Wie die PISA-Studien belegen, verfügt in Deutschland etwa jeder fünfte Jugendliche nicht einmal über Grundfähigkeiten in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen. In einer aktuellen Studie haben wir die daraus erwachsenden volkswirtschaftlichen Folgekosten berechnet. Sie belaufen sich über den Lebenszeitraum eines heute geborenen Kindes für die Volkswirtschaft insgesamt auf rund 2,8 Billionen Euro – mehr als das derzeitige deutsche Bruttoinlandsprodukt von 2,5 Billionen Euro. Das gewaltige Ausmaß dieser Projektionsergebnisse verdeutlicht die Dringlichkeit des Reformbedarfs im deutschen Bildungssystem. Die Kosten von Nichtstun und wirkungslosem Aktionismus sind riesig, wenn die langfristigen Wachstumseffekte von Bildungsinvestitionen berücksichtigt werden. Deshalb benötigt nachhaltige Bildungspolitik einen langfristigen Horizont, so wie er in der Klimapolitik mittlerweile selbstverständlich ist.1
Höheres Wirtschaftswachstum durch bessere Bildungskompetenzen
Seit Mitte der 1960er Jahre gibt es internationale Vergleichstests von Schülerleistungen in Mathematik und Naturwissenschaften. Die Leistungen aller 36 Tests können mit empirischen Kalibrierungsmethoden auf eine gemeinsame Skala gebracht werden, die es ermöglicht, die durchschnittlichen schulischen Leistungen der Bevölkerung für 50 Länder, für die auch international vergleichbare Daten über das langfristige Wirtschaftswachstum vorliegen, abzubilden.2 Wird das Maß der schulischen Leistungen in übliche Modelle des volkswirtschaftlichen Wachstums aufgenommen, dann ist der eindeutige Zusammenhang frappierend: Je besser die Leistungen in den PISA-Vorgängertests, desto höher ist das zwischen 1960 und 2000 gemessene Wachstum des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf.
In das einfachste Modell gehen als weitere Erklärungsfaktoren lediglich die Ausgangsniveaus des Pro-Kopf-Einkommens sowie die in Jahren gemessene Quantität der Bildung ein. Ohne Berücksichtigung der schulischen Leistungen kann dieses Modell nur ein Viertel der langfristigen Wachstumsunterschiede zwischen den Ländern erklären. Die Berücksichtigung der schulischen Leistungen erhöht die Erklärungskraft auf drei Viertel der gesamten internationalen Wachstumsunterschiede. Und: Sobald das Maß der kognitiven Leistungen berücksichtigt wird, verschwindet jeglicher Effekt der Anzahl der Bildungsjahre. Anders ausgedrückt: Schulbildung wirkt sich nur in dem Maße wirtschaftlich aus, wie sie auch tatsächlich kognitive Kompetenzen vermittelt. Es reicht nicht, nur die Schul- oder Universitätsbank zu drücken; auf das Gelernte kommt es an.
Die Größe dieses Effektes ist beträchtlich: Langfristig gehen 50 zusätzliche PISA-Punkte – grob der Abstand zwischen Deutschland und den PISA-Spitzenreitern in Finnland, Korea oder Hongkong – mit einem zusätzlichen jährlichen Wachstum von gut 0,6 Prozentpunkten einher. Das hätte unser Wachstum über das letzte Jahrzehnt etwa um die Hälfte erhöht. Über vierzig Jahre gerechnet könnte unser Pro-Kopf-Einkommen heute also um 30% höher sein.
Der Effekt erweist sich als überaus robust. Auch wenn die Effekte weiterer möglicher Wachstumsdeterminanten wie Sicherheit der Eigentumsrechte, Offenheit, Fertilität oder geographische Lage herausrechnet werden, bleibt der Effekt der schulischen Leistungen signifikant. Neben dem Ausgangsniveau des Pro-Kopf-Einkommens und den institutionellen Rahmenbedingungen gehören die in PISA und ähnlichen Tests gemessenen kognitiven Basiskompetenzen zu den wichtigsten Ursachen volkswirtschaftlichen Wachstums überhaupt.
Zahlreiche zusätzliche Untersuchungen legen nahe, dass es sich bei diesem Zusammenhang tatsächlich auch um einen kausalen Effekt der Schülerleistungen auf das Wirtschaftswachstum handelt.3 Beispielsweise lässt sich die Analyse zeitlich auseinanderziehen: Werden nur die bis Anfang der 1980er Jahre durchgeführten Tests betrachtet, so haben diese den gleichen signifikanten Effekt auf das spätere Wirtschaftswachstum seit Anfang der 1980er Jahre wie im folgenden Zeitraum. Eine umgekehrte Kausalität von Wachstum auf Schülerleistungen ist auch deshalb wenig wahrscheinlich, weil sich zeigt, dass zusätzliche Ressourcen im Schulsystem, die vielleicht durch schnelleres Wachstum möglich wären, nicht systematisch mit besseren PISA-Leistungen einhergehen. Mehr Geld bringt nicht automatisch bessere Leistungen hervor.
Ein weiterer Kausalitätstest besteht darin, im Rahmen einer so genannten ökonometrischen Instrumentvariablen-Schätzung nur denjenigen Teil der Variation in den schulischen Leistungen zu nutzen, der sich aus institutionellen Unterschieden zwischen den Schulsystemen wie etwa Zentralabitur, Dezentralisierung oder Anteil privat geleiteter Schulen ergibt. Damit können sonst mögliche Verzerrungen aufgrund unbeobachtet bleibender Länderunterschiede ausgeschlossen werden. Die Ergebnisse belegen eine Kausalität von im Schulsystem generierten Leistungen auf das Wirtschaftswachstum. Den gleichen Schluss legen weitere Kausalitätsanalysen wie ein Differenzen-in-Differenzen-Ansatz von Immigranten auf dem US-Arbeitsmarkt und eine Analyse von Wachstums- und Leistungstrends über die Zeit nahe.
