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Die Pflegeversicherung hat ein doppeltes Finanzierungsproblem: Ihre Leistungen sind nicht ausreichend, um die Pflegebedürftigen hinreichend vor den finanziellen Folgen der Pflegebedürftigkeit zu schützen; gleichzeitig werden ihre wachsenden Ausgaben nur über steigende Beitragssätze zu finanzieren sein – was dem Ziel einer Begrenzung der Gesamtbeitragssätze in der Sozialversicherung entgegensteht.

Dass die Leistungen der Pflegeversicherung unzureichend sind, zeigt sich besonders deutlich in der Heimpflege. Hier liegen die Gesamteigenanteile derzeit im ersten Jahr bei monatlich durchschnittlich 3.000 Euro – und damit weit jenseits der durchschnittlichen Alterseinkünfte. Durch nach der Dauer der stationären Pflege gestaffelte Zuschläge zu den Eigenanteilen sinken diese bei längerem Heimaufenthalt wieder, liegen aber im gewogenen Mittel über alle Pflegebedürftigen immer noch bei knapp 2.500 Euro. Damit kann die Pflegeversicherung ihrem Anspruch, pflegebedingte Verarmung zu vermeiden, nicht mehr nachkommen. Auch in der häuslichen Pflege sind die Leistungsdynamisierungen seit 2017 deutlich hinter den Preisentwicklungen zurückgeblieben, sodass ein Realwertverlust der Versicherungsleistungen von 15 % bis 20 % zu verzeichnen ist. In der häuslichen Pflege schlägt sich das weniger in steigenden Eigenanteilen nieder, sondern stärker in einer rückläufigen Inanspruchnahme formeller Pflegeleistungen und führt vielfach dazu, dass die Zielsetzung des 2017 eingeführten neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, eine gesellschaftliche Teilhabe auch pflegebedürftiger Menschen zu gewährleisten, verfehlt wird. Zudem ist eine zunehmende Überforderung pflegender Angehöriger zu beobachten.

Gleichzeitig musste der Beitragssatz zur Pflegeversicherung in immer kürzeren Abständen und größeren Sprüngen angehoben werden. Ursächlich hierfür war neben ausgabeseitigen Faktoren, insbesondere den Pflegestärkungsgesetzen, die den Kreis der Leistungsberechtigten ausgedehnt haben, die strukturelle Einnahmeschwäche, die die soziale Pflegeversicherung mit der gesetzlichen Krankenversicherung gemein hat. Die Gesamtsumme der beitragspflichtigen Einnahmen steigt in diesen Systemen nämlich deutlich langsamer als das Bruttoinlandsprodukt, da nicht alle Einwohner einzahlen, nicht alle Einkommensarten beitragspflichtig sind und die beitragspflichtigen Einkommen nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze verbeitragt werden. Wäre die Gesamtsumme der beitragspflichtigen Einkommen in gleichem Maße gestiegen wie das Bruttoinlandsprodukt, läge der Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung beispielsweise heute niedriger als im Jahr 2000.

Notwendig ist daher zunächst eine Reform der Pflegeversicherung, die zu einer effektiven Begrenzung der Eigenanteile in der Heimpflege und zu bedarfsorientierten Leistungen in der häuslichen Pflege führt. Ersteres kann durch eine Vollversicherung aller pflegebedingten Kosten erreicht werden – wie sie ursprünglich in der Pflegeversicherung geplant war. Deren Teilleistungscharakter bezog sich nämlich ursprünglich darauf, dass die Kosten für Unterkunft und Pflege sowie die Investitionskosten des Pflegeheims – anders als bei der Krankenhausbehandlung – von der pflegebedürftigen Person selbst gezahlt werden sollte. Regelhafte Eigenanteile zu den pflegebedingten Kosten waren dagegen nicht vorgesehen. Da sich die Bevölkerung inzwischen daran gewöhnt hat, dass Pflegebedürftige auch Teile der pflegebedingten Kosten tragen müssen, ist auch eine Vollversicherung mit festem (und lediglich inflationsindexierten) Eigenanteil denkbar, der gut privat zusatzversichert werden kann, da seine maximale Höhe feststeht. Bedarfsorientierte Pflegeleistungen auch in der häuslichen Pflege erfordern eine Umstellung von pauschalen Leistungen auf individuelle Leistungsbemessungen, wie sie in der gesundheitlichen Versorgung und auch in den Pflegesystemen einiger anderer Länder üblich sind.

Eine solche Reform produziert allerdings weitere Ausgaben für die Pflegeversicherung, die gegenfinanziert werden müssen. Hierzu bieten sich zunächst Maßnahmen zur Beseitigung der strukturellen Einkommensschwäche an: Die Verbeitragung aller Einkommensarten verbunden mit einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und einem Finanzausgleich zwischen sozialer Pflegeversicherung und privater Pflegepflichtversicherung würde nicht nur die Einnahmensituation der Sozialversicherung deutlich verbessern, sondern die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Wachstum der Bemessungsgrundlage auch langfristig beseitigen. Diese Maßnahmen sind ausreichend für die Gegenfinanzierung einer Vollversicherung in der stationären Pflege samt einer merklichen Leistungserhöhung im ambulanten Bereich. Da Pflege im SGB XI explizit als „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ definiert ist, ist zudem eine partielle Steuerfinanzierung ihrer Ausgaben ordnungspolitisch vertretbar. Insbesondere die Ausgaben für als versicherungsfremd angesehene Aufgaben könnten direkt aus dem Bundeshaushalt gezahlt werden. Mit einer partiellen Steuerfinanzierung kann der Beitragssatz sogar unter den Verlauf im Status quo gesenkt werden.

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© Der/die Autor:in 2025

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DOI: 10.2478/wd-2025-0043