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20 Jahre nach der deutschen Einheit kündigen Hessen, Baden-Württemberg und Bayern an, vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Länderfinanzausgleich zu klagen. Die drei Geberländer fühlen sich angesichts eigener Haushaltsprobleme durch den Finanzausgleich zu stark belastet. Thomas Lenk zeigt hier, dass es nach der Eingliederung der neuen Länder 1995 zu einer wesentlichen Vergrößerung des Transfervolumens im Länderfinanzausgleich, aber auch zu erheblichen Positionsveränderungen bei den einzelnen Geber- und Nehmerländern gekommen ist.

Hessen, Baden-Württemberg und Bayern haben angekündigt, gegen den bestehenden Länderfinanzausgleich (LFA) zu klagen, obwohl alle Länder zuletzt im Rahmen des Solidarpaktes II (2001) den neuen Regelungen zugestimmt haben. Das bedeutet, dass 20 Jahre nach der deutschen Einheit bzw. 15 Jahre nach der Einbeziehung der neuen Länder in den LFA, ein wesentliches regionales Umverteilungsinstrument, das dem Ziel der „Einheitlichkeit“ bzw. „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ dient, erneut dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt werden könnte. Dies ist vor dem Hintergrund der Zahlungen im LFA und der neuen Schuldenbremse (ausgeglichene Länderhaushalte spätestens ab 2020) aus Sicht der Geberländer nachvollziehbar. Denn mit der Eingliederung der neuen Länder in das System des bundesstaatlichen Finanzausgleichs 1995 hat es eine Niveauverschiebung gegeben, die immer noch im System enthalten ist. Dadurch sind alle alten Länder – nicht nur die Zahlerländer – belastet. Diese Belastung kann sich im derzeitigen System des bundesdeutschen Finanzausgleichs nicht wesentlich ändern, solange es nicht gelingt, die Wirtschaftskraft der ostdeutschen Länder wesentlich zu steigern. Die deutsche Einigung stellt eine gesamtstaatliche Aufgabe dar, deren finanzielle Lasten im staatlichen Bereich auf Gebietskörperschaften und Sozialversicherungssysteme verteilt werden. Dabei können die Lasten der Einheit unterschiedlich abgegrenzt werden. Je nach Prämissen und Fragestellung lassen sich verschiedene Teilantworten auf die Frage der Gesamtlasten der Einheit finden. Es ist unmöglich, die gesamten Kosten zu quantifizieren und dem gesamten Nutzen gegenüberzustellen. In diesem Beitrag soll nur der Teilbereich des Finanztransfers über den Länderfinanzausgleich näher beleuchtet werden. Es geht also um die Frage, wie stark die alten Länder durch die Wiedervereinigung im Rahmen des Systems des Länderfinanzausgleichs belastet wurden bzw. noch belastet sind.1

Grundmodell der Niveauverschiebungshypothese

Um die Auswirkungen der Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Länderfinanzausgleich zu bewerten, wird zunächst nicht die aktuelle gesetzliche Regelung des Länderfinanzausgleichs herangezogen, da diese mit vielen Detailregelungen versehen ist. So gelten im Rahmen des Länderfinanzausgleichs Konventionen bezüglich der Finanzkraftermittlung und der Festlegung der Ausgleichsmesszahl2 sowie des Ausgleichsgrades, deren Berücksichtigung zunächst für die Diskussion der grundlegenden Problematik eher verwirrend als nützlich ist. Da in der politischen Diskussion offensichtlich die gegenseitigen Abhängigkeiten der Finanzkraft der einzelnen Länder nicht erkannt werden und daher die Einheitslast bei den einzelnen Ländern falsch bewertet wird, bedarf es zunächst einer Reduktion auf ein einfaches Modell. Nur so lassen sich die maßgebenden Zusammenhänge klar herausarbeiten.

Deshalb wird als Ausgangspunkt ein einfaches Finanzausgleichssystem den folgenden Überlegungen zu Grunde gelegt: Modellhaft sei ein föderaler Staat zunächst aus fünf Ländern (A bis E) mit jeweils der in Tabelle 1 wiedergegebenen Finanzkraft pro Einwohner (EW) aufgebaut. Für diese Länder wird im ersten Schritt die landeseigene Finanzkraft festgestellt und auf deren Basis die durchschnittliche Finanzkraft berechnet (vgl. Tabelle 1 Zeile 2).

