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Deutschland hat im August 2009 eine Schuldenregel im Grundgesetz verankert. Die Bundesländer müssen bis 2020 ihre Ausgaben grundsätzlich ohne Kredite finanzieren. Konjunkturbedingte Defizite sind weiterhin möglich, die in konjunkturell guten Zeiten ausgeglichen werden müssen. Das RWI hat ein Verfahren entwickelt, wie die Konjunktur- und Strukturkomponenten der Landeshaushalte berechnet werden sollten.

Deutschland wird nicht nur an den Finanzmärkten als Hort stabiler Staatsfinanzen gesehen, es gilt innerhalb der Europäischen Union auch als Vorreiter einer engen Begrenzung der strukturellen Neuverschuldung. Auf das Drängen der deutschen Politik hin haben sich mittlerweile immerhin 25 EU-Staaten – mit Ausnahme Großbritanniens und Tschechiens – in einem „Fiskalpakt“ verpflichtet, Schuldenbremsen einzuführen. Diese Vorreiterrolle hat sich Deutschland dadurch erarbeitet, dass es – der Schweiz folgend, die schon Anfang des vergangenen Jahrzehnts eine Schuldenbremse in der Verfassung implementiert hatte – seit dem 1. August 2009 mit dem geänderten Art. 109 GG eine neue Schuldenregel im Grundgesetz verankert hat. Danach darf die um Konjunktureffekte und um finanzielle Transaktionen bereinigte Nettokreditaufnahme des Bundes ab 2016 grundsätzlich 0,35% des nominalen Bruttoinlandprodukts (BIP) nicht mehr überschreiten. Die Länder müssen ab 2020 bei Normalauslastung der Produktionskapazitäten ihre Ausgaben ohne Kredite finanzieren. Konjunkturbedingte Defizite sind weiterhin zulässig, damit die im Steuer- und Transfersystem eingebauten automatischen Stabilisatoren in konjunkturellen Auf- und Abschwungphasen wirken können. Die in konjunkturell schlechten Zeiten aufgenommenen Kredite müssen dann aber in konjunkturell guten Zeiten durch entsprechende Überschüsse ausgeglichen werden. Die symmetrische Berücksichtigung der Konjunktur soll verhindern, dass die in Krisenzeiten aufgenommenen Defizite zu einem systematischen Anstieg der Staatsverschuldung führen.

Für den Bund wurden mit dem Ausführungsgesetz zu Art. 115 GG klare Vorgaben fixiert, die bei der Schätzung der Konjunkturkomponente des Finanzierungssaldos eine Orientierung am Konjunkturbereinigungsverfahren vorsehen, das von der EU-Kommission im Rahmen der Überwachung des Stabilitäts- und Wachstumspakts angewendet wird. Dieser zentrale Aspekt der praktischen Umsetzung der neuen Verschuldungsbegrenzung wurde den 16 Ländern überlassen (Art. 109 Abs. 3 GG). Ihnen steht damit frei, ein eigenes Konjunkturbereinigungsverfahren anzuwenden, sofern es die Auswirkungen von konjunkturellen Auf- und Abschwüngen auf den Landeshaushalt symmetrisch berücksichtigt. Lediglich in Schleswig-Holstein ist die praktische Umgesetzung bisher erfolgt.1

Im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen hat das RWI verschiedene Verfahren zur Ermittlung von Konjunkturkomponenten der Länderhaushalte geprüft und mit dem Aggregierten Quotierungsverfahren eine praxistaugliche Methode ausgearbeitet, die zur Berechnung der zyklischen Einflüsse auf die Finanzierungssalden der einzelnen Länder geeignet ist.2

