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Nun ist allerdings die deutsche Mieterschutzpolitik erwachsen aus der Auffassung: Mieten gehen nicht zurück, denn sie werden hoch gehalten vom Realkredit, der seine Beleihungsgrenze an die Miethöhe bindet. Praktisch hat das, von Ausnahmen abgesehen, vor dem Kriege zugetroffen in einer Zeit, wo Wohnungsüberfluß eine fast vollkommen unbekannte und höchstens einmal ganz vorübergehende Erscheinung war. Eine Ursache war das Wechselspiel zwischen Mietpreis, Baukosten und Baulandpreis, das seinerseits wieder nur möglich war, solange man der Entwicklung der Baulandpreise vollkommene Freiheit ließ. Diese Entwicklung wird sich sehr wohl in gewissen Grenzen binden lassen.1) Daß der Realkredit die Mietpreise hochhält, gilt nur solange, wie die Beleihungsgrenze wenigstens der ersten Hypothek den Mietpreisstand voll ausnutzt. Das ist gegenwärtig in Deutschland noch der Fall, weil die Mietpreise unter dem Mieterschutz stehen, es würde aber nicht mehr der Fall sein, und auch nicht wieder eintreten können, wenn die Mietpreise sich der Geldentwertung anpaßten. Mag sein, daß der Hausbesitz versuchen würde, die neuen Beleihungsmöglichkeiten soweit wie möglich auszunutzen, aber der Geldmarkt kann da nicht mitgehen. Die Baukosten betragen jetzt nahezu das Hundertfache der Friedenspreise, annähernd müßte sich diese Steigerung auch auf die Mieten und die Hypotheken übertragen, wenn der Realkredit wieder diejenige Grenze gegen Mietrückgänge sein sollte, die er vor dem Kriege war. Es macht heute schon Mühe, die geringen Hypothekengelder für den nicht durch Baudarlehen der Behörden gedeckten Teil unserer Neubauten zu bekommen. Die Neubauten den vollen Baukosten entsprechend aus dem privaten Geldmarkt zu beleihen, wäre schon eine absolute Unmöglichkeit, viel unmöglicher noch natürlich das Nachziehen der Beleihung in den alten Häusern, wo es sich um phantastische Summen von Sparkapital in einer Zeit handeln müßte, welche zu allem andern eher imstande ist, als dazu, Geld zu sparen. Was in aller Welt einen Hausbesitzer zwingen soll, seine Wohnungen lange leer stehen zu lassen, anstatt den Mietpreis etwas zu senken, ist nicht einzusehen. Auch ein Käufer fragt ja nicht nur nach den theoretischen Mietpreisen, sondern sieht ebenso darauf, ob die Wohnungen gut vermietet sind. Gewiß, es handelt sich hier, verglichen mit den Verhältnissen der Gegenwart, um reine Theorie, aber eine Theorie, die ebenso von heute auf morgen praktisch werden kann, wie es in diesen Zeiten des schwankenden Geldwertes manchen anderen Theorien gegangen ist. Sollte wirklich ein Wohnungsüberfluß eintreten, was sicher nicht unmöglich ist, so wird der Wettbewerb der alten Häuser die neuen ohne Zweifel um ihre Verzinsung bringen.

Wir leben in einer Periode fallenden Geldwertes. Ob sie einmal wieder durch eine rückläufige Bewegung, welche die Mark nach oben führt, abgelöst werden wird, kann niemand prophezeien. Die Möglichkeit vollkommen außer acht zu lassen, wäre für den, den die rückläufige Bewegung mit schwerem Schaden treffen müßte, Leichtsinn. Was heute an Wohnungen gebaut wird, kann sehr wohl einmal in eine Zeit steigenden Geldwertes hineinkommen. Und dann gilt selbst ohne daß Wohnungsnot eintritt, die gleiche Gefahr wie von dem Wettbewerb der alten Wohnungen auch von denen der billigeren neuen. Solange das Geld nicht wieder in vollem Sinne zu Geld wird, d. h. ein festes Verhältnis zu der Ware und zur Arbeit bekommt, solange bleibt diese Gefahr bestehen und muß vor allen Dingen auf den Wohnungsbau lähmend einwirken. Und mehr noch als auf den Wohnungsbau muß sie auf den Realkredit wirken. Wenn der Unternehmer schließlich sein eigenes Geld in das Wagnis steckt, so steckt die Sparkasse oder die Versicherungsanstalt oder die Hypothekenbank Geld hinein, das ihr von anderen anvertraut ist, und dessen Mündelsicherheit unter keinen Umständen ins Schwanken geraten darf. Überlegungen dieser Art zwingen den Realkredit zu natürlicher Zurückhaltung. Der Streit der Meinungen geht in der Öffentlichkeit nun in erster Linie dahin, ob diese Zurückhaltung berechtigt ist oder nicht. Diese Frage scheint mir falsch gestellt. Vernünftigerweise wird man fragen müssen, wie weit die Zurückhaltung berechtigt ist. Es gibt Beleihungsanstalten, die heute grundsätzlich nur um wenige Prozent über friedensmäßige Festsetzungen hinausgehen. Sie werden also damit rechnen, daß der Geldwert sich einmal wieder fast ganz auf den Friedensstand zurückbilden kann. Andere wieder gehen auf das Vierfache, das Siebenfache, das Zehnfache. Man kann nicht sagen, welcher Standpunkt der richtige ist. Es ist ein allgemeines Rätselraten, erleichtert hin und wieder dadurch, daß eine verhältnismäßig hohe Beleihung mit einer ebenfalls hohen Tilgung verbunden wird, was natürlich die Lasten für die Mieter erhöht.