Die Methodik der Projektionsanalyse
Wir nutzen die Befunde über den Effekt der schulischen Kompetenzen auf das langfristige Wirtschaftswachstum, um die wirtschaftlichen Auswirkungen zu projizieren, die eine weitgehende Beseitigung der derzeit in Deutschland vorhandenen unzureichenden Bildung am unteren Ende der Bildungsverteilung hätte.4 Dazu wird eine makroökonomische Perspektive eingenommen, die die Kosten in Form von entgangenem Wirtschaftswachstum ausdrückt, also durch den Vergleich der sich im derzeitigen Status quo ergebenden wirtschaftlichen Entwicklung mit derjenigen, die sich ergeben würde, wenn die Bildung nicht unzureichend wäre. So ist es möglich zu berechnen, wie viel Wirtschaftsleistung der deutschen Volkswirtschaft langfristig entgeht, weil ein nennenswerter Anteil der Bevölkerung keine ausreichende Bildung erhält.
Unter unzureichender Bildung wird das Nichterreichen eines Grundbildungsniveaus verstanden. Die PISA-Studien sprechen in diesem Zusammenhang von der Gruppe der „Risikoschüler“: Wer nicht zumindest über die unterste Kompetenzstufe (von 420 PISA-Punkten) hinauskommt, der kann als 15-Jähriger beispielsweise maximal auf Grundschulniveau rechnen.5 Ihm fehlen wesentliche Fähigkeiten, die Grundbedingung für eine erfolgreiche Beteiligung am späteren Berufsleben und für gesellschaftliche Teilhabe sind.
In Deutschland zählen 23,7% der Schüler zu dieser Gruppe der Risikoschüler (Spalte 1, Tabelle).6 Dieser Anteil variiert erheblich zwischen den einzelnen Bundesländern. Bayern hat mit 16,2% den niedrigsten Anteil an Risikoschülern, während Nordrhein-Westfalen mit 28,2% den höchsten Anteil aufweist.
Unzureichende Bildung und ihre volkswirtschaftlichen Folgekosten
Bildungskompetenzen: ohne Reform und Anstieg durch Reform | Folgekosten unzureichender Bildung über die nächsten 80 Jahre | |||||
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Anteil Risikoschüler (in %) | PISA-Mittelwert | Anstieg des Mittelwerts durch Reform | Zusätzliches BIP (in Mrd. Euro) | In % des heutigen BIP | Zusätzliches BIP pro Kopf (in Euro) | |
(1) | (2) | (3) | (4) | (5) | (6) | |
Baden-Württemberg | 19,6 | 510,5 | 11,5 | 353,1 | 97 | 32 635 |
Bayern | 16,2 | 521,6 | 9,1 | 343,4 | 77 | 27 274 |
Brandenburg/Berlin | 25,9 | 485,3 | 15,3 | 168,0 | 118 | 28 508 |
Hessen | 27,5 | 488,1 | 16,1 | 286,8 | 130 | 47 218 |
Mecklenburg-Vorpommern | 25,3 | 486,5 | 14,6 | 36,8 | 103 | 22 532 |
Niedersachsen/Bremen | 26,9 | 485,2 | 16,3 | 312,2 | 129 | 36 291 |
Nordrhein-Westfalen | 28,2 | 483,3 | 18,0 | 790,9 | 146 | 44 118 |
Rheinland-Pfalz | 24,9 | 491,4 | 14,7 | 125,0 | 116 | 30 975 |
Saarland | 23,2 | 493,4 | 13,4 | 31,4 | 101 | 30 582 |
Sachsen | 18,1 | 511,3 | 10,1 | 67,2 | 71 | 16 191 |
Sachsen-Anhalt | 24,4 | 488,5 | 13,9 | 48,0 | 89 | 20 512 |
Schleswig-Holstein/Hamburg | 26,6 | 489,7 | 15,8 | 214,3 | 131 | 46 342 |
Thüringen | 20,3 | 501,4 | 11,3 | 36,9 | 74 | 16 488 |
Deutschland | 23,7 | 496,1 | 14,1 | 2 807,70 | 113 | 34 255 |
Anmerkungen: Anteil Risikoschüler: Anteil der Schüler, die nicht über 420 Punkte hinauskommen. Anstieg des Mittelwerts durch Reform: 90% des Anstiegs des PISA-Mittelwerts, wenn alle Schüler unter 420 Punkten die Lücke zum Schwellenwert 420 schließen. Folgekosten unzureichender Bildung: Summe des entgangenen Bruttoinlandsprodukts (BIP) über die nächsten 80 Jahre, wenn das Ausmaß der unzureichenden Bildung nicht durch eine Bildungsreform um 90% reduziert wird. Alle Angaben zu Bildungskompetenzen beziehen sich auf Durchschnitte der Mathematik- und Naturwissenschaftsleistungen in PISA 2000 und PISA 2003.
Quelle: L. Wößmann, M. Piopiunik: Was unzureichende Bildung kostet, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2009.
