Einkommenschwächere Regionen in Deutschland werden durch Ausgleichsmechanismen unterstützt. Dazu zählen der Länderfinanzausgleich, dessen Ergebnisse jährlich veröffentlicht werden, sowie die Regional- und Strukturförderung der EU. Weniger beachtet werden die regionalen Verteilungswirkungen durch die Einnahmen und Ausgaben der Arbeitslosenversicherung. Ein expliziter Finanzausgleich ist in der Verfassung oder in den Landesgesetzen verankert. Darüber hinaus ergibt sich ein impliziter Finanzausgleich aus der räumlichen Verteilung von Einnahmen und Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit (BA), für den es keine explizite Regelung mit vorgegebener Ausgleichsorientierung gibt. Er entsteht dadurch, dass wirtschaftlich starke Regionen mit niedriger Arbeitslosigkeit mehr Beiträge einnehmen als Leistungen erhalten. Dadurch werden Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit unterstützt, die mehr Leistungen empfangen als Beiträge zahlen.1
Häufig steht nicht der regionale Ausgleich durch die Arbeitslosenversicherung im Vordergrund, sondern ihre ausgleichende Wirkung im Konjunkturverlauf, also die gesamtwirtschaftliche Rolle. Der Auf- und Abbau der Rücklage der BA bzw. die Gewährung eines zinslosen Darlehens durch den Bund stabilisieren die konjunkturelle Entwicklung des Bruttoinlandprodukts (BIP): In wirtschaftlich guten Jahren werden hohe Beitragseinnahmen erzielt, in Rezessionen steigen die Ausgaben für passive und aktive Leistungen und stützen so die Kaufkraft der Konsumenten. Die Arbeitslosenversicherung gehört damit zu den automatischen Stabilisatoren. Der die Konjunktur stabilisierende Effekt des Haushalts der BA betrug in den Krisenjahren 2009 und 2010 13,8 Mrd. Euro bzw. 8,1 Mrd. Euro. Dies entsprach 0,56 % (2009) und 0,32 % (2010) des BIP. Der Internationale Währungsfonds hat den Effekt der automatischen Stabilisatoren auf die öffentlichen Finanzen in Deutschland für 2009 auf 1,7 % des BIP beziffert. Damit hätte der BA-Haushalt mit etwa einem Drittel zu dieser Stabilisierungswirkung beigetragen.2
Mit dem Rückgang der Arbeitslosigkeit von 11,7 % (2005) auf 5,2 % (2018) ging seit 2005 auch das Finanzvolumen der Arbeitslosenversicherung deutlich zurück. 2005 betrugen die Beitragseinnahmen noch 47 Mrd. Euro und die Ausgaben 53,1 Mrd. Euro. 2018 fielen die Beiträge auf 34,2 Mrd. Euro und die Ausgaben auf 33,1 Mrd. Euro. Durch die stark gesunkenen Ausgaben konnte der Beitragssatz von 6,5 % (2005) auf 3,0 % (seit 2011) gesenkt werden. Nach Beschluss der Regierungskoalition soll es, dem Vorschlag von Hausner und Weber folgend,3 eine allgemeine Rücklage im Haushalt der BA von 0,65 % des BIP geben, um übliche Rezessionen abfedern zu können. Diese Rücklage belief sich Ende 2018 auf 23,5 Mrd. Euro, was 0,69 % des BIP entspricht. Eine erneute Senkung des Beitragssatzes per Verordnung soll erfolgen, wenn die Rücklage diesen Wert dauerhaft um einen Betrag übersteigt, der mehr als 0,1 Prozentpunkte des BIP entspricht. Bei Unterschreiten des Rücklagenziels würde sich der Beitragssatz automatisch wieder erhöhen, was einen ersten Schritt in Richtung eines regelgebundenen Beitragsmechanismus zur Sicherung des Rücklagenaufbaus darstellt.4 Der Beitragssatz ist wegen der hohen Reserven der BA zum 1.1.2019 weiter auf 2,5 % gesenkt worden. Dabei wurde eine Verringerung um 0,4 Prozentpunkte gesetzlich festgeschrieben, eine weitere Absenkung um 0,1 Prozentpunkte ist bis Ende 2022 per Rechtsverordnung befristet.
