Die jüngsten Beschlüsse zu Schuldenbremse und Sondervermögen werden kontrovers diskutiert. Dabei fällt auf, dass das Risiko einer zu starken Ausweitung der Nachfrage und der damit verbundenen inflationären Wirkungen nur eine geringe Rolle spielt. Stattdessen dominiert Fundamentalkritik: Schulden sind per se negativ, weil sie die zukünftigen Generationen einseitig belasten. Die Modifizierung der Schuldenbremse führt folglich in den Abgrund. Dabei sind die einzelwirtschaftlichen Chancen und Risiken der Staatsverschuldung prinzipiell nicht anders zu bewerten als jene der Verschuldung privater Haushalte oder Unternehmen. Güter werden per Kredit erworben, um über Konsumglättung Wohlfahrtssteigerungen zu erzielen – indem also über die Zeit ein möglichst konstanter Lebensstandard erreicht wird. Entsprechend sinnvoll ist es, den erhöhten Bedarf für militärisches Gerät per Kredit zu finanzieren, statt andere Ausgaben drastisch zu senken. Auch bei Investitionen sind die Unterschiede in den Chancen und Risiken marginal, selbst wenn staatliche Investitionen wohl weniger ertragreich sind als private Investitionen. Bei den geplanten Infrastrukturinvestitionen ist diese Gefahr angesichts des Vorwurfs, der Kapitalstock des Staates (Brücken, Straßen, Schienen etc.) „zerbrösele“, allerdings wohl eher gering.
Die Fundamentalkritik beruht daher vor allem auf der Beobachtung, dass der Staat im Gegensatz zu einzelnen Haushalten und Unternehmen aufgenommene Kredite kaum zurückzahlt, sodass der Schuldenstand absolut stetig wächst. Mit der Schuldenbremse sollte dies verhindert werden. Sie sollte sicherstellen, dass die Steuerzahler der Zukunft nicht zu hohe Schulden bedienen müssen. Übersehen wird dabei, dass die zukünftigen Generationen nicht nur als Steuerzahler, sondern auch als Erben der Staatsschuldtitel mit entsprechenden Zinsforderungen auftreten werden. Sie zahlen also Steuern, die direkt an sie in Form von Zinszahlungen zurückfließen. Sicher, dabei treten Verteilungseffekte auf, weil nicht alle gleich viel Steuern zahlen und in gleichem Umfang Staatsanleihen erben werden. Deshalb ist die investive Verwendung kreditfinanzierter Staatsausgaben so wichtig: Sie mildert den Verteilungskonflikt innerhalb der zukünftigen Generationen. Positive Einkommenseffekte erleichtern den Schuldendienst durch die Steuerzahler, ohne die Zinsforderungen der Titelhalter zu entwerten. Der Kreislauf zwischen Steuerzahlern und Empfängern von Zinszahlungen wird allerdings unterbrochen, wenn Staatsschuldtitel im Ausland gehalten werden und die Zinszahlungen aus dem deutschen Steuertopf dorthin fließen. Allerdings: obwohl sich ungefähr 50 % der Staatsschuldtitel in Auslandsbesitz befinden, werden die zukünftigen Generationen unseres Landes davon nicht belastet. Denn zum einen haben Ausländer diese Titel gegen von ihnen begebene Schuldtitel eingetauscht, auf die wir nun eine Rendite bzw. einen Zins erhalten. Zum anderen haben wir in den vergangenen Jahrzehnten mit unserer Sparleidenschaft dem Ausland ermöglicht, mehr auszugeben als es einnimmt. Entsprechend hat Deutschland Nettoforderungen gegenüber dem Ausland in Höhe von ca. 3,3 Billionen Euro. Die zukünftigen Generationen werden also keinen Nettotransfer ins Ausland leisten, sondern Nettozahlungen erhalten.
Dies bedeutet aber nicht, dass die mit der Grundgesetzänderung ermöglichte Ausweitung der Staatsverschuldung unproblematisch ist. Die Herausforderungen liegen nur auf einer anderen Ebene. Mit den nun geplanten kreditfinanzierten Mehrausgaben wird der Staat eine größere Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen ausüben. Diese verstärkte Nachfrage kann zu Inflation führen, nicht zuletzt, weil nicht nur Deutschland, sondern praktisch alle europäischen Länder zeitgleich ihre Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur erhöhen wollen. Zudem ist die Inflationsrate immer noch leicht über dem Ziel der Europäischen Zentralbank von 2 %. Der inflationsfreie Spielraum für eine Ausweitung der Nachfrage ist daher nicht sehr groß. Entsprechend dringlich ist eine Stärkung der Angebotsseite, um das Inflationspotenzial zu begrenzen. Denn sonst wird das Ziel, den Konsum über die Zeit hinweg zu glätten, real – also gemessen in Gütern – gar nicht erreicht werden.
Das eigentliche Risiko der jüngsten Beschlüsse besteht also darin, dass das Ziel Preisstabilität erneut verfehlt wird. Und im Gegensatz zu den Jahren 2022 und 2023 geht dieses Risiko vor allem von der Nachfrageseite aus, ohne damit Inflationsimpulse über die Angebotsseite (Preise für Öl und Gas, Zölle etc.) auszuschließen. Gesamtwirtschaftliche Nachfrage und gesamtwirtschaftliches Angebot bei der Gestaltung der Fiskalpolitik im Auge zu haben, ist daher die zentrale Aufgabe, die sich aus der Lockerung der Schuldenbremse ergibt. Um es in einem Bild auszudrücken: Die jüngsten Beschlüsse haben mit der Vorschrift aufgeräumt, dass Fahrradfahrer immer bremsen sollen. Jeder weiß, dass dies Unsinn ist: Wenn es bergauf geht, ist bremsen hinderlich. Aber genauso unsinnig ist es, nicht zu bremsen, wenn es steil ins Tal geht. Trotz Lockerung der Schuldenbremse sollte der Anteil der kreditfinanzierten Staatsausgaben folglich „gebremst“ werden, falls die Inflation wieder an Fahrt gewinnt.