Noch stärker fast als die notwendige Zurückhaltung bei den Schätzungen zwingt den Realkredit der tatsächliche Geldmangel zur Zurückhaltung. Auch der Erwerb einer festen Geldforderung, z. B. eines Hypothekenpfandbriefes, ist heute eine Spekulation und zwar eine solche auf die Stabilität der Mark oder auf ihr Steigen. Sinkender Markwert bedeutet Verlust für den Besitzer fest verzinslicher Papiere. Der Markt der Pfandbriefe verzeichnet diesen Zustand als eine fast vollständige Unmöglichkeit des Absatzes. Es ist schon oben darauf hingewiesen, wie schwierig es zurzeit ist, Beleihungsgelder zu bekommen. Welche Rolle unsere Steuergesetzgebung dabei spielt, kann hier offen bleiben. Im Grunde handelt es sich um eine in das Gewaltige übertragene Parallele zu jenen Vorgängen, die Rudolf Eberstadt als die eigentlichen Ursachen der Baukrisen bezeichnete, nämlich um die Abwendung des Kapitals vor den fest verzinslichen Werten, solange die Anlage in Aktien einen besseren Gewinn verspricht. Wer heute Papiere kauft, hofft auf Kurssteigerungen, die die Pfandbriefe nur in ganz bescheidenem Maße versprechen können.

Die Schwierigkeit, Hypotheken zu bekommen, hat noch einen dritten Grund, der ebenfalls aus der Geldentwertung abzuleiten ist. Wir sehen gerade in den letzten Monaten mehr und mehr, daß alles verfügbare Kapital aufgezehrt wird. Geldversteifung und Kreditnot nehmen einen immer größeren Umfang an, und die Industrie ist nicht imstande gewesen, sich rechtzeitig die nötigen Reserven dagegen zu verschaffen. Unsere Wirtschaft wirft kaum einmal mehr soviel Ertrag ab, um sich selber in Gang zu halten; noch viel weniger das notwendige Geld um Sparguthaben in Neubauten anzulegen. Selbstverständlich ist dieser Zustand letzten Endes auf die Reparationspolitik, das Grundübel unserer ganzen Wirtschaft, zurückzuführen. Solange wir die wenigen Guthaben, die uns unsere Arbeit im Auslande verschafft, ohne Gegenleistung doch wieder weggeben, im Inlande aber durch Papiergeld ersetzen müssen, solange wird es mit dem Kapital für Neubauten schlecht bestellt sein.

Wenn sonach die Geldentwertung der Bauwirtschaft das notwendige Kapital entzieht, und soweit solche vorhanden ist, seine Anlage, die früher als die beste und sicherste galt, beinahe zu der unsichersten macht, die man sich heute denken kann, so daß Kapital und Unternehmertum vor dem Hausbau zurückschrecken, so gibt es doch einzelne eigenartige Auswege. Man behauptet vielfach, daß die plötzliche Abwendung der Bautätigkeit vom großen Miethaus zum Einfamilienhaus willkürlich durch die Bestimmungen über die Baudarlehen der Behörden hervorgerufen sei. Es mag sein, daß diese die Abwendung gefördert haben. Sie wäre auch ohne die Bestimmungen eine natürliche Folge der unsicheren Anlage gewesen, die Baugelder heute darstellen. Der Erwerb eines Hauses zum Selbstbewohnen enthält ein Risiko nur für die eine eigene Wohnung, das sich wiederum beschränkt darauf, daß diese Wohnung vielleicht einmal unverhältnismäßig teuer ist. Das kann einen gewissen Verlust bedeuten, aber beim Miethaus ist neben diesem Verlust die Gefahr, daß die ganze Wohnungsmiete durch das Leerstehen verloren geht, und diese Gefahr ist dadurch vervielfacht, daß das Haus das Vielfache an Wohnungen enthält. Sowohl Unternehmertum wie Realkredit haben daraus die entsprechende Folgerung gezogen. Hypotheken auf Einfamilienhäuser sind verhältnismäßig in viel größerer Höhe erhältlich als solche auf neue Miethäuser, und ein Bauunternehmertum, das Miethäuser zum Verkauf baut, gibt es heute nicht mehr, während sich doch hier und da schon eine andere Art Unternehmertum für den Bau kleiner Eigenhäuser zum Verkauf einrichtet. Zum Teil steht dieses auf freier gewerblicher Grundlage, zum größeren trägt es die Form der Genossenschaften, welche die Häuser an ihre eigenen Mitglieder verkaufen.

