Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Das bedingungslose Grundeinkommen wird schon seit vielen Jahren diskutiert. Es soll Probleme lösen, die durch den demografischen Wandel, die Digitalisierung und Automation entstehen können. Dabei sind in Hinblick auf die Details ganz unterschiedliche Konzepte Grundlage für die Diskussion. So ist nicht geklärt, welche Höhe ein solches Grundeinkommen haben sollte, welche Sozialleistungen dadurch ersetzt werden können und vor allem, wie es zu finanzieren ist. In der Praxis wurde es als Feldexperiment in Finnland durchgeführt. Hier wurde vor allem die Frage gestellt, inwieweit das Grundeinkommen bei Arbeitslosen Arbeitsanreize auslöst oder schwächt.

Die Vision eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) kann einem „Narrativ“ zugeordnet werden, welches das Verhalten von Menschen und somit auch die Wirtschaft zu beeinflussen und vielleicht in nicht gar so ferner Zukunft auch zu prägen vermag.1 Ein BGE, das jedem Bürger lebenslang ein individuelles existenzsicherndes – und Armut vermeidendes – Einkommen gewährt und zwar ohne eine vorrangige Verpflichtung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, sowie ohne Inanspruchnahme vorhandener eigener oder familiärer Einkommens- oder Vermögensressourcen ist so radikal wie auch gleichzeitig umstritten. Es wird aus dem Kontext sowohl liberaler als auch sozialer und egalitärer Gerechtigkeitskonzeptionen2 heraus begründet und würde in modernen Verfassungsstaaten die jedem Bürger zugestandenen Freiheits- und Gleichheitsrechte als weiterführendes Grundrecht auf die Gewährleistung eines existenzsichernden sozio-kulturellen Existenzminimimus ergänzen und materiell unterfüttern sowie auf diese Weise die Realisierung individueller Vorstellungen eines gelingenden und guten Lebens ermöglichen.3 Derzeit können zwei sich teilweise überschneidende Hauptdiskurse ausgemacht werden, in deren Kontext das BGE als künftige Lösung erachtet wird:

  1. Infolge des demografischen Wandels wird es künftig schwieriger, die paritätisch durch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge umlagefinanzierten Sozialsysteme zu finanzieren. Der steuerfinanzierte Anteil an sozialen Sicherungsleistungen liegt bereits heute bei rund 40 %.
  2. Der zweite Diskurs bezieht sich auf das vermeintliche Ende der Erwerbsarbeitsgesellschaft infolge von Automation, Digitalisierung, Robotereinsatz und neuerdings des Einsatzes künstlicher Intelligenz auf berufliche Tätigkeiten sowie die fortschreitende Freisetzung menschlicher Arbeit.4

In der Wissenschaft wird das Thema nach wie vor ausgesprochen kontrovers diskutiert und die Positionen von Befürwortern wie Gegnern eines bedingungslosen Grundeinkommens stehen in der Regel wenig versöhnlich nebeneinander.5 Seit geraumer Zeit existieren auch in Deutschland unterschiedliche Modellvarianten,6 die sich vor allem hinsichtlich der Frage unterscheiden, wer berechtigt sein soll, ein BGE zu beziehen, wie hoch ein monatlicher Betrag zu sein hat, welche der derzeitigen Leistungen zur sozialen Sicherung teilweise oder vollständig ersetzt werden sollen, welche Anreize zur Ausübung einer Beschäftigung gesetzt sind und – vielfach als zentral erachtet –, wie und mit welchen Steuerarten ein solches BGE finanziert werden soll.7 Zur Versachlichung der Debatte mangelt es freilich derzeit daran, dass weltweit noch vergleichsweise wenige konkrete Erfahrungen mit einer zumindest zeitweisen Erprobung eines BGE vorliegen, die belastbare Verallgemeinerungen erlauben, sodass vielfach Stereotype und weniger empirische Evidenz die Argumente sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern prägen.

