Dieser Bericht, dessen Gegenstand die Schätzung des Wertes der privaten deutschen Auslandsguthaben ist, begegnet zwar dem allgemeinsten Interesse, seine praktischen Ergebnisse sind aber vorwiegend negativ. Der Bericht räumt mit Illusionen auf und macht uns mit Tatsachen bekannt. Er entdeckt keine unvorhergesehenen Hilfsquellen, die unmittelbar für Reparationszahlungen verwandt werden könnten, und er macht auch keine praktischen Vorschläge in dieser Richtung. So wird die allgemeine Ansicht bestätigt, daß die deutschen Auslandsguthaben bescheidenen Umfangs sind, und sich durchaus außerhalb der Grenzen gesetzlicher Greifbarkeit befinden. Der Ausschuß scheint der Ansicht zu sein, daß diese Guthaben nur insoweit zur Unterstützung der Reparationszahlungen herangezogen werden können, als sie freiwillig nach Deutschland zurückgenommen werden; und daß der beste Weg hierzu mehr in einer Aufhebung als in einer Ausdehnung der beschränkenden Gesetzgebung liegt.
Der Bericht kommt, innerhalb gewisser Grenzen, zu einer abschließenden Schätzung. Er gibt gesonderte Angaben für jeden der einzelnen Hauptposten, seltsamerweise aber stellt er diese einzelnen Posten nicht in einer Bilanz einander gegenüber, noch zeigt er genau, wie sich aus ihnen das Endresultat ergibt. Es sind uns jedoch genügend Einzelheiten gegeben, um für uns selbst eine Bilanz (wie weiter unten) aufzustellen, die einige zweifelhafte Posten enthält. Der Ausschuß folgt insofern früheren Untersuchungen, als er seine Aufgabe in zwei Teile zerlegt:
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Feststellung des Restbetrages deutscher Vorkriegsguthaben; und
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Erhebung über die tatsächliche Erwerbung von Auslandsguthaben seit dem Kriege durch Markverkäufe und ähnliches.
I. Bestand an Auslandsguthaben 1919:
| Auslandsguthaben 1914 | 28,0 | Passivität der Handelsbilanz und Darlehen an die Verbündeten während des Krieges | 15,2 |
|---|---|---|---|
| Erwerbungen in besetzten Gebieten während des Krieges | 5,7-6,0 | Verluste durch Entwertung, Liquidation und Sequestierung | 16,1 |
| Goldverkäufe | 1,0 | Verkauf von Anlagewerten im Kriege | 1,0 |
| Einkommen aus Auslandsguthaben während des Krieges | 1,3 (?) | Verbleibende Guthaben 1919 | 4,0 |
| 36,3 | 36,3 |
Alle folgenden Zahlen in Milliarden Goldmark. Diejenigen Zahlen, die die Experten nicht ausdrücklich angegeben haben, sind mit einem Fragezeichen versehen.
Danach sind also Deutschlands Vorkriegsguthaben von 28 auf 4 Milliarden gesunken, mit anderen Worten, Deutschland verlor 6/7 seiner Guthaben. Diese Schätzung von 4 Milliarden entspricht etwa der von mir 1919 veröffentlichten („Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages“, S. 147/48). Dort nahm ich das Maximum der verbleibenden Guthaben mit 5 Milliarden an, und berechnete den Höchstbetrag, auf den die Reparationskommission aus dieser Quelle rechnen könnte, mit 2 bis 5 Milliarden. Diese Ziffer ist ein wenig höher als diejenige, die ich im September 1922 als zu diesem Zeitpunkt verfügbar angab (½ bis 1 Milliarde). Sie ist auch höher als die Schätzung von 2 bis 3 Milliarden, die das amerikanische Institute of Economics in seiner neuesten Veröffentlichung „Deutschlands Zahlungsfähigkeit“ angab. Diese Abweichungen können dadurch erklärt werden, daß der McKenna-Bericht von einer höheren Grundziffer für die Vorkriegszeit ausgeht: Bislang wurden allgemein 20 bis 25 Milliarden angenommen (eine Zusammenstellung der verschiedenen Vorkriegsschätzungen gibt mein Buch „Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages“, S. 147/48), während, wie wir gesehen haben, der McKenna-Bericht 28 Milliarden annimmt. Nachdem nun diese Schätzung anscheinend unter der Mitwirkung der deutschen Regierung zustande gekommen ist, müssen wir sie als richtig hinnehmen. Die abweichende Berechnung des McKenna-Berichts scheint darauf zurückzuführen zu sein:
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daß sie auch den Wert auswärtiger Teilhaberschaften und Beteiligungen, und nicht nur den Aktienbesitz umfaßt;
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daß sie die Anlagepapiere zu ihrem Nennwert einsetzt; und
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daß sie die Gesamtsumme angibt, ohne einen Abzug zu machen für ausländischen Besitz in Deutschland. Unter Berücksichtigung dieser Umstände nähern sich die Sachverständigenberichte den oben erwähnten früheren Schätzungen tatsächlich außerordentlich.
