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Die Europäische Kommission hat ein Beschäftigungspaket vorgestellt, das die Erwerbstätigkeit in der EU verbessern und erhöhen soll, aber auch einen Ausweg aus der Krise darstellen könnte. Eine Umsetzung erscheint unrealistisch vor allem, weil die Arbeitsmärkte in der EU stark differieren, die EU über keine angemessenen Instrumente verfügt und das Programm bisher nicht in einen Wachstumspakt eingebunden ist. Die Autoren halten es zudem für konzeptionslos.

Europäische Beschäftigungsstrategie: Eine kritische Bestandsaufnahme

Als Reaktion auf die Wirtschafts- und Finanzkrise hat die EU-Kommission im Jahr 2010 die Strategie Europa 2020 vorgelegt, in der sie ihre Ziele in den drei Prioritäten intelligentes Wachstum, nachhaltiges Wachstum und integratives Wachstum zusammenfasst und damit ihre „Vision der europäischen sozialen Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“1 entwirft. Als Teil dieser Strategie definiert sie Kernziele, die sie bis 2020 erreicht haben will, unter anderem solle in beschäftigungspolitischer Hinsicht eine Erwerbstätigenquote von 75% der 20- bis 64-Jährigen realisiert werden, der Anteil der Schulabbrecher solle auf unter 10% gesenkt werden, ein Anteil von mindestens 40% der jüngeren Generation (im Alter zwischen 30 und 34 Jahren) solle einen Hochschulabschluss aufweisen und die Zahl der armutsgefährdeten Personen solle um 20 Mio. sinken. Diese Ziele wurden auch in die beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU-Kommission übernommen,2 die seit dem EU-Gipfel von Amsterdam im Jahr 1997 den Kern der seinerzeit neu entworfenen Europäischen Beschäftigungsstrategie (EBS) bildeten und die durch die EU-Kommission fortlaufend evaluiert und angepasst werden.3

Die EBS ist in der öffentlichen Diskussion umstritten, weil sie den Anspruch erhebt, die nationalen Arbeitsmarktpolitiken und -ergebnisse verbessern zu wollen, ihr aber vorgeworfen wird, die einzelstaatlichen Ergebnisse nur begrenzt beeinflussen zu können.4 Grundsätzlich ist daher zu hinterfragen, ob ein beschäftigungspolitischer Handlungsbedarf auf europäischer Ebene besteht und welche Wirkungen von dem gegenwärtigen Verfahren ausgehen, das einen Koordinationsrahmen zu den einzelstaatlichen Beschäftigungspolitiken vorgibt.

Begründung für gemeinschaftliche Beschäftigungspolitik fehlt

Nicht zuletzt die institutionellen und ökonomischen Unterschiede in den Nationalstaaten sprechen zunächst für eine dezentrale Regelungskompetenz. Eine hierarchische Verlagerung einzelner Kompetenzen könnte sich grundsätzlich anbieten, wenn etwa gemeinsame konstitutive Normen sinnvoll erscheinen, die die Transaktionskosten der Beteiligten senken oder eine intensivere Arbeitsteilung zwischen den Marktteilnehmern ermöglichen würden.5 Bezogen auf beschäftigungspolitische Fragen in der EU sind solche Vorteile durch eine gemeinschaftliche Politik kaum zu erwarten, da die Interaktionen zwischen den nationalen Arbeitsmärkten der Mitgliedstaaten nur gering ausfallen. So entfielen beispielsweise 2011 von allen Erwerbspersonen im Durchschnitt der EU-27-Staaten gerade 3% auf Staatsangehörige anderer EU-27-Staaten. Für Deutschland betrug dieser Anteil knapp 4%.6

Aus Sicht der ökonomischen Theorie ist zudem zu hinterfragen, ob durch die einzelstaatlichen Politiken externe Effekte ausgelöst werden, die eine gemeinschaftliche Beschäftigungspolitik rechtfertigen würden. Dies wäre dann der Fall, wenn die Effekte von beschäftigungspolitischen Maßnahmen eines Landes auch auf andere Mitgliedstaaten ausstrahlen würden. Am Beispiel der strukturellen Arbeitslosigkeit kann aber gezeigt werden, dass Lösungsansätze wie etwa geeignete Qualifizierungsmaßnahmen aufgrund der geringen Arbeitsmobilität in der EU kaum grenzüberschreitende Wirkungen entfalten, die im Ausland entsprechende Maßnahmen weniger attraktiv machen würden und dort ein „free rider“-Verhalten motivieren könnten. Ähnliches dürfte auch für Ausbildungs-, Existenzförderungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gelten.7 Selbst wenn dann die grenzüberschreitende Arbeitsmobilität ansteigen würde, reicht dies für eine Begründung gemeinschaftlicher Politik noch nicht aus, da die betreffenden Mitgliedstaaten untereinander durch wechselseitige Verhandlungen die (positiven) Externalitäten arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen internalisieren könnten.8

Würde man hingegen die beschäftigungspolitischen Kompetenzen zunehmend stärker zentralisieren, bestünde die Gefahr, dass die einzelstaatlichen Anreize zur Verringerung der Arbeitslosigkeit erlahmen und Forderungen nach einer gemeinschaftlichen Beteiligung oder Finanzierung zunehmen. Im Ergebnis dürfte der Bedarf an finanziellen Ressourcen auf der Ebene der EU ansteigen, der jedoch gleichzeitig auch ein Informationsproblem heraufbeschwören würde: In den Mitgliedstaaten wären spezifische Maßnahmen erforderlich, deren Einsatz die EU vermutlich kaum besser koordinieren könnte als die nationalen Behörden. Letztlich bestünde der Anspruch darin, dass die Gemeinschaft „über höheres Faktenwissen verfügen oder bessere Kenntnisse über anzuwendende Maßnahmen haben oder die Maßnahmen mit besserer Wirkung oder in größerem Umfang einsetzen können“9 müsste als die Einzelstaaten.

Es könnten sich allerdings Ansatzpunkte für gemeinschaftliche Aufgaben dort ergeben, wo allein die Funktionsfähigkeit der Märkte angesprochen ist.10 Beispielsweise wäre dabei an Maßnahmen zu denken, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer fördern oder die grenzüberschreitende Arbeitsvermittlung erleichtern.

Begrenzte Wirkungen der EBS

Gegenwärtig setzt die EU mit ihrer „Offenen Methode der Koordinierung“ auf einen „weichen Modus der supranationalen politischen Steuerung“11. Da die beschäftigungspolitischen Kompetenzen im Grundsatz auf der Ebene der Mitgliedstaaten liegen, versucht die EU durch die in den beschäftigungspolitischen Leitlinien verankerten Ziele, regelmäßige Beschäftigungsberichte und länderspezifische Empfehlungen arbeitsmarktpolitische Reformen anzustoßen. Der Nutzen „guter Praktiken“ soll dann in „peer reviews“ von anderen Mitgliedstaaten bewertet werden. Erfolgreiche Verfahren sollen auf diese Weise und über den Transmissionsmechanismus des institutionellen Wettbewerbs von anderen Mitgliedstaaten übernommen werden. Zudem sind die Einzelstaaten regelmäßig dazu aufgefordert, in nationalen Aktionsplänen über ihre beschäftigungspolitischen Strategien und über die Umsetzung der Empfehlungen Auskunft zu geben. Die nationalen Aktionspläne bilden dann wiederum die Grundlage des (nächsten) Beschäftigungsberichts und leiten den nächsten Politikzyklus ein.

