Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) besitzt Spaltungspotenzial für die Gesellschaft: Würde es zur Abschaffung der Armut beitragen oder die Zukunft unserer Leistungsgesellschaft gefährden? Wäre es auf die Dauer überhaupt finanzierbar? Die Antwort auf diese Fragen hängt davon ab, wie die Bürger auf die Einführung dieses neuen Sozialmodells reagieren würden. Würden sie weniger arbeiten und verlören sie den Ehrgeiz sich weiterzubilden?
Antworten auf diese Fragen sucht eine durch Spenden finanzierte experimentelle Pilotstudie, angestoßen und durchgeführt vom Verein „Mein Grundeinkommen e. V.“ und dem Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), in dem 122 Personen zwischen 21 und 40 Jahren mit relativ niedrigem Einkommen (zwischen 1.100 und 2.600 Euro netto) drei Jahre lang je 1.200 Euro im Monat abgabenfrei und ohne Bedingungen erhielten. Die Ergebnisse der Befragung von 107 Personen wurden kürzlich präsentiert und Zeitungen titelten „Vorurteil der sozialen Hängematte ist falsch“, denn die Testpersonen arbeiteten nicht weniger und sparten im Durchschnitt 37 % des zusätzlichen Einkommens. Auch wurden eine höhere Lebenszufriedenheit, weniger Stress und ein erfüllteres Sozialleben angegeben. Die Vereinsvorsitzende Klara Simon schloss daraus, das BGE könne gar zu Einsparungen im Gesundheits- und Sozialsystem führen, und sie zog das positive Resümee: „Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein soziales Sprungbrett.“
Ist die Frage nach den Wirkungen damit beantwortet? Muss der schwarz-rote Koalitionsvertrag umgeschrieben und schleunigst ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt werden? Die folgenden Gründe sprechen gegen eine Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse des Experiments:
- Es macht einen großen Unterschied, ob ein BGE dauerhaft eingeführt wird oder mit einer zeitlichen Befristung, bei der die Empfänger wissen, dass für sie nach wenigen Jahren wieder die „alten“ Regeln gelten.
- Genauso wichtig ist es, ob man ein einzelner Transferempfänger in einem Umfeld ist, in dem alle anderen erwachsenen und arbeitsfähigen Menschen arbeiten, oder ob die Möglichkeit für alle besteht, auf Staatskosten ihren Hobbies nachzugehen. Die Normen und Vorstellungen dessen, was sozial akzeptiert wird, passen sich daran an, wie verbreitet ein Verhalten ist.
- Generell verhalten sich Menschen anders, wenn sie wissen, dass sie unter Beobachtung stehen, vor allem wenn sie einer kleinen Gruppe von Auserwählten angehören (in diesem Fall 122 von 2 Mio. Bewerbern), als wenn gleiche Regeln für alle Bürger gelten. Die Dankbarkeit gegenüber den Spendern könnte zu einem Verhalten beigetragen haben, das deren Erwartungen entspricht.
- Den Probanden wurden die zusätzlichen 1.200 Euro steuer- und abgabenfrei ausgezahlt; sonstiges Einkommen wurde besteuert wie bisher, d. h. mit einem jährlichen Freibetrag von knapp 10.000 Euro und niedrigem Eingangssteuersatz. Demgegenüber sehen alle durchgerechneten Vorschläge für ein BGE vor, dass der Steuersatz für alle weiteren Einkünfte mindestens 50 % betragen muss (vgl. die Übersicht in Osterkamp, R. (2015). Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland finanzierbar? In Auf dem Prüfstand: Ein bedingungsloses Grundeinkommen für Deutschland? Nomos, S. 225–250, insb. Tabelle 1 auf S. 234 f.). Die Arbeitsanreize insbesondere für Menschen mit geringem Stundenlohn werden sich also fundamental unterscheiden.
- Wenn das Grundeinkommen an alle Bürger ausbezahlt würde, würden sich auch die Preise z. B. auf dem Markt für einfache Dienstleistungen ändern. Nicht nur sind die Effekte auf das Arbeitsangebot schwer vorherzusagen, sondern auch die Zahlungsbereitschaften der Konsumenten. Ob bzw. inwieweit eine Welt mit Grundeinkommen dann eine für die Gesellschaft „bessere“ wäre, gehört zu den wichtigsten Fragen in der Debatte über ein BGE. Zu gesamtwirtschaftlichen Angebots- und Nachfrageeffekten kann die Studie aufgrund der gewählten Methode keine Erkenntnisse liefern, was deren Verallgemeinerbarkeit einschränkt.
Das DIW gibt in seinem Wochenbericht Nr. 15/2025 an, dass die Studie einen „evidenzbasierten Baustein zur Versachlichung der sozialpolitisch relevanten Debatte“ (um das BGE) liefern würde. Gerade diese Aussage lässt sich jedoch bestreiten, da das Experiment aus den genannten Gründen den Lackmustest der externen Validität nicht besteht. Dabei liegt das nicht am fehlerhaften Design dieser speziellen Studie, sondern an der grundsätzlichen Unmöglichkeit, eine auf Dauer angelegte und für die ganze Bevölkerung geltende Sozialreform an einer kleinen Gruppe, zeitlich begrenzt und mit anderen Abgaberegeln zu testen. Abgesehen von der fehlenden Übertragbarkeit auf ein „echtes BGE“ gibt es doch eine überraschende Erkenntnis aus dem Experiment: Schenkt man jungen Menschen, die nicht zu den Topverdienern zählen, 43.200 Euro (verteilt über 36 Monate), so legen sie davon nur ein gutes Drittel auf die hohe Kante, was für einen relativ kurzen Zeithorizont spricht.