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Unermüdlich sucht die Reichsbankleitung ihre bisherige Kreditpolitik zu rechtfertigen. Sie beruft sich dabei auf die allgemein gefasst unbestreitbar richtige These, dass durch wirtschaftlich berechtigte Kredite, die der Produktion und dem Warenumsatz dienen, die Notenbank keine künstliche Kaufkraft schafft. Die Tatsache, dass eine Ausdehnung der Produktionskredite nicht inflationsschädlich wirkt, sondern auf dem Wege über eine vorübergehende Hebung der Preise eine Produktionssteigerung nach sich zieht, wurde von der modernen Kredittheorie scharf und klar herausgearbeitet.

Es bleibt aber noch eine quaestio facti, unter welchen Bedingungen diese die Wirtschaft fördernden Wirkungen der Kreditexpansion eintreten. So kam das „Federal Reserve Board“ Anfang dieses Jahres zu der Überzeugung, dass die Gütererzeugung der Union wegen des Fehlens an Arbeitsreserven einer weiteren Steigerung kaum fähig sei, und schritt, anscheinend auf Grund dieser Überlegung, zur Diskonterhöhung, obwohl die formalen Deckungsvorschriften eine beträchtliche Steigerung der gewährten Vorschüsse ermöglicht hätten. In Deutschland konnte aber unter den obwaltenden Verhältnissen am allerwenigsten auf eine Produktionshebung durch Notenbankkredite gerechnet werden. Dazu bedarf man einer umfassenden finanziellen Unterstützung des Auslandes, die durch Reichsbanknoten nicht ersetzt werden kann. Es mussten die zusätzlichen Kredite der Reichsbank an die Privatwirtschaft inflatorisch wirken, insbesondere, als nach dem Ruhreinbruch ein wichtiger Teil des deutschen Produktionsapparates lahmgelegt wurde. Auf die verfehlte Politik der Reichsbank während der Periode der Markstabilisierung haben wir bereits hingewiesen.


Privatkredite in Mill.:
Monatsdurchschnitt (Jahr 1923) Papiermark "Friedensmark"1
Januar 540 042 104
Februar 1 206 678 216
März 2 197 296 449
April 2 688 510 616
Mai 3 482 032 426
Juni 5 620 313 290
Juli 12 976 076 173,5
August 49 531 984 75

1 Durch den Großhandelsindex reduzierte Beträge

Die außergewöhnliche reale Steigerung der der Privatwirtschaft zugeführten Mittel hat zweifellos zu dem späteren Zusammenbruch beigetragen, zu dessen Gefolge der gesamte deutsche Geld- und Kreditverkehr, in Goldmark gerechnet, zu unscheinbaren Größen zusammengeschrumpft ist. Die bereitwilligen Diskontierungen der Reichsbank wirkten wie eine Prämie auf Anlegung oder Beibehaltung volkswirtschaftlich unerwünschter Waren- oder Devisenvorräte. Der Hinweis auf diese Vorgänge muss nicht unbedingt zu einer strengen Kritik der Wirtschaft führen. Der einzelne Wirtschafter verfolgt eben sein Erwerbsinteresse, und es ist nicht seine Sache, die gemeinwirtschaftlichen Folgen seines Tuns in jedem Falle abzuwägen. Selbst Stellen, die solchen Erwägungen zugänglich sind, werden unter dem Druck der Konkurrenz zumeist nach der Art der weniger Einsichtsvollen handeln. Aufgabe der Zentralbank ist es, dem Drängen der inflationistischen Einzelinteressen einen entschlossenen Willen entgegenzusetzen. Wo dieser Wille, gestützt auf der Einsicht, dass nichts für die Gesamtwirtschaft verhängnisvoller sein kann als der ungehemmte Fortgang der Inflation, fehlt – da wird das Einreißen von Missbräuchen unvermeidlich.

Mit der Einführung der wertbeständigen Lombardkredite wird jetzt der Versuch unternommen, den Missbrauch der Papiermarkkredite abzubauen. Aus der richtigen Erkenntnis heraus, dass nicht alle Zweige der Wirtschaft ein Eingehen auf Verpflichtungen auf Goldbasis ohne weiteres ertragen können, wurde eine Übergangsform zwischen Gold- und Papierkrediten gewählt, wobei der Schuldner für vier Fünftel der Kursdifferenz (berechnet nach dem Pfund-Sterling-Kurs) aufzukommen hat. Zum Diskont werden nur noch Wechsel mit höchstens 60 Tage Laufzeit angenommen, wobei – nach den herausgegebenen Richtlinien – strengster Nachweis gefordert wird, dass der Kreditbewerber über keine wertbeständigen Reserven verfügt. Grundsätzlich sollen nur die auf einem Warenumsatz beruhenden Wechsel diskontiert werden, dagegen werden Produktionskredite, wie Akzepte, die der Fabrikant an seinen Rohstofflieferanten abgibt, auf den Lombardkredit verwiesen werden.