Einfluss konjunktureller Schwankungen auf die Länderhaushalte

Um die Auswirkungen der Konjunktur auf die Haushalte der einzelnen Länder zu erfassen, sind zunächst diejenigen Positionen zu identifizieren, die von der konjunkturellen Entwicklung bestimmt werden. Auf der Einnahmenseite sind dies typischerweise die konjunkturreagiblen Steuereinnahmen, wie z.B. die Einkommensteuer, auf der Ausgabenseite z.B. die arbeitsmarktbedingten Ausgaben. Wegen der Besonderheiten des deutschen föderalen Systems ist aber zu berücksichtigen, inwieweit diese grundlegenden Zusammenhänge auch auf die Haushalte der einzelnen Länder zutreffen. Auf Länderebene sind im Wesentlichen nur die Steuereinnahmen konjunkturreagibel, wie auch die Berechnungen der OECD und des ifo-Instituts belegen.3 Die Länder weisen hingegen keine arbeitsmarktbezogenen Ausgaben auf, da die entsprechende Zuständigkeit beim Bund liegt; lediglich bei den Stadtstaaten fallen aufgrund der kommunalen Zuständigkeit Ausgaben zur Sicherung des Existenzminimums an. Die Konjunkturbereinigung von Finanzierungssalden der Länder kann somit auf die Einnahmenseite konzentriert werden.

Zudem sind für die Finanzausstattung eines Landes nicht nur die jeweils vereinnahmten oder aus den Gemeinschaftssteuern zugewiesenen Steuern relevant. Eine große Bedeutung kommt vielmehr den Auswirkungen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs zu. Die einzelnen Mechanismen des Finanzausgleichs (Umsatzsteuerverteilung, Länderfinanzausgleich, allgemeine Bundesergänzungszuweisungen) führen zu einer weitgehenden Nivellierung der Steuereinnahmen der einzelnen Länder. Mögliche Unterschiede in der Konjunkturkomponente der Länder spielen letztlich für die Finanzausstattung eines Landes keine Rolle.4 Die Steuereinnahmen der Länder werden vielmehr vom gesamtstaatlichen Konjunkturverlauf bestimmt. Deshalb kann ein Verfahren zur Ermittlung von Konjunkturkomponenten in den Länderhaushalten auch an der gesamtdeutschen Produktionslücke anknüpfen.

Umsetzung des Aggregierten Quotierungsverfahrens

Mit dem vom RWI entwickelten Aggregierten Quotierungsverfahren werden die Struktur- und die Konjunkturkomponenten der einzelnen Länderhaushalte in drei Schritten ermittelt (vgl. Abbildung 1). Im ersten Schritt wird für Deutschland insgesamt die gesamtwirtschaftliche Produktionslücke als zyklische Abweichung des beobachteten bzw. erwarteten BIP von seinem langfristigen Wachstumstrend geschätzt. Dieses Trend- bzw. Potenzial-BIP wird mit Hilfe einer gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion vom Typ Cobb-Douglas geschätzt.5 Die damit ermittelte gesamtstaatliche Produktionslücke (OLges) wird als relative Größe definiert, in dem die Differenz von aktuellem BIP (Y) und dem Potenzial-BIP (YT) auf die Potenzialgröße bezogen wird:

Formel

Auf dieser Basis führen das Bundeswirtschaftsministerium, die EU-Kommission und die Gemeinschaftsdiagnose6 regelmäßig Schätzungen der Produktionslücke durch und veröffentlichen diese zeitnah. Somit kann auf ein bewährtes empirisches Verfahren der Konjunkturbereinigung zurückgegriffen werden, auf das sich auch die Europäische Kommission im Rahmen der Überwachung des Stabilitäts- und Wachstumspakts stützt und das vom Bund zur Umsetzung der Schuldenbremse auf Bundesebene angewandt wird. Zudem muss von den Ländern keine eigene Schätzung der Produktionslücke vorgenommen werden.

Abbildung 1
Umsetzung des Aggregierten Quotierungsverfahrens
  Finanzierungs­saldo (bereinigt) Konjunktur­komponente Struktur­komponente
Baden-Württemberg -244 -145 -100
Bayern -804 -432 -372
Brandenburg -1286 -516 -769
Hessen -1710 -245 -1465
Mecklenburg-Vorpommern -143 -101 -42
Niedersachsen -1920 -317 -1603
Nordrhein-Westfalen -5066 -714 -4352
Rheinland-Pfalz -1583 -170 -1413
Saarland -735 -244 -491
Sachsen -1301 -116 -1185
Sachsen-Anhalt -863 -45 -818
Schleswig-Holstein -617 -141 -476
Thüringen -244 -133 -111
Berlin -1252 -312 -941
Bremen -1226 -55 -1172
Hamburg -807 -157 -650

Abweichungen in den Summen durch Rundung der Zahlen.

Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes, des Bundesministeriums der Finanzen, des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (Gesamtwirtschaftliches Produktionspotenzial und Konjunkturkomponenten, Berlin 2012) sowie der Länderfinanzministerien zu einer aktuellen Datenabfrage des RWI im Oktober 2011.

Im zweiten Schritt wird analysiert, wie sich eine Produktionslücke auf die Ländereinnahmen auswirkt. Dabei ist es aufgrund des Gleichlaufs der Steuereinnahmen der Länder ausreichend, die Auswirkungen etwaiger Produktionslücken auf die Einnahmen der Ländergesamtheit zu ermitteln. Dies wird anhand von durchschnittlichen Teilelastizitäten µifür die Einkommensteuern, die gewinnabhängigen Steuern und die indirekten Steuern umgesetzt, die von Girouard und André für einzelne konjunkturreagible Einnahmekategorien für Deutschland geschätzt wurden. Bei diesen drei Einnahmekategorien zählen zum Länderanteil der persönlichen Einkommensteuern TEStL die Lohnsteuer und die veranlagte Einkommensteuer. Zu den gewinnabhängigen Steuern
TGewStL gehören die Körperschaftsteuer, die nicht veranlagten Steuern vom Ertrag, die Zinsabschlagsteuer, die Gewerbesteuerumlage und die erhöhte Gewerbesteuerumlage. Zu den indirekten Steuern TIndStL zählen die Umsatzsteuer und die Landessteuern (ohne Erbschaftsteuer).7 Angenommen wird zudem, dass die für den gesamtstaatlichen Haushalt ermittelten Elastizitäten auch für die Ebene der Ländergesamtheit zutreffen, da die Länder aufgrund des steuerlichen Verbundsystems prozentual an den aufkommensstärksten Steuern beteiligt sind. Die Steuereinnahmen beziehen sich deshalb jeweils auf diejenigen Größen, die sich nach der vertikalen Steuerverteilung ergeben. Allgemeine und Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen bleiben unberücksichtigt. Die Teilelastizitäten
µESt = 1,61, µGewSt = 1,53 und µIndSt = 1,0 geben an, welche prozentualen Änderungen sich bei den jeweiligen Einnahmekategorien ergeben, wenn sich die Produktionslücke um einen Prozentpunkt verändert.

Multipliziert man die Summe der mit den jeweiligen Länderanteilen (TiL ) an den einzelnen Steuereinnahmen gewichteten Einnahmeelastizitäten µi mit der Produktionslücke OLges, so erhält man die Konjunkturkomponente des Finanzierungssaldo der Ländergesamtheit FSKL gemessen in Euro, die den Effekt von zyklischen Schwankungen des BIP auf den Finanzierungssaldo beziffert. Die Konjunkturkomponente erweitert die Kreditspielräume in konjunkturell schlechten Zeiten (d.h. bei einer Unterauslastung der Produktionskapazitäten) und schränkt sie in konjunkturell guten Zeiten (d.h. bei einer Überauslastung der Produktionskapazitäten) ein bzw. erfordert dann Überschüsse:

Formel

Im dritten Schritt wird die ermittelte Konjunkturkomponente der Ländergesamtheit (FSKL) mit einem Quotierungsschlüssel für jedes Land auf die einzelnen Länder aufgeteilt. Weil sich die Leistungsfähigkeit eines Landeshaushalts am ehesten an den Einnahmen festmachen lässt, bietet sich als Quotierungsschlüssel der Anteil des Landes am Steueraufkommen der Ländergesamtheit an. Die Konjunkturkomponente FSKi eines Landes i ergibt sich somit als:

Formel

wobei Ti das landesspezifische Steueraufkommen und TL das Steueraufkommen der Ländergesamtheit darstellen. Dabei wird als landesspezifisches Steueraufkommen die Finanzkraft nach Länderfinanzausgleich und nach allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen definiert. Weitere vertikale Zuweisungen des Bundes wie die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen werden nicht berücksichtigt.