Aktuelle Überblicksstudien zum BGE

Der Annual Review of Economics bereichert mit einem Symposium8 zum BGE die Debatte. Einer der drei Beiträge liefert einen Überblick über Wirkungen eines BGE in Entwicklungsländern sowie über Ergebnisse aus breit angelegten Pilotprojekten. So kann in Entwicklungsländern mit Hilfe eines BGE durchaus auf empirische Erfahrungen sowie Belege zur Armutsreduktion, Senkung der Unterernährung und Steigerungen von Bildungsaktivitäten bei Kindern verwiesen werden. Aber Versuche, das BGE dauerhaft zu implementieren, führen häufig zu Konflikten, wenn ehemalige Befürworter nicht länger politische Verantwortung tragen.9

Ein weiterer Beitrag widmet sich abgeschlossenen und in Vorbereitung befindlichen Feldversuchen in den USA sowie entwickelten Ökonomien, bei denen es um eine Ergänzung oder Substitution von zuvor bestehenden Systemen sozialer Sicherung für spezifische Teilgruppen geht.10 Dabei stellen sie eine Reihe zentraler Parameter unterschiedlicher in den USA erprobter Grundeinkommensansätze, aber auch jüngst abgeschlossener oder in Vorbereitung befindlicher BGE-Feldexperimente für eine vergleichende Betrachtung in den Vordergrund: Höhe eines garantierten Einkommens, Höhe des maximalen Transfers, Höhe des Transfers ab dem bei Erwerbstätigkeit ein Transferentzug erfolgt, Höhe der Transferentzugsrate, Beschränkungen der Bezugsgruppen.

Eine solche Differenzierung erlaubt es, auch Teil-Elemente eines BGE, wie die Gewährung einer negativen Einkommensteuer in den USA, für die auch in Deutschland bereits entsprechende Vorschläge einer Pilotierung vorliegen,11 miteinander zu vergleichen. Bei der Diskussion einzelner empirisch abgesicherter Erkenntnisse räumen die Autoren ein, dass aufgrund des bisherigen Fehlens einer groß angelegten Implementierung oder auch selbst eines umfassenden Pilotprojekts stets berücksichtigt werden müsse, dass der Stand der Erkenntnis neben politisch ähnlichen Maßnahmen wie einem BGE vor allem auf Arbeiten zum Arbeitsangebot und zu deren annahmegestützten Modellparametern beruhen. Die Autoren verweisen in ihrer kritischen Bewertung einer umfassenden Implementierung eines BGE auf einen Hauptvorteil einer bedingungslosen gegenüber einer bedarfsgeprüften Gewährung von Leistungen. Ein bedingungsloser Anspruch macht es leichter möglich, alle Bürger einzubeziehen, da eine Nichtinanspruchnahme aufgrund von sozialer Scham, Stigma oder Uninformiertheit ausgeschlossen sind. Würde das BGE universell gewährt, entstünden allerdings hohe Kosten. Diese werden als etwa doppelt so hoch wie das Budget aller derzeit in den USA ausgezahlten Sozialleistungen sein und würden die Frage aufwerfen, welche Höhe und vor allem welche Art von zusätzlichen Steuereinnahmen generiert werden und welche Leistungen gleichwohl auch in Zukunft noch aufgebracht werden müssten. Zwar begrüßen die Autoren, dass durch künftige Feldexperimente der Grad der Erkenntnisse zu Arbeitsangebotsveränderungen, Engagement in (Weiter-)Bildung, Einkommensverteilung sowie Wohlbefinden und Gesundheit substanziell vergrößert würde, aber dies betreffe vermutlich lediglich kurzfristige Anpassungen und Verhaltensänderungen. Die Autoren bleiben skeptisch und vermuten, dass zeitlich begrenzte Feldexperimente wenig zu langfristigen Verhaltensänderungen beitragen können.

Erkenntnisse durch das finnische Feldexperiment

Dass dennoch aus zeitlich begrenzten Feldexperimenten Erkenntnisfortschritte gezogen werden können, belegen die ersten Analysen eines mittlerweile abgeschlossenen finnischen Feldexperiments. 2017 und 2018 wurden 2000 Finnen, die arbeitslos, zwischen 25 und 58 Jahre alt waren und Sozialtransfers bezogen, per Zufall ausgewählt (Treatment-Gruppe).12 Über einen Zeitraum von 24 Monaten wurde ihr Verhalten mit einer Kontrollgruppe von Arbeitslosen im bestehenden System, das durchaus ähnlich wie die in Deutschland geltenden Hartz-IV-Regelungen angelegt ist, verglichen. Der Treatment-Gruppe wurde für zwei Jahre monatlich 560 Euro ausgezahlt: Die Teilnehmer hatten dann die Wahl, ob sie sich mit dem Betrag zufrieden geben oder ob sie ohne Abzüge eine Erwerbstätigkeit aufnehmen und etwas dazu verdienen wollen. Bedingungslos war das Einkommen deshalb, weil die Sozialbehörden weder Fragen noch Bedingungen in dieser Zeit gestellt haben.

