Vor der Tür Europas steht eine Arbeit der Gemeinschaft, auf die es nicht zu warten braucht. Sie klopft an, und wenn wir sie nicht hören, so ist es die Kriegstaubheit, die noch vorherrscht. Es ist die Arbeit der gesamteuropäischen Kolonialpolitik. Sie ist heute kleiner in ihrem Umfang, als sie vor dem Kriege für einen Teil Europas war. Um so viel hat uns der Krieg geringer gemacht hier in der alten Welt. Die Monroedoktrin, die die europäischen Kolonien in Amerika auf dem Festlande verbot – und wir hätten in den Zeiten unserer Ruhmredigkeit besser getan, uns öfter daran zu erinnern, dass diese Doktrin von den amerikanischen Präsidenten verkündigt worden ist als eine hygienische Maßnahme gegen die Unsittlichkeit der europäischen Politik – die Monroedoktrin, die auch die wenigen alten Europakolonien in Amerika absterben lässt, ist heute von Asien, von Australien als oberstes Staatsgesetz aufgenommen worden, und selbst in Afrika sind Norden und Süden der europäischen Kolonialpolitik für immer entzogen. Der Norden ist in die Mittelmeerpolitik eingereiht, nach mohammedanischer Autonomie strebend, der Süden vereinigt in der Union unter der Herrschaft des Kaps, dem das Jahr 1914 gebracht hat, was es seit 1884 unbeirrbar verlangte: Südwest – das sich morgen Rhodesien angliedern wird und das schon den Grenzstreit mit seinem portugiesischen Nachbarn im Nordosten sucht. Mittelafrika allein ist geblieben, das Mündel europäischer Wirtschaft, an dem sie zeigen mag, ob sie noch mit der Zukunft umzugehen weiß. Es ist ein Land, dessen Naturkräfte heute noch unschätzbar sind, ein Land des Zaubers und der Wildnis und noch zugleich ein großes Behältnis der nüchternsten Dinge für den Tagesbedarf der Landwirtschaft, der Industrie, der Technik; ein Land mit wenig über 70 Millionen schwarzer Eingeborener, ein paar Hunderttausend Asiaten und eine Handvoll Europäer. Und das schwarze Volk schläft noch den Kinderschlaf, aber es reibt sich die Augen und streckt sich und wird aus der Zucht entwachsen. Mittelafrika bedeutet für die europäischen Staatskanzleien ein ernstes Zeugnis ihrer Unfähigkeit, denn hier an diesem hilflosen Stück Welt hätte sich Weltpolitik zeigen müssen: eine Politik, die, da sie den Raum überspannen will, dartun muss, dass sie auch Herrin über die Zeit ist, dass sie sich abwendet von jedem Augenblickserfolg, dass sie sich freimacht in dieser Höhenluft einer großen Aufgabe von den kleinen Stubenzmitteln der Diplomatie, dass sie sich verlässt auf die Kräfte der guten Wirtschaft – der Wirtschaft, die nicht Ausbeutung ist, sondern Pflege, die nicht ruhiger Besitz ist, sondern tätige Arbeit, die nicht ist Rüstung für den Krieg, sondern Befestigung des Friedens. Und wir haben alle versagt, wir wollen uns nicht ausschließen.
Frankreich hat im schwarzen Kontinent den Ersatz für seine Heere gesucht, den ihm die nachlassende Zeugungskraft seines Volkes versagte. Deutschland hat mit ruhigem Nicken zugesehen und hat in dieser französischen Politik wohl gar eine Ablenkung vom Rhein erblickt. Die innere Abneigung, mit der unser größter Staatsmann den herrschenden Problemen der Kolonialpolitik gegenüberstand, die Unentschlossenheit, mit der er gegen seinen Instinkt sich an Südwest in einem kritischen Augenblick festhalten ließ, hat noch lange unheilvoll nachgewirkt. England aber, das durch alte Führerschaft und Erfahrung verpflichtet gewesen wäre, voranzugehen auf dem rechten Weg, hat in den kritischen Jahren des ausgehenden vorigen Jahrhunderts, an jener Schicksalswende der europäischen Politik, seine Führer im Stich gelassen, den alten Chamberlain, Sir Charles Dilke, Cecil Rhodes vor allem, die das Reich neu gründen wollten als eine Wirtschaftsgemeinschaft eines freien Bundes, und die die Freundschaft des gleichen guten Willens für Afrika mit Deutschland suchten.
