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Dieser Bericht versucht drei Hauptziele zu erreichen: erstens die wirtschaftliche Integrität Deutschlands wiederherzustellen, zweitens eine Atempause des Friedens und der Ruhe zu gewähren, und drittens für die Folgezeit die Möglichkeit großer deutscher Zahlungen, sobald Deutschlands Lage sie zulässt, zu verbinden mit dem vollen Schutz für Deutschland, sobald es dazu nicht fähig ist. Dies sind die wesentlichen Voraussetzungen eines jeden Vorschlages, der den Anspruch darauf erhebt, politisch ausführbar und wirtschaftlich tragbar zu sein. Die Sachverständigen haben zur Erreichung dieser Ziele beigetragen. Dafür verdienen sie den Dank der Welt, den Dank der Gegenwart, der im Augenblick die Kritik an der Frage überwiegt, ob der verwickelte Plan, der hier für künftige Jahre entworfen wurde, von der Art ist, dass er jemals in der Welt der wirklichen Ereignisse Gestalt gewinnen kann.

Die Sachverständigen betonen, ihr Plan hänge davon ab, dass Deutschlands Kontrolle über die Einnahmen, Zölle und die gesamte Verwaltung des Reiches wiederhergestellt wird. „Unser ganzer Bericht“, so sagen sie, „beruht auf dieser Voraussetzung. Wenn politische Garantien und Strafmaßnahmen für die Sicherung der Durchführung des vorgeschlagenen Planes als wünschenswert angesehen werden, so liegen sie außerhalb der Zuständigkeit der Kommission. Fragen der militärischen Besetzung liegen ebenfalls nicht im Rahmen unseres Auftrages. Wir betrachten es aber als unsere Pflicht, deutlich darauf hinzuweisen, dass unsere Vorschläge auf der Voraussetzung gegründet sind, dass die wirtschaftliche Tätigkeit durch keine andere fremde Organisation als die hier vorgesehene Überwachung behindert und beeinträchtigt wird. Demgemäß beruht unser Vorschlag auf der Voraussetzung, dass die bestehenden Maßnahmen, insoweit sie diese Tätigkeit behindern, rückgängig gemacht oder hinreichend abgeändert werden, sobald Deutschland zur Ausführung des vorgeschlagenen Planes schreitet und dass sie nur im Falle einer offenkundigen Verfehlung in der Erfüllung der allseitig angenommenen Bedingungen wieder angewendet werden.“ Im Falle einer solchen Verfehlung ist es Sache der Gläubigerregierungen, gemeinsam „die Art der anzuwendenden Sanktionen und die Methode ihrer schnellen und wirksamen Durchführung zu bestimmen“. Das ist deutlich und befriedigend. Wenn indessen – was wahrscheinlich ist – die Franzosen auf der Fortdauer und Anerkennung irgendeiner Form der militärischen Ruhrbesetzung bestehen, dann erheben sich zwei Fragen. Erstens nämlich ist diese Besetzung praktisch unvereinbar mit der finanziellen und wirtschaftlichen Integrität des Deutschen Reiches, falls die französischen Militärbehörden die Befugnisse täglicher Einmischung behalten, die sie zurzeit in der Pfalz und im Rheinland ausüben. Jedenfalls müsste also die Besetzung auf die Anwesenheit französischer Truppen in Baracken beschränkt werden, und zwar ohne Verwaltungsbefugnis unter normalen Verhältnissen und ohne Ermächtigung zu handeln außer im Falle dringender Notwendigkeit und nur auf Grund von Instruktionen der Alliierten in ihrer Gesamtheit. Zweitens aber bedingt die Fortsetzung der Ruhrbesetzung in eine Zeit hinein, in der keine „Verfehlung“ Deutschlands bezüglich der Ausführung mehr vorliegt, eine Revision des Versailler Vertrages, ganz gleichgültig, von welcher Interpretation man auch ausgehen mag. Frankreich hat behauptet, dass die Ruhrbesetzung im Falle einer Verfehlung Deutschlands bei der Ausführung eine der vertraglich erlaubten Sanktionen ist. Niemand aber hat behauptet, dass die Besetzung allgemein und zu jeder Zeit erlaubt sei. Die Anerkennung einer Fortdauer der französischen Besetzung des Ruhrgebietes durch die übrigen Alliierten muss daher abhängig gemacht werden erstens von der freiwilligen Zustimmung Deutschlands, wofür dieses als Gegenleistung andere Vorteile erhält, und außerdem von genau formulierten, vertraglich festgelegten Vereinbarungen, die sich von den Spitzfindigkeiten des Versailler Vertrages freihalten. Es mag schwierig erscheinen, Bedingungen zu finden, die sowohl für Frankreich als auch für Deutschland annehmbar sein werden. In ihrer Haltung gegenüber diesem schwierigen diplomatischen Problem wird es für die britische Regierung angesichts der einstimmigen Erklärungen der Sachverständigen und angesichts der feststehenden Politik der herrschenden Parteien des Unterhauses nicht statthaft sein, die geringste Schwäche zu zeigen.

