Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Das Gutachten der Sachverständigen über das Reparationsproblem ist erschienen. Die Vorschläge, die gemacht werden, betreffen fast alle Gebiete der Wirtschaft, und es wird Aufgabe der zuständigen Instanzen sein, für jedes einzelne Gebiet zu prüfen, ob und wieweit vom deutschen Standpunkt aus die vorgesehenen Belastungen Deutschlands tragbar erscheinen.

Ohne diese Frage der Tragbarkeit der Belastung der deutschen Wirtschaft in einem Ausmaße, wie sie das Sachverständigengutachten vorsieht, behandeln oder entscheiden zu wollen, soll im folgenden auf einen Punkt hingewiesen werden, der – formell etwas in den Hintergrund tretend – tatsächlich für die Beurteilung der Sachverständigenvorschläge von der allergrößten Bedeutung ist. Er betrifft die Frage des sog. „Transfer“, der Überführung der Reparationsbeträge aus der deutschen Wirtschaft in die fremde Wirtschaft.

Man hat sehr lange auf dem Standpunkt gestanden, daß das Reparationsproblem lediglich ein Steuerproblem ist, ein Problem, wie die aufzubringenden Beträge innerhalb des Schuldnerlandes auf die einzelnen Steuersubjekte zu verteilen sind. Nur ganz allmählich hat sich die Erkenntnis Bahn gebrochen, daß hinsichtlich der Reparationsverpflichtung, bei der es sich um gigantische Schulden eines Landes im Verhältnis zum anderen handelt, die Dinge viel komplizierter liegen. Denn das Reparationsproblem umfaßt in Wirklichkeit zwei Probleme, nämlich

  1. das Problem der Verteilung der Lasten auf die einzelnen Staatsbürger, also ein Steuer- und Anleiheproblem,
  2. das Problem der Übertragung der in Form der Steuern und Anleihen im Inland aufgebrachten Mittel an das Ausland.

Dieses letztere Problem besteht in folgendem: Im internationalen Verkehr können Verpflichtungen nur erfüllt werden

  1. durch Export von Gütern oder Leistung von Diensten;
  2. durch Ausfuhr von Kapitalbeteiligungen und Gläubigerrechten (Aktien, Obligationen usw.);
  3. durch Goldausfuhr.

Die Schwierigkeit liegt nun darin, daß von diesen drei Möglichkeiten die letztere mangels praktisch in Betracht kommender Goldmengen tatsächlich ausscheidet, die zwei ersteren aber nicht lediglich vom Willen des Schuldners abhängen: Zum Leistungswillen des Schuldners muß ein Entgegennahmewille des Gläubigers hinzukommen. Sind die Gläubiger Privatpersonen, so ist dieser Entgegennahmewille stets vorhanden. Sind die Gläubiger dagegen Staaten, so kommen hier alle diejenigen Momente und Imponderabilien in Betracht, die verhindern, daß im Verkehr zwischen den Staaten der Zuwachs von Gütern, Kapitalbeteiligungen usw. als etwas unter allen Umständen Günstiges gewertet wird: Die einseitige Gütereinfuhr kann, so angenehm sie vielleicht auch für die Rentnerklasse ist, als unstatthaft gelten, weil sie die eigene Industrie zur Arbeitslosigkeit verurteilt. Die Einfuhr fremder Kapitalbeteiligungen kann als unerwünscht gelten, weil ihre Einfuhr, vom Standpunkt des Gläubigerlandes aus gesehen, Kapitalexport bedeutet, der die inländischen Kapitalmärkte verknappt, – soweit nicht sämtliche aus der betreffenden Schuldverpflichtung eingehenden Zahlungen zur Ersparnisbildung verwandt werden können, was grundsätzlich nie der Fall ist.

Die Erfahrung zeigt nun, daß der Wille unserer Gläubiger, Güter und Leistungen einerseits, Kapitalbeteiligungen andererseits von Deutschland aufzunehmen, außerordentlich gering war. Gegen Gütereinfuhr hat man sich durch Antidumpinggesetze geschützt, und deutsche Kapitalbeteiligungen im Ausland zu plazieren, war – von vorübergehenden Perioden abgesehen – immer nur bei Verschleuderung möglich.

Aus dieser Tatsache hat sich der paradoxale Zustand ergeben, daß die Gläubiger fortgesetzt nach Zahlung verlangen und über die Böswilligkeit des Schuldners klagten, aber die einzig in Betracht kommenden Zahlungsmöglichkeiten ablehnten. Was sie von Deutschland verlangten, war ebenso unmöglich wie die Lösung der Quadratur des Kreises.