Generell scheint der empirische Nachweis der Wirkung von beschäftigungspolitischen Maßnahmen auf Arbeitsmarktindikatoren nicht einfach, da häufig konjunkturelle Schwankungen, geld- und tarifpolitische Entscheidungen sowie zeitliche Reaktionsverzögerungen die entsprechenden Ergebnisse beeinflussen können. Besonders schwer fällt jedoch der Nachweis von Wirkungen einer EBS, die über Empfehlungen die nationalen Beschäftigungspolitiken in ihren strategischen Ausrichtungen näher an die Ziele von Europa 2020 heranzubringen versucht.12 Insofern ist beispielsweise umstritten, ob und inwiefern die Veränderungen einzelner Zielindikatoren – wie etwa der Erwerbstätigenquote – ursächlich auf die EBS zurückzuführen sind. Da die Empfehlungen nicht verbindlich sind, können die Einzelstaaten davon abweichen. Gerade diese Flexibilität ermöglicht einerseits aber die Beachtung der heimischen institutionellen Rahmenbedingungen und unterstützt damit die gemeinschaftliche Zielerreichung. Zum anderen sind aber auch deutliche Unterschiede in den Ergebnissen zwischen den Nationalstaaten sowie in den entsprechenden Entwicklungen festzustellen, wie beispielsweise für die Erwerbstätigenquote seit Anpassung der Leitlinien im Jahr 2003 gezeigt werden kann (vgl. Abbildung 1). Ein abschließendes Urteil, in welchem Ausmaß die EBS diese Entwicklungen beeinflusst haben könnte, ist allerdings kaum möglich.

Abbildung 1
Erwerbstätigenquote der EU-27-Staaten – Zielsetzung und Veränderungen seit 2003
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Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Eurostat, 2012, Leitindikatoren der Strategie Europa 2020 (25.5.2012).

Wenn die EBS den Anspruch hat, durch programmatische Akzente den (beschäftigungs-)politischen Diskurs in den Einzelstaaten zu verändern, ist von einem längerfristigen Prozess auszugehen, der allerdings durch Änderungen an den beschäftigungspolitischen Leitlinien erschwert wird. So wurden durch die zuletzt 2010 vorgenommenen Änderungen aus drei insgesamt vier übergeordnete Ziele. Insbesondere rückt nun etwa die Bekämpfung der Armut stärker als zuvor in den Fokus und der Qualität der Ausbildungs- und Bildungssysteme wird eine höhere Priorität eingeräumt. Mit Blick auf die Kontinuität dürfte auch deshalb der Rat der EU in seinem Beschluss vom 26. April 2012 die Empfehlung ausgesprochen haben, „etwaige Aktualisierungen [der beschäftigungspolitischen Leitlinien] sollten bis Jahresende 2014 auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben“13.

Zuletzt ist die Effektivität der Offenen Methode der Koordinierung zu hinterfragen. Gerade im Zusammenhang mit der Erstellung der nationalen Aktionspläne wird kritisch gesehen, dass der gesamte Prozess in der breiten Öffentlichkeit kaum beachtet wird und das Verfahren überwiegend auf Fachkreise, Ministerien und die beteiligten Institutionen der EU beschränkt ist. Dieser Hinweis dürfte auch für das Verfahren des „peer review“ gelten, das jedoch gerade seine Stärke aus der Bekanntmachung und Verbreitung „guter Praktiken“ zieht. Zum anderen könnte mit Blick auf die nationalen Aktionspläne der Eindruck entstehen, dass die zentralen beschäftigungspolitischen Entscheidungen in den Einzelstaaten weitgehend unabhängig von deren Erstellung getroffen werden. Die Zuordnung der nationalen beschäftigungspolitischen Maßnahmen zu den Zielen der EBS erfolgt offenbar eher als eine zusätzliche Rechtfertigung nationaler Beschäftigungsstrategien und scheint damit weniger der Auslöser neuer Politikmaßnahmen in den Einzelstaaten zu sein als dies beabsichtigt wäre.14

Beschäftigungspaket der Kommission

In einer „Mitteilung“ an das Parlament, den Rat und Ausschüsse hat die Kommission Ende April 2012 ein Beschäftigungspaket vorgelegt, in dem bestehende Strategien durch mittelfristige Leitlinien ergänzt werden.15 Das Paket versteht sich als Blaupause für eine arbeitsmarktpolitische Strategie für Europa in der Krise – ungeachtet der Tatsache, dass die Krise in den europäischen Staaten in ganz unterschiedlicher Weise und Intensität zutage getreten ist. Neben der Diskussion um die grundsätzliche Notwendigkeit einer EBS stellt sich die Frage, ob die in der Mitteilung der Kommission umrissenen Maßnahmen geeignet sind, das hochgesteckte Ziel zu erreichen, einen „Hebel für einen arbeitsplatzintensiven Aufschwung“ in Bewegung zu setzen. Die der EBS zugrundeliegende offene Methode der Koordinierung bewirkt, dass sich in dem Strategiepapier nur wenige konkrete Maßnahmen finden. Die meisten Elemente bleiben im Ungefähren, das gilt insbesondere für die integrierten industriepolitischen Ansätze zur Förderung von „grüner Wirtschaft“, Gesundheitswirtschaft und des Informations- und Kommunikationsbereiches. Unter anderem wird angeregt, Beschäftigungsindikatoren auszubauen, einer Strategie des lebenslangen Lernens Rechnung zu tragen, Initiativen zu fördern und Kooperationsprojekte zu unterstützen, Plattformen zum Austausch einzurichten, Leitlinien zu verfassen, Empfehlungen zu formulieren, Sensibilisierungskampagnen zu unterstützen und Ähnliches mehr. Die Wirkung dieser Anregungen auf die beschäftigungspolitischen Zielgrößen dürfte allenfalls indirekt gegeben und kaum messbar sein, so dass sie sich einer Wertung weitgehend entziehen.

Eine eindeutige und damit nutzbare Positionierung wird auch beim Thema Lohnmoderation vermieden. Es wird lediglich darauf verwiesen, dass die Lohnentwicklung die Wettbewerbsposition der Mitgliedstaaten berücksichtigen müsse. Dies will man aber offenkundig nicht als Plädoyer für Lohnzurückhaltung verstanden wissen, denn eine „gezielte“ Erhöhung von Löhnen, die hinter der Produktivitätsentwicklung zurückgeblieben sind, sei „durchaus denkbar“. Die Rolle, die die Lohnzurückhaltung z.B. in Deutschland bei der Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit gespielt hat,16 wird damit bagatellisiert. Dem Kernanliegen der Offenen Methode der Koordinierung, dem Lernen von „best practices“, wird das Strategiepapier der Kommission in diesem wichtigen Aspekt nicht gerecht.

Eher undifferenziert erscheint die Darstellung der Rolle der internen Flexibilität als beschäftigungspolitischer Stabilisator in der Krise. Zwar ist richtig, dass interne Flexibilitätsinstrumente wie die Kurzarbeit oder die Nutzung von Arbeitszeitkonten in Deutschland dazu beigetragen haben, die Arbeitsmarktwirkungen der Krise abzufedern. Um ein Patentrezept handelt es sich jedoch nicht. Erstens ist der Ansatz wegen der negativen Folgen für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen Grenzen unterworfen. Die Hortung von Arbeitskräften hat die Lohnstückkosten erheblich ansteigen lassen.17 Zweitens spielte die externe Flexibilität durchaus eine Rolle, die Beschäftigungsverluste im verarbeitenden Gewerbe und der Arbeitnehmerüberlassung wurden aber durch Beschäftigungsgewinne in den sozialen Dienstleistungen kompensiert. Drittens konnte die interne Flexibilität in Deutschland nicht zuletzt wegen einiger Sonderfaktoren – z.B. dem demographischen Hintergrund, der zögerlichen Beschäftigungsexpansion im Aufschwung vor der Krise oder der vergleichsweise kurzen Dauer des konjunkturellen Einbruchs – so wirksam sein. Insofern ist fraglich, inwieweit der Ansatz auf andere Länder übertragbar ist.18

Auch bei der Frage der Behandlung von atypischen Beschäftigungsverhältnissen bleibt die Stoßrichtung unklar. Zwar wird eingeräumt, dass solche Erwerbsformen bei dem Aufbau neuer Beschäftigung eine wichtige Rolle gespielt haben und dass sie als flexibles Regulativ in einem durch den Kündigungsschutz regulierten Umfeld zu sehen sind. Trotz der Beschäftigungskrise in vielen europäischen Ländern wird jedoch nicht die Empfehlung ausgesprochen, atypische Beschäftigung als Instrument zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu nutzen. Vielmehr wird angeregt, Befristungen zurückzudrängen, indem allen Arbeitnehmern ein Kern an Ansprüchen zuteil wird, darunter auch Abfindungen für den Fall einer Kündigung. Offen bleibt, inwieweit dies zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beitragen könnte.

Bei der schwierigen Frage nach der beschäftigungspolitischen Wirkung von gesetzlichen Mindestlöhnen vermeidet die Kommission eine eindeutige Positionierung, obgleich eine gewisse Sympathie für „differenzierte“ Mindestlöhne erkennbar wird. Der Mindestlohn solle in der Argumentation der Kommission in erster Linie als ein Instrument zur Bekämpfung von Armut trotz Beschäftigung genutzt werden. Eine solche Funktion kann der Mindestlohn aber gar nicht wahrnehmen, da Armut nicht eine Frage des Lohns, sondern des mit der Haushaltsgröße gewichteten Einkommens ist.19 Nur ein Sechstel der Niedriglohnempfänger ist gleichzeitig auch arm. Armut wird in viel stärkerem Maße durch Arbeitslosigkeit hervorgerufen als durch Beschäftigungsverhältnisse mit niedrigen Löhnen.20 Daher würde ein Mindestlohn bei der Armutsbekämpfung selbst dann kaum helfen, wenn von möglichen negativen Beschäftigungseffekten abstrahiert wird. Unzureichend durch Argumente gestützt wird die überraschende Schlussfolgerung der Kommission, dass differenzierte Mindestlöhne ein wirksames Mittel zur Stützung der Arbeitskräftenachfrage sein können.

Über die oben genannten, eher grob umrissenen Aspekte hinaus, bei denen die Kommission vor der Formulierung von direkt umsetzbaren Empfehlungen zurückscheut, werden eine Reihe weiterer, zum Teil durchaus konkreter Maßnahmen vorgeschlagen. Zumindest in Deutschland sind einige dieser Maßnahmen aber bereits seit langem Bestandteil des Portfolios arbeitsmarktpolitischer Leistungen. Lohnkostenzuschüsse konnten z.B. ihre Wirksamkeit in der Hartz-Evaluation bereits unter Beweis stellen. Ihr Zweck ist es, vorübergehende Produktivitätsnachteile von Arbeitnehmern mit Vermittlungshemmnissen auszugleichen. Sie sind allerdings nicht dazu geeignet, ein über dem Marktlohn liegendes Lohnniveau auf Dauer auszugleichen. Insofern ist fraglich, inwieweit das Instrument in der gegenwärtigen Krise den Problemlagen in vielen europäischen Ländern gerecht wird. Grundsätzlich sinnvoll ist auch die Anregung, den Abgabenkeil insbesondere im unteren Lohnsegment abzusenken. Allerdings dürfte die vorgeschlagene Gegenfinanzierung durch höhere Umwelt-, Verbrauchs- und Vermögenssteuern einen Teil des positiven Beschäftigungseffektes wieder zunichte machen. In Deutschland besteht mit der Mini-Job-Regelung zudem schon eine Privilegierung geringer Einkommen, die gegenwärtig aber eher kritisch diskutiert wird.21

Es verbleiben zwei Maßnahmen, die sinnvoll erscheinen und mit einer Regelung auf europäischer Ebene auch richtig verortet sind. Erstens dient es der Verbesserung der Mobilität von Arbeitskräften zwischen den europäischen Staaten, wenn Bemühungen zur Vergleichbarkeit von Qualifikationen unternommen werden. Solche Bemühungen werden von der Kommission in Aussicht gestellt, wenn auch eine stärkere Fokussierung wünschenswert erscheint. Mit der „Europäischen Klassifikation von Qualifikationen, Kompetenzen und Berufen“, dem „Europäischen Qualifikationsrahmen“, dem „Europäischen Qualifikationspass“, dem „EU-Qualifikationspanorama“ oder dem „Europäischen Berufsausweis“ stehen eine Reihe von Initiativen mit ähnlicher, teils überlappender Zielsetzung nebeneinander. Sinnvoll erscheint zweitens eine intensivierte Zusammenarbeit der Arbeitsverwaltungen in den Einzelstaaten im Netzwerk „EURES“. Ein verbesserter Zugang zu Stellenangeboten im europäischen Ausland schafft für die unter Druck stehenden Arbeitsmärkte insbesondere der südeuropäischen Mitgliedstaaten als einzige Maßnahme die Aussicht auf kurz- bis mittelfristige Entlastung.

  • 1 Vgl. Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission – Europa 2020 – Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum, Brüssel 2010.
  • 2 Vgl. Beschluss des Rates vom 21.10.2010 über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (2010/707/EU).
  • 3 Vgl. etwa Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Fünf Jahre Beschäftigungsstrategie – Eine Bestandsaufnahme, 2002, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2002:0416:FIN:DE:PDF (15.5.2012).
  • 4 Vgl. etwa H. Lesch: Europäische Beschäftigungsstrategie: Eine ordnungspolitische Bewertung, in: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, H. 100, Nr. 2, 2004, S. 26-32; und W. Eichhorst, T. Rhein: Europäische Beschäftigungsstrategie – Katalysator für nationale Reformen, in: Wirtschaftsdienst, 84. Jg. (2004), H. 8, S. 538-544.
  • 5 Vgl. K.-W. Schatz: Europäische Beschäftigungspolitik: Existiert Handlungsbedarf?, in: R. Ohr, T. Theurl: Kompendium Europäische Wirtschaftspolitik, 2001, S. 550.
  • 6 Eigene Berechnungen auf Basis von Eurostat, 2012, http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=lfsa_agan&lang=de (23.5.2012).
  • 7 Vgl. H. Lesch, a.a.O., S. 28 f.
  • 8 Vgl. K.-W. Schatz, a.a.O., S. 566 f.
  • 9 Ebenda, S. 541.
  • 10 Vgl. ebenda, S. 564.
  • 11 W. Eichhorst, T. Rhein, a.a.O., S. 539.
  • 12 Vgl. ebenda, S. 540 ff.
  • 13 Vgl. Beschluss des Rates vom 26.4.2012 zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (2012/238/EU).
  • 14 Vgl. W. Eichhorst, T. Rhein, a.a.O., 541 f.
  • 15 Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Einen arbeitsplatzintensiven Aufschwung gestalten, COM(2012) 173 final, Straßburg 2012.
  • 16 Vgl. H. Lesch: Lohnpolitik im Spannungsfeld außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte und volatiler Konjunktur, in: IW-trends, Nr. 1, 2012, S. 55-69.
  • 17 Vgl. H.-P. Klös, H. Schäfer: Krisenmanagement über Variationen des Arbeitsvolumens? Reichweite, Grenzen und Nebenfolgen, in: Arbeit, Nr. 2+3, 2010, S. 132-146.
  • 18 Vgl. M. C. Burda, J. Hunt: What Explains the German Labor Market Miracle in the Great Recession?, NBER Working Paper, Nr. 17187, Cambridge (MA) 2011.
  • 19 Vgl. P. Kalmbach: Gesetzlicher Mindestlohn – von Befürwortern und Gegnern überschätzt, in: Wirtschaftsdienst, 87. Jg. (2007), H. 7, S. 438-441.
  • 20 Vgl. H. Schäfer, J. Schmidt: Der Niedriglohnsektor in Deutschland, IW-Analysen, Nr. 77, Köln 2012.
  • 21 Vgl. A. Herzog-Stein, C. Klenner, D. Voss: Minijobs, in: WSI-Mitteilungen, 2012, H. 1, S. 4. 

Brüsseler Salami

In vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union hat die Arbeitslosigkeit ein derart hohes Niveau erreicht, dass ihre Bekämpfung höchste politische Priorität verdient. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit stellt in mehreren Ländern eine unerträglich hohe Bürde dar, die gravierende Langzeitschäden am sozialen Gefüge und am Produktionspotenzial verursachen wird. Maßnahmen zur Verringerung von Arbeitslosigkeit sollten deshalb sowohl aus sozialpolitischer als auch aus wachstumspolitischer Sicht weit oben auf der Agenda stehen.

Es ist daher ausgesprochen begrüßenswert, wenn sich die Europäische Kommission für einen arbeitsplatzintensiven Aufschwung in der EU einsetzen möchte. Sie hat dazu ein Beschäftigungspaket vorgeschlagen, das zahlreiche Einzelvorschläge enthält, wie die Mitgliedstaaten ihre Politik ändern sollten. Dahinter steht letztlich die Bemühung, einen offensiven Ausweg aus den aktuellen Diskussionen um den Abbau der Staatsverschuldung in Europa zu finden und mit einer eigenen Initiative gegenüber der Euro-Gruppe und anderen nationalen und internationalen Aktionen das Heft des Handelns wieder in die Hand zu bekommen.

Scheibchenweise Kompetenzverlagerung?

Der Europäischen Kommission ist natürlich bewusst, dass sie gar nicht die Kompetenzen für eine aktive Koordinierung der Arbeitsmarktpolitik in der EU hat. Sie geht deshalb einen Weg, den sie in ähnlichen Fällen schon öfter gegangen ist: Sie macht lediglich unverbindliche Vorschläge, bei denen es die Mitgliedstaaten in der Hand haben, ob sie sie annehmen wollen oder nicht. Die Kommission wird allerdings ab 2013 einen „Fortschrittsanzeiger“ einführen, in dem sie darstellt, wer die Empfehlungen befolgt hat und wer nicht. Solch ein „Pranger“ könnte zeigen, dass die Arbeitsmarktbilanzen vor allem dort so miserabel ausfallen, wo man die Empfehlungen der Kommission in den Wind schlägt.

Wenn dieser Schritt vollzogen ist und für jedermann erkennbar wird, wie nötig auch im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ein gemeinschaftliches Vorgehen ist, könnte die Kommission in einem nächsten Schritt versuchen, vom Ministerrat weiterreichende Befugnisse zu erhalten, um auf längere Sicht eine Kompetenzverlagerung von der nationalen auf die EU-Ebene zu bewirken. Landläufig wird eine solche Taktik mit dem Bild der Salami in Verbindung gebracht.

Ein Katalog mit überzeugenden und weniger überzeugenden Maßnahmen

Insgesamt umfasst der Vorschlag des Beschäftigungspakets eine Mitteilung der Kommission und neun Arbeitsunterlagen. Diese Dokumente ergeben zusammengenommen einen Maßnahmenkatalog, der differenziert zu bewerten ist. Manche Elemente aus dem Maßnahmenkatalog klingen für sich genommen recht plausibel: Einstellungszuschüsse für neu geschaffene Arbeitsplätze, der budgetneutrale Ersatz von Steuern auf den Arbeitseinsatz durch Umweltsteuern, die Unterstützung der Selbständigkeit oder die engere Verzahnung von Bildung und Beruf sind durchaus einleuchtende Maßnahmen. Die Vorschläge der Kommission heben sich damit wohltuend von den oftmals vorgetragenen rein makroökonomischen Rezepten ab, bei denen suggeriert wird, die Arbeitslosigkeit in den Krisenländern und anderen Ländern der Eurozone seien rein konjunkturell bedingt und ließen sich entsprechend mit konjunkturpolitischen Instrumenten bekämpfen. Ausgespart bleibt allerdings das Thema der angemessenen Lohnpolitik. Wenn Griechenland beispielsweise beim Pro-Kopf-Konsum im oberen Drittel der Euro-Länder, bei der Produktivität dagegen im unteren Drittel angesiedelt ist, dann werden die von der Kommission empfohlenen Einstellungszuschüsse, Umweltsteuern und Bildungsmaßnahmen die Unterbeschäftigungsprobleme nicht lösen können.

Zudem klingt die Art und Weise, wie diese Empfehlungen vorgetragen werden, an manchen Stellen geradezu naiv. Man gewinnt den Eindruck, all diese Vorschläge seien von der Kommission gerade erst neu erfunden worden und die nationalen Regierungen hätte nur noch niemand auf die Idee gebracht, sie auszuprobieren. Manches von dem, was die Kommission vorschlägt, ist in Deutschland beispielsweise längst im Instrumentenkasten der Bundesagentur für Arbeit vorhanden. Ob dies tatsächlich an der Kommission weitgehend vorbeigegangen ist?

Andere Elemente des Maßnahmenkatalogs sind weniger eindeutig zu bewerten. Wenn menschenwürdige und nachhaltige Mindestlöhne empfohlen werden und atypische Arbeitsverträge unterbunden werden sollen, dann kann man auch hier im Prinzip nur zustimmen. Aber man sollte doch fragen, ob es für diese sensiblen Themen tatsächlich adäquate Lösungen für die EU insgesamt gibt oder ob hier nicht jedes Land seinen eigenen Weg gehen sollte, der für den jeweiligen Entwicklungsstand der betreffenden Volkswirtschaft und die jeweilige Arbeitsmarktsituation angemessen ist. Das Prinzip der Subsidiarität, das bei den Verhandlungen um die Maastrichter Verträge vor zwanzig Jahren noch eine so große Rolle gespielt hatte, ist für die Kommission mittlerweile offenbar zum Fremdwort geworden. Einheitliche Mindestlöhne und hohe Sozialstandards über die gesamte EU hinweg nützen letztlich den hochentwickelten Ländern und verschaffen ihnen einen quasi-protektionistischen Schutz gegen die unliebsame Konkurrenz aus den weniger entwickelten EU-Ländern. Doch selbst wenn diese Bedenken nicht geteilt würden, müsste man sich fragen, weshalb die nationalen Regierungen nicht selbst auf die Idee kommen würden, über Mindestlöhne und atypische Arbeitsverträge nachzudenken und weshalb es dafür eines EU-Beschäftigungspakets bedarf.

Vollends deplatziert erscheint die dritte Maßnahmengruppe des Beschäftigungspakets, in der es um die Identifizierung künftiger Wachstumsbranchen geht. Die Kommission empfiehlt eine aktive Beschäftigungsförderung in der „grünen“ Wirtschaft, im IKT-Bereich, bei personenbezogenen Dienstleistungen und im Gesundheitswesen. Die Vermutung, hier werde sich die Arbeitsnachfrage besonders dynamisch entwickeln, mag ja noch plausibel erscheinen. Die Vermutung, diese Dynamik würde sich nur entfalten, wenn es entsprechend ausgestaltete nationale Beschäftigungspläne gibt, ist schon schwerer nachvollziehbar. Die Vermutung schließlich, nationale Beschäftigungspläne erforderten als Grundlage ein EU-weites Beschäftigungspaket, ist schlichtweg absurd.

Hier fühlt man sich bei der Lektüre der Kommissions-Dokumente an die 1980er Jahre erinnert, in denen die Vorstellung weitverbreitet war, der Staat hätte ein überlegenes Wissen über die Gewinner im Strukturwandel und könne über eine Picking-the-Winners-Strategie die gesamte Volkswirtschaft auf einen höheren Wachstumspfad heben. Das große Vorbild für eine solche Investitionslenkung war damals Japan, das mittlerweile alles andere als ein Vorbild für nachahmenswerte wirtschaftspolitische Strategien gilt. Man kann nur hoffen, dass es der Kommission nicht gelingen möge, dieses interventionistische Gedankengut in der Europäischen Union zu verbreiten.

Weitaus besser nachvollziehbar sind jene Elemente des vorgeschlagenen Beschäftigungspakets, in denen es um die Verbesserung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU geht. Als Themenbereiche benennt das Paket hier unter anderem die bessere Übertragbarkeit von Renten- und Pensionsansprüchen in andere EU-Länder, die bessere steuerliche Behandlung von Grenzgängern und die Verbesserung der Informationsgrundlagen über die Arbeitsmarktbedingungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten. Außerdem soll das EURES-Portal für Arbeitsuchende ausgebaut werden. Hier besinnt sich die Kommission auf ihre Kernaufgabe als „Hüterin der Verträge“ und bewegt sich auf dem Terrain ihrer ureigenen Kompetenzen. Angesichts der erheblichen Unterschiede in den Arbeitslosenquoten zwischen den Mitgliedsländern dürfte der Bedarf für grenzüberschreitende Arbeitskräftemobilität in der EU gegenwärtig so hoch sein wie schon lange nicht mehr.

Das Beschäftigungspaket im Kontext der Euro-Pakte

Die Kommission möchte ihren Vorschlag eines Beschäftigungspakets im September 2012 auf einer hochrangigen Konferenz zur Diskussion stellen. Ob sie sich mit dem darin enthaltenen Maßnahmenkatalog oder mit Teilen daraus durchsetzen wird, ist schwer vorhersehbar. Leichter vorhersehbar ist dagegen, dass die Diskussionen um das Beschäftigungspaket nahtlosen Anschluss finden werden an die Diskussionen um den (bislang lediglich als Denkmodell existierenden) europäischen Wachstumspakt, der vielerorts als unabdingbare Ergänzung des gerade im parlamentarischen Abstimmungsprozess befindlichen Fiskalpakts gilt. Auf Fiskal- und Wachstumspakt hat die Europäische Kommission nur sehr begrenzten Einfluss, da diese Pakte Vereinbarungen nur unter ausgewählten und nicht unter allen EU-Ländern darstellen. Wenn die Kommission dennoch im Spiel mitmischen möchte, muss sie eine eigene Initiative mit eigenem Namen vorschlagen. Um den Intentionen des Beschäftigungspakets gerecht zu werden, ist es also sinnvoll und notwendig, das Paket in einen größeren Zusammenhang zu stellen.

Hinter den Diskussionen zum Wachstumspakt steht offenkundig die Vorstellung, die hohe Arbeitslosigkeit in verschiedenen EU-Ländern stelle letztlich die Folge einer allzu rigorosen staatlichen Sparpolitik dar. Diese Betonung der Nachfrageschwäche, die auch hierzulande von vielen Beobachtern geteilt wird, ist bei näherem Hinsehen nur schwer nachvollziehbar. Haben sich denn Länder wie Spanien, in denen die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist, tatsächlich „kaputtgespart“? Wenn ein staatliches Haushaltsdefizit in Höhe von 8,9% des Bruttoinlandsprodukts, wie es Spanien 2011 verbuchen musste, als übermäßig restriktiv gilt, dann muss man fragen, wie hoch denn ein neutrales, die Beschäftigung nicht abwürgendes Defizit auszufallen hätte.

Differenzierte Arbeitsmarktentwicklung in den EU-Ländern

Wie auch immer man die Beziehungen zwischen Beschäftigungspaket und Wachstumspakt bewertet – beiden gemeinsam ist, dass sie nach EU-einheitlichen Lösungsmustern streben. Tatsächlich ist aber nicht nur das Ausmaß der Arbeitslosigkeit in den EU-Ländern sehr unterschiedlich, auch für die Ursachen der Arbeitslosigkeit sind für jedes Land unterschiedliche Erklärungsansätze notwendig. Unterschiedliche Ursachen erfordern in aller Regel auch unterschiedliche Therapien.

Griechenland und Italien beispielsweise, die besonders hohe Arbeitslosenquoten aufweisen, hatten offenbar in der Euphorie über die niedrigen Realzinsen in der Eurozone den Blick dafür verloren, dass hoher staatlicher und privater Konsum auf Dauer nicht auf Kredit finanziert werden kann. Hier hat nicht ein gesamtwirtschaftlicher Nachfragemangel in die Arbeitsmarktkrise geführt, sondern im Gegenteil eine kreditfinanzierte Übernachfrage. Für diese Länder führt kein Weg daran vorbei, die überzogenen Ansprüche an das erwirtschaftete Sozialprodukt durch Reallohnsenkungen und staatliche Leistungskürzungen zu korrigieren. Das ist ein schmerzhafter Prozess, der keine kurzfristige Entlastung bei der Arbeitslosigkeit bringt, sondern zunächst einmal noch tiefer ins konjunkturelle Tal führt, aber er ist letztlich unvermeidbar. Ähnliches gilt für Portugal, wo die wirtschaftliche Leistung ebenfalls nicht mit den Einkommensansprüchen Schritt gehalten hat und am Zurückschrauben der Einkommensansprüche kein Weg vorbei führt. Ein EU-Beschäftigungspaket kann daran wenig ändern, auch wenn es den populären Fehler vermeidet, zur Lösung der Strukturprobleme auf konjunkturpolitische Instrumente zu setzen.

Andere Hintergründe hat die hohe Arbeitslosigkeit in Spanien. Dort war der Staatshaushalt vor Ausbruch der Subprime-Krise 2008 weitgehend ausgeglichen, und die Staatsschuldenquote war niedrig. Statt des Staates waren allerdings die Privathaushalte in die Schuldenfalle getappt, da sie angesichts der niedrigen Realzinsen in eine Immobilienblase hineinrutschten, deren Folgen bis heute weder von ihnen noch von den spanischen Banken verdaut sind. Auch zur Lösung dieser Probleme sind die Vorschläge aus dem Beschäftigungspaket völlig unzureichend.

Auch in Irland sind es die Banken, die zur Ruinierung einstmals solider Staatsfinanzen geführt haben. Dahinter steht letztlich der Zusammenbruch des irischen Wachstumsmodells, das vor allem auf eine Expansion des Finanzsektors setzte, der durch besonders großzügige Regulierungen ins Land gelockt wurde. Auch hier – genau wie in Spanien – haben üppige Staatsgarantien die Probleme für marode Banken auf überflüssige Weise potenziert. Nicht zuletzt aufgrund dieser Garantien, die zeitweise rund das Doppelte des irischen Sozialprodukts ausmachten, schoss die irische Staatsschuldenquote von weniger als 30% im Jahr 2007 auf heute über 80% empor. In Irland liegt das Problem vor allem in einer zugunsten des Finanzsektors verzerrten Wirtschaftsstruktur. Wie soll dieses Strukturproblem durch ein europaweites Beschäftigungspaket gelöst werden?

Weder in Spanien noch in Irland wäre es vermutlich eine gute Idee gewesen, maroden Banken jede Unterstützung zu versagen. Denn die zu befürchtenden Dominoeffekte aufgrund systemischer Effekte wären wohl groß gewesen. Doch warum gleich der gesamte Bankensektor gerettet werden musste und nicht nur ihre systemischen Produkte, das werden letztlich wohl nur die Bankenvertreter selbst beantworten können.

Dass es auch anders geht, zeigt der Fall Island. Dort war ein ähnliches Wirtschaftsmodell verfolgt worden wie in Irland, d.h. es wurde auf die Expansion des Finanzsektors gesetzt, der mit laxen Regulierungen ins Land gelockt wurde. Auch hier gerieten die Banken in Not, als die Subprime-Party zu Ende war, aber der isländische Staat, der ja als Nicht-EU-Land nur begrenzten Zugang zu internationalen Rettungsschirmen hatte, war gar nicht in der Lage, hohe Summen an Staatsgeldern in seine maroden Banken zu pumpen. Die Landung der isländischen Wirtschaft nach Ausbruch der Finanzkrise war hart und heftig, aber zumindest der Anstieg der Arbeitslosigkeit hielt sich in Grenzen.

Die Arbeitslosenquote liegt heute mit 6,6% weit unter dem EU-Durchschnitt von 10,3%. Auf längere Sicht dürfte Island deshalb weitaus besser auf den Wachstumspfad zurückfinden als Spanien oder Griechenland, da es weniger Langzeitschäden durch Arbeitslosigkeit hinnehmen muss. Dabei war es kein staatliches Beschäftigungsprogramm, sondern vor allem die massive Abwertung der isländischen Krone, mit der die isländische Wirtschaft aus der Talsohle herausfand. In einer Währungsunion besteht diese Option natürlich nicht. Hier bleibt als entsprechende Maßnahme, mit der die Wettbewerbsfähigkeit zurückgewonnen werden kann, nur die explizite Reallohnsenkung, die auf Island auf indirektem Wege über die Abwertung erzielt wurde.

Erfreulicher ist die Arbeitsmarktlage in Deutschland, aber auch in Österreich, Luxemburg, den Niederlanden und den skandinavischen Ländern. Hier liegen die Arbeitslosenquoten in einer ähnlichen Größenordnung wie auf Island, teilweise sogar noch erheblich darunter. Hier könnte eine zentral auf europäischer Ebene gesteuerte und koordinierte Beschäftigungspolitik die insgesamt recht erfolgreich verlaufende Arbeitsmarktentwicklung eher stören als befördern.

Subsidiarität

Zu diesen Kurzdiagnosen der Arbeitsmarktprobleme in Europa gebe es sicherlich vieles hinzuzufügen und möglicherweise auch zu korrigieren. Doch darauf kommt es hier nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass Ausmaß und Ursachen der Arbeitslosigkeit in den verschiedenen Ländern höchst unterschiedlich sind. Entsprechend unterschiedlich sollten auch die wirtschaftspolitischen Reaktionen ausfallen. Eine Salami-Taktik der Europäischen Kommission, mit der sie versucht, scheibchenweise die Kompetenz für eine uniforme Beschäftigungspolitik über die gesamte Europäische Union hinweg zu erlangen, könnte auf den Arbeitsmärkten der Mitgliedsländer mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften. Eine Rückbesinnung auf die in Artikel 3b des Vertrags über die Europäische Union verankerten Grundsätze der Subsidiarität wäre die bessere Alternative.

Arbeitsmarktpolitik in der EU

„Einen arbeitsplatzintensiven Aufschwung gestalten“, so wird ein neues arbeitsmarktpolitisches Programm der Europäischen Kommission etwas vollmundig überschrieben.1 Um dieses Programm bewerten zu können, muss man sich zuvor vergegenwärtigen, welche Rolle Arbeitsmarktpolitik bei der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und der Förderung von Wachstum spielen kann und ob sie in der Lage ist, die negativen Wirkungen der gegenwärtigen Austeritätspolitik in der Europäischen Union auszugleichen.2 Weiterhin ist zu fragen, ob die Europäische Kommission überhaupt über wirkungsvolle Instrumente und Einflussmöglichkeiten verfügt oder ob Arbeitsmarktpolitik nicht weitgehend auf nationaler Ebene gestaltet wird.

Die Rolle von Arbeitsmarktpolitik in der Krise

Arbeitslosenversicherungen wirken als eingebaute Stabilisatoren, deren Ausgaben in der Krise steigen und durch die Arbeitslosenunterstützung den Konsum stabilisieren. Diese Funktion erfüllt sie nur, wenn nicht prozyklisch die Leistungsansprüche von Arbeitslosen gekürzt werden. Die Wirkungen der eingebauten Stabilisatoren sind zudem am größten, wenn sie durch Konjunkturprogramme, wie in der Finanzkrise 2008/2009, ergänzt werden.

Eine zweite wichtige Funktion der Arbeitsmarktpolitik besteht in der vorübergehenden Sicherung von Beschäftigung. Durch die zeitlich befristete Finanzierung von Kurzarbeit in vielen europäischen Ländern konnten in vielen Unternehmen Beschäftigungstäler überbrückt werden. Der rasche Aufschwung in Deutschland 2010 und 2011 war nur möglich, da die Unternehmen ihre qualifizierten Arbeitskräfte behalten hatten und nicht erst zeit- und kostenaufwändig neue Kräfte rekrutieren und qualifizieren mussten. Kaum beachtet sind die positiven Nebeneffekte dieser internen Flexibilität auf die Effektivität der Betreuung von Arbeitslosen. Bei einer starken Zunahme der Arbeitslosigkeit sinkt die Betreuungsintensität und Servicequalität bei praktisch allen aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, wie der Potentialanalyse, der Vermittlung oder der Qualifizierung. Genau dieser Negativeffekt konnte in den Ländern mit hohen Kurzarbeitanteilen vermieden werden.3

Viele der angebotsbezogenen Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik, wie etwa Lohnsubventionen für Zielgruppen, verlieren bei Arbeitsplatzmangel an Wirkung. Die Unternehmen können sich aus dem Pool der Arbeitslosen die Qualifiziertesten aussuchen und trotz hoher Subventionen steigt die Arbeitslosigkeit dieser Zielgruppen meist überproportional. Genau aus diesen Gründen werden in einer Krise überbrückende Maßnahmen wie Arbeitsplatzschaffung oder längere Bildungsmaßnahmen an Bedeutung gewinnen müssen, wenn die Arbeitslosigkeit bestimmter Zielgruppen verringert werden soll.

Schließlich ist die Rolle von Arbeitsmarktregulierungen zu bedenken. Eine Deregulierung des Arbeitsmarktes etwa durch eine Erleichterung von Kündigungen oder der Beschäftigung befristeter Arbeitskräfte und von Leiharbeitern kann im Aufschwung zwar Einstellungen beschleunigen, wird aber im Abschwung, in dem wir uns gegenwärtig befinden, den Arbeitsplatzabbau beschleunigen. Wenn man sich leichter von Arbeitskräften trennen kann, werden die Unternehmen auch weniger engagiert nach internen Lösungen, also etwa Kurzarbeit, suchen.

Die arbeitsmarktpolitischen Vorschläge der Kommission

Wie viele EU-Dokumente dieser Art ist das erwähnte arbeitsmarkpolitische Programm in einer für den Außenseiter schwer zu verstehenden Amtssprache verfasst und versucht, kaum zu überbrückende Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Kommission und den Mitgliedsländern einen logischen Anstrich zu geben. Wenn man den Schleier der diplomatischen Formulierungen lüftet, bleibt ein Sammelsurium von widersprüchlichen Vorschlägen übrig.

Die begrenzte Rolle der Arbeitsmarktpolitik wird an einigen Stellen deutlich angesprochen. Wachstum müsse vorrangig durch makroökonomische Maßnahmen und Innovation angestoßen werden.4 Dazu gehören auch kräftige Lohnerhöhungen in den Ländern mit Handelsbilanzüberschüssen. Die Kritik an den geringen Lohnsteigerungen in Deutschland, die die europäische Krise verschärft haben, ist jedoch kaum erkennbar. Immerhin werden Lohnerhöhungen in den Ländern gefordert, in denen die Löhne hinter der Produktivitätsentwicklung zurückgeblieben sind.5 Leistungskürzungen der Arbeitslosenunterstützungen werden wegen des wachsenden Armutsrisikos abgelehnt.6 Ihre Funktion als eingebaute Stabilisatoren wird allerdings nicht gesehen.

Enttäuschend ist die Sprachlosigkeit zum Europäischen Sozialfonds mit seinen beträchtlichen Mitteln, die oft nicht ausgeschöpft worden sind. Allein für diesen Fonds sind für 2007 bis 2013 rund 76 Mrd. Euro – und 2014 bis 2020 sind immerhin 84 Mrd. Euro vorgesehen. Eine Aufstockung dieser Mittel und eine Konzentration auf die besonders betroffenen europäischen Länder könnten durchaus positive gesamtwirtschaftliche Auswirkungen haben. Wenn man noch die Regionalfonds und die europäische Agrarpolitik hinzunimmt, erkennt man schnell, dass wir längst in einer Transferunion leben, ohne dass jedoch die Mittel immer dort ankommen, wo sie am meisten gebraucht werden. Die Idee, die Fonds antizyklisch aufzustocken oder stärker auf besonders krisenbetroffene Länder zu konzentrieren, wird zwar hinter den Kulissen heftig diskutiert, hat aber bislang nur zu wenigen fassbaren Ergebnissen geführt. Das seit Monaten von EU-Politikern angemahnte arbeitsmarkpolitische Sonderprogramm für Jugendliche in Ländern mit dramatisch hoher Jugendarbeitslosigkeit soll unter dem Stichwort „Jugendgarantien“, wofür 7,3 Mrd. Euro vorgesehen sind,7 erst bis Ende 2012 konkretisiert werden.

Der Arbeitspolitik wird weitgehend eine komplementäre Rolle bei der Erleichterung von Übergängen und der Erhöhung der Passgenauigkeit der Qualifikationen zugewiesen. Die Hoffnung, durch arbeitsmarktpolitische Qualifizierungsmaßnahmen das Beschäftigungswachstum in der „grünen“ Wirtschaft, im IT-Bereich und in den Gesundheits- und Sozialbranchen anstoßen zu können und somit in großem Maße Industriepolitik betreiben zu können, ist kaum realistisch. Die meisten der benötigten Qualifikationen werden in der Erstausbildung vermittelt. Der arbeitsmarktpolitischen Weiterbildung kann hier nur eine ergänzende Rolle zukommen, wenn auch in neue Qualifikationen investiert wird. Die industriepolitischen Impulse bleiben aber gänzlich aus, wenn Arbeitslose nur Zugang zu kurzfristigen Anpassungsmaßnahmen, wie Bewerbertraining, haben. Das ist mittlerweile in fast allen Ländern außer den skandinavischen der Fall. Mit den Hartz-Gesetzen wurden trotz guter Evaluationsergebnisse die längerfristigen Umschulungen mit Berufsabschlüssen fast eingestellt, so dass in Deutschland die Arbeitsmarktpolitik als industriepolitischer Akteur ausfällt und noch nicht einmal einen ernsthaften Beitrag zur Verringerung des Fachkräftemangels leisten kann.8

Als arbeitsmarktpolitisches Leitbild in der EU hat sich der Begriff „Flexicurity“ herausgebildet. Danach sollen wachsende Anforderungen an die Flexibilität der Beschäftigten mit Sicherheit bei Beschäftigungsübergängen verbunden sein. Die Arbeitsverwaltungen sollen in „Agenturen für das Übergangsmanagement“ umgewandelt werden, die den Beschäftigten im gesamten Erwerbsleben aktive und passive Maßnahmen anbietet.9 Das klingt gut, bleibt aber nicht mehr als Wortgeklingel. Vor allem finden sich keine Aussagen zur Finanzierung solcher umfassenden Ansprüche, wie etwa auf Hilfen zum lebenslangen Lernen. Allein die Umbenennung der Bundesanstalt für Arbeit in Bundesagentur für Arbeit hat – nach Angaben von Insidern – rund 20 Mio. Euro gekostet, ohne dass dadurch die Leistungen besser geworden wären.

Ungebrochen ist der Glaube an angebotsbezogene Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik. Einstellungszuschüsse, werden ebenso wie geringere Steuerbelastungen und Absenkungen der Sozialversicherungsbeiträge insbesondere für Arbeitgeber ebenso gefordert wie höhere Aufstockungsleistungen für Geringverdienende.10 Dass solche Maßnahmen oft in Dauersubventionen der Unternehmer mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen und zu Drehtüreffekten beim Auslaufen der Einstellungszuschüsse führen, wird nicht thematisiert.

Enttäuschend sind die Aussagen zu den positiven Erfahrungen mit Kurzarbeit. Ihre positiven Effekte werden zwar gewürdigt, eine Wiederholung in gleichen Dimensionen wird aber wegen budgetärer Zwänge nicht für möglich gehalten.11 Deutlich zielführender sind die Aussagen zu prekären Beschäftigungsformen. Die Hoffnungen, dass solche Beschäftigungsformen als Sprungbrett in dauerhafte Beschäftigung dienen könnten, hätten sich in den meisten Fällen nicht erfüllt. Die Kommission mahnt daher an, die exzessive Nutzung atypischer Beschäftigungsverhältnisse zu stoppen. Zudem sollte sichergestellt werden, dass alle Beschäftigungsformen Zugang zu einem harten Kern von sozialen Ansprüchen, einschließlich von Ruhestandsansprüchen und Zugang zum lebenslangen Lernen gewährleisten.12 Hingewiesen wird auf die EU-Richtlinien zur Gleichbehandlung von Teilzeit, befristeter Beschäftigung und Leiharbeit, die allerdings in Deutschland bei der Leiharbeit und den Mini-Jobs in der Praxis nicht eingehalten werden. Diese wichtige Grundidee ist allerdings nicht zu einem neuen Projekt einer neuen EU-Richtlinie verdichtet worden.