Tabelle 1
Linearer Finanzausgleich: Grundmodell mit fünf Ländern
Land A B C D E    
Eigene Finanzkraft pro Einwohner 1500 1000 950 800 750 1000 Durchschnitt
Differenz zum Durchschnitt 500 0 -50 -200 -250    
Ausgleich der Fehlbeträge um 50% 0 0 25 100 125 250 Summe der Zuweisungen
Überschüsse 500 0 0 0 0 500 Summe der Überschüsse
Anteil an Beiträgen 100%            
Beiträge der Zahlungsländer proportional zum Überschuss -250 0 0 0 0 -250 Summe der Beiträge
Finanzkraft nach Umverteilung 1250 1000 975 900 875 1000 Durchschnitt

Quelle: Eigene Darstellung.

Tabelle 2
Linearer Finanzausgleich: Erweiterung um vier finanzschwache Länder
Land A B C D E F G H I    
Eigene Finanzkraft pro Einwohner 1500 1000 950 800 750 650 575 525 450 800 Durchschnitt
Differenz zum Durchschnitt 700 200 150 0 -50 -150 -225 -275 -350    
Ausgleich der Fehlbeträge um 50% 0 0 0 0 25 75 113 138 175 525 Summe der Zuweisungen
Überschüsse 700 200 150 0 0 0 0 0 0 1050 Summe der Überschüsse
Anteil an Beiträgen 67% 19% 14%                
Beiträge der Zahlungsländer proportional zum Überschuss -350 -100 -75 0 0 0 0 0 0 -525 Summe der Beiträge
Finanzkraft nach Umverteilung 1150 900 875 800 775 725 688 663 625 800 Durchschnitt

Quelle: Eigene Darstellung.

Das Land A liegt mit 1500 Euro/EW deutlich über dem Durchschnitt von 1000 Euro/EW, während die Finanzkraft von Land B durchschnittlich ist. Den anderen drei Ländern wurde eine unterdurchschnittliche Finanzkraft attestiert. Die Fehlbeträge zum Durchschnitt sollen durch einen linearen Tarif zu 50% ausgeglichen werden. Folglich wird beispielsweise die Finanzlücke des Landes E von 250 Euro/EW um 125 Euro/EW vermindert, so dass nach Umverteilung dieses Land über eine Finanzkraft von 875 Euro/EW verfügen kann.

In diesem Modell bestimmt, wie auch im Länderfinanzausgleich der Bundesrepublik Deutschland, die Summe der Zuweisungen das Umverteilungsvolumen. Die Beiträge werden von den Ländern, die über dem Durchschnitt liegen, in Relation zu ihrer Finanzkraft aufgebracht. In der Ausgangssituation ist dies lediglich das Land A, das die volle Last des Finanzausgleichs in Höhe von 250 Euro/EW schultern muss.

Treten nun vier ärmere Länder (F bis I) diesem Bundesstaat bei, so ergibt sich im Beispiel c.p. folgende Situation (vgl. Tabelle 2).

Die durchschnittliche Finanzkraft sinkt im Zahlenbeispiel von 1000 Euro/EW auf 800 Euro/EW. Das bedeutet, dass nun das Land B, das in der Ausgangssituation genau im Durchschnitt lag und weder Beiträge zahlen musste noch Zuweisungen erhielt, ausgleichspflichtig geworden ist, obwohl sich an der eigenen Finanzkraft vor Finanzausgleich nichts geändert hat. Ebenso wird das Empfängerland C nun zahlungspflichtig und das Land D erhält keine Zuweisungen mehr, da seine Finanzkraft dem neuen Durchschnitt entspricht. Das Umverteilungsvolumen bestimmt sich wieder aus der Summe der Zuweisungen und wird auf die drei zahlungspflichtigen Länder (A, B, C) proportional zu ihren Überschüssen aufgeteilt.

Wird nun die Finanzkraft nach Umverteilung vor und nach der Integration der Länder F, G, H und I in den Finanzausgleich verglichen (vgl. Tabelle 1 und Tabelle 2, jeweils letzte Zeile), so zeigt sich bei dem gewählten linearen Tarif, dass alle fünf „alten“ Länder durch die Integration mit 100 Euro/EW belastet wurden (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Niveauverschiebung – Beiträge und Zuweisungen vor und nach Integration finanzschwacher Länder
in Euro pro Einwohner
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Quelle: Eigene Darstellung.