Gewährleisten nun die Sachverständigenvorschläge das zweite Hauptziel – die Atempause? Dies ist der Teil ihres Planes, demgegenüber ich die meisten Bedenken hege. Das tatsächliche Moratorium soll nur ein einziges Jahr dauern. Während dieses Jahres ist Deutschlands Verpflichtung zu Vertragszahlungen nach dem Ausland begrenzt auf 200 Mill. Goldmark und zu Vertragszahlungen im Inland auf 800 Mill. Goldmark, wohingegen es eine auswärtige Anleihe von 800 Mill. Goldmark erhalten soll (gleich ungefähr 44 Mill. £). Es scheint – aber dieser Punkt ist nicht ganz klar – dass, falls es sich als unmöglich erweist, eine so große Anleihe zu begeben, dann die Zahlungsverpflichtung in entsprechendem Verhältnis verringert werden soll. Sollte die Anleihe zustande kommen, was schwierig sein wird, so wird sie wohl während des ersten Jahres Deutschland befähigen, seine Lage zu festigen. Im zweiten Jahr soll Deutschland im Ganzen 1220 Mill. Goldmark zahlen und zwar vollständig aus eigenen Hilfsquellen einschließlich einer inneren Anleihe. Im dritten Jahr sind 1200 Mill. Goldmark zu zahlen, im vierten Jahr 1750 Mill. Goldmark und danach 2500 Mill. Goldmark. Dies setzt eine sehr schnelle Erholung der deutschen Zahlungsbilanz gegenüber dem Ausland voraus, und nur der Verlauf der Dinge kann hierauf eine sichere Antwort geben. Die Vorschläge für das dritte und vierte Jahr gründen sich auf Schätzungen des Steuerertrages für diese Zeit, die mindestens ebenso gut falsch wie richtig sein können. Wenn sich diese Schätzungen als falsch erweisen, wird Deutschland dann wieder einmal eine Verfehlung in der Ausführung begangen haben oder nicht? Wie dies auch sein mag, die Begrenzung des tatsächlichen Moratoriums auf einen so kurzen Zeitraum bedeutet den grundlegenden Fehler, Deutschland während der ersten Zeit seiner voraussichtlichen Gesundung die Möglichkeit abzuschneiden, seinen Wohlstand durch Zinseszins zu vergrößern. Es ist unmöglich, dass Deutschland in der Folge größere Zahlungen macht, wenn ihm der gesamte Produktionsüberschuss beinahe von Anfang an weggenommen wird, bevor es noch Zeit gehabt hat, seinen Bestand an Produktionsmitteln wieder aufzubauen. Die Kürze der Frist, welche wahrscheinlich vergehen wird, bevor die Episoden der sogenannten „Verfehlungen“ wieder einsetzen, hat außerdem die Wirkung, dass nicht genügend Zeit für eine fühlbare Abschwächung politischer Erbitterung und Furcht vorhanden sein wird. Nichtsdestoweniger werden die Härten des Moratoriums und der folgenden Periode der Dauerzahlungen durch die Vorschläge für die Zahlungsformen gemildert, welche weiter unten erklärt werden.