Und heute? Die Mandatsverfassung des Genfer Völkerbundsstatutes wäre, ernst durchgeführt, der Anfang einer gesamteuropäischen Kolonialpolitik, und sie brauchte nur den Anschluss der Mächte, die dem Völkerbund noch fernstehen, in Europa, um diese Aufgabe in Angriff nehmen zu können. Gewiss, diese Mandatsverfassung entbehrt des Mutes, denn sie will ja nicht gelten für die alten Kolonien der assoziierten und alliierten Mächte in Afrika, sie will nur gelten für die früheren deutschen Besitzungen. Aber lassen wir ihr dennoch das eine Gute, dass sie die Mandatsstaaten zwingt, Farbe zu bekennen. Sie haben das in den Entwürfen zu den Verfassungen der Mandatsgebiete getan. Frankreich hat sich nicht gescheut, in den Mandaten für Kamerun und Togo zu sagen, wie es sich seine Politik, fortgeführt auch nach dem Kriege, denkt. Diese Mandatsentwürfe schließen die Tür, diese Mandatsentwürfe sind ja die öffentlichen Arbeiten französischer Konzessionäre, diese Mandatsentwürfe fordern das Recht der militärischen Ausbildung der Eingeborenen zur Verwendung in Europa. 2 Millionen Schwarzer ist dieses Los gefallen, 8 Millionen sind in englische Hände gekommen. Ihnen verspricht das Tanganjika-Mandat, wie es das Völkerbundstatut vorsieht, Fürsorge, Verbot schädlicher Einfuhr, Erziehung. Es will das Mandatsgebiet öffnen für den gleichen Zutritt der völkerbundangehörigen Staaten, und es gewährleistet den Eingeborenen das Recht, zur Verteidigung nur ihres eigenen Gebietes in Afrika militärisch ausgebildet zu werden und dienen zu müssen.
Diese Mandate werben. Die Eingeborenen merken darauf. Das eine verspricht Anteil am militärischen Ruhm des Schutzstaates, verkörpert in einem Deputierten zur französischen Kammer, das andere verheißt Entwicklung zur Selbständigkeit, in langsamer Erziehung ein heute noch unübersehbares Ziel. Wenn die Wahl so, wie ich es eben getan habe, politisch gestellt wird, dann wird sie zum Verderben fallen. Aber wir dürfen noch hoffen, dass die wirtschaftliche Fragestellung, die nach der Arbeit ruft, in Afrika wie in Europa den Sieg davon trägt, und dann müsste es merkwürdig zugehen, wenn nicht schon das bloße Versprechen des Rechtes, das die Tanganjikaverfassung gibt, ein guter Weg in die Zukunft ist. Denn was dem einen, wenn auch kleinen Gebiet, zugelassen wird, wie sollte das im übrigen Afrika versagt bleiben? Gebt den Indern freien Zutritt, das Recht der Niederlassung, das sie als Bürger des englischen Weltreiches für sich in Anspruch nehmen, und nirgends, selbst in Südafrika, wird man es ihnen auf die Dauer weigern können. Versagt aber den Indern den Zutritt, versagt sogar lieber auch den Europäern, den Weißen den Zutritt, damit alle Fremden gleichmäßig fortgewiesen seien und ehe Inder sich nicht beschwert fühlen können und fühlen werden, damit das Wort geweckt wird in Afrika: Afrika den Afrikanern. Gebt in dieser einen Kolonie dem Handel offenen Zugang, und in ganz Afrika wird keine Mauer mehr hoch genug sein, keine Zollschranke mehr fest genug sein, um diesem gleichen Recht zu widerstehen. Gebt einmal, wie es vor Jahresfrist ein englisches Urteil in Nigeria getan hat, den Eingeborenen das Recht an ihrem Boden, ihr altes Naturrecht, und wie ein Lauffeuer wird das durch den ganzen Kontinent gehen, überall den panafrikanischen Gedanken weckend. Sagt einmal hier in diesem kleinen Gebiet den Eingeborenen, dass der Mann, welcher Dienst tut, nur für den Dienst in der Heimat und nicht als Söldner es tut, und überall wird dieser neue vaterländische Gedanke Wurzel fassen. Lasst für die eine Kolonie gelten, dass der Schutzstaat dazu verpflichtet ist, Rechenschaft zu geben über die Verwaltung des Gebietes und dann wird er selbst zuerst dafür sorgen, dass auch kein anderer Staat sich mehr zu stolz dünkt, um auf diese Weise vor der Welt Rede zu stehen. Und lasst so den Tag kommen, an dem im freien Spiel der Kräfte am stärksten der ist, der die tüchtigste Arbeit für die Wirtschaft des Bodens tut, der den besten Kaufmannsweg für seine Erzeugnisse in der Welt weist, der das eindringlichste Verstehen für den Glauben, für die Sitten, für die Sprache, für das Recht der Eingeborenen hat, der ihr bester Freund, der Freund ihres Rechtes ist, dann ist auch der Tag des Deutschen draußen in Afrika wieder gekommen. Denn wir tun der Menschheit wie uns selbst unrecht, wenn wir daran zweifeln, dass sich die sittlichen Kräfte guter Wirtschaft durchsetzen können gegen den obstinaten Willen zur Abschließung, gegen den Ungeist der „Sanktionen“ und dass es auf die Dauer ein politisches Hindernis geben könne gegen den, an den der Ruf zu einer nützlichen Arbeit ergangen ist und der sie redlich leisten will. Politischer Widerstand kann sich durchsetzen gegen die Prätentionen, die Hegemonie der Führer; er ist machtlos gegen den Willen zu einer Arbeitsgemeinschaft gleichen Rechtes.
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