Es ergeben sich damit nach der Integration der Länder F, G, H und I für die „alten“ Länder A, B, C, D und E folgende Veränderungen:

  • Das finanzkräftige Land A muss nun 350 Euro/EW statt 250 Euro/EW als Beitrag leisten.
  • Das ursprünglich neutrale Land B wird mit 100 Euro/EW ausgleichspflichtig.
  • Das finanzstärkste ausgleichsberechtigte Land C erhält keine Zuweisung von 25 Euro/EW mehr und muss statt dessen 75 Euro/EW zahlen, so dass sich auch hier insgesamt eine Belastung von 100 Euro/EW ergibt.
  • Das zuweisungsberechtigte Land D verliert durch die Integration der neuen Länder im Beispiel seine komplette Zuweisung in Höhe von 100 Euro/EW und wird zum neutralen Land.
  • Die Zuweisungen für das finanzschwächste Land vor der Integration (E) reduzieren sich von 125 Euro/EW auf 25 Euro/EW.

Grundmodell mit Tarifen des bundesdeutschen Länderfinanzausgleichs

Erweitert man das Grundmodell dahingehend, dass statt des linearen Tarifs der im bundesdeutschen Länderfinanzausgleich praktizierte Tarif unterstellt wird, ergeben sich c.p. die in Tabelle 3 dargestellten Beiträge im Rahmen des Länderfinanzausgleichs für die alten Länder des Beispiels.

Dabei ist eine Fallunterscheidung vorzunehmen, da sich der Tarif im LFA beim Übergang vom Solidarpakt I auf den Solidarpakt II grundlegend geändert hat (vgl. Abbildung 2).

Tabelle 3
Belastung der Länder A bis E durch die Integration finanzschwacher Länder bei linearem Tarif
LFA-Tarif bis 2004 und ab 2005
  A B C D E
linearer Tarif 100,00 100,00 100,00 100,00 100,00
LFA-Tarif bis 2004 191,04 158,97 136,86 153,80 184,90
LFA-Tarif ab 2005 153,17 137,32 126,49 134,15 143,85

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 2
Ausgleichstarife beim Länderfinanzausgleich im Vergleich
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Quelle: Eigene Darstellung.

Der Tarif bis 2004 war als Grenzstufentarif bei den Zuweisungen bzw. Beiträgen gestaltet. So wurde im ersten Schritt die Finanzkraft, die bis zu 92% der Ausgleichsmesszahl fehlte, vollständig aufgefüllt. Im Beispiel bedeutet dies, dass das Land D in der Ausgangssituation (Durchschnitt 1000 Euro/EW) mit 120 Euro/EW auf 920 Euro/EW aufgefüllt wurde. Im zweiten Schritt erhielten alle noch unterdurchschnittlichen Länder die verbleibende Lücke (hier 80 Euro/EW) zu 37,5% aufgefüllt, so dass das Land D weitere 30 Euro/EW erhalten hätte; insgesamt also Zuweisungen in Höhe von 150 Euro/EW. Die sich so ergebende Summe der Zuweisungen an die Länder C bis E ist vom Land A zu tragen. Land A, dessen Finanzkraft 500 Euro/EW über dem Durchschnitt liegt, wird zunächst für die ersten 10 Euro/EW mit 15%, für die weiteren 90 Euro/EW mit 66% und für die restlichen 400 Euro/EW mit 80% zur Finanzierung herangezogen. Zusammen ergäbe dies einen quotenbestimmten Finanzierungsanteil von 381 Euro/EW. Da aber nur 369 Euro/EW benötigt werden, werden die Finanzierungsanteile der beitragspflichtigen Länder also mit dem Quotienten, der sich aus beiden Zahlen ergibt, multipliziert, so dass im Beispiel ohne Integration das Land A 369 Euro/EW bezahlen muss.

Mit der Integration der neuen Länder hätte sich bei analoger Berechnung für Land A bei dem neuen Durchschnitt von 800 Euro/EW auf diese Weise ein Beitrag von 589 Euro/EW ergeben. Nun sah der bis 2004 gültige Tarif in Form von Garantieklauseln (§ 10  Abs. 3 – 5 FAG) auch eine Belastungsobergrenze vor, die für Land A rechnerisch 555 Euro/EW ergeben hätte. Eine solche Überabschöpfung von 34 Euro/EW wurde dann über einen komplizierten Mechanismus auf alle Länder umverteilt, so dass sich auch für Land D, das mit der Integration der neuen Länder normalerweise im Nullpunkt gelegen hätte, rechnerisch ein Anteil von 3,80 Euro/EW ergibt. Insgesamt entsteht so beispielsweise für das Land D nach Integration der neuen Länder folgende Belastung: 150 Euro/EW entfallene Zuweisungen plus 3,80 Euro/EW anteiliger Finanzierungsbeitrag aufgrund der Garantieklausel nach § 10 Abs. 4 Satz 3 FAG.