Die jeweilige Strukturkomponente des einzelnen Länderhaushalts FSSi ergibt sich schließlich durch Subtraktion der ermittelten Konjunkturkomponenten FSKi von den um finanzielle Transaktionen8 bereinigten Finanzierungssalden des Landes FSBi:

Formel

Eine Besonderheit fällt hierbei den Stadtstaaten zu, weil dort nicht nur die landesspezifischen, sondern auch die kommunalen Steuern vereinnahmt werden. Deshalb muss hier neben der länderspezifischen auch noch eine kommunale Konjunkturkomponente berücksichtigt werden. Ermittelt wird diese wie auf Länderebene: Die kommunalen Steuereinnahmen werden gemäß der Einordnung der OECD aufgeteilt und mit den entsprechenden Teilelastizitäten sowie mit der Produktionslücke multipliziert. Die bei den Stadtstaaten vorzunehmende Ergänzung hat aber keinen Einfluss auf die Höhe der Konjunkturkomponenten der Flächenländer.

In der Abbildung wird die anhand des Aggregierten Quotierungsverfahrens berechnete Konjunkturkomponente der Ländergesamtheit, die sich nach dem Datenstand Januar 2012 im Jahr 2010 auf 3,8 Mrd. Euro belief (Schritt 2), exemplarisch auf die einzelnen Länder aufgeteilt. Neben den konjunkturellen Schwankungen werden die Finanzierungssalden der einzelnen Länder auch um finanzielle Transaktionen bereinigt und sodann die strukturellen Finanzierungssalden berechnet (Schritt 3). Diese vermitteln einen Eindruck über den in den einzelnen Länderhaushalten bestehenden Konsolidierungsbedarf, der sich aus dem fälligen Abbau der strukturellen Defizite ergibt.

Der überwiegende Teil der 2010 angefallenen Haushaltsfehlbeträge der Länder war nach unseren Berechnungen struktureller Natur. Einige Länder wiesen einen erheblichen Konsolidierungsbedarf auf: Das strukturelle, bis Ende 2019 abzubauende Defizit belief sich in Bremen auf 25,8%, im Saarland auf 21,1%, in Schleswig-Holstein auf 12,7%, in Rheinland-Pfalz auf 10,5% und in Nordrhein-Westfalen auf 8,1% der bereinigten Ausgaben des Jahres 2010.9 Aber nicht nur in diesen Ländern besteht ein hoher Konsolidierungsbedarf, auch in den meisten anderen Ländern sind in den kommenden Jahren erhebliche Anstrengungen erforderlich, um spätestens 2020 einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.10

Anwendung des Aggregierten Quotierungsverfahrens

Für die Haushaltsplanung eines Landes ist es notwendig, die erwarteten konjunkturellen Einflüsse auf das Budget vorab zu schätzen. Zum Zeitpunkt der Haushaltsplanung sind aber naturgemäß die künftigen Steuereinnahmen, etwaige Abweichungen des BIP vom Produktionspotenzial (Produktionslücke) und der Quotierungsschlüssel für die Aufteilung der Konjunkturkomponente im Planungsjahr nicht bekannt. Bei der Anwendung des Aggregierten Quotierungsverfahrens zur Ermittlung von Ex-ante-Konjunkturkomponenten der einzelnen Länder müssen deshalb die zum Zeitpunkt der Haushaltsaufstellung vorliegenden Schätzungen der genannten Größen verwendet werden. Für die Steuereinnahmen können die Aufkommenserwartungen des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ (AKS), für die Produktionslücke die entsprechenden Veröffentlichungen der Bundesregierung, der EU-Kommission oder der Gemeinschaftsdiagnose verwendet werden. Beim Quotierungsschlüssel kann auf den Vorjahresschlüssel zurückgegriffen werden, weil die Länderanteile am Steueraufkommen sich wegen des engen Steuerverbunds im Zeitablauf kaum ändern.11 Somit sind alle notwendigen Informationen vorhanden, um die Konjunkturkomponenten der einzelnen Länder schätzen und damit auch die strukturellen Defizite der kommenden Jahre ableiten zu können.