Die logischen Gründe dieser Distinktion sind nicht recht einzusehen. Wenn die Produktionsperiode 60 Tage nicht überschreitet, so würde der Verarbeiter an dem Papiermarkkredit nicht mehr gewinnen als der Händler dies tut, dem solche Kredite eingeräumt werden. Nach der tatsächlichen Lage der Dinge ist immerhin zu begrüßen, dass der Kreis der Personen, der für die Gewinn verheißenden Papiermarkkredite überhaupt in Frage kommen kann, zunächst einmal eingeschränkt wird. Die Bestimmung, dass die Reichsbank Papiermarkkredite nicht aus erster Hand gewähren will, sondern nur Wechsel ankauft, die möglichst schon andere Hände passiert haben, verfolgt offenbar den Zweck, dass Papiermarkkredite nur in Fällen eröffnet werden, in welchen die Notwendigkeit derselben schon durch den Verkehr einigermaßen legitimiert ist. Es bleibt dabei aber die Frage noch offen, zu welchen Bedingungen die privaten Geldgeber solche Kredite einräumen und welche Vorteile die Einreicher der Wechsel aus dem niedrigen Bankdiskont ihren Vordermännern gegenüber genießen.

Das Nebeneinanderlaufen von Papier- und wertbeständigen Krediten gibt der Reichsbank eine diskretionäre Macht durch die Möglichkeit differentieller Behandlung der Kunden. Dies soll teils durch die Verschiedenartigkeit des Zinses ausgeglichen werden. Zu diesem Zwecke wird der Paragraph 16 des Bankgesetzes, der die Anwendung eines Einheitssatzes vorschreibt, abgeändert. Diese Bestimmung wurde seinerzeit in die Banknovelle von 1899 eingefügt, um zu verhindern, dass die Reichsbank auch zum Privatdiskont Wechsel hereinnehme – eine Praxis, die sich während der 90er Jahre, zu Zeiten größerer Flüssigkeit des Geldmarktes, eingebürgert hat. Die Gesetzgebung wollte aber dann schematisch gleichmäßige Behandlung aller Kunden der Zentralbank. Für die Verhältnisse der Gegenwart wurde eine solche Einheitsvorschrift widersinnig, nachdem der Zentralbank noch im August 1914 die denkbar größten Vollmachten zur beliebigen Vermehrung ihrer Vorschüsse gegeben wurden. Die völlige Ungebundenheit der Zentralbank von irgendwelchen Deckungsvorschriften konnte nur zum Entstehen des in diesen Spalten schon öfters behandelten Gutschriftensystems führen. Nun gilt es, dies abzustellen, und die Einführung wertbeständiger Kredite erscheint als ein taugliches Mittel dazu.

Die Eröffnung von Festmarkkonten ist unvermeidliche Konsequenz der neuen Kreditform. Infolge ihrer Stellung im Wirtschaftsleben wird dadurch die Reichsbank bald der Mittelpunkt des Goldüberweisungsverkehrs. Vorerst sucht man allerdings der uneingeschränkten Verwendung von Goldschecks entgegenzuwirken. Die Guthaben müssen zunächst zu 80 % durch Devisen begründet werden, und bei Abhebungen werden Papiermark zum Tageskurs ausbezahlt. Doch plant die Reichsbank noch einen weiteren Schritt: die Weitergabe von Goldwechseln, sobald auf Grund der bevorstehenden neuen gesetzlichen Bestimmungen Festmarkwechsel eingeführt werden und solche in entsprechenden Beträgen zu ihr gelangen. Der Rediskont von Geschäftswechseln ist ein Novum. Er wurde in der Diskussion um die Neuorientierung der Reichsbankpolitik vor dem Kriege lebhaft erörtert und von Plenge mit besonderem Nachdruck als ein Mittel zur Verknappung des Geldmarktes empfohlen. Zu dessen Anwendung konnte man sich aber nicht entschließen und begnügte sich vielmehr mit der gelegentlichen Abgabe von Schatzwechseln, wenn die Fühlung mit dem Geldmarkte zu locker wurde. Heute wird die geplante Maßnahme auf dem Goldmarkt keine Wirkung ausüben, weil die Goldwechsel (bzw. die darüber auszustellenden Zertifikate) als Geld verwendet, dem Verkehr also wertbeständige Zahlungsmittel gegen Papiermark überlassen werden.

Die Reichsbankleitung sieht wohl die Gefahren der Trennung von Rechnungseinheit und Zahlungsmitteln, vermag sich aber dem beim gegebenen Stande der Währungszerrüttung bereits unausweichlichen Drange zur Goldrechnung nicht ganz zu entziehen. Es wäre nur zu wünschen, dass die Befürworter der Goldrechnung nicht zu schnell ernüchtert werden, wenn sie am Ziele sind. Jede Kursschwankung der Mark droht dann eine Zahlungsmittelkrise heraufzubeschwören, deren Behebung selbst bei richtigen Dispositionen über den Notendruck lange Zeit erfordern wird.

Georg Kemeny

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