Die Studie erlaubt also Aussagen zu Fragen wie: Was passiert, wenn der Staat zwar fördert, aber nicht mehr fordert und es keine Verpflichtung mehr zur Arbeit und zur Beendigung der Arbeitslosigkeit gibt? Neigen die Menschen dann eher zu Fleiß oder zu Faulheit? Deshalb wurde es international auch als Test eines bedingungslosen Grundeinkommens breit diskutiert. Vielfach wurde auch in der deutschsprachigen Medienöffentlichkeit darüber berichtet, obwohl der Test nur für eine vergleichsweise kleine Zielgruppe verallgemeinernde Schlussfolgerungen erlaubt. Zwar soll der Endbericht des finnischen Feldexperiments erst Anfang Mai 2020 vorgelegt werden, dennoch überraschten bereits die Anfang 2019 veröffentlichten Zwischenergebnisse der Studie,13 wonach eine bedingungslose Gewährung von Grundsicherungsleistungen Arbeitslose zufriedener macht und zu weniger mentalen gesundheitlichen Einschränkungen führte. Die zweite Hypothese hingegen, wonach die bedingungslose Zahlung von Einkommen sie „fauler“ mache – wie es zumindest gängige Arbeitsangebotsmodelle unterstellen – konnte falsifiziert werden. Eine nicht anders als naiv einzuordnende politische Erwartung konnte freilich nicht eingelöst werden, dass Arbeitslose infolge der Zahlung häufiger eine Erwerbstätigkeit aufnehmen würden; naiv ist die Erwartung deshalb, weil es ja das erklärte Ziel eines Grundeinkommens ist, Menschen nicht länger in die Annahme von ungeliebten Aushilfsjobs zu zwingen. Der Abschlussbericht der finnischen Studie wird die bisherigen Erkenntnisse über die Anreizwirkungen auf Langzeitarbeitslose erheblich verbessern.

Wirksamkeit von Sanktionen

Auch das wegweisende Urteil zu den Sanktionen im Hartz-IV-System des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 5. November 2019 hat durchaus einen Bezug zum BGE,14 da das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gestärkt wurde. Das Gericht stellt in seinem Urteil sowie der ausführlichen Begründung zudem fest, dass bis heute die tatsächliche Wirkung von Sanktionen nicht umfassend empirisch untersucht sei. Es gebe viele offene Fragen. Es genüge nicht, sich bei Maßnahmen, die verfassungsmäßige Rechte einschränken, vor allem auf plausible Annahmen zu stützen. Die bestehende Erkenntnislücke kann man einerseits als Unkenntnis darüber beschreiben, ob es bei höherer Sanktionierung zu einer nachhaltigeren Arbeitsmarktintegration kommt. Andererseits fehlt es derzeit an empirischer Evidenz, ob mehr „negative Freiheit“15 – also die Abwesenheit von staatlicher Kontrolle – und zusätzliche positive Anreize Langzeitarbeitslose vielleicht stärker zur Aufnahme einer Arbeit motivieren könnte. In diesem Zusammenhang ist auf ein bundesweites Projekt hinzuweisen, das hierzu vermutlich in Kürze empirische Erkenntnisse zu liefern vermag. So bietet das Projekt „HartzPlus“16 insgesamt 250 Menschen, denen im Hartz-IV-Bezug eine Sanktion verhängt wurde, Garantien – im Sinne von Ausgleichszahlungen – gegen Sanktionen. Das Projekt wird dabei drei Jahre lang finanziert17 und hat den Anspruch, die Folgen von Sanktionen zu erforschen.

