Im Zuge der Energiewende gewinnt grüner Wasserstoff als emissionsarmer Energieträger und Industrieinput zunehmend an Bedeutung. Insbesondere Norddeutschland mit seinen umfangreichen Wind- und Solarressourcen bietet ideale Voraussetzungen für die Erzeugung erneuerbaren Stroms und dessen Umwandlung in Wasserstoff. Eine auf Wasserstoff basierende Infrastruktur könnte in energieintensiven Sektoren wie Chemie, Stahl und Kupfer fossile Brennstoffe substituieren und so zur Erreichung nationaler und europäischer Klimaziele beitragen.
In dem vorliegenden Beitrag diskutieren wir die volkswirtschaftlichen Effekte des Ausbaus einer Wasserstoffwirtschaft in Norddeutschland basierend auf den Arbeitspapieren von Lagemann und Sacht (2025) sowie Sacht und Wedemeier (2025). Die jeweiligen Simulationsergebnisse wurden mit dem HWWI-eigenen CGE (Computable General Equilibrium)-Modell hergeleitet. Die Modellannahmen sehen vor, dass bis zum Jahr 2030 erhebliche Kapazitäten für Wind- und Solarstrom aufgebaut werden, um Elektrolyseure durchgängig mit erneuerbarer Energie zu versorgen. In einem zweiten Schritt wird in den genannten Industriebranchen Erdgas durch Wasserstoff ersetzt. Da Wasserstoff in der aktuellen Marktsituation teurer ist als fossiles Erdgas, entsteht zunächst eine signifikante Preisdifferenz, die gemäß der in den oben genannten Studien diskutierten Annahmen und präsentierten Simulationsergebnisse aller Voraussicht nach auch bis 2045 nicht gänzlich geschlossen sein wird.
Laut den Ergebnissen der Studie von Lagemann und Sacht (2025) kann eine solche kostspielige Transformation in der Industrieproduktion weg von der Nutzung von Inputfaktoren wie Erdgas hin zu Wasserstoff für die betroffenen Unternehmen, vornehmlich in der Chemieindustrie, im norddeutschen Raum (Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg sowie Niedersachsen) in den kommenden zwanzig Jahren zu einem durchschnittlichen Rückgang des Produktionswerts über alle Regionen hinweg führen. Die Stahl- und Kupferindustrie wären ebenfalls von leicht negativen Effekten betroffen. Dagegen könnten das Baugewerbe sowie das übrige Verarbeitende Gewerbe leicht von erhöhten Investitionen in den Ausbau von Elektrolyseanlagen, erneuerbare Energien und Netzinfrastruktur profitieren (Abbildung 1).
Abbildung 1
Änderung des Produktionswerts von 2024 bis 2045 nach Industrien
in %


Ohne zusätzliche Deregulierung.
Quelle: eigene Darstellung.
Regional betrachtet ergeben sich allerdings unterschiedliche Gesamtwirkungen (siehe auch Sacht, 2024). In Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein überwiegen aufgrund einer erhöhten Investitionstätigkeit im Zuge des Ausbaus der Erzeugung von erneuerbaren Energieträgern und der damit einhergehenden Verringerung des Strompreises die positiven Impulse, sodass Bruttoinlandsprodukt (BIP) und Beschäftigung dort ansteigen. Negative Auswirkungen auf beide Größen ergeben sich jedoch für Bremen, Hamburg und Niedersachsen.
Die Produktion und Nutzung von Wasserstoff ist von einer weitreichenden Regulatorik betroffen, die zu großen Unsicherheiten sowohl für die Produzenten als auch für die Nutzer von Wasserstoff führt. Selbst wenn die rechtliche Situation diesbezüglich verbessert werden kann, bleibt eine deutliche Lücke zwischen dem zukünftigen Wasserstoffpreis und dem von fossilen Ressourcen bestehen. Es stellt sich somit die Frage, inwieweit sich eine effizientere Verteilung des Wasserstoffs zwischen den norddeutschen Regionen volkswirtschaftlich auswirkt. Das geplante Wasserstoffkernnetz würde die Möglichkeit für eine solche Verteilung schaffen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen einen effizienten Betrieb ermöglichen und keine übermäßigen regulatorischen Hürden bestehen. Beispiele hierfür sind eine Reduzierung der bürokratischen Anforderungen für die Instandhaltung des Wasserstoffkernnetzes oder eine Lockerung gesetzlicher Bestimmungen, die den Ausbau des Wasserstoffkernnetzes aufgrund von Gerichtsurteilen behindern könnten. Es wird davon ausgegangen, dass diese Art der Deregulierung den Wasserstoffhandel zwischen den norddeutschen Regionen über das entsprechende Kernnetz effizienter macht und somit den Handelspreis für Wasserstoff senkt. Lagemann und Sacht (2025) unterstellen demzufolge in diesem Szenario eine Reduktion des Entgelts für die Nutzung des Kernnetzes um 50 % gegenüber der derzeitigen Verteilung von Wasserstoff. Die folgend vorgestellten Simulationen fußen demnach auf der zentralen Annahme, dass das geplante Wasserstoffkernnetz bis 2045 auch tatsächlich realisiert wird.