Auf diese Zusammenhänge ist von seiten verständiger Wirtschaftspolitiker des Auslandes schon sehr früh hingewiesen worden. Daß sie dem allgemeinen Bewußtsein so lange fremd blieben, daß man immer nur das Steuerproblem, nie das Zahlungsproblem sah, beruht darauf, daß sich – abgesehen von den sog. „Sachlieferungen“ – die Zahlung formell in Gestalt der Ablieferung von Devisen zu vollziehen hatte. Man stellte sich vor, daß man nur genügende Markbeträge im Inlande im Wege der Steuer aufzubringen brauche, um die nötige Menge von Devisen ankaufen zu können. Leider ist das Experiment, wie sich das Zahlungsproblem nach völliger Lösung des Steuerproblems gestaltet, praktisch nie gemacht worden. Denn schon das Steuerproblem blieb bei uns, wie zuzugeben, völlig ungelöst und die zum Ankauf der Devisen erforderlichen Markbeträge wurden, statt der Tasche der Steuerzahler entnommen, durch die Notenpresse geschaffen. Es kann aber kein Zweifel darüber bestehen, daß auch bei völliger Lösung des Steuerproblems eine Reparationszahlung ohne Währungszerrüttung nicht möglich ist, sofern nicht das Zahlungsproblem ebenfalls gelöst wird. Beide Lösungen müssen kumulativ vorhanden sein. Gelingt es, auch noch so viele Markbeträge im Wege der Steuer flüssig zu machen, so wird man ohne Erschütterung des Devisenkursniveaus nur dann die für die Reparation nötigen Devisen erhalten, wenn die Steigerung des Güter- oder Kapitalbeteiligungsexportes eine genau entsprechende ist. Soweit dies nicht der Fall ist, gehen die Devisen durch die Nachfrage, der kein entsprechendes Angebot gegenübersteht und die zunächst auch kein solches hervorrufen kann, prinzipiell solange in die Höhe, bis die durch die Valutenverschlechterung eintretende Verbilligung der deutschen Ware im Auslande jeden Antidumpingzoll – der so gewissermaßen vom Inlande übernommen wird – kompensiert und jede Einfuhrschutzmaßregel sprengt. Diese Steigerung der Valuten heißt aber nichts anderes, als daß sehr viel größere Beträge zur Beschaffung der Devisen flüssig zu machen sind, daß also auch immer größere Beträge im Wege der Besteuerung usw. aufgebracht werden müssen. Dies aber bedeutet wiederum, daß der Gläubiger, ohne daß der Schuldner etwas daran ändern könnte, einfach dadurch, daß er sich gegen die Einfuhr von Gütern und Kapitalbeteiligungen sperrt, in der Lage ist, die Zahlungspflicht je nach Belieben zu erhöhen und im extremen Fall – mit der Folge völliger Währungszerrüttung im Schuldnerlande – überhaupt unmöglich zu machen.

Auf diese Zusammenhänge war bisher seitens der Alliierten keinerlei Rücksicht genommen worden: Die Reparationszahlungen konnten daher tatsächlich jederzeit durch das Verhalten der Gläubiger unmöglich gemacht werden, und diese Unmöglichkeit hatte Deutschland zu vertreten. Jede Nichteinhaltung der Zahlungsverpflichtungen ging zu seinen Lasten und brachte ihm den Vorwurf der böswilligen Nichtzahlung ein.

Es ist der gewaltige Fortschritt, den das Sachverständigengutachten für Deutschland bringt, daß es das Paradoxe dieses Zustandes offiziell feststellt und ausführt:

„Es hat bisher die Tendenz bestanden, zwei verschiedene, wenn auch verwandte Fragen miteinander zu vermengen, nämlich erstens die der Höhe der Einkünfte, die Deutschland für das Reparationskonto zur Verfügung stellen kann, und zweitens die des Betrages, der ans Ausland abgeführt werden kann. Die aufgebrachten und an die Alliierten auf Reparationskonto abgeführten Gelder können auf die Dauer nicht die Summen überschreiten, die durch die Zahlungsbilanz überwiesen werden können, ohne daß Unstabilität der Währung und des Staatshaushaltes die Folgeerscheinungen sind. Es ist indessen klar, daß der durch Steuern aufbringbare Überschuß des Staatshaushaltes nicht durch die völlig verschiedene Frage der Bedingungen für Überweisungen ans Ausland begrenzt wird. Wir schlagen daher vor, scharf zwischen den beiden Problemen zu unterscheiden und zuerst das Problem des höchsten Staatshaushaltsüberschusses und dann das der Zahlung an die Alliierten zu behandeln.“

Die Vorschläge, die das Sachverständigengutachten für das Zahlungsproblem macht, sind die folgenden:

Die in Frage kommenden Markbeträge, die aus der deutschen Wirtschaft herausgezogen werden, werden einem „Agenten“, einem Treuhänder übertragen, und mit dieser Übertragung erlischt die Verpflichtung der deutschen Regierung. Der Treuhänder seinerseits soll