Tabelle 1
Einstellung zum bedingungslosen Grundeinkommen in Deutschland von 2016/2017 bis Herbst 2019
In %
Alles in allem, wären Sie gegen oder für ein solches Grundeinkommen in Deutschland? ESS, Welle 8
2016/2017
SOEP-IS-BUS
2017
SOEP-IS-BUS
2018
SOEP-IS-Bus
2019
Gesamt- West- Ost- Gesamt- West- Ost- Gesamt- West- Ost- Gesamt- West- Ost-
Deutschland Deutschland Deutschland Deutschland
Sehr dagegen 12 12 10 17 17 13 16 17 11 16 18 11
Dagegen 40 42 33 28 28 26 29 29 27 29 30 27
Dafür 37 36 42 33 34 31 38 35 37 33 33 34
Sehr dafür 8 8 10 16 15 25 16 15 24 15 13 23
Keine Angabe 3 3 5 6 7 4 4 4 1 6 7 4
Anteil Befürworter 45 43 52 50 48 56 55 50 61 48 46 58
Insgesamt 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100

Quellen: 2016/2017: European Social Survey, Welle 8 – deutsche Teilstichprobe n = 2852 (davon Westdeutschland n = 1915, Ostdeutschland n = 937), erwachsene Personen 15 Jahre und älter (gewichtete Angaben); 2017: SOEP-IS-BUS-Modul BGE, deutschsprachige Bevölkerung n = 2031 (davon Westdeutschland n = 1692 und Ostdeutschland n = 339), erwachsene Personen 14 Jahre und älter (gewichtete Angaben); 2018: SOEP-IS-BUS-Modul Soziale Ungleichheit, deutschsprachige Bevölkerung n = 2031 (davon Westdeutschland n = 1700 und Ostdeutschland n = 331), erwachsene Personen 14 Jahre und älter (gewichtete Angaben); 2019: SOEP-IS-BUS-Modul BGE, deutschsprachige Bevölkerung n = 1930 (davon Westdeutschland n = 1567 und Ostdeutschland n = 363), erwachsene Personen 14 Jahre und älter (gewichtete Angaben).

Zustimmung wie Ablehnung eines BGE

So unterschiedlich das BGE in wissenschaftlichen Debatten bewertet wird, so stark unterscheiden sich seit Jahren auch die Anteile von Befürwortern und Gegnern in der Bevölkerung. Die in Tabelle 1 präsentierten Ergebnisse beruhen auf mehreren repräsentativen Erhebungen, die zur Jahreswende 2016/2017 und jeweils im Herbst 2017 bis 2019 durchgeführt wurden und den Grad der Befürwortung bzw. Ablehnung eines BGE ermittelten (vgl. Kasten 1). Die Befragungsergebnisse belegen, dass seit der Jahreswende 2016/2017 bis Herbst 2018 die Zustimmungsrate zur Einführung eines BGE weitgehend stabil sowie tendenziell steigend war und bei einem Wert zwischen 45 % und 55 % lag. Bei der zuletzt durchgeführten Erhebung im Herbst 2019 lag die Zustimmungsrate zu einem BGE einige Prozentpunkte niedriger als im Jahr zuvor bei nunmehr 48 %. In Ostdeutschland lag der Grad der Zustimmung bei 58 %, in Westdeutschland bei 46 % der erwachsenen Bevölkerung. Wie differenzierte Analysen nach sozio-demografischen Merkmalen belegen,18 geht die Zustimmung zu einem BGE oft mit jungem Alter, hoher Bildung und auch einem niedrigen Einkommen sowie politisch eher linker Einstellung einher.

Kasten 1
Erhebungen zum Bedingungslosen Grundeinkommen

Datenbasis
Der European Social Survey (ESS) ist eine länderübergreifende Querschnitts-Erhebung, die seit 2001 alle zwei Jahre als persönliches computergestütztes Interview durchgeführt wird. Der ESS erhebt Daten vor allem über Einstellungen in über 20 europäischen Ländern. Jeweils im Herbst (August bis September) 2017 bis 2019 wurden weiterhin Daten zur Akzeptanz eines BGE im Rahmen des Innovationssamples des Sozio-oekonomischen Panels am DIW Berlin erhoben. Befragt wird die deutschsprachige Bevölkerung im Alter ab 14 Jahren. Die Befragung wird computergestützt durch geschulte Interviewer des Instituts Kantar Public im Rahmen einer Mehr-Themenbefragung durchgeführt. Bei den drei Testerhebungen handelt es sich um eine Zufallsauswahl mit einer durchschnittlichen Fehlertoleranz von 1,4 Prozentpunkten (bei einem Anteil von 5 %) bis 3,1 Prozentpunkte (bei einem Anteil von 50 %).

