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Journalisten und Politiker lieben es, wenn Forschungsinstitute – wie etwa das DIW Berlin – mit kräftiger Stimme eine „Hausmeinung“ verkünden. Dann wird gerne geschrieben, dass „das DIW“ dies oder das fordert. Viele Journalisten glauben offenbar, dass ein Argument an Gewicht gewinnt, wenn es von einem Institut insgesamt – oder wenigstens von der Instituts-Chefin – verkündet wird. Und Politiker, denen der Ratschlag gelegen kommt, beziehen sich auch lieber auf „das renommierte Institut XYZ“ als nur auf einen einzelnen Wissenschaftler, der das Ergebnis erarbeitet hat und persönlichen Ratschlag gibt. Politiker, die eine andere Ansicht haben, neigen entsprechend dazu, ein ganzes Institut zu kritisieren. Selbst Attacken sind keineswegs unfair, denn zuvor hat ja das Institut versucht mehr Einfluss zu nehmen, indem ein Einzelergebnis zu einer „Hausmeinung“ gemacht wurde.

Die Wirtschaftswissenschaften insgesamt neigen auch dazu, eine „Hausmeinung“ zu vertreten bzw. es sich zu wünschen, dass es eine einheitliche Hausmeinung aller (seriöser) Wirtschaftswissenschaftler gibt. Dahinter steht mehrheitlich ein ziemlich einfaches Modell der Kommunikation. Es wird angenommen, dass die Öffentlichkeit und politische Entscheidungsträger nur einfache Empfehlungen verarbeiten können. Zu viel „Wenn-und-Aber“ störe nur und am besten sei es, wenn eine einfache Wahrheit solange wiederholt wird, bis sie von der Öffentlichkeit und Entscheidungsträgern wahrgenommen und akzeptiert wird.

Dieser Grundüberlegung folgend (obwohl etwas modifiziert) hat sich nun das „Plenum der Ökonomen“ etabliert. Es ist die „elektronische Vollversammlung aller Hochschullehrer für Volkswirtschaftslehre, die an einer deutschen Universität oder als deutsche Staatsbürger an einer ausländischen Universität lehren.“ Die Grundidee ist folgende: „Das Plenum der Ökonomen ist sich der Tatsache bewusst, dass Wahrheiten nicht durch Mehrheitsbeschluss festgestellt werden können. Seine Beschlüsse dienen vielmehr dazu, dem Staat in drängenden volkswirtschaftlichen Fragestellungen so zu raten, wie es die Mehrheit der vom Staat zu volkswirtschaftlicher Forschung berufenen Wissenschaftler für der Sachlage richtig und angemessen hält. Die Debatten des Plenums dienen dazu, diesen Rat unter Berücksichtigung möglichst aller relevanten Argumente zu erteilen und auch die Auffassungen von dissentierenden Wissenschaftlern öffentlich zu dokumentieren.“

Im Februar 2011 wurde eine „Stellungnahme zur EU Schuldenkrise“ zur Abstimmung gestellt, die zu folgender Schlussfolgerung kam. „Wir fordern daher die Bundesregierung auf, für den Fall des Scheiterns des Europäischen Rettungsschirms Vorsorge zu treffen und – gemeinsam mit den europäischen Partnerstaaten – unverzüglich einen detaillierten Insolvenzplan für überschuldete Euro-Mitgliedstaaten auszuarbeiten“. Zugestimmt haben 190 Volkswirte, mit „Nein“ gestimmt haben acht und sich enthalten haben elf Volkswirte. Da namentlich abgestimmt wurde, lässt sich auch nachlesen, wer dafür oder dagegen war.

Das Plenum der Ökonomen ist insofern ein Fortschritt in der volkswirtschaftlichen Politikberatung, weil es deutlich macht, wie kontrovers eine bestimmte Empfehlung ist. Öffentlichkeit und Politik können so – im Prinzip – besser einschätzen, in welchem Ausmaß eine bestimmte Empfehlung von der Zunft der Volkswirte getragen wird oder auch nicht. Freilich ist die „Repräsentativität“ der Abstimmung keineswegs sichergestellt. Nicht alle akademischen Volkswirte haben sich beim Plenum registriert und nicht alle Registrierten machen mit.

Selektive Teilnahme ist freilich kein grundsätzliches Problem, da Öffentlichkeit und Politik erwarten sollten, dass sich nur Volkswirte an einer Abstimmung beteiligen, die bei einem bestimmten Problem und einer bestimmten Empfehlung auch wissenschaftlich kompetent sind. Insofern wäre es sogar wünschenswert, wenn sich bei schwierigen Problemen nur die wenigen Fachleute, die es gibt, beteiligen.

Bislang war die öffentliche und politische Resonanz, die das „Plenum der Ökonomen“ hatte, nicht allzu groß. Der Versuch sollte trotzdem weitergetrieben werden, da das bisherige Kommunikationsmodell der Volkswirte-Zunft – wie gesagt – sehr einfach war. Jede experimentelle Weiterentwicklung kann nur hilfreich sein. Das Plenum wird insbesondere dann interessant werden, wenn einmal eine Empfehlung zur Abstimmung kommt, die hochkontrovers ist. Bei sehr kontroversen Empfehlungen ist freilich ein anderes Format als das Abstimmungsverfahren des Plenums wahrscheinlich für Öffentlichkeit und Politik aufschlussreicher.

Das Grundproblem eindeutiger Empfehlungen ist, dass Tatsachenfeststellung und wertbasierte Entscheidungs-Empfehlungen vermischt werden müssen. Jedenfalls immer dann, wenn es nicht nur um die bloße Feststellung von Tatsachen geht. Beispielsweise führt die Frage „Steigt die Inflationsrate an?“ zu einer reinen empirischen Tatsachenbehauptung, deren Zutreffen per Abstimmung festgestellt werden soll. Die Frage aber „Soll eine steigende Inflation bekämpft werden?“ vermischt Tatsachenfeststellungen (über Wirkungen und Nebenwirkungen der Inflation) mit Wertvorstellung über die Schädlichkeit von Inflation (z.B. können Schuldner an Inflation Interesse haben, während Gläubiger Geldwertstabilität wollen).

Abstimmungen über Empfehlungen unterliegen der großen Gefahr, dass simplifiziert werden muss und gerade die Differenzierung zwischen empirischer Tatsachenbehauptung und wertbasierten Politikempfehlungen zu kurz kommt. Ich werbe deswegen für eine möglichst klare Trennung der Präsentation empirischer Befunde (die teilweise bereits selbst kontrovers sein können) und wertbasierter Politikempfehlungen. Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), hat die Vorzüge eines solchen Modells kürzlich in der Süddeutschen Zeitung sehr gut vorgestellt.

Die Trennung von Befund und Empfehlung ist so ziemlich das Gegenteil des traditionellen Kommunikationsmodells der Volkswirte, die auf einfache Aussagen, die sie konstant wiederholen, setzen. Das Trenn-Modell ist freilich einen ernsthaften Test wert, denn das „Immer-wieder-dasselbe-sagen-Modell“ ist empirisch nicht sonderlich erfolgreich. Es führt eher dazu, dass ideologische Positionen – innerhalb wie außerhalb der Volkswirtschaftslehre – ihre Bedeutung behalten.

Zurück zum DIW Berlin. Hierzu ist festzuhalten: Was im „Wochenbericht des DIW“ steht, ist in der Tat die „Hausmeinung“, denn alle Manuskripte (bis auf das des Kommentars, der seit kurzem auch als Privatmeinung unzweideutig kenntlich gemacht wird) durchlaufen einen mehrstufigen Redaktionsprozess, der die sachliche Qualität sichert und darauf achtet, dass Empfehlungen klar als solche kenntlich gemacht werden und die Werturteile, die den Empfehlungen zugrunde liegen, offengelegt werden. Aber wirtschaftspolitische Empfehlungen werden sicherlich nicht überzeugender, weil ein ganzes Haus oder dessen Vorstand dahintersteht! Deswegen soll im DIW das „Trenn-Modell“ bei geeigneten Gelegenheiten alsbald getestet werden.


DOI: 10.1007/s10273-011-1198-6

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