Im Rahmen von Haushaltsvollzug und Haushaltskontrolle ist schließlich die Frage zu beantworten, wie mit Abweichungen von den Plandaten umzugehen ist. Dies betrifft insbesondere das Produktionspotenzial und die Steuereinnahmen, deren Entwicklung sich erfahrungsgemäß nicht exakt vorhersagen lassen.12 Somit werden auch die Finanzierungssalden, die Konjunktur- und folglich auch die Strukturkomponenten der Länderhaushalte bei Haushaltsvollzug und nach Haushaltsabschluss anders ausfallen als in der Planung angesetzt. Wie mit diesen Abweichungen umgegangen werden kann, haben der Bund bei der Umsetzung der Schuldenbremse auf Bundesebene13 und der Stabilitätsrat bei der Überwachung der Konsolidierungsverpflichtungen der Konsolidierungshilfeländer14 mit zwei unterschiedlichen Vorgehensweisen gezeigt.

Die Chance für eine Institutionalisierung der Verschuldungsbegrenzung durch Aufnahme einer Regelung in die Landesverfassung haben mit Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz bereits einige Länder genutzt.15 Allerdings hat lediglich Schleswig-Holstein auch bereits eine genaue Umsetzung der Schuldenbremse in der Haushaltsplanung, der Haushaltsführung und der Haushaltskontrolle gesetzlich fixiert, bei allen anderen Ländern steht dies noch aus. Das hier vorgestellte Aggregierte Quotierungsverfahren bietet sich an, um die zyklischen Einflüsse auf die einzelnen Länderhaushalte zu schätzen. Wie oben beschrieben, liegen den Ländern die hierzu notwendigen Informationen vor, so dass das Verfahren unmittelbar angewendet werden könnte. Das Verfahren ist ökonomisch sachgerecht und nimmt – der Anforderung von Art. 109 GG folgend – eine Konjunkturbereinigung vor.

Zudem ist das Verfahren konsistent mit dem von der EU angewendeten Verfahren zur Überwachung des Stabilitäts- und Wachstumspakts sowie mit dem Verfahren des Bundes bei der Umsetzung der Schuldenbremse auf Bundesebene. Nicht zuletzt aus diesen Gründen hat der Sachverständigenrat daher den Ländern empfohlen, das Aggregierte Quotierungsverfahren zur Berechnung der Konjunktur- und Strukturkomponenten der einzelnen Länder zu übernehmen.16

Zwar muss sich auch das Aggregierte Quotierungsverfahren auf Schätzungen für die zukünftige Produktionslücke und die zukünftigen Steuereinnahmen stützen, die erfahrungsgemäß mit Unsicherheiten behaftet sind, aber für die damit zusammenhängenden Probleme in Haushaltsplanung und -vollzug werden konkrete Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen. Die mit der Schuldenbremse eingeführte grundgesetzliche Vorschrift, in konjunkturell guten Phasen für konjunkturelle Schwächephasen vorzusorgen, lässt sich nur umsetzen, wenn ein Verfahren zur Ermittlung von Konjunktur- und Strukturkomponenten von Finanzierungssalden angewendet wird.