Bei der Gestaltung des Formeltarifs, der seit 2005 im Länderfinanzausgleich gilt und dessen Verlauf der Grenzabschöpfungs- bzw. Grenzzuweisungsquote ebenfalls in Abbildung 2 dargestellt ist, wurde darauf geachtet, dass als Anreiz zur Pflege der eigenen Steuerquellen der Ausgleich nicht mehr so umfassend erfolgt wie zuvor. Dementsprechend fallen die Lasten im Vergleich zum alten Tarif geringer aus (vgl. Tabelle 3 letzte Zeile).

Es fällt auf, dass bei beiden Tarifen das Land C die geringste Belastung erfährt. Dies liegt in beiden Fällen am progressiven Tarifverlauf im Länderfinanzausgleich, der Länder, deren Finanzkraftmesszahl weit von ihrer Ausgleichsmesszahl entfernt ist, höher belastet als diejenigen, deren Finanzkraftmesszahl gleich ihrer Ausgleichsmesszahl oder dieser sehr ähnlich ist. Das Land B liegt zwar vor Integration der anderen Länder genau im Durchschnitt und müsste sowohl nach dem Tarif bis 2004 als auch ab 2005 keine Beiträge leisten. Da aber seine Finanzkraft nach Integration um 20 Prozentpunkte über dem Durchschnitt liegt, wird es durch den progressiven Ausgleichstarif stärker belastet als das Land C.

Die Umverteilungswirkungen sowohl des alten also auch des neuen Tarifs im Länderfinanzausgleich sind in allen Fällen größer als bei dem anfänglich dargestellt linearen Tarif von 50%. Deutlich wird, dass für alle untersuchten Konstellationen des Finanzausgleichs, in denen sich ein Land befinden kann (Zahlerland, Land in neutraler Zone, Empfängerland) erwartungsgemäß eine Belastung auftritt. Es müssen sowohl die (erhöhten) Beiträge als auch die entgangenen Zuweisungen berücksichtigt werden.

Übertragung des Modells auf die Integration der neuen Länder in den Länderfinanzausgleich 1995

Bevor die Erkenntnisse der vorangegangenen Abschnitte auf die Einbeziehung der neuen Länder in den Länderfinanzausgleich im engeren Sinne (LFA i.e.S.) angewendet werden, soll an dieser Stelle kurz auf die wesentlichen Elemente des 1993 beschlossenen Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) eingegangen werden, in dem unter anderem die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den einzelnen Ländern (LFA i.e.S.) geregelt wurde.3 Wichtig in dem hier untersuchten Zusammenhang sind die Neuregelungen (ab 1995) zur Umsatzsteuerverteilung, des Länderfinanzausgleichs und der Bundesergänzungszuweisungen (BEZ). Durch die Änderungen des Ausgleichssystems sollte sichergestellt werden, dass Länder und Gemeinden unabhängig von ihrer regionalen Wirtschafts- und Steuerkraft in die Lage versetzt werden, ein ähnliches Angebot an öffentlichen Gütern bereitzustellen. Um dies insbesondere in den neuen Ländern mit ihren Gemeinden auch sicherstellen zu können, musste das Gesamtvolumen des bundesstaatlichen Finanzausgleichsystems versechsfacht werden, also von 5 Mrd. Euro auf 30 Mrd. Euro steigen.4 Ein wesentlicher Anteil dieses Transferbedarfs wurde den drei Hauptstufen Umsatzsteuerverteilung, LFA und Bundesergänzungszuweisungen zugeordnet:

  • Im Gesamtsystem des Finanzausgleichs dient die Umsatzsteuerzuordnung seit der großen Finanzreform im Jahre 1969 nicht nur der vertikalen Einnahmenzuordnung, damit das Verhältnis von laufenden Einnahmen zu notwendigen Ausgaben beim Bund ähnlich dem der Ländergesamtheit ist, sondern auch zur Anhebung der eigenen Steuerkraft der finanzschwächeren Länder durch sogenannte Umsatzsteuerergänzungsanteile. Dazu kann bis zu 25% des Umsatzsteueranteils der Länder genutzt werden. Da im Beitrittsgebiet die Steuern der Länder nach dem Aufkommen5 wesentlich geringer waren und immer noch sind (vgl. Abbildung 3), hätte dies bei der Umsatzsteuerverteilung zu massiven Verlusten der alten Länder geführt. Um dies zu vermeiden, verzichtete der Bund im Rahmen des FKPG auf sieben Prozentpunkte seines Umsatzsteueranteils (= rund 8,4 Mrd. Euro), so dass alle alten Länder im Jahr der Umstellung sogar leichte Gewinne verbuchen konnten.6 Durch diese Art der Umsatzsteuerzuordnung wird ein wesentlicher Teil der Finanzkraftlücke insbesondere bei den neuen Ländern geschlossen (vgl. Abbildungen 3 und 4).
  • Das Volumen des sich anschließenden LFA i.e.S. vervierfachte sich fast aufgrund der relativ großen Finanzschwäche der neuen Länder von 1486 Mio. Euro auf 5724 Mio. Euro. In Abbildung 5 ist dieser Niveausprung im Volumen des Länderfinanzausgleichs erkennbar; deutlich wird auch der hohe Anteil Berlins an den Zuweisungen. Der Anteil der neuen Länder inklusive Berlin an den Zuweisungen betrug bisher zwischen 79% (im Jahr 2001) und 89% (im Jahr 1995); ohne Berlin betrugen die entsprechenden Werte 41% und 50% (vgl. Abbildung 5). Darüber hinaus zeigt sich auch die (verzögerte) Konjunkturreagibilität im Volumen des Länderfinanzausgleichs.7 Diese lässt sich nur so erklären, dass die Konjunkturreagibilität der einzelnen Länder unterschiedlich groß ist, so dass beispielsweise die Finanzkraft je Einwohner der Länder mit stark exportorientierter Wirtschaft nach Aufschwungphasen stärker anwächst als in nicht so exportorientierten Ländern; sie geht hier in Rezessionsphasen aber auch stärker zurück, was sich beispielsweise im deutlich geringeren Volumen des Jahres 2009 im Vergleich zu 2008 widerspiegelt. Dies führt dazu, dass in Boomphasen die Finanzkraft je Einwohner unter den Ländern stärker streut, so dass sich daraus größere Ausgleichsvolumina ergeben. Durch den Länderfinanzausgleich wird die Finanzkraft der Länder im Verhältnis zu ihrer Ausgleichsmesszahl weiter angeglichen (vgl. Abbildungen 4 und 6).
  • Als letzte Stufe im Finanzausgleichssystem wurde das Volumen der Bundesergänzungszuweisungen ab 1995 von 3,6 Mrd. Euro auf rund 12,8 Mrd. Euro pro Jahr erhöht. Von den 12,8 Mrd. Euro entfielen 9,7 Mrd. Euro auf die neuen Länder; Bremen und das Saarland erhielten Sonder-Bundesergänzungszuweisungen (SoBEZ) zur Haushaltssanierung.

Insgesamt ergab sich nach allen Stufen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs das folgende Bild: Die neuen Länder hatten pro Einwohner (inklusive SoBEZ) eine um 30% höhere Finanzkraft im Vergleich zum gesamtdeutschen Durchschnitt, insbesondere um die Infrastrukturlücke abzubauen. Dem Saarland und Bremen dienten die gewährten BEZ zur Haushaltskonsolidierung (vgl. Abbildung 7).

Abbildung 3
Finanzkraft der Länder vor Umsatzsteuerverteilung von 1995 bis 2009
Steuern der Länder nach dem Aufkommen je Einwohner in % des Durchschnitts
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Anmerkung: Die den Ländern zugeordneten Säulen repräsentieren in chronologischer Reihenfolge jeweils ein Jahr von 1995-2009.

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Abrechungen des Bundesministeriums der Finanzen; 2009 vorläufige Abrechnung.

Abbildung 4
Finanzkraft der Länder nach Umsatzsteuerverteilung (= vor Länderfinanzausgleich) von 1995 bis 2009
Finanzkraft in % der Ausgleichsmesszahl vor Länderfinanzausgleich
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Anmerkung: Die den Ländern zugeordneten Säulen repräsentieren in chronologischer Reihenfolge jeweils ein Jahr von 1995-2009.