Die Durchführung zusätzlicher Deregulierungsmaßnahmen nach 2030 hat das Potenzial, zu einem (sehr) geringen konjunkturellen Aufschwung in allen norddeutschen Regionen zu führen, wie Abbildung 2 verdeutlicht. Der Grund liegt darin, dass die Preislücke zwischen Wasserstoff und fossilen Energieträgern durch die unterstellte Absenkung des Wasserstoffkernnetzentgelts im Zeitverlauf bis 2045 stärker abgebaut wird. In der Folge fällt die Energietransformation in der Produktion weniger kostspielig aus. Die Unterschiede in den prognostizierten Änderungsraten der makroökonomischen Variablen bei bestehender und fehlender zusätzlicher Deregulierung sind signifikanter Natur. Abbildung 2 verdeutlicht, dass zusätzliche Deregulierungsanstrengungen positivere Effekte auf die Beschäftigung entfalten, als wenn diese unterlassen werden. Ähnliche Befunde gelten auch für das BIP. Bezogen auf den unterstellten Untersuchungszeitraum von 2024 bis 2045 ergeben sich zudem einheitlich positive Beschäftigungseffekte. Während im Basisszenario mit fehlender zusätzlicher Deregulierung lediglich in Mecklenburg-Vorpommern (MV) und Schleswig-Holstein (SH) Anstiege in der gesamtregionalen Beschäftigung aufgrund verstärkter Investitionsaktivitäten in der Wasserstoff- und regenerative Energieproduktion zu verzeichnen sind, trifft dies bei Vereinfachung der Regulierung auch auf die restlichen drei Bundesländer Bremen (HB), Hamburg (HH) sowie Niedersachsen (NI) zu.
Abbildung 2
Änderung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsstellen von 2024 bis 2045
in %


Nach Bundesländern; ohne und mit zusätzlicher Deregulierung bzw. vereinfachter Regulierung.
Quelle: eigene Darstellung.
Die Transformation hin zu einer norddeutschen Wasserstoffwirtschaft birgt volkswirtschaftliche Belastungen aufgrund höherer Inputkosten, insbesondere in der energieintensiven Chemie- und Metallindustrie und führt zu Rückgängen von BIP und Beschäftigung. Eine strategische Deregulierung des geplanten Wasserstoffkernnetzes, die Netzentgelte um die Hälfte reduziert und bürokratische Hürden abbaut, kehrt das Bild jedoch um. Dann profitieren alle norddeutschen Länder von dauerhaft positiven Beschäftigungsentwicklungen. Demnach sollten Politik und Regulierungsbehörden die rechtlichen Rahmenbedingungen für Netzbetrieb und -ausbau entsprechend gestalten und somit das volle Potenzial einer regional integrierten Wasserstoffwirtschaft heben.
Die vorliegende Publikation ist im Zuge der Mitarbeit des HWWI an den Projekten „Norddeutsches Reallabor (NRL)“ (gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie; Förderkennzeichen 03EWR007A-V) sowie „hydrogen for Bremen’s industrial transformation“ (hyBit) (gefördert durch das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt; Förderkennzeichen 03SF0687A) entstanden.
Literatur
Lagemann, A. & Sacht, S. (2025). The Effects of Establishing a Hydrogen Industry in Northern Germany. HWWI Working Paper Series, Nr. 3, Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut.
Sacht, S. (2024). Mind the Gap! Potenzielle Preisentwicklung von Wasserstoff in Norddeutschland. Wirtschaftsdienst, 104(6), 431–432.
Sacht, S. & Wedemeier, J. (2025). On Bremen’s Industrial Transformation: The Role of Hydrogen in Production. HWWI Working Paper Series, Nr. 1, Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut.