Es hat wohl noch nie eine deutsche Bundesregierung gegeben, die schon bei ihrem Amtsantritt mit derartig großen Herausforderungen konfrontiert war wie die kommende Regierung. Nicht nur, dass die deutsche Wirtschaft seit drei Jahren stagniert. Auch die sich rapide verändernden geopolitischen Rahmenbedingungen stellen das deutsche Wachstumsmodell der vergangenen Jahrzehnte infrage und gefährden zunehmend auch die Souveränität und Demokratie in Deutschland.
Deutschlands Wirtschaft hat seit der Jahrtausendwende gut davon gelebt, hochwertige Industrieprodukte, insbesondere aus den Branchen Automobil, Maschinen- und Anlagenbau sowie Chemie, in den Rest der Welt zu verkaufen. Vor allem die Exportsteigerungen nach China und in die USA waren gesamtwirtschaftlich bedeutsam, ebenso wie die Nutzung günstiger, importierter Vorprodukte aus Mittel- und Osteuropa sowie Asien.
Dieses Modell ist durch die geopolitischen Veränderungen massiv unter Druck geraten. Die chinesische Regierung verfolgt spätestens seit der „Made in China 2025“-Initiative das Ziel, mit massiver industriepolitischer Unterstützung in Schlüsselbranchen an die globale Technologie- und Qualitätsspitze aufzusteigen, die dortigen Marktführer zu verdrängen und unabhängiger von Importen zu werden. Viele der von China anvisierten und massiv geförderten Branchen sind jene, in denen Deutschland traditionell exportstark war und ist. Die USA wiederum wollen einerseits den wirtschaftlichen Aufstieg (und ein mögliches Überholen) Chinas verhindern, zum anderen die eigene Industrieproduktion und Beschäftigung steigern. Um dieses Ziel zu erreichen, hat der scheidende US-Präsident Joe Biden sowohl auf Einfuhrzölle für Waren aus China als auch auf Subventionen für die US-Wirtschaft im Rahmen des Inflation Reduction Acts gesetzt, während der erneut gewählte US-Präsident Donald Trump massive Zollerhöhungen für einen breiten Länderkreis angekündigt hat. Hinzu kommen zunehmende Exportbeschränkungen für High-Tech-Güter nach China (etwa bei der Halbleiterproduktion), die absehbar auch deutschen Unternehmen das Geschäft in China erschweren werden. Als Konsequenz dieser Entwicklungen wächst der Welthandel langsamer als in der Vergangenheit, und Deutschland profitiert in geringerem Maße vom wachsenden Welthandel (Abbildung 1).
Die russische Ukraine-Invasion und der damit einhergehende Energiepreisanstieg waren ein weiterer geopolitischer Schock, der die deutsche Wirtschaft hart getroffen hat – und weiter belastet. Erdgas und Strom waren zwar (entgegen oft geäußerter gegenteiliger Behauptungen) auch vor dem russischen Angriff auf die Ukraine in Deutschland nicht günstig. Die aktuellen Großhandelspreise für Gas und Strom haben sich im Vergleich zu 2019 mehr als verdoppelt und stellen ein zunehmendes Hindernis für Investitionen dar, insbesondere für energieintensive Industrien.
Zu diesen Schocks kommt hinzu, dass die erneute Wahl Trumps in den USA die Sicherheitslage Deutschlands grundlegend zu verändern droht. Schon in der Vergangenheit hat Trump das Versprechen im Rahmen der NATO-Vereinbarungen infrage gestellt, im Ernstfall europäischen Partnern zur Seite zu stehen. Insbesondere war ihm ein Dorn im Auge, dass eine Reihe von NATO-Staaten (einschließlich Deutschland) deutlich weniger als die vereinbarten 2 % des BIP für Verteidigung ausgeben, während die USA rund 3 % ihrer Wirtschaftsleistung für Rüstung aufwenden.
Einiges deutet darauf hin, dass Trump schon bald nach seinem Amtsantritt mit Nachdruck von den Europäern deutlich höhere Verteidigungsausgaben als Voraussetzung für weitere Sicherheitsgarantien oder für die Unterstützung der Ukraine fordern wird. Deutschland wie anderen EU-Staaten bliebe dann kaum eine andere Wahl, als diese Forderungen zu erfüllen, da die eigene Landesverteidigung ohne NATO-Garantie noch einmal teurer wäre.
Abbildung 1
Entwicklung deutscher Industrieproduktion und Exporte im Vergleich zu Welthandel und Welt-BIP
Durchschnitte in %


Abbildung in Anlehnung an Hohlfeld und Theobald (2024). Dargestellt sind die Durchschnitte der jährlichen Veränderungsraten. 2000er Jahre: 2000 bis 2009; 2010er Jahre: 2010 bis 2019; 2020er Jahre: 2020 bis 2024.
Quelle: NiGEM Datenbank und NIESR Prognose für 2024.
Die Abhängigkeit der Europäischen Union von den Sicherheitsversprechen der USA macht Europa und Deutschland aber auch in anderen zentralen gesellschaftlichen Bereichen verwundbar und gefährdet am Ende die Souveränität und Demokratie. Es besteht zumindest der Verdacht, dass der US-Multimilliardär und enge Trump-Vertraute Elon Musk die Regeln des Europäischen Digital Services Act für seine Kurznachrichten-Plattform X nicht (vollständig) umsetzt. Jedes künftige Durchgreifen gegen X birgt seit der Wahl Trumps nun das Risiko, dass die USA mit einem Entzug der NATO-Garantie drohen. Dieses Drohpotenzial beschränkt zum einen die europäische Souveränität, eigene Regulierungen umzusetzen. Auf solche Regulierungen zu verzichten (und die Verbreitung von Fake News tatenlos hinzunehmen) bedroht zum anderen die europäischen Demokratien.
Neben diesen großen Schocks ist die deutsche Wirtschaft von wirtschaftspolitischen Versäumnissen der vergangenen Jahrzehnte betroffen. Das Produktivitätswachstum ist annähernd zum Erliegen gekommen. Ein Grund hierfür dürfte zunehmend auch der Verfall der deutschen Infrastruktur sein, in die die öffentliche Hand seit den späten 1990er Jahren zu wenig investiert hat. Störungen im Güter- und Personentransport sind inzwischen an der Tagesordnung und senken die Produktivität der Betroffenen. Hinzu kommen die Kosten für die Dekarbonisierung, die sich aus der internationalen Zusage Deutschlands sowie den dringenden Notwendigkeiten des globalen Klimawandels ergeben.
In der Summe scheinen diese Herausforderungen im öffentlichen Diskurs in Deutschland noch nicht vollständig angekommen zu sein. Die Wahlprogramme der Parteien lesen sich angesichts dieser Herausforderungen unambitioniert. In den Programmen der Union und der FDP werden massive Steuerentlastungen beim Festhalten an der Schuldenbremse versprochen, ohne jedoch eine nachvollziehbare Finanzierung zu präsentieren. Stattdessen wird in der aktuellen Debatte vorrangig über Reformen des Bürgergeldes oder marginal wirkende Anreize zur Mehrarbeit diskutiert.
Der massiven industriepolitischen Offensive Chinas in Deutschlands Schlüsselbranchen lässt sich allerdings kaum mit Steuerfreiheit auf Überstunden oder Steuersenkungen für Spitzenverdienende begegnen. Auch Umbauten beim Bürgergeld sind ungeeignet, das entstehende Wettbewerbsungleichgewicht zu korrigieren. Die Vorschläge von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen sind im Steuerbereich realistischer und erkennen auf der Ausgabenseite die Notwendigkeit massiv höherer öffentlicher Investitionen an, adressieren aber die Größenordnung der Herausforderungen nicht klar.
Um den Wohlstand zu sichern, sollte sich die neue Bundesregierung den folgenden vier großen Handlungsbereichen annehmen:1 Erstens sollte die Bundesregierung eine mehrjährige Investitionsagenda anstoßen und die öffentlichen Investitionslücken schließen. Dazu sollten verbindliche mehrjährige Investitionspläne aufgestellt werden, die konkrete Infrastrukturprojekte im Verkehrs-, Energie- und Bildungsbereich angehen. Die Aufstellungen von Dullien et al. (2024b), dem Bundesverband der Deutschen Industrie (2024) und dem Dezernat Zukunft (2024) wären hier ein sinnvoller Startpunkt.2 Ein solches Programm würde kurzfristig die Nachfrage stützen, was in Deutschland angesichts der signifikanten und weiter wachsenden Nachfragelücke dringend geboten ist (Dullien et al., 2025). Mittelfristig wäre diese Investitionsagenda jedoch vor allem eine Stärkung der Angebotsseite, weil mit verbesserter Infrastruktur auch die Produktivität wieder steigen dürfte.
Ein zweites Element ist eine entschiedene, aber zugleich holistisch konzipierte Industriepolitik, die auch vertikale Elemente enthält. Lange Zeit ist zwar vielfach die Position vertreten worden, dass von einer vertikalen Industriepolitik (die einzelne Branchen, Technologien oder gar Unternehmen fördert) – Innovationsförderung vielleicht ausgenommen – abgesehen werden sollte (Wirtschaftsdienst, 2019; SVR, 2009). Allerdings hat sich in den vergangenen Jahren international sowohl die wissenschaftliche Bewertung von vertikaler Industriepolitik verändert als auch die Bereitschaft von Regierungen, eine solche aktiv einzusetzen (Juhász et al., 2022).
Während ursprünglich Industriepolitik vorrangig zur Korrektur von Marktversagen empfohlen wurde, die nicht mit anderen wirtschaftspolitischen Instrumenten kostengünstiger zu korrigieren sind (Corden, 1974), wird in jüngerer Zeit zunehmend mit positiven externen Effekten durch das Experimentieren mit neuen Technologien und Produkten (Hausmann & Rodrik, 2003) oder gelenktem technologischen Fortschritt und der Schaffung neuer Märkte bei missionsorientierter Industriepolitik argumentiert (Mazzucato, 2024).
Ein weiteres Argument für die Industriepolitik ist die Sicherung von Wohlstand, Einkommen und Arbeitsplätzen. Gomory und Baumol (2000) haben gezeigt, dass sich Schlüsselindustrien in einer Welt mit Skaleneffekten, Transportkosten und Spillover-Effekten an einer begrenzten Zahl von Standorten konzentrieren. Die Länder, in denen letztlich die Produktion dieser Schlüsselindustrien stattfindet, verzeichnen höhere Einkommen, mehr Forschung und Entwicklung, schnelleren technologischen Fortschritt und höhere Steuereinnahmen. Daher haben Länder ein Interesse daran, diese Schlüsselindustrien anzulocken. Wenn nun einige große Länder eine aggressive Industriepolitik betreiben, um Schlüsselindustrien anzuziehen, werden andere Länder gezwungen sein, diesem Beispiel zu folgen, um die Verlagerung von Unternehmen und künftige Verluste an nationalem Wohlstand zu verhindern.
Für Deutschland gelten aufgrund der veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen diese Argumente in verschärfter Form. Hinzu kommt, dass die COVID-Pandemie und die Energiekrise die Schockanfälligkeit der deutschen Wirtschaft aufgrund der ökonomischen Abhängigkeit von einzelnen Handelspartnern eindrucksvoll offenbart haben, die sich durch Marktkräfte allein nicht auflösen wird. Die neue Bundesregierung sollte daher mehr Industriepolitik wagen und gemeinsam mit den anderen europäischen Ländern zügig eine industriepolitische Offensive umsetzen (Dullien, 2024). Der Draghi-Report (Draghi, 2024) könnte beim Design einer schlagkräftigen und zielgerichteten europäischen Industriepolitik als Grundlage dienen.
Drittens sollte sich die neue Bundesregierung des Problems der stark schwankungsanfälligen und weiterhin hohen Energiekosten annehmen. Die Preise für Erdgas und Strom sind trotz eines deutlichen Rückgangs von den Preisspitzen des Jahres 2022 heute immer noch deutlich höher als vor der COVID-Pandemie und der russischen Ukraine-Invasion. So kostete im Jahr 2019 Strom im Großhandel im Schnitt etwa 45 Euro pro MWh, 2024 war es rund das Doppelte. Der Preis für Erdgas lag vor der COVID-Pandemie bei rund 20 Euro pro MWh, zum Jahresende 2024 bei knapp unter 50 Euro.
Dramatisch ist zudem die Unsicherheit über die künftigen Energiepreise. Seit der russischen Ukraine-Invasion haben vor allem die Schwankungen des Strompreises deutlich zugenommen und Ausschläge auf mehrere Hundert Euro pro MWh sind keine Seltenheit mehr. Hinzu kommt, dass zwei große, gegenläufige Trends die Strompreise über die kommenden Jahre beeinflussen dürften: Zum einen dürften die Gestehungskosten für Strom sinken, weil mit stärkerem Ausbau der erneuerbaren Energien die Stromerzeugung im Durchschnitt günstiger wird. Zum anderen sind allerdings große Investitionen in Netze und Infrastruktur zur Netzstabilisierung notwendig, die zu höheren Netzentgelten führen dürften. Da im Rahmen der Dekarbonisierung viele plausible Transformationspläne auf Elektrifizierung basieren, führt diese Unsicherheit über künftige Strompreise (wie das aktuell erhöhte Niveau) zu Investitionszurückhaltung sowohl bei Unternehmen im Produktionssektor als auch bei Privathaushalten bei Heizungen und Verkehr.
Wichtig wäre hier, Planungssicherheit bei den Strompreisen zu schaffen und für wettbewerbsfähige Elektrizitätspreise zu sorgen. Ein sinnvolles Konzept hierfür wäre eine verlängerte und modifizierte Strompreisbremse, wie von Krebs (2023) vorgeschlagen. Hier würde der Bund bis 2030 garantieren, dass der Strompreis nicht über gewisse Schwellen steigt und Preisspitzen über eine temporäre Subvention abfedern. Dadurch würden Planungssicherheit geschaffen und exzessive Belastungen durch hohe Strompreise vermieden.
Zwar ist umstritten, wie hoch Strompreise künftig tatsächlich sein werden (Bauermann, 2023; Grimm et al., 2024). Eine wichtige Rolle nehmen hierbei aber die sogenannten Systemkosten ein, also die Aufwendungen für den Ausbau und die Stabilisierung des Stromnetzes. Die Höhe der projizierten Kosten hängt hier unter anderem davon ab, wie stark Verknüpfungen mit Stromnetzen anderer EU-Staaten zur Stabilisierung genutzt werden, welcher Anteil bei der staatlichen Finanzierung und beim Betrieb der Netze angenommen wird und ob ein Teil der Energieinfrastruktur künftig (wie die Transportinfrastruktur auch) aus allgemeinen öffentlichen Haushaltsmitteln finanziert wird.
Eine verlängerte Strompreisbremse würde hier auch signalisieren, dass sich die Bundesregierung auf einen kostengünstigen Umbau der Stromversorgung festlegt, da sie einerseits einen signifikanten Teil der Risiken hoher Preise übernehmen würde, zugleich aber über Regulierungen und Gesetzgebung viele der Kostenfaktoren selbst entscheidend beeinflussen kann (Dullien et al., 2023).
All diese Vorhaben kosten allerdings Geld. Hinzu kommen steigende Verteidigungsausgaben. Als viertes Element ist deshalb notwendig anzuerkennen, dass die Bewältigung der Herausforderungen enorme Finanzbedarfe mit sich bringt und dass diese Finanzbedarfe nicht einfach durch Umschichtungen in den aktuellen öffentlichen Haushalten gedeckt werden können (Dullien et al., 2024b).
Natürlich sollten auch bestehende Subventionen und Ausgaben auf den Prüfstand und auf Nutzen und Wirtschaftlichkeit getestet werden. Allerdings ist der Finanzierungbedarf so groß, dass es unplausibel ist anzunehmen, dass ein entsprechendes Kürzungspotenzial in den öffentlichen Haushalten problemlos gefunden werden könnte. Bei den Sozialausgaben ist zudem zu beachten, dass Kürzungen hier zum einen durch rechtliche Vorgaben und Urteile des Bundesverfassungsgerichts begrenzt sind; zum anderen wären umfangreiche Einschnitte in die soziale Absicherung in einer Situation wie heute, in der Menschen zunehmend Angst vor dem Verlust ihres Wohlstandes haben und sich als Folge antidemokratischen Kräften zuwenden (Hövermann, 2023), kontraproduktiv. Außerdem sind die Herausforderungen so drängend, dass man mit notwendigen Schritten zur Bewältigung nicht warten sollte, bis Kürzungspotenziale an anderer Stelle identifiziert sind.
Eine Voraussetzung für die Lösung der Probleme ist deshalb das schnelle Schaffen finanzpolitischer Spielräume. Derzeit blockiert vor allem die Schuldenbremse die Möglichkeit kreditfinanzierter zusätzlicher Ausgaben,3 obwohl die öffentliche Schuldenquote im internationalen Vergleich niedrig und fallend ist und eine dauerhaft spürbar höhere Neuverschuldung ohne einen Anstieg der Schuldenquote möglich wäre. Angesichts der anstehenden Herausforderungen wäre es absurd, wenn sich Deutschland den Sonderweg einer ökonomisch bestenfalls schwach begründeten Schuldenbremse weiter leisten würde.
Hier wäre entweder die Einführung einer goldenen Regel (Dullien et al., 2024a; Wissenschaftlicher Beirat beim BMWK, 2023) oder eines ausreichend groß dimensionierten Sondervermögens (Fuest et al., 2024) gefragt. Beides würde eine explizite Änderung des Grundgesetzes notwendig machen. Unter der goldenen Regel wäre es Bund und Ländern erlaubt, in Zukunft Kredite in Höhe der Investitionen aufzunehmen.4 Ein Sondervermögen würde erlauben, über einen zuvor festgelegten Zeitraum für vorab definierte Zwecke zusätzliche Kredite aufzunehmen. Als Vorbild würde hier der 2022 für ein „Sondervermögen Bundeswehr“ ins Grundgesetz eingefügte Art. 87a Absatz 1a dienen.
Die genauen Details einer Reform der Schuldenbremse wären zunächst zweitrangig; zentral wäre vor allem, dass die Spielräume für die nötigen Ausgaben zügig geschaffen werden. Wichtig wäre allerdings, die Lehren zu beachten, die sich aus der praktischen Erfahrung mit der Schuldenbremse seit ihrem Inkrafttreten 2011 ergeben haben. Insbesondere hat sich gezeigt, wie problematisch es ist, genaue Details zu der Anwendung der Schuldenregel ins Grundgesetz zu schreiben. Künftig sollten möglichst viele Details einfachgesetzlich geregelt sein, um sie bei Veränderungen in den globalen oder nationalen Rahmenbedingungen wieder anpassen zu können.
Wie oben angesprochen, geht es aber bei der Finanzierung nicht nur um öffentliche Investitionen, sondern auch um Verteidigungsausgaben. Die Frage nach der Verteidigungsfähigkeit und der Souveränität – im Zweifel auch ohne Sicherheitsversprechen der USA – ist dabei nicht nur eine deutsche, sondern vor allem eine europäische. Nicht nur Deutschland, sondern auch andere europäische Staaten wie Spanien und Italien haben über Jahre das 2-%-Ziel der NATO weit verfehlt. Zugleich fehlt in den Staatshaushalten vieler Partner kurzfristig der Spielraum, um die Verteidigungsausgaben deutlich zu erhöhen – anders als in Deutschland oft nicht (nur) wegen rechtlicher Vorgaben, sondern weil schlicht die Schuldentragfähigkeit gefährdet ist. Geprüft werden sollte deshalb, inwieweit die Erhöhung der Verteidigungsausgaben zumindest zum Teil auch europäisch finanziert werden könnte. Laut Medienberichten wurden entsprechende Pläne unter EU-Regierungsvertreter:innen bereits im Dezember 2024 diskutiert (Tamma et al., 2024).
Natürlich wären mit diesen vier Elementen nicht alle Herausforderungen der deutschen Wirtschaft der kommenden Jahre angegangen. Ebenfalls notwendig dürften Maßnahmen zur Erhöhung des Beschäftigtenpotenzials sein – etwa durch Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit durch verbesserte Kinderbetreuung und Reform von Ehegattensplitting und Minijobs oder durch verbesserte Betreuung und Ausbildung junger Menschen ohne Bildungsabschluss (Dullien et al., 2025). Doch ohne die oben beschriebene Wende bei öffentlichen Investitionen, Industrie- und Energiepolitik wird es schwer, den Wohlstand Deutschlands zu sichern.
- 1Die folgenden Abschnitte basieren in Teilen auf Dullien et al. (2025).
- 2 Dullien et al. (2024b) schätzen die zusätzlichen Investitionsbedarfe über die kommenden zehn Jahre auf rund 600 Mrd. Euro. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (2024) und das Dezernat Zukunft (2024) benutzen etwas abweichende Abgrenzungen, kommen jedoch auf sehr ähnliche Investitionsbedarfe.
- 3 Auch die reformierten EU-Fiskalregeln begrenzen die öffentlichen Ausgaben in Deutschland, vor allem allerdings durch einfach zu änderndes Sekundärrecht bzw. dessen Auslegung durch die EU-Kommission, die sich leicht ändern ließen (Paetz & Watzka, 2024).
- 4 Unter Ökonom:innen herrscht weiter ein gewisser Dissens, wie Investitionen unter dieser Regel abgegrenzt werden können. So bevorzugen einige Ökonom:innen sowie der Wissenschaftliche Beirat beim BMWK (2023) Nettoinvestitionen (d. h. nach Abschreibungen) als Maßstab, andere weisen auf die Probleme mit der Messung der Abschreibungen öffentlicher Investitionsgüter hin. Tatsächlich ließen sich allerdings sowohl Regeln für Nettoinvestitionen als auch für Bruttoinvestitionen in einer Art aufstellen, dass zwar Kreditaufnahme für zusätzliche Investitionen möglich werden, zugleich aber die Kreditaufnahme für zusätzliche konsumtive Ausgaben, zusätzliche Transfers oder Steuersenkungen begrenzt bleiben.
Literatur
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Title: The Way Out of the Stagnation and Dependency Trap with Investments and Industrial Policy
Abstract: The next German government faces unprecedented challenges, with economic stagnation and shifting geopolitical landscapes threatening the country’s growth model and sovereignty. The German economy, traditionally reliant on exports to China and the United States, faces mounting pressures from China’s industrial policy and U.S. protectionism. Rising energy prices and geopolitical instability further exacerbate the situation. Policy responses must include a multi-year investment agenda, an active industrial policy, energy price stabilisation, and a reform of the constitutional debt brake to overcome stagnation, secure prosperity and strengthen economic resilience in a rapidly changing global environment.