Einstellung zum bedingungslosen Grundeinkommen
Die präsentierten Ergebnisse zur Akzeptanz eines BGE beruhen – unabhängig davon, aus welcher der aufgeführten Erhebungen sie stammen – auf folgender Frage: „In einigen Ländern wird momentan über die Einführung eines Grundeinkommens diskutiert. Ich werde Sie gleich fragen, ob sie gegen oder für ein solches Grundeinkommen sind. Zuerst aber ein paar Einzelheiten dazu. Ein solches Grundeinkommen umfasst folgende Punkte:

  • Der Staat zahlt jedem ein monatliches Einkommen, das alle grundlegenden Lebenshaltungskosten deckt.
  • Dadurch werden viele bestehende Sozialleistungen ersetzt.
  • Das Ziel ist es, jedem einen minimalen Lebensstandard zu garantieren.
  • Alle erhalten den gleichen Betrag, egal ob man arbeitet oder nicht.
  • Man kann zudem das Einkommen aus Erwerbstätigkeit oder anderen Quellen behalten.
  • Das Grundeinkommen wird über Steuern finanziert.

Alles in allem, wären Sie gegen oder für ein solches Grundeinkommen in Deutschland?“

Die Befragten sollten dann den Grad ihrer Zustimmung bzw. Ablehnung anhand der vierstufigen Skala „sehr dagegen“, „dagegen“, „dafür“, „sehr dafür“ einordnen.

Gleichwohl ist bei der Interpretation der Zustimmungsraten nicht notwendigerweise auch von einer daraus ableitbaren Reformbereitschaft hin zu einem BGE auszugehen. Denn die Erläuterung der international vergleichbaren Surveyfrage (vgl. Kasten 1) macht einerseits nicht explizit, welche konkrete Höhe eines Grundeinkommens damit verbunden wäre, welche Sozialleistungen künftig gestrichen und welche erhalten blieben, wieviel vom Bruttoverdienst man nach Einführung eines BGE noch netto behalten dürfte und beantwortet natürlich nicht, welche Steuern zur Finanzierung eines BGE vermutlich erhöht werden müssten.

In der Befragung vom Herbst 2019 wurde im Anschluss an die wenig konkrete Frage zur Zustimmung oder Ablehnung eines BGE die Nachfrage gestellt, ob man persönlich davon ausgehe, dass man nach Einführung eines solchen BGE vermutlich über weniger Nettoeinkommen, etwa gleich viel oder mehr verfügen würde. Rund 40 % aller Befragten gaben an, dass sie vermutlich mehr Geld zur Verfügung hätten, während 26 % eher davon ausgingen, weniger Geld zur Verfügung zu haben und rund ein Drittel gab an, dass ein Grundeinkommen sie finanziell nicht besserstellen würde. Wenig überraschend glaubt von den Befürwortern mehr als die Hälfte, dass sie nach Einführung eines BGE mehr Einkommen netto zur Verfügung hätten. Aber auch unter den Ablehnenden eines BGE erwarten rund 26 %, dass sie mehr Einkommen zur Verfügung hätten, während 45 % der Ablehnenden weniger erwarten.

Ausblick

Offensichtlich ist die Bevölkerung stark daran interessiert, über grundsätzliche Alternativen zum bestehenden System sozialer Sicherung nachzudenken. Wenn dieses System künftig stärker um Elemente bedingungsloser Anrechte19 erweitert würde, birgt dies das Potenzial einer überlegenen Alternative zu unserem bisherigen System sozialer Sicherung. Denn dieses erfordert wachsenden Bürokratieaufwand mit vielen Anträgen und ist – wie eine Reihe empirischer Studien zeigt – auch durch einen sehr hohen Anteil von Nichtinanspruchnahme trotz Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen geprägt.20