Wenn wir zu den Vorschlägen für die Dauerzahlungen kommen, so finden wir hier die eigenartigste und zugleich die überraschendste Formulierung im Gutachten des Komitees. Sie legen zwei voneinander unabhängige Bedingungen für das Höchstmaß der möglichen Reparationen fest. Die Jahreszahlung soll nicht überschreiten „den Unterschied zwischen dem Höchstbetrag der Einnahmen (aus dem Budget) und dem Mindestbetrag der Ausgaben Deutschlands für seine eigenen Bedürfnisse“; aber ebenso wenig darf sie überschreiten den Höchstbetrag, der fremden Ländern übermittelt werden kann, ohne den Kurs der deutschen Währung zu stören. „Es ist ganz klar, dass der Betrag des Budgetüberschusses, der durch Besteuerung erreicht werden kann, nicht begrenzt wird durch die davon völlig verschiedene Frage nach den Bedingungen seiner Überführung ins Ausland. Wir legen nahe, scharf zwischen diesen beiden Problemen zu unterscheiden.“ Die Schärfe, mit der diese wichtige Unterscheidung aufgedeckt und ausgearbeitet wird, ist der wichtigste Teil des Sachverständigenberichts. Er hat nicht die genügende Beachtung in den vorläufigen Pressekommentaren gefunden.

Zunächst zum Überschuss des Staatshaushaltes (ergänzt durch die Zahlungen aus der Eisenbahn und der Industrie): Als Ergebnis einer sorgfältigen Abschätzung und auf Grund eines Maßes der Besteuerung, das zum mindesten dem in den alliierten Ländern bestehenden entspricht, gelangt das Komitee zu einer endgültigen Ziffer, nämlich 2500 Millionen Goldmark. Diese Ziffer selbst ist indessen Gegenstand bedeutsamer Änderungen unter bestimmten Bedingungen. Erstens: Wenn der Preis des Goldes um mehr als 10 % steigt oder fällt, ist die obenstehende Ziffer in entsprechendem Verhältnis abzuändern. Zweitens: Wenn der künftige Wohlstand Deutschlands über oder unter die Schätzungen des Komitees steigt oder fällt, und zwar gemessen an einem Index, der die Zahlen der Außenhandelsstatistik, des Staatshaushalts, des Eisenbahnverkehrs, des Verbrauchs an Zucker, Tabak, Bier und Alkohol, der Bevölkerung und der Kohle zur Grundlage hat, dann ist ebenfalls die obengenannte Ziffer in entsprechendem Verhältnis zu ändern. Drittens: Wenn im weiteren Verlauf diese Zahl den Betrag übersteigt, den aus Deutschland auszuführen zweckmäßig ist, so soll der niedrigere der beiden Höchstbeträge in Anwendung kommen, und die Zahlung aus dem Budgetüberschuss auf den Betrag begrenzt werden, der nach dem Auslande überführt werden kann.

Deutschland kann bessere Bedingungen als diese kaum erwarten. Die Ziffer von 2500 Millionen Goldmark entspricht, abgesehen von möglichen Abschlägen, dem niedrigsten Betrag, der bisher in irgendeinem offiziellen Plan erwähnt wurde, nämlich dem Mindestbetrag der Vorschläge Bonar Laws vom Januar 1923. Der Betrag mag sich als zu hoch erweisen, aber es sind Bürgschaften für seine Herabsetzung vorgesehen. Das Komitee ist der Gefahr aus dem Wege gegangen, einen den jährlichen Zahlungen entsprechenden kapitalisierten Gesamtbetrag zu erwähnen.

Nunmehr zum Höchstbetrag, der von Deutschland nach dem Auslande überwiesen werden soll. Hier gibt der Ausschuss überhaupt keine Zahlen an. „Dieser ist,“ so sagen die Sachverständigen, „durch Vergleich mit dem Staatshaushalt nicht genau errechenbar, schwer zu behandeln und zu elastisch ... Es wäre gewagt und ungerecht, den Versuch zu machen, die Entwicklung der künftigen Wechselkursgestaltung vorauszusagen und auf Grund einer fragwürdigen Schätzung derselben Deutschlands Lasten im Voraus zu bestimmen. Erfahrung und nur Erfahrung allein kann zeigen, welche Übertragungen in ausländische Währungen in der Praxis sich als möglich erweisen. Unser System sorgt in der Zwischenzeit für eine angemessene Belastung des deutschen Steuerzahlers und ein entsprechendes Goldmarkguthaben zugunsten der Alliierten; und außerdem sichert es das Höchstmaß der Umwandlung dieser Markbeträge in ausländische Währungen, wie es jeweils die tatsächliche Aufnahmefähigkeit des Devisenmarktes ermöglicht.“