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Abrechungen des Bundesministeriums der Finanzen; 2009 vorläufige Abrechnung.

Abbildung 5
Volumen des Länderfinanzausgleichs 1950-20091
in Mio. Euro
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1 1950 erfolgten nur Vorauszahlungen; 1960 wurde der Länderfinanzausgleich nur für neun Monate durchgeführt; 2009 vorläufiges Ergebnis.

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 6
Finanzkraft und Ausgleichsmesszahl nach Länderfinanzausgleich 1995 bis 2009
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Anmerkung: Die den Ländern zugeordneten Säulen repräsentieren in chronologischer Reihenfolge jeweils ein Jahr von 1995-2009.

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Abrechungen des Bundesministeriums der Finanzen; 2009 vorläufige Abrechnung.

Abbildung 7
Finanzkraft und Ausgleichsmesszahl nach Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen 1995 bis 2009
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Anmerkung: Die den Ländern zugeordneten Säulen repräsentieren in chronologischer Reihenfolge jeweils ein Jahr von 1995-2009.

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Abrechnungen des Bundesministeriums der Finanzen; 2009 vorläufige Abrechnung.

Zurückkommend auf die Frage, inwieweit die alten Länder im Rahmen des Finanzausgleichs belastet wurden, kann nun nicht der Länderfinanzausgleich mit und ohne neue Länder gerechnet werden, da sich, wie eben kurz dargestellt, der gesamte bundesstaatliche Finanzausgleich geändert hat. Jedoch lässt sich aus den modellhaften Überlegungen des Beispiels ableiten, dass alle alten Länder – Zahler- als auch Empfängerländer – durch die Integration von finanzschwachen Ländern in den Finanzausgleich belastet werden. Deshalb werden als erste Näherung der Einheitslasten der alten Länder die Beiträge und Zuweisungen im Länderfinanzausgleich aus den Jahren vor und nach der Integration der neuen Länder (1995) herangezogen (vgl. Tabelle 4).8

Werden die Einheitslasten wie im Beispiel (Tabelle 3) berechnet, indem entweder die höheren Beiträge oder die entgangenen Zuweisungen analysiert werden (vgl. Abbildung 1), ergibt sich für die einzelnen alten Flächenländer beim Vergleich der Jahre 1994/95 die Niveauverschiebung I (NV I) der Tabelle 5. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass sich der Niveausprung für alle Länder nachweisen lässt.

Tabelle 4
Beiträge und Zuweisungen der alten Flächenländer im Länderfinanzausgleich 1991-1998
in Euro pro Einwohner
Jahr NRW BY BW NI HE RP SH SL
1991 -0,23 -0,20 -129,62 121,01 -117,68 79,55 117,05 181,19
1992 -0,10 2,39 -76,47 87,92 -160,30 87,79 77,56 202,90
1993 0,90 -0,54 -50,76 67,04 -183,82 101,89 35,40 198,52
1994 4,48 -28,77 -20,45 63,80 -156,50 85,31 13,62 204,90
1995 -98,85 -108,30 -139,22 29,85 -183,64 29,50 -26,57 85,07
1996 -89,23 -121,78 -124,61 36,28 -275,32 29,71 2,94 110,51
1997 -87,08 -131,54 -118,55 43,87 -266,87 37,72 -1,01 96,50
1998 -88,10 -123,19 -170,81 51,31 -291,47 54,60 -0,02 108,06

Quelle: Eigene Darstellung.

Tabelle 5
Niveauverschiebung der alten Flächenländer im Länderfinanzausgleich durch den Solidarpakt I
in Euro pro Einwohner
  NRW BY BW NI HE RP SH SL
1994 4,48 -28,77 -20,45 63,80 -156,50 85,31 13,62 204,90
1995 -98,85 -108,30 -139,22 29,85 -183,64 29,50 -26,57 85,07
NV I 103,33 79,54 118,76 33,95 27,14 55,81 40,19 119,83
                 
Ø 93-94 2,69 -14,66 -35,61 65,42 -170,16 93,60 24,51 201,71
Ø 95-96 -94,04 -115,04 -131,92 33,07 -229,48 29,61 -11,82 97,79
NV II 96,73 100,39 96,31 32,36 59,32 64,00 36,33 103,92
                 