Es muss der Anspruch der Bildungspolitik sein, dass möglichst alle Schüler ein solches Mindestniveau an Basiskompetenzen von 420 PISA-Punkten erreichen. Die Projektion modelliert dementsprechend eine Bildungsreform, die die unzureichende Bildung zwar nicht vollständig beseitigt, aber immerhin im Laufe der kommenden zehn Jahre das Ausmaß an unzureichender Bildung um 90% verringert.
Dazu haben wir anhand der Mikrodatensätze der deutschen PISA-Erweiterungsstichproben berechnet, wie stark sich der derzeitige PISA-Mittelwert (Spalte 2) im Bundesdurchschnitt und in den einzelnen Bundesländern verbessern würde, wenn alle Schüler, die in den PISA-Tests unter 420 Punkten abschneiden, auf 420 Punkte angehoben werden. Der Reformeffekt ergibt sich dann als 90% der Differenz zwischen dem tatsächlichen PISA-Mittelwert und dem neuen, hypothetischen PISA-Mittelwert nach der Reform (Spalte 3).
Der Reformeffekt beträgt für Gesamtdeutschland 14,1 PISA-Punkte. Der gesamtdeutsche PISA-Mittelwert würde sich also von bisher 496,1 Punkten auf dann 510,2 Punkte erhöhen. Dies entspricht etwa dem derzeitigen Niveau von Frankreich, liegt aber zum Beispiel noch deutlich hinter der Schweiz (derzeit 516 Punkte) und ist von den Niederlanden (531 Punkte) und vom internationalen Spitzenreiter Finnland (542 Punkte) noch weit entfernt.
Der Reformeffekt variiert zwischen den einzelnen Bundesländern stark. Naturgemäß ist er für Bundesländer mit einem hohen Anteil an Risikoschülern besonders groß. Deshalb werden diese Länder auch stärker von einer erfolgreichen Bildungsreform profitieren als Bundesländer, die nur wenige Risikoschüler haben. Während sich Bayern durch die modellierte Reform „nur“ um 9,1 PISA-Punkte verbessern würde, wäre die Kompetenzverbesserung in Nordrhein-Westfalen mit 18,0 Punkten doppelt so groß.
Ziel der Projektion der Folgekosten unzureichender Bildung ist es, die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten zu berechnen, die Deutschland aufgrund der unzureichenden Bildung entstehen. Dazu haben wir im hier berichteten Basisszenario berechnet, wie viel Euro zusätzliches Bruttoinlandsprodukt (BIP) eine Bildungsreform, die im Jahr 2010 beginnt und schrittweise im Laufe der nächsten zehn Jahre die unzureichende Bildung weitgehend beseitigt, während der Lebensdauer eines heute geborenen Kindes generieren würde. Da die Lebenserwartung eines heute geborenen Kindes 80 Jahre beträgt, entspricht dies einem Betrachtungshorizont bis zum Jahr 2090. Spiegelbildlich entspricht der so berechnete Reformeffekt dem bis 2090 anfallenden Verlust („Kosten“) an BIP, der entsteht, weil es die unzureichende Bildung gibt.
Um eine gewisse Verzögerung in der bildungspolitischen Umsetzung abzubilden, wird dabei davon ausgegangen, dass die Reform nicht sofort komplett greift, sondern erst nach zehn Jahren; bis dahin steigt der Reformeffekt linear an. Die stetige Verbesserung der Schülerleistungen bildet ab, dass Schüler, die am Ende der zehnjährigen Reformperiode die Schule beenden, schon zehn Jahre von der Reform profitiert haben, während Schüler, die im ersten Jahr nach Reformbeginn von der Schule abgehen, das reformierte Schulwesen nur ein einziges Jahr lang besucht haben.
Eine erfolgreiche Bildungsreform entfaltet aber erst dann zusätzliche Wachstumseffekte in der Volkswirtschaft, wenn die besser gebildeten Jugendlichen in den Arbeitsmarkt eingetreten sind. Da die durchschnittliche Dauer des Erwerbslebens in Deutschland etwa 40 Jahre beträgt, scheidet jedes Jahr ein Vierzigstel der bisherigen Erwerbsbevölkerung aus dem Berufsleben aus und wird durch eine neue Arbeitsmarktkohorte ersetzt.7
Insgesamt dauert dieser Prozess also 50 Jahre: Die Bildungsreform benötigt zehn Jahre, bis sie vollständig wirkt, und die heutige arbeitende Bevölkerung wird erst nach weiteren 40 Jahren vollständig ausgetauscht sein. Erst 50 Jahre nach Reformbeginn wird also die ganze Erwerbsbevölkerung aus besser ausgebildeten Schülerkohorten bestehen und der volle Wachstumseffekt wirksam werden. Bis dahin sind die Wachstumseffekte kleiner. Sie nehmen durch das sich kontinuierlich verbessernde Kompetenzniveau der Erwerbsbevölkerung vom Beginn der Reform bis zum Ende der Übergangsphase stetig zu.
Um die volkswirtschaftlichen Kosten unzureichender Bildung zu berechnen, muss die Entwicklung des BIP sowohl ohne als auch mit Bildungsreform projiziert werden. Ohne Bildungsreform wächst das BIP jedes Jahr mit der Potentialwachstumsrate, die gemäß vergangenen Werten mit 1,5% pro Jahr angenommen wird. Mit Bildungsreform wächst das BIP mit der Potentialwachstumsrate zuzüglich des durch die Reform erzeugten Wachstumseffektes. Darüber hinaus wird in beiden Fällen die vom Statistischen Bundesamt (bis 2050) prognostizierte Bevölkerungsentwicklung berücksichtigt, indem das jeweils projizierte BIP pro Kopf mit der Bevölkerungszahl des betreffenden Jahres multipliziert wird. Um den Reformeffekt zu ermitteln, wird anschließend in jedem Jahr nach Beginn der Reform die Differenz zwischen dem BIP mit und dem BIP ohne Reform gebildet.