Eine Versachlichung sowie konstruktive Weiterentwicklung der zivilgesellschaftlich ohnehin seit langem belebten Debatte um das BGE21 könnte dadurch gelingen, dass noch in dieser Legislaturperiode von den im Bundestag vertretenen Parteien die Einsetzung einer Enquete-Kommission für die nächste, also die 20. Legislaturperiode, fest verabredet wird. Auf diese Weise bestünde die Chance für Forschung, Politik, Medien und die breite Öffentlichkeit, eine informierte Faktengrundlage für einen politisch wie sachlich schwierigen und komplexen Sachverhalt zu erarbeiten. Ob zumindest Elemente eines BGE für ohnehin anstehende Sozialstaatsreformen praxistauglich wären und wie Steuern, Transfers und Abgaben vor allem im unteren Einkommenssegment22 besser abgestimmt werden können, müsste geklärt werden. Unterschiedliche Finanzierungsmodelle könnten abgewogen und ein Zeit- und Stufenplan für eine mögliche Implementierungsphase entwickelt werden. An einem solchen Ort könnten zudem Konsequenzen einer fortwährenden Auseinandersetzungs- und Umsetzungsverweigerung für ein Grundeinkommen diskutiert werden.

  • 1 „Basic Income“ wird in dem aktuellen Buch des Wirtschaftsnobelpreisträgers R. J. Shiller den sogenannten Perennial Economic Narratives zugeordnet, vgl. R. J. Shiller: Narrative Economics, Princeton 2019.
  • 2 Für einen umfassenden Überblick vgl. T. Reuter: Das bedingungslose Grundeinkommen als liberaler Entwurf. Philosophische Argumente für mehr Gerechtigkeit, Wiesbaden 2016.
  • 3 Vgl. zu einem aktuellen Überblick zur rund 500-jährigen Ideengeschichte sowie einer Sammlung von Grundlagentexten zum BGE P. Kovce, B. P. Priddat: Bedingungsloses Grundeinkommen, Berlin 2019.
  • 4 Vgl. R. J. Shiller, a. a. O., S. 209 ff. Dier Bundesregierung verfolgt derzeit ein BGE im Kontext des digitalen Wandels nicht weiter; siehe hierzu die Begründung in: A. Ebert, S. Rahner: Warum das Bedingungslose Grundeinkommen keine Antwort auf den Digitalen Wandel ist, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Werkheft 04 – Sozialstaat im Wandel, Berlin 2017, S. 174-181.
  • 5 Vgl. als Beispiele das 2013 erschienene Zeitgespräch: Das Bedingungslose Grundeinkommen – ein tragfähiges Konzept?, in: Wirtschaftsdienst, 93. Jg. (2013), H. 9, S. 583-605, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2013/heft/9/beitrag/das-bedingungslose-grundeinkommen-ein-tragfaehiges-konzept.html (7.2.2020); oder den Reader: C. Butterwegge, K. Rinke (Hrsg.): Grundeinkommen kontrovers, Weinheim-Basel 2018; oder auch Roman Herzog Institut (Hrsg.): Das bedingungslose Grundeinkommen: zum Für und Wider eines gesellschaftspolitischen Reformkonzepts, München 2019.
  • 6 Einen Überblick bietet R. Osterkamp (Hrsg.): Auf dem Prüfstand: Ein bedingungsloses Grundeinkommen für Deutschland, Baden-Baden 2015.
  • 7 Vgl. den derzeit kontrovers diskutierten Vorschlag von B. Schloen: Grundeinkommen und Menschenwürde, Wiesbaden 2019; und S. Bergmann: In zehn Stufen zum BGE, Norderstedt 2018; sowie die etwas ältere Zusammenstellung von R. Osterkamp, a. a. O., S. 225-245.
  • 8 Vgl. M. Ghatak, F. Maniquet: Universal Basic Income: Some Theoretical Aspects, in: Annual Review of Economics, 11. Jg. (2019), S. 895-928, https://www.annualreviews.org/doi/abs/10.1146/annurev-ec-11 (7.2.2020), der Beitrag ordnet aus ökonomischer Sicht die normativen und grundsätzlichen Fragen eines BGE.
  • 9 A. Banerjee führte zusammen mit E. Duflo experimentelle Feldstudien in diesem Forschungsfeld durch, wofür beide 2019 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet wurden. A. Banerjee, P. Niehaus, T. Suri: Universal Basic Income in the Developing World, in: Annual Review of Economics, 11. Jg. (2019), S. 959-983.
  • 10 H. Hoynes, J. Rothstein: Universal Basic Income in the United States and Advanced Countries, in: Annual Review of Economics, 11. Jg. (2019), S. 929-958.