Ø 92-94 1,76 -8,97 -49,23 72,92 -166,87 91,66 42,19 202,11
Ø 95-97 -91,72 -120,54 -127,46 36,67 -241,94 32,31 -8,21 97,36
NV III 93,48 111,57 78,23 36,25 75,07 59,35 50,41 104,75
                 
Ø 91-94 1,26 -6,78 -69,33 84,94 -154,57 88,63 60,91 196,88
Ø 95-98 -90,82 -121,20 -138,30 40,33 -254,33 37,88 -6,16 100,04
NV IV 92,08 114,43 68,97 44,62 99,75 50,75 67,07 96,84

Quelle: Eigene Darstellung.

Um regional unterschiedliche Entwicklungen beim Steueraufkommen beispielsweise durch einmalige Wachstumsschübe9 zu berücksichtigen, die vor und nach diesem Jahreswechsel aufgetreten sein können, bietet es sich an, auch Durchschnitte über mehrere Jahre zur Annäherung an die Niveauverschiebung zu betrachten. Auch in einer längerfristigen Betrachtung bleiben Niveausprungeffekte nachweisbar. In Tabelle 5 sind hierfür als Niveauverschiebungen (NV II-IV) die Differenzen der 4-Jahresdurchschnitte vor bzw. ab 1995 berechnet.

In der Abbildung 5 ist zudem zu erkennen, dass sich die Höhe der Zuweisungen seit der Integration der neuen Länder in den Länderfinanzausgleich im Vergleich vor 1995 nicht reduziert, sondern auf hohem Niveau, wenn auch mit nicht unerheblichen konjunkturellbedingten Schwankungen, „eingepegelt“ hat. Auch durch den Übergang vom Solidarpakt I auf den Solidarpakt II in den Jahren 2004/0510 hat sich am Volumen grosso modo nichts geändert. Dementsprechend ist die Belastung der alten Länder, die sich aus der Summe der Zuweisungen an die neu integrierten finanzschwachen Länder ergibt, nach wie vor im System des Länderfinanzausgleichs vorhanden.

Ist mit einer Reduktion der Einheitslasten im Länderfinanzausgleich zu rechnen?

Eine Reduktion dieser Belastung im bestehenden System des Solidarpaktes II wird nur eintreten, wenn es gelingt, die originäre Finanzkraft der neuen Länder vor dem Länderfinanzausgleich deutlich zu stärken. Aus Abbildung 3 wird deutlich, dass relativ gesehen die neuen Länder ihre Position im Vergleich zu 1995 nicht wesentlich verbessern konnten und die Situation Berlins sich sogar verschlechterte.

Allerdings hat sich nach anfänglicher Verschlechterung (1995 bis 2001) die originäre Finanzkraft vor Umsatzsteuerverteilung der neuen Länder erholt. Sollte dieser seit 2002 positive Trend dauerhaft anhalten, besteht die Hoffnung, dass gegen Ende des Solidarpaktes II die neuen Flächenländer zumindest zum Niveau der finanzschwachen alten Länder (Saarland, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein) aufgeholt haben könnten. Da sich in einem solchen Fall die Finanzkraft der neuen Länder nicht mehr (signifikant) von der der finanzschwachen alten Länder unterscheidet, könnte normativ bestimmt werden, dass keine Einheitslasten aus dem Länderfinanzausgleich mehr resultieren. Wo genau dieses Niveau liegen sollte, ist eine politische Entscheidung und kann daher finanzwissenschaftlich nicht ermittelt werden. Alternativ zum Durchschnitt der finanzschwachen alten Länder könnte eventuell auch schon die Finanzkraft des finanzschwächsten alten Flächenlandes (zurzeit das Saarland) als solche Grenze festgelegt werden. Die Definition dieses Grenzwertes ist also eine rein politische Angelegenheit.

