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Spätestens mit Christian Lindners Äußerung „mehr Milei und Musk wagen“ hielt der exzentrische argentinische Staatspräsident Javier Milei Einzug in den deutschen Bundestagswahlkampf. Die Aussage wurde vielfach kommentiert und sorgte nicht zuletzt aufgrund der in Europa mit Argwohn betrachteten Sympathie zwischen Milei, Trump und Musk für Entrüstung. Wirtschaftspolitisch lohnt sich jedoch ein differenzierter Blick auf das südamerikanische Land.

Argentinien zählte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den reichsten Ländern der Welt. Seit Mitte des letzten Jahrhunderts befindet sich das Land in einer Abwärtsspirale, leidet unter hohen Inflationsraten, wiederholten Staatspleiten und steigender Armut – trotz seines Reichtums an Rohstoffen und seltenen Erden sowie landwirtschaftlichen Produkten. Milei, der als politischer Außenseiter im Wahlkampf mit Löwenmähne, Lederjacke und Kettensäge auftrat und der den wuchernden Staatsausgaben und der Korruption den Kampf ansagte, hat tiefgreifende Wirtschaftsreformen angestoßen. Bei seiner Antrittsrede führte der argentinische Wirtschaftsminister Luis Caputo an, das Hauptproblem Argentiniens seien das seit anderthalb Jahrzehnten ununterbrochen bestehende Haushaltsdefizit und die damit einhergehenden ausufernden Finanzierungskosten an den internationalen Finanzmärkten aufgrund des hohen Länderrisikos. Den Fokus legte die Regierung vom ersten Tag an auf die Senkung der Staatsausgaben und die Deregulierung der Wirtschaft: die Ministerien wurden von 18 auf acht reduziert, zahlreiche Behörden auf Effizienz und Sinnhaftigkeit überprüft. Im ersten Jahr baute die Regierung 36.000 staatliche Stellen ab, kürzte Subventionen in den Bereichen Energie und Transport deutlich und setzte umfassende Deregulierungen beispielsweise im Außenhandel, Arbeitsrecht, Transport, Flugverkehr, Bankwesen und auf dem Mietmarkt um. Die Staatsausgaben konnten somit inflationsbereinigt um 29 % gesenkt werden.

Nach einem Jahr hat die Regierung eine Reihe von makroökonomischen Erfolgen vorzuweisen. Erstmals seit 16 Jahren konnte das Haushaltsjahr 2024 mit einem moderaten Überschuss von schätzungsweise 0,2 % bis 0,3 % des BIP abgeschlossen werden. Die Inflation, die im Dezember 2023, dem Monat des Amtsantritts, bei 25,5 % lag, sank auf 2,4 % im November 2024. Das Jahr 2024 schließt somit nach ersten Schätzungen mit einer jährlichen Teuerungsrate von 118 % – für uns Deutsche ein unvorstellbar hoher Wert – jedoch konnte die Inflationsspirale nach 211,4 % im Jahr 2023 zumindest verlangsamt werden. Das Länderrisiko, das nach dem Sieg des Peronisten Sergio Massa im ersten Wahlgang im Oktober 2023 sprunghaft auf 2611 Punkte gestiegen war, sank zu Mileis Amtsantritt am 10. Dezember 2023 auf 1930 Punkte und lag am 2. Januar 2025 bei nur noch 610 Punkten. Nach 14 Jahren konnte das Land erstmals wieder eine positive Handelsbilanz im Energiesektor nachweisen. Im Wirtschaftsfreiheitsindex der (konservativen) Heritage Foundation landete Argentinien im Jahr 2023 lediglich auf Platz 145. In Lateinamerika schnitten nur Kuba, Venezuela und Bolivien noch schlechter ab. Ersten Prognosen zufolge könnte Argentinien im Index des Jahres 2024 um über 60 Plätze aufsteigen, was den Deregulierungsmaßnahmen zuzuschreiben wäre.

Das Projekt Milei weist jedoch auch erhebliche Schattenseiten auf. Für die makroökonomische Stabilität wird eine tiefe Rezession mit einem Rückgang der Produktionskapazitäten um 7 % in Kauf genommen. In manchen Industrien (Automobilsektor und Bauwirtschaft) fiel der Rückgang sogar mehr als doppelt bzw. dreimal so hoch aus. Im ersten Halbjahr 2024 schrumpfte das BIP um 3,4 %. In der Folge reduzierten sich die inflationsbereinigten Steuereinnahmen um 7 %. Arbeitsplätze gingen verloren, die Armut stieg auf über 50 %. Im dritten Trimester 2024 konnte die Wirtschaft jedoch eine Erholung und ein Wachstum von 1,7 % verzeichnen. Prognosen für 2025 sehen ein Wachstum von 5 % voraus. Es stellt sich allerdings die für den sozialen Frieden im Land existenzielle Frage, wie schnell sich die nominale Erholung auf den Arbeitsmarkt und den produktiven Sektor auswirken wird.

Schließlich ist der Politikstil des Staatspräsidenten mehr als fragwürdig. Politische Gegner und kritische Journalisten werden regelmäßig verbal erniedrigt, beschimpft und öffentlich an den Pranger gestellt. Die fehlenden Mehrheiten im Nationalkongress sucht der Präsident mit dem inflationären Gebrauch von Notstandsdekreten zu umgehen. Die Unberechenbarkeit Mileis erschwert trotz deutlichem Bekenntnis der Regierung zum liberalen Westen die internationale Zusammenarbeit mit den Wunschpartnern. Verbale Attacken gegen demokratisch gewählte Staatsoberhäupter und der ausgerufene Kulturkampf gegen alles Linksideologische stellt Werte infrage, die im liberalen Westen tief verankert sind. Trotz des Diskurses gegen Vetternwirtschaft ist Mileis Schwester Karina als Leiterin des Präsidialamts mit steigender Machtfülle neben ihm die mächtigste Person im Staat. Das Projekt Milei ist nicht frei von Widersprüchen.

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© Der/die Autor:in 2025

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DOI: 10.2478/wd-2025-0002