Um zukünftig anfallende Erträge in heutigen Geldeinheiten auszudrücken, werden diese in wirtschaftlichen Langfristprojektionen üblicherweise abdiskontiert. Dadurch wird weiter in der Zukunft anfallenden Erträgen weniger Gewicht beigemessen als in der Gegenwart verfügbaren Erträgen. Das Basisszenario verwendet dazu eine Diskontrate von 3%, die in Projektionen und Forschungsarbeiten in Deutschland sowie weltweit standardmäßig verwendet wird.
Sämtliche jährlichen, durch die Reform erzeugten Erträge – die Differenz zwischen BIP mit und BIP ohne Reform – werden auf das Jahr des Reformbeginns (2010) abdiskontiert, um den Barwert in heutigen Geldeinheiten zu erhalten. Der in Euro ausgedrückte Gesamteffekt der Reform ergibt sich schließlich als Summe aller Barwerte, die im Laufe des Lebens eines heute geborenen Kindes (2010 bis 2090) entstehen.
Das Ergebnis des Basisszenarios: Die volks-wirtschaftlichen Kosten unzureichender Bildung
Abbildung 1 veranschaulicht zunächst, um wie viel Prozent das Bruttoinlandsprodukt (BIP) durch die Bildungsreform in jedem Jahr der Betrachtungsperiode höher wäre als im Szenario ohne Bildungsreform. Es wird deutlich, dass in den ersten zehn Jahren nach Reformbeginn kaum wirtschaftliche Effekte auftreten, da die Schüler erst einmal das verbesserte Schulsystem durchlaufen müssen und zunächst noch nicht in den Arbeitsmarkt eingetreten sind. Aber schon im Jahr 2035 wäre das BIP durch die Bildungsreform um 1% höher als ohne Reform und im Jahr 2044 um 2%.
Abbildung 1
Prozentuale Erhöhung des jährlichen Bruttoinlandsprodukts
Anmerkung: BIP mit Bildungsreform relativ zum BIP ohne Reform in jedem Jahr nach Beginn der Reform. Aufgrund des Vergleichs innerhalb eines jeden Jahres ist diese Betrachtung identisch für den Fall des absoluten BIP und des BIP pro Kopf in dem jeweiligen Jahr.
Quelle: L. Wößmann, M. Piopiunik: Was unzureichende Bildung kostet, Gütersloh 2009.
Dass die wirtschaftlichen Erträge erfolgreicher Bildungsreformen auch schon in der näheren Zukunft beachtlich sind, verdeutlicht ein Vergleich mit dem Bildungsbudget. Derzeit liegen die gesamten öffentlichen Bildungsausgaben im Elementar- und allgemeinbildenden Schulbereich bei rund 2,6% des BIP. Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, liegt das BIP aufgrund der Reform ab dem Jahr 2048 um mindestens 2,6% höher als ohne die Reform. Mit anderen Worten: Bliebe das Bildungsbudget als Anteil am (stetig steigenden) BIP konstant, dann könnten alle öffentlichen Ausgaben für Elementar- und Schulbildung allein durch das zusätzlich erzeugte BIP finanziert werden.
Die Abbildung verdeutlicht aber auch, dass die wirtschaftlichen Erträge erst danach richtig stark ansteigen. Denn erst dann nähert sich der Zeitpunkt, zu dem die gesamte arbeitende Bevölkerung durch das reformierte Bildungssystem gegangen ist und fast keine unzureichende Bildung mehr aufweist. So liegt das BIP aufgrund der Bildungsreform im Jahr 2070 um 6,5%, im Jahr 2080 um 8,4% und im Jahr 2090 um 10,3% über dem BIP, das in diesen Jahren ohne die Bildungsreform erreicht würde.
All dies ist aber nur eine jährliche Betrachtung. Der Gesamteffekt der Bildungsreform ergibt sich, indem wir alle im Laufe des Lebens eines heute geborenen Kindes anfallenden Erträge aufsummieren und in heutigen Geldwerten ausdrücken. Wie in Abbildung 2 dargestellt, belaufen sich der Gesamteffekt der Bildungsreform und damit die Folgekosten unzureichender Bildung in Deutschland bis zum Jahr 2090 auf insgesamt 2,8 Billionen Euro (vgl. Spalte 4, Tabelle). Damit ließen sich 28-mal die gewaltigen Konjunkturpakete finanzieren, die die Bundesregierung in der Wirtschafts- und Finanzkrise in einer Gesamthöhe von 100 Mrd. Euro aufgelegt hat. Schon mit den bis ins Jahr 2074 anfallenden Erträgen ließe sich theoretisch die gesamte heutige Staatsverschuldung von rund 1,7 Billionen Euro komplett tilgen. Und bereits die bis zum Jahr 2043 anfallenden Erträge in Höhe von 311 Mrd. Euro würden ausreichen, um den heutigen Bundeshaushalt komplett zu finanzieren.
Abbildung 2
Folgekosten unzureichender Bildung durch entgangenes Wirtschaftswachstum
Anmerkung: Folgekosten unzureichender Bildung als Summe des bis zum jeweiligen Jahr entgangenen Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Mrd. Euro, wenn das Ausmaß der unzureichenden Bildung nicht durch eine Bildungsreform um 90% reduziert wird, abdiskontiert auf den heutigen Zeitpunkt.