Ein Wort sei zum Schluß noch darüber gesprochen, welche sozialen Gründe in der Wohnungswirtschaft zu besonderen Folgerungen aus der Geldentwertung zwingen. Schon vor dem Kriege ist das Verhältnis zwischen Miete und Einkommen bei dem Arbeiter bis an die Grenze des Erträglichen angespannt gewesen. Die Geldentwertung hat sich heute bei den Waren in viel stärkerem Maße durchgesetzt als bei den Arbeitslöhnen. Der Warenindex steigt wesentlich schneller als der Lohnindex. Wollte man der Geldentwertung auf dem Wohnungsmarkt Raum geben, so würde sich das Verhältnis zwischen Miete und Einkommen noch erheblich zuungunsten des Einkommens verschieben. Die Geldentwertung ist eben keine einheitliche Erscheinung.

Die Farbtöne des hier gezeichneten Bildes scheinen etwas grau in grau. Die Schwierigkeiten, vor denen der Wohnungsbau gegenwärtig steht, werden sich nicht beseitigen lassen, solange man nicht wieder damit rechnen kann, daß das Geld ein bestimmtes Verhältnis zu dem Wert der Waren bekommt, d. h., daß der Geldwert stabilisiert wird. Solange er schwankt, wird sich die Wohnungswirtschaft vor Schwierigkeiten sehen, die sie aus eigener Kraft nicht überwinden kann. Damit ist indessen nicht gesagt, daß die Wohnungsnot hoffnungslos andauern oder gar steigen müsse, solange der Geldwert noch schwankt. Die deutsche Wirtschaftspolitik hat hier glücklicherweise ein Ventil geschaffen. Es ist im vorhergehenden wiederholt davon die Rede gewesen, daß auf die Neubauten ein Zuschuß von den alten Häusern gewährt wird. Dieser Zuschuß trägt das Gesicht einer öffentlichen Beihilfe der Staats- und Gemeindefinanzen. Er trägt aber nur dieses Gesicht. Dadurch, daß wir in der Zeit gesunkenen Geldwertes einen Bestand an Wohnhäusern herübergenommen haben, welcher nach Mark gerechnet billig ist, haben wir die Möglichkeit bekommen, die billigen alten Häuser zu Beihilfen für die teuren neuen heranzuziehen. Letzten Endes macht sich die Wohnungswirtschaft als Ganzes genau so aus sich selber bezahlt, wie sie es vor dem Kriege auch getan hat. Es bedarf nur einer Mittelstelle zwischen den alten und neuen Häusern, welche vorläufig bei der Landes- und Gemeindeverwaltung liegt, welche aber an sich von dieser finanziell unabhängig ist. Die sogenannten Staats- und Gemeindedarlehen sind keine Gabe aus den Händen des Fiskus, sondern sie stammen aus der Wohnungswirtschaft selber. Die Art, wie sie beschafft und vergeben werden, hier im einzelnen auseinanderzusetzen, das würde zu weit führen. Der Grundgedanke ist der, daß das alte Haus, da es nur geringer Zinsen bedarf, seine Wohnungen auch billig vermieten kann, und daß derjenige, welchem so dieses Zufallsgeschenk einer billigen Miete in die Hände fällt, als Entgelt dafür sein Teil Beisteuer gibt, um neue Wohnungen für den zu bauen, der nicht im glücklichen Besitze einer älteren ist. In diesem Sinne sind Mieterschutz und Neubautätigkeit vollständig aufeinander angewiesen, und das eine ohne das andere nicht zu denken. Wollte man den Besitzer einer billigen Wohnung nicht dazu heranziehen, daß er neue Wohnungen mit bauen hilft, so würde die Bautätigkeit vollständig einschlafen. Die Folge würde sein, daß die Nachfrage nach Wohnungen in kurzer Zeit alle Dämme, die der Mieterschutz aufgerichtet hat, einreißt und daß auch der Besitzer einer alten Wohnung sich der Billigkeit nicht lange würde erfreuen können. Für den Staat und die Gemeinden bietet dieser Zustand den Vorteil, daß sie sich des Geldes für Neubauten versichern können ohne ihr eigenes Vermögen anzugreifen. Wie gesagt, läßt sich über die Art streiten, in der dieser Ausgleich zwischen alten und neuen Wohnungen durchgeführt wird, oder vielleicht besser durchgeführt würde. Eine Untersuchung darüber geht über den Rahmen dieser Betrachtung hinaus. Solange der Geldwert nicht feststeht, liegt die freie Neubautätigkeit lahm und solange wird auch das System von Mieterschuß und Baukostenbeihilfen seine Notwendigkeit und seine Berechtigung behalten. Ein glücklicher Zustand ist es nicht, denn die Bautätigkeit wird auch trotz dieser Beihilfen in Fesseln gehalten, aber ein Ausweg wird erst dann möglich sein, wenn nicht nur die Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt, sondern auch diejenigen auf dem Geldmarkt sich so ändern, daß unsere Mark nicht mehr der Spielball der Weltpolitik ist.

Dr. Hans Heinrich Zißeler

  • 1 Vgl. dazu u. a. die Richtlinien des Ausschusses für Wohnungswesen beim Reichsarbeitsministerium (Reichsarbeitsblatt 1922).

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