Über eine Sozialstaatsreform wird vielfach diskutiert. Ein Nebeneinander zahlreicher (steuerfinanzierter) Sozialleistungen, umständliche Schnittstellen, unklare Zuständigkeiten, hohe Komplexität, überbordende Bürokratie, so das Urteil. Und in der Tat, der Sozialstaat könnte eine Entbürokratisierung gebrauchen. Aber auch aus Arbeitsmarktsicht gibt es zentrale Ziele. Zunächst kommt es auf finanzielle Anreize an. Sozialleistungen gibt es nur bei Bedürftigkeit. Sie sinken also, wenn Menschen mit Erwerbseinkommen stärker auf eigenen Beinen stehen. In der Ausgestaltung der verschiedenen Sozialleistungen ist es aber oft der Fall, dass mehr Erwerbseinkommen kaum zu mehr Nettogesamteinkommen führt (Bruckmeier & Weber, 2024). So wird Erwerbseinkommen in der Grundsicherung ab 1.000 Euro fast komplett und ab 1.200 (bzw. 1.500 Euro mit Kindern) komplett angerechnet, und auch beim Bezug von Wohngeld und Kinderzuschlag steigt das Nettoeinkommen jenseits der 2.000 Euro nur wenig. Die Verläufe sind dabei von zahlreichen Charakteristika des Haushalts abhängig. Ein integriertes System aus Grundsicherung, Wohngeld und Kinderzuschlag könnte dagegen für den Einzelnen transparente Regeln für die Anrechnung des Erwerbseinkommens erreichen. Nach Simulationsergebnissen würde ein durchgängiger Selbstbehalt von etwa 30 % zu zusätzlicher Erwerbstätigkeit im Bereich von sechsstelligen Vollzeitäquivalenten führen.
Neben finanziellen Anreizen bei den passiven Leistungen kommt es auf die aktive individuelle Betreuung an. Dabei geht es um Beratung und Vermittlung, Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und soziale Dienstleistungen. Wichtig ist das für Zweitverdienende, bei denen verbesserte Hinzuverdienstmöglichkeiten sogar dazu führen können, dass sie wegen des höheren Sozialleistungseinkommens weniger arbeiten. Aktive Leistungen sind auch für Geflüchtete zentral. So hat die Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und Sprachprogrammen positive Effekte auf die Verdienste und Beschäftigung, und frühzeitige Arbeitsmarkt- und Berufsberatung durch die Jobcenter oder Arbeitsagenturen steht in positivem Zusammenhang mit folgender Erwerbstätigkeit der Geflüchteten (Brücker et al., 2024). Die Inanspruchnahme im ersten Jahr ist allerdings niedrig, erst mit erfolgreichem Abschluss der Asylverfahren geht der Leistungsbezug auch mit Arbeitsförderung unter einem Dach einher.
Bei der Systemgestaltung ist aus der Sicht der Leistungsbeziehenden eine Anlaufstelle für eine durchgängige Betreuung aus einer Hand und die Gewährung finanzieller Leistungen anzustreben. In der SGB-II-Grundsicherung ist neben der Sicherung von Teilhabe und Lebensunterhalt die Integration in Beschäftigung ein zentrales Ziel. Eine durchgängige aktive Unterstützung muss auch die vorrangigen Leistungen Wohngeld und Kinderzuschlag einschließen, wie bei einer Integration der Leistungen in der Grundsicherung. Eine Integration der Asylbewerberleistungen in die Grundsicherung würde die aktive Förderung Geflüchteter institutionell früher ermöglichen und darüber auch die fiskalische Bilanz verbessern (Bach et al., 2017). Höhe und Art der passiven Leistung könnten während des Asylverfahrens auf dem Niveau der jetzigen Asylbewerberleistung verbleiben.
Durch eine so integrierte Grundsicherung könnten Schnittstellenprobleme zwischen den Leistungen beseitigt werden. So ließe sich auch die Inanspruchnahme etwa von Kinderzuschlag oder Bildungs- und Teilhabeleistungen erleichtern. Zudem könnte in einem integrierten System am leichtesten ein transparenter und kontinuierlicher Selbstbehalt des Erwerbseinkommens organisiert werden. Beschäftigte, die mehr als geringfügig arbeiten und nur ergänzende Leistungen etwa bei erhöhten Wohnkosten beziehen, blieben in Reichweite der Arbeitsmarktpolitik. Aktivierung könnte sich an der Ausschöpfung des möglichen Arbeitsstundenumfangs orientieren, aber auch darüber hinaus könnte es um Beratung und Qualifizierung sowie Stabilisierung von Jobs gehen. Denn nachhaltige Beschäftigung entlastet das Transfersystem.
Ohne Integration der Leistungen könnten Verbesserungen nur bedingt erreicht werden. So ließen sich zumindest Hinzuverdienstregeln, Leistungsberechnung und Datenaustausch zwischen den Systemen abstimmen. Mit einer Zusammenlegung von Wohngeld und Kinderzuschlag könnten Hinzuverdienstregeln und Inanspruchnahme vereinfacht, aber noch keine aktive Förderung erreicht werden.
Literatur
Bach, S., Brücker, H., van Deuverden, K., Haan, P., Romiti, A. & Weber, E. (2017): Fiskalische und gesamtwirtschaftliche Effekte: Investitionen in die Integration der Flüchtlinge lohnen sich. IAB-Kurzbericht, 02/2017.
Brücker, H., Ehab, M., Jaschke, P., Kosyakova, Y. (2024). Institutionelle Hürden beeinflussen Umfang und Qualität der Erwerbstätigkeit von Geflüchteten. IAB-Forschungsbericht, 12/2024.
Bruckmeier, K. & Weber, E. (2024). Geringverdienende im Leistungsbezug: monetäre Anreize und aktive Unterstützung für eine bessere Arbeitsmarktintegration. IAB-Forum, 2. April 2024.