1 Öffentliche Bildungsausgaben im Elementar- und allgemeinbildenden Schulbereich.
Quelle: L. Wößmann, M. Piopiunik: Was unzureichende Bildung kostet, Gütersloh 2009.
Pro Kopf der heutigen Bevölkerung entspricht dieser Gesamteffekt der Bildungsreform einem Wert von 34 255 Euro an zusätzlichem BIP (vgl. Abbildung 3 und Spalte 6, Tabelle). Anders ausgedrückt, entgeht jedem heute geborenen Kind im Laufe seines Lebens aufgrund der unzureichenden Bildung ein Wert von 34 255 Euro, wobei die Berechnungen schon berücksichtigen, dass das BIP in Zukunft aufgrund der sinkenden Bevölkerungszahl niedriger ausfallen kann.
Abbildung 3
Pro-Kopf-Effekt der Reform in den Bundesländern
Anmerkung: Durch die Bildungsreform bis zum Jahr 2090 zusätzlich erzeugtes Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in Euro.
Quelle: L. Wößmann, M. Piopiunik: Was unzureichende Bildung kostet, Gütersloh 2009.
Die Folgekosten unzureichender Bildung variieren zwischen den einzelnen Bundesländern erheblich.8 Das zusätzliche BIP pro Kopf der heutigen Bevölkerung liegt zwischen 16 191 Euro in Sachsen und 47 218 Euro in Hessen. Weitere Bundesländer, die von einer erfolgreichen Bildungsreform stark profitieren würden, sind Schleswig-Holstein/Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen/Bremen.
Die Unterschiede zwischen den Bundesländern ergeben sich dabei aus Unterschieden im Ausgangsniveau des BIP, in der Bevölkerungsentwicklung und vor allem im Ausmaß der unzureichenden Bildung. Diejenigen Bundesländer, die einen hohen Anteil an Risikoschülern aufweisen, profitieren wirtschaftlich am meisten von einer erfolgreichen Bildungsreform. Denn ein hoher Anteil an Risikoschülern bedeutet eben auch, dass sich die durchschnittliche Testleistung in diesem Bundesland besonders stark erhöht, wenn ein Großteil der Schüler den PISA-Schwellenwert von 420 Punkten erreicht.
Aufgrund der unterschiedlichen Bevölkerungsgröße variiert der Gesamteffekt der Reform noch weit stärker zwischen den Bundesländern (vgl. Spalte 4, Tabelle). Beim Gesamteffekt liegen die bevölkerungsreichsten Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern vorne und die bevölkerungsärmsten Bundesländer hinten. In Nordrhein-Westfalen, das nicht nur das bevölkerungsreichste Bundesland ist, sondern auch dasjenige mit dem höchsten Anteil an Risikoschülern (28,2%), belaufen sich die Folgekosten der unzureichenden Bildung bis 2090 auf 791 Mrd. Euro.
Betrachtet man den Gesamteffekt der Bildungsreform relativ zum heutigen BIP der jeweiligen Bundesländer (vgl. Spalte 5, Tabelle), so ist er mit 146% am größten in Nordrhein-Westfalen, gefolgt von Schleswig-Holstein/Hamburg, Hessen und Niedersachsen/Bremen. Am niedrigsten fällt er in Sachsen (71%) und Thüringen (74%) aus, wo neben einem relativ niedrigen Anteil an Risikoschülern auch ein relativ starker Bevölkerungsrückgang prognostiziert wird, gefolgt von Bayern (77%), dem Bundesland mit dem geringsten Anteil an Risikoschülern.
Die bundesländerspezifischen Berechnungen verdeutlichen, dass selbst die Bundesländer mit den niedrigsten Anteilen an Risikoschülern wirtschaftlich in ganz erheblichem Maße profitieren würden, wenn sie die unzureichende Bildung weitgehend beseitigen. Noch weit größer sollte der Ansporn in den Bundesländern sein, die ein noch größeres Wachstumspotential durch die Bildungsreform aufweisen.
Einige alternative Projektionen
In der ausführlichen Studie9 werden neben diesem Basisszenario noch zahlreiche alternative Szenarien angeführt, von denen im Folgenden einige kurz erläutert werden sollen. So werden die Folgekosten unzureichender Bildung für unterschiedliche zeitliche Horizonte berechnet. Da sie vom Jahr 2010 bis 2090 stark ansteigen, hängt der Gesamteffekt der Bildungsreform entscheidend vom gewählten Zeithorizont ab. Werden etwa nur die volkswirtschaftlichen Erträge betrachtet, die die Reform bis zum Jahr 2050 hervorbringt, und alle weiteren Erträge ignoriert, so ergibt sich ein gesamter Reformeffekt von „nur“ 530 Mrd. Euro oder rund ein Fünftel des heutigen BIP (vgl. Abbildung 2). Dies entspricht nur 19% der Reformeffekte, die noch während der Lebenszeit eines heute geborenen Kindes bis 2090 anfallen. Bei einem Zeithorizont bis 2060 liegt der Gesamteffekt bei 958 Mrd. Euro, bis 2070 bei 1,5 Billionen Euro und bis 2080 bei 2,1 Billionen Euro. Diese Berechnungen verdeutlichen, dass Bildungsreformen sehr langfristig wirkende Maßnahmen sind.