  • 1 Vgl. dazu auch T. Lenk: Niveauverschiebung im Länderfinanzausgleich durch die Wiedervereinigung – ein mittelfristiges Phänomen?, in: M. Junkernheinrich, S. Korioth, T. Lenk, H. Scheller, M. Woisin: Jahrbuch für öffentliche Finanzen 2009, S. 345-388.
  • 2 Unter der Ausgleichsmesszahl wird die Finanzkraft verstanden, die ein Land aufgrund seiner Einwohnerzahl haben sollte, da im Länderfinanzausgleich grundsätzlich von einem gleichen Finanzbedarf je Einwohner in allen Ländern ausgegangen wird. Allerdings wird für die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg ein deutlich höherer Finanzbedarf je Einwohner im Vergleich zu den Flächenländern unterstellt. Deshalb wird die Einwohnerzahl der Stadtstaaten im Länderfinanzausgleich fiktiv um 35% erhöht. Außerdem wird ein geringfügig höherer Finanzbedarf je Einwohner auch in den drei dünn besiedelten Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt angenommen, so dass auch ihre Einwohnerzahl im Länderfinanzausgleich fiktiv um 2-5% erhöht wird. Diese prozentualen Erhöhungen bezeichnet man als „Veredelung“ der Einwohnerzahlen. Die Höhe der Ausgleichszuweisungen für finanzschwache Länder hängt von der Differenz ihrer Finanzkraft zur Ausgleichsmesszahl und dem im Tarif des Länderfinanzausgleiches festgelegten Ausgleichsgrad ab.
  • 3 Gesetz über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte (Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms – FKPG) vom 23. Juni 1993, BGBl. Teil I, 1993, Nr. 30, 26.6.1993, S. 944-991.
  • 4 Vgl. T. Lenk: Vier kurze Bemerkungen zum Finanzausgleich, in: D. Ipsen, E. Nickel: Ökonomische und rechtliche Konsequenzen – Wirtschaftspolitische sowie arbeits- und unternehmensrechtliche Gestaltungsaspekte der Systemtransformation, Reihe: Probleme der Einheit, Bd. 8, Marburg, 1992, S. 247-255; T. Lenk: Die Berücksichtigung der Gemeindefinanzkraft im Länderfinanzausgleich. Finanzwissenschaftliches Gutachten im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen, Juni 2000, S. 39 ff.
  • 5 Dies sind die Länderanteile an den Gemeinschaftsteuern (ohne Umsatzsteuer) zuzüglich aller Ländersteuern.
  • 6 T. Lenk: Ermittlung der angemessenen kommunalen Beteiligung der nordrhein-westfälischen Kommunen an den finanziellen Lasten des Landes Nordrhein-Westfalen infolge der Deutschen Einheit, Leipzig 2008, S. 34, http://www.im.nrw.de/bue/doks/lenkgutachten2008.pdf.
  • 7 Vgl. dazu M. Junkernheinrich, G. Micosatt: Stellungnahme zum Entwurf eines Einheitslastenabrechnungsgesetzes, Landtag Nordrhein-Westfalen, Landtags-Drucksache 14/3056, Düsseldorf 2010.
  • 8 L. P. Feld: Stellungnahme zum Entwurf eines Einheitslastenabrechnungsgesetzes, Landtag Nordrhein-Westfalen, LT-Drs. 14/3039, Düsseldorf 2010, S. 5.
  • 9 Vgl. dazu M. Junkernheinrich, G. Micosatt: Stellungnahme zum Entwurf eines Einheitslastenabrechnungsgesetzes, a.a.O., S. 13.
  • 10 Neben den reinen Belastungen aus dem Tarif des Länderfinanzausgleichs sind bei der Anwendung der dargestellten Überlegungen die Ermittlung der Finanzkraft sowie der Ausgleichsmesszahl zu beachten, zumal diese im Rahmen des Solidarpaktes modifiziert wurden, so dass die Finanzkraft bzw. Ausgleichsmesszahl bis 2004 nicht mit denen ab 2005 identisch sind. Gerade die Ausgleichsmesszahl ist nicht der Finanzkraftdurchschnitt aller Länder, wie im linearen Beispiel, sondern eine mit veredelten Einwohnerzahlen ermittelte durchschnittliche Finanzkraft. Auch bei der Ermittlung der Finanzkraft muss bedacht werden, dass nicht nur (ausgewählte) Landeseinnahmen – gegebenenfalls abzüglich einer Prämie ab 2005 – sondern auch Gemeindeeinnahmen (teilweise) mit berücksichtigt werden. Darüber hinaus wurden im Rahmen der Verhandlungen zum Solidarpakt auch andere Ausgleichselemente wie der Umsatzsteuervorwegausgleich, die Bundesergänzungszuweisungen und die Annuitätenzahlungen im Rahmen des Fonds Deutsche Einheit neu geregelt.

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DOI: 10.1007/s10273-010-1133-2