II. Neuerwerbungen nach dem Kriege
Die n. demselb. Schema errechn Mc-Kenna-Ziff. f. d. Nachkriegszeit sind folgende:
| An Ausl. verk. Markguth. u. Not. | 7,6-8,7 | Passivität der Handelsbilanz und Barzahlungen an die Alliierten deit dem Kriege | 9-10 |
|---|---|---|---|
| Goldverkäufe | 1,5 | Bestand an fremden Noten | 1,2 |
| Verkauf deutschen Eigentums u. dtsch. Wertpap. a. Ausländer | 1,5 | Neuerwerbungen an fremden Guthaben seit dem Kriege | 9-10 |
| Zahlg., Reise-, Schiffsverk usw. u dt. Privateig. abgetr. Geb, | 1,3-3,3 (?) | Guthaben seit dem Kriege | 1,7-3,8 |
| 11,9-15 | 11,9-15 |
Diese Schätzungen werden endgültig die legendären Ziffern widerlegen, mit denen die leichtgläubige Menge gerechnet hatte. Es ist nicht ohne Reiz, sich ins Gedächtnis zurückzurufen, daß noch am 29. August 1922 die „Times“ in einem Leitartikel die Summe, die für deutsche Rechnung „sicher in fremden Wertpapieren angelegt oder bei fremden Banken deponiert sei“, auf 8–900 Mill. £ schätzte. Wenn ich mich der Kommentare erinnere, mit der meine eigenen Schätzungen dieser Summe zu gewissen Zeiten aufgenommen worden sind, so fühle ich mich meinerseits gerechtfertigt, wenn ich sie mit dem endgültigen Gutachten vergleiche. In einem Artikel, der in einem der Wiederaufbauhefte des „Manchester Guardian“ am 28. September 1922 veröffentlicht wurde, schätzte ich, daß bis zum 30. Juni 1922 (bis dahin hatte sich der Hauptteil dieses Geschäftes tatsächlich abgewickelt) die Summe der an Ausländer verkauften Papiermarkguthaben, Banknoten, deutschen Besitzes und Wertpapiere auf insgesamt 9 Milliarden Goldmark; der McKenna-Bericht berechnet die entsprechende Zahl am 31. Dezember 1923 (18 Monate später) zwischen 9,1 und 10,2 Milliarden Goldmark. (Anscheinend jedoch bestand ein größerer Teil der Summe, als ich annahm, in Bankguthaben und ein geringerer in Noten, Realbesitz und Wertpapieren.) Ich habe die Passivität der Handelsbilanz und die Barzahlungen an die Alliierten auf 8 Milliarden geschätzt, der Ausschuß setzt 18 Monate später diesen Betrag auf 9–10 Milliarden fest. Ich nahm den Wert der in Deutschland gehaltenen fremden Devisen mit 1 Milliarde an, der Ausschuß berechnet den Betrag – wiederum entsprechend später – mit 1–2 Milliarden. Wenn man die Verschiedenheit der Schätzungsdaten berücksichtigt und ferner den Umstand, daß ich nicht das den Deutschen verbleibende Privateigentum in den abgetretenen Gebieten (wie Schlesien, Posen, Danzig usw.) als Neuerwerbungen fremden Kapitals einsetzte, ist die nahezu durchgehende Genauigkeit dieser meiner Schätzungen – die unvermeidlicherweise auf weit unvollkommeneren Unterlagen errechnet werden mußten, als sie dem Ausschuß zugänglich waren – bestätigt.
Wenn der Dawesbericht ein neues Kapitel eröffnet, so beendet der McKenna-Bericht eines der wunderlichsten in der neueren Geschichte – eines der mustergültigsten Beispiele tragischer Ironie und der Umkehrung der Tatsachen für diejenigen, die übermäßiges verlangen. Fünf Jahre lang haben Deutschlands Besieger die Zitrone mit beiden Händen gepreßt, bis ihnen die Hände schmerzten, haben Tropfen auf Tropfen in die Schale fließen sehen – nur um am Schlusse zu entdecken, daß jeder Tropfen nicht aus der Zitrone, sondern aus ihren eigenen Händen kam. Der Betrag, den Deutschland anscheinend auf Reparationskonto gezahlt hat, entspricht nahezu demjenigen, den das Ausland für wertlosen Markbesitz aufgewandt hat. Das gleiche Trugbild, dieselbe schlecht rechnende Unwissenheit, die drückende und unmögliche Forderungen aufstellte, hat all die großen Verluste auf dem Gewissen, gegen die alle vorhergehenden Schwindelgeschäfte nichts gewesen sind. Wie uns berichtet wird, hat 1 Million Ausländer Bankguthaben in Deutschland erworben, und jedes dieser Konten hat seinen Eigentümer durchschnittlich etwa 400 £ gekostet. Diese leichtgläubigen Leute sind es also, die bislang die Rechnung bezahlt haben. Das ist die wohlhabende Gruppe – etwa Bankiers und Finanzsachverständige. Hinter ihnen kommen die vielen Millionen, die Dienstmädchen und Friseure, die für den Wert von ein paar Schillingen, ein paar Pfunden der wankenden Reichsbank ihre Noten frisch von der Presse fortkauften, bis alle Welt den Duft einer neuen deutschen Note kannte.
Es ist nicht richtig, anzunehmen, daß dieser sonderbare Prozeß einem bewußten Betrug und einer Hinterlist des deutschen Volkes entspringt. Das gleiche Loch, das den freiwilligen, im Spiel aufgebrachten Überfluß des Auslandes aufgenommen hat, hat auch die der Masse des deutschen Volkes unentbehrlichen Ersparnisse geschluckt. Deutschland ist der Schauplatz der ausgedehntesten Neuverteilung des Volksvermögens aus dem Besitz vieler in die Hände weniger gewesen, die jemals in einem gleichen Zeitraum vor sich ging, bis es schließlich das vornehmste Beispiel von Ungerechtigkeit in der Vermögensverteilung wurde. Der Tod des großen Stilmes, welcher zuerst und am leidenschaftlichsten die hervorragenden Möglichkeiten sah, die ein Bürgerkrieg – sei er politisch oder wirtschaftlich – dem kühnen und klaren Freibeuter bietet, läßt den Vorhang im angemessenen Augenblick fallen. Die Zeit der Übertreibungen ist vorbei, und „common sense“ tritt seine ruhige Herrschaft wieder an.