Im Basisszenario wird angenommen, dass zehn Jahre benötigt werden, bis die Bildungsreform vollständig umgesetzt ist und die 90%ige Reduktion der unzureichenden Bildung unter den Schülern erreicht wird. Wie ändert sich der Gesamteffekt, wenn es der Politik schneller oder langsamer gelingt, die vollständige Umsetzung zu erreichen? Szenarien mit alternativen Reformdauern zeigen, dass sich schnelles Handeln auszahlt: Werden für die Umsetzung der Reform nur fünf statt der bisher angenommenen zehn Jahre benötigt, erhöht sich der Reformeffekt um rund 280 Mrd. Euro. Dauert die Umsetzung hingegen 20 Jahre, gehen knapp 500 Mrd. Euro im Vergleich zur Zehnjahresreform verloren.
Ein alternatives Szenario, in dem das Ausmaß unzureichender Bildung im unteren Bereich auf das in Finnland derzeit bereits erreichte Niveau abgesenkt würde, ergibt für Gesamtdeutschland mit einem Reformeffekt von 2,4 Billionen Euro annähernd das Niveau des Basisszenarios. Würde es hingegen gelingen, die gesamte deutsche Bevölkerung im Durchschnitt auf das finnische Durchschnittsniveau anzuheben, so beliefen sich die Erträge dieser Reform sogar auf 9,6 Billionen Euro. Auch eine Anhebung aller Bundesländer auf das derzeitige Durchschnittsniveau Bayerns, das über die verschiedenen PISA-Tests gesehen am besten abgeschnitten hat, würde bereits 5,2 Billionen Euro an wirtschaftlichen Erträgen erbringen.
Im Basisszenario wird implizit angenommen, dass höhere durchschnittliche Kompetenzen der Erwerbsbevölkerung mit einem Wachstumseffekt einhergehen, der unabhängig davon ist, ob die Verbesserung bei den besten oder bei den schlechtesten Schülern stattfindet. Die Beseitigung unzureichender Bildung am unteren Ende der Bildungsverteilung könnte für das Wirtschaftswachstum eines Landes aber wichtiger sein als die Durchschnittskompetenzen, wenn in diesem Bereich beispielsweise externe Effekte in Form von Kriminalitätsvermeidung und Stärkung der Demokratie auftreten, die sozialen Sicherungssysteme besonders stark entlastet werden und die Fähigkeit zu inkrementeller Innovation in der Wirtschaft besonders wichtig ist. Deshalb haben wir schließlich in einem alternativen Wachstumsmodell den Einfluss von Basiskompetenzen und Spitzenleistungen auf das langfristige Wirtschaftswachstum separat geschätzt. Die Ergebnisse dieses kombinierten Wachstumsmodells, die sich für Deutschland bereits bei einem niedrigeren Schwellenwert unzureichender Bildung von 400 Punkten auf 2,6 Billionen Euro belaufen, legen nahe, dass die Spezifikation des Basisszenarios die tatsächlichen Reformeffekte deutlich unterschätzt.10
Reformen für bessere Bildungsleistungen
Anreize für gute Bildung
Wie aber müssten Bildungsreformen, die die schulischen Leistungen tatsächlich verbessern, konkret aussehen?11 Zahlreiche Studien anhand der internationalen Schülervergleichstests belegen, dass bloße Erhöhungen der Bildungsausgaben und Verkleinerungen der Klassengrößen innerhalb des Systems, wie es derzeit strukturiert ist, für die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler kaum etwas bringen.12 Solange sich die bestehenden Rahmenbedingungen unseres Schulsystems und die Anreize, die es bietet, nicht verändern, wird es in den Schulen nicht zu besseren Ergebnissen kommen.
Es kommt auf die institutionellen Rahmenbedingungen an, unter denen die Menschen im Bildungssystem arbeiten. Denn diese bestimmen die Anreize: Es sind institutionelle Reformen nötig, die für alle Beteiligten Anreize setzen, damit sich ihre Anstrengung für bessere Bildungsergebnisse lohnt. Damit es im Schulsystem zu erfolgreicher Kompetenzvermittlung kommt, müssen alle Beteiligten für ihre Aufgaben motiviert sein – Schülerinnen und Schüler zum Lernen und Lehrerinnen und Lehrer zum Lehren. Analysen der internationalen Schülervergleiche zeigen, dass dafür vor allem drei Dinge wichtig sind: externe Leistungsüberprüfung, mehr Selbständigkeit für Schulen und Lehrer und mehr Wettbewerb unter den Schulen.
Externe Überprüfung der erzielten Leistungen
Sowohl der Bundesländer- als auch der internationale Vergleich belegen, dass Schülerleistungen dort wesentlich besser sind, wo es externe Prüfungen der verschiedenen Abschlüsse wie das Zentralabitur gibt.13 Die Noten des Abschlusszeugnisses haben für potentielle Arbeitgeber eine wesentlich größere Signalwirkung über die tatsächlichen Leistungen eines Bewerbers, wenn sie durch externe Prüfungen Vergleichbarkeit aufweisen. Deshalb lohnt es sich bei externen Prüfungen viel mehr, sich für gute Noten anzustrengen, denn sie werden später Konsequenzen haben.
Externe Prüfungen motivieren auch die Lehrer. Sie setzen einen Maßstab, mit dem die Lehrer sehen können, wie sehr sich ihr Einsatz gelohnt hat. Sie eröffnen auch Eltern und Schulleitern, ob Lehrer eine erfolgreiche Wissensvermittlung leisten. Damit entstehen auch für die Lehrer verstärkte Anreize, den Schülern möglichst viel des erwarteten Stoffes beizubringen. So machen externe Prüfungen alle Beteiligten für das Erreichte verantwortlich.