  1. die eingehenden Zahlungen zunächst zur Bestreitung der Naturallieferungen und der auf Grund des Recoveryaktes zu leistenden Zahlungen gemäß einem von der Reparationskommission aufzustellenden Programm verwenden;
  2. die Überschüsse von Zeit zu Zeit in fremde Devisen konvertieren und gemäß den Instruktionen der Reparationskommission verwenden, vorausgesetzt, daß dies der Geldmarkt ohne Risiko für die Stabilität der deutschen Währung ermöglicht;
  3. die ihm geeignet erscheinenden Beträge zu Plazierungen in Deutschland in Form von Obligationen oder anderen Darlehen verwenden. Diese Art der Anleihe soll obligatorisch sein, soweit die verfügbaren Summen den Betrag übersteigen, den die Bank im Depot zu haben wünscht. Das Komitee kann andererseits diese Obligationen verkaufen und gewährte Darlehen kündigen, sobald eine Konvertierungsmöglichkeit in ausländischen Devisen besteht.“ 1

Hieraus ergibt sich folgendes:

Da ohne Beeinträchtigung der Währungsstabilität nur dann Beträge in fremde Valuten umgewandelt werden können, wenn ein Mehr an Export stattgefunden hat, so werden – bei einer den Absichten des Gutachtens entsprechenden Handhabung der Bestimmungen durch den Treuhänder – nur solche Markbeträge in Auslandsvaluta umgewandelt, denen entsprechende Exportüberschüsse gegenüberstehen. Die Unmöglichkeit, solche Exportüberschüsse zu erzielen, hat danach nicht mehr Deutschland zu vertreten. Es hat seine Schuldigkeit damit getan, daß es die nötigen Markbeträge im Inland aufbringt. Allerdings werden die überschüssigen Beträge Deutschland nicht erlassen, sondern sie werden – wenigstens prinzipiell – in deutschen Werten angelegt. Aber auch dies bedeutet nichts anderes, als daß diese Markbeträge nur insoweit für die Alliierten nutzbar gemacht werden dürfen, als die Alliierten gewillt sind, – diesmal nicht Güter, sondern – Kapitalbeteiligungen zu übernehmen. Damit wird zwar gegebenenfalls eine dauernde Verschuldung des Inlandes an das Ausland eintreten, aber diese Verschuldung wird für die Gesamtwirtschaft nicht so drückend empfunden werden, wenigstens nicht, insofern für die Erträge aus diesen Kapitalanlagen wiederum die Bestimmung gilt, daß sie nur dann in ausländische Valuta umgewandelt werden dürfen, wenn dies ohne Gefährdung der Währungsstabilität geschehen kann.

Auch die von den Sachverständigen vorgeschlagene Regelung des Zahlungsproblems ist hart und enthält eine Reihe von Bestimmungen, die die Handhabe für Maßnahmen bieten können, die Deutschland wiederum schwer schädigen. Allein es muß anerkannt werden, daß hier im Prinzip einmal der Grundsatz aufgestellt wird, daß Deutschland nicht verpflichtet ist, etwas zu leisten, was der Gläubiger nicht anzunehmen bereit ist. Es bedeutet insoweit einen ersten Sieg der Vernunft und ist politisch von der allergrößten Bedeutung. Denn bei Einhaltung der Grundsätze des Sachverständigengutachtens wird es unmöglich sein, Deutschland für eine böswillige Zahlungsverweigerung verantwortlich zu machen, welche in Wirklichkeit ihre Ursache in einer aus inneren wirtschaftlichen Gründen sich ergebenden faktischen Unmöglichkeit der Zahlung hat. Wie man auch über die Vorschläge des Sachverständigengutachtens denken mag – diese Tatsache wird anzuerkennen sein, und es wird vor allen Dingen in den kommenden Verhandlungen mit eherner Energie darauf hinzuwirken sein, daß jedenfalls an diesem Teil des Sachverständigengutachtens nichts zuungunsten Deutschlands geändert wird.

  • 1 Zitiert nach der „Frankf. Ztg.“, 11. Morgenblatt v. 10. 4. 1924.

Beitrag als PDF

Unter der Rubrik "Historischer Beitrag" dokumentieren wir Beiträge aus den ersten Jahrzehnten des Wirtschafts­dienst seit dem Gründungs­jahr 1916. Das Archiv befindet sich im Aufbau und wird sukzessive mit Beiträgen gefüllt. Die Inhalte sind selbst­verständlich im historischen Kontext zu betrachten und spiegeln nicht heutige Auswahl­entscheidungen der Redaktion wider.

Fachinformationen über EconBiz

EconBiz unterstützt Sie bei der Recherche wirtschaftswissenschaftlicher Fachinformationen.