Der Weg, auf dem dies erreicht werden soll, ist folgender: Die Erträgnisse, welche aus den erwähnten Einnahmen, aus den Eisenbahnen und der Industrie erzielt werden, sollen in Mark auf ein besonderes Konto der vorgeschlagenen neuen deutschen Emissionsbank eingezahlt werden. Dieses Markguthaben wird durch ein Komitee der Alliierten kontrolliert werden, das es durch den Ankauf fremder Devisen im höchstmöglichen Ausmaße auf die Verbündeten übertragen wird, „jedoch ohne dabei die Stabilität der Währung zu gefährden“. Sollten diese auf das Konto eingezahlten Summen den Betrag überschreiten, dessen Übertragung nach dem Ausland möglich ist, so werden die Einzahlungen normal bis zur Höhe von 2000 Millionen Goldmark für kurzfristige Geldgeschäfte der Bank innerhalb Deutschlands zur Verfügung stehen, über diese Summe hinaus angesammelte Beträge sind in Obligationen oder Anleihen innerhalb Deutschlands anzulegen. Wenn aber der nicht überwiesene Betrag 5000 Millionen Goldmark erreicht, soll er nicht weiter erhöht werden und die von der deutschen Regierung geforderten Zahlungen sind dann entsprechend herabzusetzen. Allerdings kann diese Höchstziffer durch eine Zweidrittelmehrheit des Kontrollausschusses herabgesetzt oder erhöht werden.

Ich gebe jetzt noch kein Urteil darüber ab, ob ein Plan dieser Art in solchem Umfange über eine lange Reihe von Jahren in die Praxis umgesetzt werden kann. Aber das Projekt hat wenigstens das Verdienst, dass es bemüht ist, die Möglichkeit sehr großer künftiger Zahlungen zu verbinden mit entsprechenden Bürgschaften für den Fall, dass optimistische Schätzungen sich als falsch erweisen sollten. Wird der Plan mit Geschick und Aufrichtigkeit durchgeführt, dann scheint er Deutschland vor den Gefahren der Bedrückung und des Ruins zu schützen. Für den Augenblick müssen wir uns mit den eigenen Schlussworten des Ausschusses zufriedengeben: „Wir leugnen nicht, dass dieser Teil unseres Vorschlages Schwierigkeiten ganz neuer Art bieten wird, die nur durch Erfahrung gelöst werden können. Aber welche Wahl bleibt uns?“

Es bleibt noch ein Charakteristikum des Planes zu besprechen, das wahrscheinlich besondere Beachtung in Deutschland finden wird: die verschiedenen Agenten, Kontrolleure und Vertrauenspersonen, die den deutschen Verwaltungsorganen von den Alliierten beigeordnet werden sollen. Es hat nach dem ersten Durchlesen nicht den Anschein, als ob die vorgeschlagenen Befugnisse dieser Personen sehr weitreichend sind. Deutschland hat viel zu gewinnen, wenn die Verbündeten unmittelbare Informationen aus Quellen erhalten, denen sie hinsichtlich des Tatsachenmaterials trauen.

Der Bericht ist der bisher beste Beitrag zu diesem unmöglichen Problem. Er atmet eine neue Gesinnung und ist in einem neuen Geist verfasst. Er schafft eine Atmosphäre der Unparteilichkeit und verrät wissenschaftliche Durcharbeitung und tiefe Kenntnisse. Obgleich die Sprache manchmal der Sprache eines gesunden Menschen vergleichbar scheint, der im Irrenhaus sich selbst den Insassen anpassen muss, verliert sie doch niemals ihren vernünftigen Sinn. Obwohl der Bericht manchmal mit dem Unmöglichen ein Kompromiss schließt und sogar Unmögliches in Erwägung zieht, schreibt er doch niemals das Unmögliche vor. Diese Fassade und diese Pläne werden vielleicht nie Gestalt gewinnen in einem wirklich errichteten Gebäude. Und doch ist der Bericht ein ehrenvolles Dokument und eröffnet ein neues Kapitel.

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