Selbständige Schulen
Ein weiterer zentraler Aspekt für die Motivation von Lehrern und Schulleitern besteht darin, dass sie selbständiger entscheiden dürfen. Die internationalen Leistungsvergleiche belegen, dass – solange externe Prüfungen die richtigen Anreize setzen – die Schüler dort signifikant mehr lernen, wo Lehrer und Schulen mehr Selbständigkeit haben. Vor allem in Personalfragen und in Fragen des Tagesgeschäfts benötigen die Schulen viel mehr Freiheit. So ist die planwirtschaftlich organisierte Zuweisung von Lehrern auf die öffentlichen Schulen durch Schulbehörden ein Anachronismus, der die Schulen in Deutschland darin behindert, das Beste aus dem Potential ihrer Lehrer und Schüler herauszuholen.
Außerdem sollten Schulen und Lehrer selbst darüber entscheiden können, wie sie das ihnen zustehende Budget verwenden wollen. Dort, wo Schulen selbst über den Einkauf von Materialien entscheiden und Lehrer die Ressourcenanschaffung beeinflussen können, lernen Schüler mehr.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu betonen, dass Selbständigkeit von Schulen und externe Leistungsüberprüfungen zusammengehören. Eine erfolgreiche Bildungspolitik legt Standards extern fest und überprüft ihr Erreichen extern, überlässt es dann aber den Schulen selbst, wie sie diese am besten erreichen können. Denn externe Prüfungen erhöhen nicht nur wesentlich die Schülerleistungen, sondern sie führen auch dazu, dass sich Schulautonomie positiver auf die erzielten Bildungsleistungen auswirkt. In vielen Entscheidungsbereichen kehren sie sogar einen ansonsten negativen Autonomieeffekt komplett in einen positiven um.
Wettbewerb der Schulen
Schließlich erweist sich Wettbewerb der Schulen um die besten Ideen, der durch größere Wahlmöglichkeiten der Eltern entsteht, als ein entscheidender Einflussfaktor auf die Bildungsergebnisse. Müssen die Schulen um die Gunst der Eltern konkurrieren, dann können diese die aus ihrer Sicht beste Alternative wählen, und schlechte Schulen verlieren ihre Schüler. Das schafft Anreize, die Sache möglichst gut zu machen. Dies ist besonders dann der Fall, wenn es viele Schulen in freier Trägerschaft gibt, die echte Alternativen bieten.14 Umfassende Analysen der internationalen Vergleichsstudien – sei es TIMSS oder die verschiedenen PISA-Studien – haben wiederholt belegt, dass Schulsysteme mit mehr Schulen in freier Trägerschaft wesentlich bessere Schülerleistungen erzielen.
Dazu ist aber – ganz im Gegensatz zur Trägerschaft – bei der Finanzierung der Staat gefragt: Die Ergebnisse belegen, dass öffentliche Finanzierung zu besseren Ergebnissen führt – insbesondere dann, wenn sie privat geleitete Schulen finanziert. Denn wenn sich aufgrund von hohem Schulgeld nur die oberen Zehntausend den Besuch von Privatschulen leisten können, entsteht ja kaum Wettbewerb: Die meisten Eltern haben keine Alternative. Erst wenn durch staatliche Finanzierung alle Schüler unabhängig von ihrem Hintergrund die gleichen Wahlmöglichkeiten haben, entsteht ein Wettbewerb der Schulen um die besten Konzepte, der allen Schülern zugute kommt. Deshalb schneiden Länder, die relativ hohe Anteile privater Schulträgerschaft mit relativ hohen Anteilen staatlicher Finanzierung verbinden, am besten ab, während Länder mit rein staatlicher Trägerschaft und relativ großer privater Finanzierung systematisch die schlechtesten Ergebnisse vorweisen.
Fazit
Die volkswirtschaftlichen Folgekosten unzureichender Bildung sind gewaltig. Die Ergebnisse der Projektionen zeigen, dass sich die volkswirtschaftlichen Kosten unzureichender Bildung in Deutschland in einer Größenordnung von 2,8 Billionen Euro bewegen. Diese Kosten – die spiegelbildlich die volkswirtschaftlichen Erträge einer Bildungsreform darstellen, die die unzureichende Bildung im Bereich der Risikoschüler um 90% verringert – umfassen die im Zeithorizont des Lebens eines heute geborenen Kindes anfallenden Wachstumseffekte. Um die vollen Konsequenzen verbesserter Schulbildung darstellen zu können, müssen die eintretenden Effekte bis weit in die Zukunft berücksichtigt werden. Bildungspolitik bedarf daher der Betrachtung langer Zeithorizonte.
Die in den Projektionen dargestellten enormen Erträge erfolgreicher Bildungsreformen müssen natürlich den gegebenenfalls anfallenden Kosten solcher Reformen gegenübergestellt werden. Eine einfache Überschlagsrechnung kann aber verdeutlichen, dass die Erträge die Kosten jeder üblicherweise angedachten Bildungsreform bei weitem übersteigen dürften: Selbst wenn wir zur Erreichung des Ziels einer Verringerung der unzureichenden Bildung um 90% die Bildungsausgaben für jeden der heutigen Risikoschüler dauerhaft verdoppeln müssten, würden diese Kosten der Reform immer noch nur ein Viertel ihrer wirtschaftlichen Erträge der Bildungsreform ausmachen.15
Angesichts der immensen Folgekosten unzureichender Bildung wird es höchste Zeit, dass Deutschland echte Bildungsreformen angeht. Sowohl Bundesländer- als auch internationale Vergleiche zeigen, dass vor allem drei Dinge wichtig sind, um die Schülerkompetenzen zu steigern: externe Leistungsüberprüfung, mehr Selbständigkeit für Schulen und Lehrer und mehr Wettbewerb unter den Schulen. Das Ausmaß, in dem der Einzelne sowie die Gesellschaft insgesamt von besserer Bildung profitieren würden, sollte einen gewaltigen Ansporn darstellen, unser Bildungssystem zu verbessern.