  • 11 A. Spermann: Basisgeld plus Steuergutschriften statt Hartz IV, in: Wirtschaftsdienst, 99. Jg. (2019), H. 3, S. 181-188, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2019/heft/3/beitrag/basisgeld-plus-steuergutschriften-statt-hartz-iv.html (7.2.2020).
  • 12 2016 wurde in der Schweiz ein Referendum für eine generelle Einführung eines BGE durchgeführt, das aber nur eine Zustimmung von rund 22 % der Schweizer Bevölkerung erhielt. In Finnland wurde ein ambitioniertes Mehrstufen-Experiment konzipiert. Die damals amtierende Mitte-Rechts-Regierung war jedoch nur bereit, eine zielgruppenspezifische Modellvariante für zwei Jahre zu erproben.
  • 13 O. Kangas, S. Jauhiainen, M. Simanainen, M. Ylikännö: The Basic Income Experiment 2017-2018 in Finland. Preliminary results, in: Ministry of Social Affairs and Health (Hrsg.): Reports and Memorandums of the Ministry of Social Affairs and Health, Nr. 9, Helsinki 2019.
  • 14 Bundesverfassungsgericht: Leitsätze zum Urteil des Ersten Senats vom 5.11.2019, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2019/11/ls20191105_1bvl000716.html (21.1.2020).
  • 15 Ein Begriff, der von Isaiah Berlin geprägt wurde. I. Berlin: Freiheit. Vier Versuche, Frankfurt a. M. 1995, S. 201 ff.
  • 16 HartzPlus: Die Studie zur bedingungslosen Grundsicherung,https://hartz-plus.de/studie (7.2.2020).
  • 17 Die Durchführung der Studie wird aus Mitteln der Zivilgesellschaft zum einen durch Crowdfunding des Vereins „Sanktionsfrei“ und durch die Stiftung Grundeinkommen finanziert, https://www.stiftung-grundeinkommen.de/ (7.2.2020).
  • 18 Vgl. hierzu ausführlich J. Adriaans, S. Liebig, J. Schupp: Zustimmung für ein bedingungsloses Grundeinkommen ist eher bei Jungen, besser Gebildeten sowie in unteren Einkommensschichten anzutreffen, in: DIW-Wochenbericht, 86. Jg. (2019), H. 15, S. 264-270.
  • 19 Wie etwa durch die Weiterentwicklung der Leistungen für Kinder in eine Kindergrundsicherung; vgl. hierzu auch C. Breuer: Ein Grundeinkommen für Kinder, in: Wirtschaftsdienst 98. Jg. (2018), H. 7, S. 481-488, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2018/heft/7/beitrag/ein-grundeinkommen-fuer-kinder.html (7.2.2020).
  • 20 So zeigt sich, dass die Grundsicherung im Alter von rund 60 % der Anspruchsberechtigten – hochgerechnet etwa 625 000 Privathaushalten – nicht in Anspruch genommen wird; vgl. H. Buslei et al.: Starke Nichtinanspruchnahme von Grundsicherung deutet auf hohe verdeckte Altersarmut, in: DIW Wochenbericht, 86. Jg. (2019), H. 49, S. 909-917.
  • 21 Siehe die Initiative „Expedition Grundeinkommen“, die beabsichtigt, in mehreren Bundesländern in Deutschland Volksabstimmungen durchzuführen, um wissenschaftlich begleitete Erprobungen eines BGE in Gang zu bringen, vgl. https://expedition-grundeinkommen.de/ (7.2.2020).
  • 22 Dass an dieser Stelle drängender Reformbedarf des Steuer- und Transfersystems für Erwerbsfähige besteht, hat auch der SVR identifiziert; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Den Strukturwandel meistern, Jahresgutachten 2019/20, Ziffer 648-723, Wiesbaden 2019.

Title:Unconditional Basic Income: Much Approval, But Also Much Rejection

Abstract:Unconditional basic income has been discussed for many years. It is intended to solve problems that may arise as a result of demographic change, digitalisation and automation. Very different concepts form the basis for the discussion. For example, it is not clear what level such a basic income should have, which social benefits it would replace and, above all, how it would to be financed. It was originally carried out as a field experiment in Finland. The main question to be answered: to what extent would basic income trigger or weaken incentives to work?

Beitrag als PDF

© Der/die Autor(en) 2020

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht.

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-020-2580-z