  • 1 Die Umsetzung der Schuldenbremse in Schleswig-Holstein wurde durch das Gesetz zur Ausführung von Artikel 53 der Verfassung des Landes am 21.3.2012 konkretisiert.
  • 2 RWI: Ermittlung der Konjunkturkomponenten für die Länderhaushalte zur Umsetzung der in der Föderalismuskommission II vereinbarten Verschuldungsbegrenzung. Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen, Essen 2010.
  • 3 Vgl. N. Girouard, C. André: Measuring cyclically-adjusted budget balances for OECD Countries, OECD Economics Department Working Paper Nr. 434, Paris 2005; vgl. T. Büttner, A. Dehne, G. Flaig, O. Hülsewig, P. Winker: Berechnung der BIP-Elastizitäten öffentlicher Ausgaben und Einnahmen zu Prognosezwecken und Diskussion ihrer Volatilität, ifo Forschungsbericht Nr. 28, München 2006.
  • 4 Vgl. RWI, a.a.O., S. 14.
  • 5 F. D’Auria, C. Denis, K. Havik, K. Mc Morrow, C. Planas, R. Raciborski, W. Roger, A. Rossi: The production function methodology for calculating potential growth rates and output gaps, European Commission Economic Papers 420, Brüssel 2010.
  • 6 Das Bundeswirtschaftsministerium hat die an der Gemeinschaftsdiagnose beteiligten Wirtschaftsforschungsinstitute damit beauftragt, neben der Kurzfristprognose auch eine Potenzialschätzung nach der EU-Methode durchzuführen, um eine unabhängige wissenschaftliche Referenz für die eigene Potenzialschätzung zu haben.
  • 7 Girouard und André schätzten die Teilelastizitäten auf Grundlage von VGR-Daten. Die Haushaltsdaten der einzelnen Länder liegen jedoch nur in finanzstatistischer Abgrenzung vor. Daher sind die den Teilelastizitäten zuzurechnenden Budgetkomponenten möglichst VGR-nah abzugrenzen, um Konsistenz zu wahren.
  • 8 Bei der neuen Schuldenregel werden die Einnahmen und die Ausgaben der öffentlichen Haushalte um rein finanzielle Transaktionen, denen Vermögenszu- oder -abgänge gegenüberstehen, bereinigt: Einnahmen aus Beteiligungsveräußerungen oder Darlehensrückflüssen mindern die zulässige Kreditaufnahme – Ausgaben für Beteiligungserwerb oder für Darlehensvergabe erhöhen sie.
  • 9 Bei diesen Berechnungen wurden die vom Bundesministerium für Wirtschaft geschätzten Produktionslücken zugrunde gelegt. Berechnungen, die die von der EU-Kommission oder der Gemeinschaftsdiagnose geschätzten Produktionslücken berücksichtigen, können zu abweichenden Ergebnissen führen. Zudem erstreckt sich die Analyse auf die Kernhaushalte der Länder. Neben- bzw. Extrahaushalte wurden in die Analyse nicht einbezogen.
  • 10 Zum Konsolidierungsbedarf und den bisherigen Konsolidierungsanstrengungen der Länder vgl. RWI: Sprengsatz Länderhaushalte – Wege zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik: Was taugt der Stabilitätsrat? Taugt er als Vorbild für Europa?, Essen 2011.
  • 11 Vgl. RWI, a.a.O., S. 76.
  • 12 Zu den Schätzunsicherheiten im aktuellen EU-Verfahren vgl. Deutsche Bundesbank: Die Schuldenbremse in Deutschland – Wesentliche Inhalte und deren Umsetzung, Monatsbericht, Oktober 2011, S. 34-37; zur Treffsicherheit der Prognosen des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ vgl. H. Gebhardt: Methoden, Probleme und Ergebnisse der Steuerschätzung, in: RWI Mitteilungen, 52 (2), 2001, S. 127-147.
  • 13 Bundesministerium der Finanzen: Haushaltsabschluss 2011, Monatsbericht, Februar 2012, Berlin, S. 59-61.
  • 14 Stabilitätsrat: Verwaltungsvereinbarungen zum Gesetz zur Gewährung von Konsolidierungshilfen der Länder Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein, Berlin 2011.
  • 15 Zur Umsetzung der neuen Verfassungsregeln in den einzelnen Ländern vgl. Deutsche Bundesbank, a.a.O., S. 34-37.
  • 16 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Chancen für einen stabilen Aufschwung, Jahresgutachten 2010/11, Wiesbaden 2010, Zf. 359.

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DOI: 10.1007/s10273-012-1371-6