- 1 Der vorliegende Artikel basiert auf der Studie „Was unzureichende Bildung kostet: Eine Berechnung der Folgekosten durch entgangenes Wirtschaftswachstum“, die das ifo Institut im Auftrag der Bertelsmann Stiftung verfasst hat und die unter www.bertelsmann-stiftung.de/bildung-wirtschaftswachstum verfügbar ist. Wir danken der Bertelsmann Stiftung für die Finanzierung der Studie sowie dem Pakt für Forschung und Innovation der Leibniz-Gemeinschaft für die finanzielle Unterstützung des Verfassens der vorliegenden Zusammenfassung.
- 2 Vgl. E. A. Hanushek, L. Wößmann: The Role of Cognitive Skills in Economic Development, in: Journal of Economic Literature, 46. Jg. (2008), S. 607-668.
- 3 Vgl. E. A. Hanushek, L. Wößmann: Do Better Schools Lead to More Growth? Cognitive Skills, Economic Outcomes, and Causation, NBER Working Paper Nr. 14633, Cambridge, MA 2009.
- 4 Dieser und die nächsten beiden Abschnitte stammen aus M. Piopiunik,
L. Wößmann: Volkswirtschaftliche Folgekosten unzureichender Bildung: Eine makroökonomische Projektion, in: ifo Schnelldienst, 63. Jg. (2010), Nr. 4, S. 24-30. - 5 Vgl. J. Baumert, C. Artelt, E. Klieme, M. Neubrand, M. Prenzel, U. Schiefele, W. Schneider, K.-J. Tillmann, M. Weiß (Hrsg.): PISA 2000: Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich, Opladen 2002; sowie PISA-Konsortium Deutschland (Hrsg.): PISA 2006 in Deutschland: Die Kompetenzen der Jugendlichen im dritten Ländervergleich, Münster 2008.
- 6 Diese Berechnung wie auch alle weiteren PISA-Berechnungen basieren auf dem Mittelwert der Mathematik- und Naturwissenschaftsergebnisse in PISA 2000 und PISA 2003.
- 7 Siehe Abschnitt 3.5 in L. Wößmann, M. Piopiunik: Was unzureichende Bildung kostet: Eine Berechnung der Folgekosten durch entgangenes Wirtschaftswachstum, Gütersloh 2009, für eine ausführliche Begründung der Wahl der Modellparameter. Da für die Parameter generell eher konservative Werte verwendet werden, ist davon auszugehen, dass die Folgekosten unzureichender Bildung in der berichteten Projektion tendenziell noch unterschätzt werden.
- 8 In allen bundesländerspezifischen Berechnungen wurden die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg aufgrund der besonderen räumlichen Nähe und Mobilität mit ihren jeweils angrenzenden Flächenstaaten Brandenburg, Niedersachsen bzw. Schleswig-Holstein zusammengelegt.
- 9 Vgl. L. Wößmann, M. Piopiunik: Was unzureichende Bildung kostet, a.a.O.
- 10 Siehe auch E. A. Hanushek, L. Wößmann: The High Cost of Low Educational Performance: The Long-Run Economic Impact of Improving PISA Outcomes, OECD, Paris 2010; sowie E. A. Hanushek, L. Wößmann: How Much Do Educational Outcomes Matter in OECD Countries?, in: Economic Policy, im Erscheinen. Die Autoren stellen mehrere Projektionen, die mit den hier vorgestellten vergleichbar sind, für die Gesamtheit der OECD-Länder an und finden Gesamtkosten unzureichender Bildung, die für die gesamte OECD in den dreistelligen Billionenbereich reichen.
- 11 Vgl. L. Wößmann: Letzte Chance für gute Schulen: Die 12 großen Irrtümer und was wir wirklich ändern müssen, München 2007; sowie L. Wößmann, E. Lüdemann, G. Schütz, M. R. West: School Accountability, Autonomy and Choice around the World, Cheltenham 2009.
- 12 Vgl. E. A. Hanushek, L. Wößmann: The Economics of International Differences in Educational Achievement, in: E. A. Hanushek, S. Machin, L. Wößmann (Hrsg.): Handbook of the Economics of Education, Vol. 3, Amsterdam 2011, S. 89-200.
- 13 Vgl. L. Wößmann: Zentrale Abschlussprüfungen und Schülerleistungen: Individualanalysen anhand von vier internationalen Tests, in: Zeitschrift für Pädagogik, 54. Jg. (2008), S. 810-826.
- 14 Vgl. L. Wößmann: Wettbewerb durch öffentliche Finanzierung von Schulen in freier Trägerschaft als wichtiger Ansatzpunkt zur Verbesserung des Schulsystems, in: ifo Schnelldienst, 64. Jg. (2011), Nr. 1; sowie M. R. West, L. Wößmann: Every Catholic Child in a Catholic School: Historical Resistance to State Schooling, Contemporary School Competition, and Student Achievement across Countries, in: Economic Journal, 120. Jg. (2010), Nr. 546, S. F229-F255.
- 15 Vgl. L. Wößmann, M. Piopiunik: Was unzureichende Bildung kostet, a.a.O., S. 49 f.