Neben der konjunkturellen Stabilisierung wirkt die Arbeitslosenversicherung auch auf die regionale Einkommensverteilung ausgleichend. In Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit sind die Ausgaben überproportional hoch und die Beiträge zu ihrer Finanzierung unterproportional. Umgekehrt verhält es sich bei wirtschaftsstarken Regionen. Durch den Ausgleich von regionalen Defiziten mit regionalen Überschüssen kommt es zu Verteilungswirkungen zwischen den Regionen. Diese treten auch dann auf, wenn das Budget der Arbeitslosenversicherung auf Bundesebene ausgeglichen ist. Das Ausmaß des regionalen Ausgleichs hängt vom Umfang der regionalen Unterschiede am Arbeitsmarkt und von der regionalen Verteilung konjunktureller Entwicklungen ab. Sind nicht alle Regionen in gleichem Ausmaß von konjunkturellen Schwankungen betroffen, entstehen kurzfristige regionale Stabilisierungseffekte. So tragen weniger betroffene Regionen zur Stabilisierung stärker betroffener Regionen bei. Liegen aber dauerhafte Arbeitsmarktungleichheiten vor, werden die Einkommen zwischen Regionen auch dauerhaft umverteilt.
Der deutsche Arbeitsmarkt ist von erheblichen regionalen Disparitäten gekennzeichnet. 2018 streute die regionale Arbeitslosenquote von 1,3 % im Landkreis Eichstätt bis zu 13,2 % in der Stadt Gelsenkirchen. Regionale Unterschiede bestehen nach wie vor zwischen den ost- und westdeutschen Regionen, aber auch zwischen verschiedenen Regionstypen, etwa zwischen dem städtischen und ländlichen Raum. Zwar gibt es verschiedene Mechanismen, die regionalen Disparitäten am Arbeitsmarkt entgegenwirken – etwa die Regionalförderung oder die Binnenwanderung –, allerdings verändern sich diese nur sehr langsam.5 Dies spricht dafür, dass wirtschaftsschwache Regionen sehr lange vom regionalen Einkommenstransfer über die Arbeitslosenversicherung profitieren. Zudem sind die Regionen in Deutschland unterschiedlich stark von konjunkturellen Entwicklungen betroffen, wie sich beim letzten Konjunktureinbruch infolge der Finanzkrise zeigte.6 Von den regionalen Ausgleichswirkungen profitieren dann vorübergehend insbesondere wirtschaftsstarke Regionen mit einer industriell geprägten, exportabhängigen Wirtschaftsstruktur. Auf Bundeslandebene wird nach wie vor von West- nach Ostdeutschland umverteilt.7 Über den gesamten Zeitraum ist der Saldo aus Ausgaben und Beitragseinnahmen in allen neuen Bundesländern und Berlin negativ, wobei das regionale Defizit seit 2011 geringer ausfällt. Übersteigen die Ausgaben die Beiträge in den ostdeutschen Flächenländern in den Perioden vor 2011 noch durchschnittlich um knapp 300 Euro je Einwohner, liegen die Werte seit 2011 mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern bei etwa 100 Euro je Einwohner.
Innerhalb Westdeutschlands zeichnet sich ein Einkommenstransfer von den südlichen zu den nördlichen Bundesländern ab. Insbesondere in Bremen, das westdeutsche Bundesland mit der höchsten Arbeitslosigkeit, liegen die erwirtschafteten Beiträge je Einwohner deutlich unter den Ausgaben. In den süddeutschen Regionen werden außerhalb der Krisenjahre hingegen mehr Beiträge erwirtschaftet, als Ausgaben benötigt werden. Vor allem bei den westdeutschen Flächenländern zeigen sich deutliche konjunkturelle Effekte, denn die negativen Salden treten in den Ländern Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz nur während der Krisenjahre auf. Bayern weist z. B. in den Vorkrisenjahren 2005 bis 2007 mit 117 Euro pro Jahr und Einwohner sowie von 2011 bis 2016 mit 71 Euro Überschüsse auf, nur in den Krisenjahren 2008 bis 2010 ergibt sich ein Defizit von 110 Euro.
