Am 27. Juni 2025 hat die Mindestlohnkommission über die Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns in den kommenden beiden Jahren entschieden. Laut Mindestlohngesetz ist sie angehalten, alle zwei Jahre eine Empfehlung über die Mindestlohnentwicklung abzugeben. Der Mindestlohn steigt 2026 von aktuell 12,82 € pro Arbeitsstunde auf 13,90 € – eine Steigerung von 8,4 %. 2027 soll er noch einmal um 5 % auf dann 14,60 € steigen. Bei ihrer Entscheidung berücksichtigt die Mindestlohnkommission gemäß ihrer selbst auferlegten Geschäftsordnung zwei Kriterien: Erstens orientiert sie sich gemäß § 9 Absatz 2 MiLoG im Rahmen einer Gesamtabwägung an der Tarifentwicklung. Zweitens orientiert sie sich am Referenzwert von 60 % des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten und folgt damit dem Vorschlag der EU-Mindestlohnrichtlinie von 2022. Da der Tariflohnindex der Stundenlöhne (ohne Sonderzahlungen) in den letzten zwei Jahren (von Q1 2023 bis Q1 2025) um 8,4 % gestiegen ist, erfüllt die Erhöhung zum Januar 2026 auf 13,90 € genau dieses erste Kriterium. Die Erhöhung auf 14,60 € erfüllt dann auch das zweite Kriterium, da der Median-Stundenlohn für Vollzeitbeschäftigte im April 2025 gemäß vorläufiger Hochrechnung des Statistischen Bundesamts bei 24,18 € lag.
Befürworter eines höheren Mindestlohns könnten kritisch hinterfragen, warum die beiden Kriterien nur nachlaufend erfüllt werden. Bei einer angenommenen Medianlohnsteigerung von 4 % bis 2027 läge der Mindestlohn dann nur bei 58 % des Vollzeitmedianlohns. Er läuft dem 60-%-Ziel also zeitlich hinterher. Damit erfüllt der deutsche Mindestlohn aber bereits die von Gewerkschaftsseite lange geforderten Kriterien. Gemessen in Kaufkraftparitäten ist der deutsche Mindestlohn heute bereits der höchste in Europa. Im Jahr 2027 wird er auch als Anteil des Medianlohns neben den Mindestlöhnen in den Beneluxstaaten zu den höchsten in Europa gehören. Auch das Argument, die Inflation würde die Mindestlohnerhöhungen auffressen, lässt sich widerlegen. Während die Verbraucherpreise von Januar 2015 bis Mai 2025 um 30,8 % stiegen, lag die Steigerung des Mindestlohns im selben Zeitraum bei 50,8 %. Somit liegt der Mindestlohn heute real (in Preisen von 2025) rund 1,30 € über seiner Einstiegshöhe von 8,50 € im Jahr 2015.
Aus Sicht der empirischen Arbeitsmarktforschung gibt es wenig, was gegen eine reale Erhöhung des Mindestlohns spricht. Studien zeigen positive Lohneffekte sowohl bei den Stundenlöhnen (Bossler et al., 2024a) als auch bei den Monatslöhnen (Bossler & Schank, 2023). Diese positive Lohnwirkung hat unter anderem zu einer Angleichung der Löhne in Ost und West beigetragen, die Lohnungleichheit gesenkt (Bossler & Schank, 2023) und die Geschlechterlohnunterschiede abgebaut (Caliendo & Wittbrodt, 2022). Gleichzeitig lässt sich kein nennenswerter Rückgang der Beschäftigung feststellen (Dütsch et al., 2025). Einzig bei den Minijobs ist ein Rückgang im Zuge der Mindestlohneinführung zu verzeichnen (Bossler et al., 2024a). Auch in Bezug auf die Mindestlohnerhöhung auf 12 € im Jahr 2022, mit der die Ampel-Koalition die Mindestlohnkommission überstimmt hatte, zeigen die ersten Studien keinen statistisch signifikanten Beschäftigungseffekt (Bossler et al., 2024b). Jedoch scheinen die Arbeitsstunden tendenziell zu sinken, sodass die Beschäftigung eher über die intensive als über die extensive Dimension angepasst wird.
Klar ist aber auch, dass die durch den Mindestlohn induzierten Personalkostensteigerungen bezahlt werden müssen. Wenn die Mindestlohnbeschäftigten selbst nicht mit einer höheren Jobunsicherheit dafür aufkommen, liegt es nahe, dass die Arbeitgeber die Kosten kompensieren oder weitergeben. Kunden bezahlen den Mindestlohn in Form von häufigeren Preisanstiegen (Link, 2024), Beschäftigte im Hochlohnbereich durch relative Lohnsenkungen und die Arbeitgeber durch geringere Gewinne, beispielsweise durch einen Abbau von Monopsonrenten (Popp, 2024). Es bleibt abzuwarten, ob die höhere Lohnkostenbelastung auch diesmal ausgeglichen werden kann, ohne die Beschäftigung zu reduzieren. Nun ist es wieder an der Wissenschaft, die Auswirkungen des Mindestlohns kritisch zu begleiten.
Literatur
Bossler, M. & Schank, T. (2023). Wage inequality in Germany after the mi nimum wage introduction. Journal of Labor Economics, 41(3), 813–857.
Bossler, M., Liang, Y. & Schank, T. (2024a). The devil is in the details: Heterogeneous effects of the German minimum wage on working hours and minijobs. IZA DP, Nr. 16964.
Bossler, M., Chittka, L. & Schank, T. (2024b). A 22 percent increase in the German minimum wage: nothing crazy! IZA DP, Nr. 17575.
Caliendo, M. & Wittbrodt, L. (2022). Did the minimum wage reduce the gender wage gap in Germany? Labour Economics, 78, 102228.
Dütsch, M., Ohlert, C. & Baumann, A. (2025). The minimum wage in Germany: institutional setting and a systematic review of key findings. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 245(1-2), 113–151.
Link, S. (2024). The price and employment response of firms to the introduction of minimum wages. Journal of Public Economics, 239, 105236.
Popp, M. (2024). Minimum wages in concentrated labor markets. IZA DP, Nr. 17357.