeit kann die KI Schwierigkeiten haben, sprachliche und kontextuale Nuancen zu erkennen. Dies kann zu Fehlinterpretationen und falschen Informationen führen. Z. B. antwortete die KI auf eine Frage zu den konjunkturellen Auswirkungen von Notenbankverlusten, ohne zwischen Geschäftsbanken und Notenbanken zu unterscheiden, für die Verluste weitgehend unerheblich sind. Daher ist es wichtig, KI-Anwendungen mit einem kritischen und aufmerksamen Verstand zu nutzen.

Dieser Kommentar wurde im Übrigen teilweise mit Hilfe von ChatGPT erstellt. Ich bin eben ein fauler Ökonom …

Literatur

Birss, D. (2024). How to Research and Write Using Generative AI Tools.

Korinek, A. (2023). Generative AI for Economic Research: Use Cases and Implications for Economists. Journal of Economic Literature, 61(4), 1281–1317.

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© Der/die Autor:in 2024

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2024-0154