In einer Rezession hat insbesondere die Zahlung von Kurzarbeitergeld eine stark stabilisierende Wirkung auf die konjunkturelle Entwicklung.8 Das arbeitsmarktpolitische Instrument des Kurzarbeitergelds soll bei einem nur vorübergehenden Arbeitsausfall die Entlassung von eingearbeiteten Arbeitskräften vermeiden. In den besonders unter der Krise leidenden süddeutschen Industriegebieten wurde in der letzten Krise deutlich mehr Kurzarbeitergeld pro Einwohner ausgezahlt als in den weniger industrialisierten Gegenden. Im hoch industrialisierten Baden-Württemberg wurde von 2009 bis 2011 mit 223 Euro (Bayern: 143 Euro) pro Einwohner fast sieben Mal mehr Kurzarbeitergeld bewilligt als in Berlin mit lediglich 34 Euro (Mecklenburg-Vorpommern: 62 Euro). Baden-Württemberg erhielt von 2009 bis 2011 ein Viertel des gesamten Kurzarbeitergelds, das die BA ausgezahlt hat. Dies stützte die gesamtwirtschaftliche Nachfrage um immerhin knapp 2,4 Mrd. Euro, in Mecklenburg-Vorpommern waren es gut 100 Mio. Euro. Im Juni 2009 erhielten 8,4 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Baden-Württemberg Kurzarbeitergeld, während es in Mecklenburg-Vorpommern nur 1,5 % waren. Noch deutlicher treten die Unterschiede auf Kreisebene hervor: 29,7 % in Dingolfing-Landau versus 0,5 % in der Stadt Potsdam.9 Damit eignet sich das Kurzarbeitergeld insbesondere, um die Folgen asymmetrischer Konjunkturschocks abzufedern.
Der Umfang der Ausgleichszahlungen im Länderfinanzausgleich hat sich leicht von 0,30 % des BIP (2005) auf 0,34 % des BIP (2016) erhöht. Dieser Anstieg erfolgte bis auf die Krisenjahre 2009 und 2010 linear – hier kam es zu einem Rückgang von einem knappen Fünftel des Ausgleichsvolumens, da durch die Krise vor allem die Finanzkraft der Zahlerländer deutlich abnahm.
Abbildung 1
Umverteilungsvolumen der Arbeitslosenversicherung und des Länderfinanzausgleichs je Bundesland1
Anmerkung: Entgegen der üblichen Systematik beim Länderfinanzausgleich werden die Ausgleichsbeiträge mit positiven Vorzeichen (+) und die Ausgleichszuweisungen mit negativen Vorzeichen (-) ausgewiesen.
1 Kumulierte Werte in Euro, 2005-2007, 2008-2010, 2011-2013, 2014-2016.
Quellen: Bundesministerium der Finanzen (LFA); Finanzsysteme der Bundesagentur für Arbeit (ALV); Beschäftigtenhistorik des IAB (ALV).
Abbildung 1 zeigt das absolute Umverteilungsvolumen zwischen den Bundesländern in der Arbeitslosenversicherung und im Länderfinanzausgleich. Außerhalb der Krisenjahre 2008 bis 2010 sind die Ländersalden der Arbeitslosenversicherung und des Länderfinanzausgleichs bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Niedersachsen 2005 bis 2007 und 2014 bis 2016) jeweils gleichgerichtet. Acht von 16 Ländern hatten von 2005 bis 2016 sowohl in der Arbeitslosenversicherung als auch im Länderfinanzausgleich ausschließlich negative Salden (alle ostdeutschen Bundesländer und Berlin sowie Bremen und Schleswig-Holstein). Dem stehen drei Länder gegenüber (Baden-Württemberg, Bayern und Hessen), die in der Arbeitslosenversicherung lediglich in den Krisenjahren 2008 bis 2010 einen negativen Saldo aufwiesen. Die von der Krise stärker betroffenen westdeutschen Bundesländer hatten mit Ausnahme von Bremen und Schleswig-Holstein in den Vorkrisenjahren 2005 bis 2007 jeweils Überschüsse in der Arbeitslosenversicherung, die sich in den Krisenjahren 2008 bis 2010 in Defizite verwandelten. In den ostdeutschen Bundesländern und Berlin blieben die Defizite hingegen unabhängig von der Krise in etwa gleich hoch, was auf eine strukturelle Komponente der Arbeitslosigkeit schließen lässt.
In den Nachkrisenjahren 2011 bis 2016 erhielten alle neuen Länder und Berlin sowie Bremen, das Saarland und Schleswig-Holstein Zuflüsse aus beiden Ausgleichssystemen. Baden-Württemberg, Bayern und Hessen haben in diesem Zeitraum ausschließlich positive Salden. Die Darstellung des Umverteilungsvolumens in beiden Ausgleichssystemen zeigt, dass die Arbeitslosenversicherung eine hohe Bedeutung als automatischer Stabilisator im Konjunkturverlauf hat, während der Länderfinanzausgleich stärker strukturelle, dauerhafte Unterschiede in der Finanzkraft zwischen den Ländern ausgleicht. Das regionale Umverteilungsvolumen durch die Arbeitslosenversicherung ist stark zurückgegangen, weil gerade in Regionen mit vormals sehr hoher Arbeitslosigkeit (wie Ostdeutschland) eine starke Reduktion stattgefunden hat. Mit der Verbesserung der Arbeitsmarktlage ist auch der auf die Arbeitslosigkeit bezogene regionale Umverteilungsbedarf gesunken. Damit hat ein wesentlicher Umverteilungskanal stark an Bedeutung verloren. Deshalb sollte bei der politischen Bewertung des expliziten Länderfinanzausgleichs und der Gestaltung der föderalen Finanzbeziehungen auch die Entwicklung des gesamten regionalen Umverteilungsvolumens inklusive impliziter Mechanismen wie über die Arbeitslosenversicherung betrachtet werden. Denn für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist es unerheblich, ob ein regionaler Finanzausgleich durch explizit zu diesem Zweck installierte Mechanismen oder auf anderem Wege implizit zustande kommt.
* Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Kurzbericht 12/2019 des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
- 1 Hier werden nur die Einnahmen und Ausgaben im Rechtskreis SGB III betrachtet. Zu den gesamtstaatlichen Kosten der Arbeitslosigkeit vgl. K. H. Hausner, H. Engelhard, E. Weber: Arbeitsmarkt und öffentliche Haushalte: Kosten der Arbeitslosigkeit nochmals gesunken, IAB-Kurzbericht, Nr. 2, 2014; E. Weber, K. H. Hausner, H. Engelhard: Die Kosten der Arbeitslosigkeit erreichen einen neuen Tiefstand, in: IAB-Forum, 12.2.2019.
- 2 K. H. Hausner, E. Weber: Einnahmen und Ausgaben der Arbeitslosenversicherung: BA-Haushalt stabilisiert die Konjunktur, IAB-Kurzbericht, Nr. 3, 2017.
- 3 Ebenda.
- 4 E. Weber: Arbeitslosenversicherung: … dann hast Du in der Not, in: Wirtschaftsdienst, 97. Jg. (2017), H. 10, S. 685-686, https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2017/10/arbeitslosenversicherung-dann-hast-du-in-der-not/ (1.8.2019).
- 5 A. Niebuhr: Regionale Disparitäten und Arbeitskräftemobilität. Implikationen für die Regionalpolitik in Deutschland, in: Wirtschaftsdienst, 99. Jg. (2019), Sonderheft, S. 31-35, https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2019/13/regionale-disparitaeten-und-arbeitskraeftemobilitaet-implikationen-fuer-die-regionalpolitik-in-deuts/ (1.8.2019).
- 6 B. Schwengler, V. Hecht: Regionale Arbeitsmärkte in der Krise, in: Informationen zur Raumentwicklung, H. 2, 2011, S. 121-133.
- 7 K. Bruckmeier: Regionale Inzidenz der Arbeitslosenversicherung – eine empirische Analyse regionaler Verteilungs- und Einkommensstabilisierungswirkungen, Karlsruhe 2012; M. Koller, W. Schiebel, A. Stichter-Werner: Standort Deutschland: Der heimliche Finanzausgleich – das Beispiel der Arbeitslosenversicherung im Jahr 2001, IAB-Kurzbericht, Nr. 16, 2003.
- 8 Für eine Zusammenfassung der stabilisierenden Wirkung vgl. B. Gehrke, B. Hochmuth: Rettet Kurzarbeit in Rezessionen Arbeitsplätze?, in: Wirtschaft und Gesellschaft, 43. Jg. (2017), H. 1, S. 99-122.
- 9 Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Angezeigte und realisierte Kurzarbeit, Nürnberg, Mai 2019; Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Beschäftigungsstatistik, Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte nach Kreisen und kreisfreien Städten, Nürnberg, Stichtag 30.6.2009.