Weitere Vorschläge in dem Dokument zielen auf eine Erleichterung grenzüberschreitender Mobilität. Die Kommission hält die grenzüberschreitende Mobilität in Europa für zu gering, was angesichts der großen Mobilitätsströme in der Vergangenheit eine fragwürdige These ist. Gleichwohl sind die vorgeschlagenen Maßnahmen, die Anerkennung von Berufsqualifikationen zu verbessern, Ruhegehaltsansprüche übertragbar zu machen und Mindeststandards für den Erwerb und die Wahrung von Zusatzpensionen festzulegen, sinnvoll. Problematisch ist der Vorschlag, die Übergangsfristen des freien Arbeitsmarktzugangs für bulgarische und rumänische Arbeitskräfte aufzuheben.13 Das Problem der grenzüberschreitenden Arbeitskräftewanderung liegt dabei weniger in den quantitativen Dimensionen. Hier ist mit Recht darauf hingewiesen worden, dass die Erhöhung des Arbeitsangebots in den Zuwandererländern nur geringe Auswirkungen auf Löhne hat.14 Problematischer ist die Aushebelung nationaler Tarifverträge über Entsendungen. Wenn ausländische Unternehmen mit eigenen Arbeitskräften Leistungen in andere EU-Länder durchführen, dann können sie nach dem Ursprungslandprinzip dies mit den Arbeitsbedingungen des Herkunftslandes tun. Damit entstehen „Inseln fremden Arbeitsrechts“.15 Nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz können zwar Mindestbedingungen für Werkvertragsnehmer festgesetzt werden. Der europäische Gerichtshof (EuGH) hat jedoch durch mehrere Urteile (Laval, Viking, Rueffert) den Vorrang des Wettbewerbsrechts gegenüber nationalem Arbeitsrechts unterstrichen und der Regulierung der Arbeitsbedingungen von Werkvertragsnehmern enge Grenzen gesetzt.16 Hierdurch geraten nationale Lohnsysteme in direkte Konkurrenz, was angesichts der hohen Lohnunterschiede in der Europäischen Union die Sozialstandards in den höher entwickelten EU-Ländern nachhaltig gefährden kann und den Lohnwettbewerb nach unten weiter anheizt.

EU-Arbeitsmarktpolitik in der Krise weitgehend wirkungslos

Die arbeitsmarktpolitischen Vorschläge der EU sind aus unterschiedlichen Gründen ein Ausdruck der Hilflosigkeit:

  • Erstens fehlt die angemahnte Einbindung der Arbeitsmarktpolitik in eine europäische Wachstumspolitik. Selbst wenn es gelänge, die europäischen Strukturfonds antizyklisch aufzustocken, würde dies nicht die negativen Wirkungen der jetzigen Austeritätspolitik auffangen. Im besten Fall könnten einige – den jetzigen Streichungen zum Opfer gefallene – nationale Bildungs- und Arbeitsmarktprogramme mit europäischen Mitteln fortgesetzt werden.
  • Zum Zweiten ist der Funktionswandel der Arbeitsmarktpolitik in einer tiefen Wirtschaftskrise nicht verstanden worden. Bei hohem Arbeitsplatzangebot ist die Konzentration auf eine schnelle Vermittlung möglich. In der Finanzkrise hat die OECD die Grenzen einer „work-first“-Politik in Zeiten eines hohen Arbeitsplatzdefizits erkannt und Überbrückungsmaßnahmen, wie „train-first“, gefordert.17 Hinzu gekommen sind noch die beschäftigungsstabilisierenden Maßnahmen (Arbeitszeitkonten, Kurzarbeit),18 die unter dem Stichwort „retain-first“ zusammenzufassen sind. Von einem solchen Paradigmenwechsel ist im Dokument der EU wenig zu finden.
  • Zum Dritten fehlen der EU auch die Instrumente. Die Arbeitsmarktpolitik ist grundsätzlich Aufgabe der Mitgliedstaaten. Die EU kann über eine Kofinanzierung zwar die arbeitsmarktpolitischen Ausgaben etwas erhöhen, Leitideen und grobe Vorgaben für die Mittelverwendung formulieren und über Peer-reviews den Erfahrungsaustausch verbessern. Die Details werden aber in den Mitgliedsländern mit völlig unterschiedlichen Institutionen und Budgets geplant. Die Dänen und Schweden fördern langfristige Umschulungen, die Briten setzen auf kurze Einweisungen und schnelle Vermittlung. Die neue EU-Kunstsprache verhindert nicht, dass „we are separated by the same language“, wie Berndhard Shaw einmal das Verhältnis zwischen den USA und Großbritannien bezeichnet hat. Jedes Land in Europa versteht daher unter „Flexicurity“ etwas anderes und auf europäischer Ebene redet man unter Nutzung der gleichen Begriffe völlig aneinander vorbei. Dies wird noch eines der größten Probleme bei der Umsetzung der geplanten „Jugendgarantien“ sein. Das duale System der Berufsausbildung gilt wegen seiner guten Übergangsraten in Beschäftigung europaweit als Vorbild. In Ländern ohne eine solches System – und das sind alle EU-Länder mit hoher Jugendarbeitslosigkeit – wird es jedoch kaum möglich sein, in kurzer Zeit ein großes Angebot an qualitativ hochwertiger Berufsausbildung unter Beteiligung der Betriebe anzubieten. Solche bildungspolitischen Großprojekte brauchen einen erheblich längeren Zeitrahmen. So ist nicht auszuschließen, dass in den nächsten Jahren erhebliche EU-Mittel in nicht nachhaltigen Bildungsmaßnahmen für Jugendliche versickern werden.
  • Viertens gibt es im Kernbereich europäischer Kompetenzen, also der Regulierung von Arbeitsbedingungen über Richtlinien, keine überzeugenden Projekte. Die bessere soziale Absicherung prekärer Beschäftigungsverhältnisse ist angesprochen, aber noch nicht in Eckpunkte einer Regulierung übersetzt worden. Die Aufhebung der Übergangsbestimmung für die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien wäre vertretbar, wenn im Gegenzug der Import schlechter Arbeitsbedingungen aus anderen EU-Ländern eingeschränkt würde. Die politische Schwäche des europäischen Projekts zeigt sich aber daran, dass eine solche sozialpolitische Abfederung eines größeren europäischen Arbeitsmarktes politisch kaum noch durchsetzbar ist.
  • 1 Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Einen arbeitsplatzintensiven Aufschwung gestalten, COM(2012), 173 final, Brüssel 2012.
  • 2 Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK): Fiskalpakt belastet Euroraum, Gemeinsame Diagnose des Makro-Konsortiums, in: IMK Report, Nr. 71, Düsseldorf, März 2012.
  • 3 G. Bosch: Responses to the recession: from „work-first“ to „train and retain first“ Thematic Review Seminar on „The way forward – exit strategies for crisis-related measures with regards to the Europe 2020 Strategy“, 29. Juni 2010, http://www.mutual-learning-employment.net/uploads/ModuleXtender/Trscontent/39/Bosch_paper_for_spring_2010_-_English.pdf (5.6.2012).
  • 4 Europäische Kommission, a.a.O., S. 2.
  • 5 Ebenda, S. 6.
  • 6 Ebenda, S. 12.
  • 7 Handelsblatt vom 5.6.2012, S. 9.
  • 8 G. Bosch: Berufliche Weiterbildung in Deutschland 1969 bis 2010: Entwicklung und Reformoptionen, in: S. Bothfeld, W. Sesselmeier, C. Bogedan (Hrsg.): Arbeitsmarktpolitik in der sozialen Marktwirtschaft: vom Arbeitsförderungsgesetz zum Sozialgesetzbuch II und III, 2. Aufl., Wiesbaden 2012 (im Erscheinen).
  • 9 Europäische Kommission, a.a.O., S. 14.
  • 10 Ebenda, S. 5.
  • 11 Ebenda, S. 11.
  • 12 Ebenda, S. 13.
  • 13 Ebenda, S. 22.
  • 14 European Integration Consortium (IAB, CMR, fRDB, GEP, WIFO, wiiw): Arbeitsmobilität in der EU vor dem Hintergrund der Erweiterung und dem Funktionieren der Übergangsregelungen, Studie im Auftrag der Generaldirektion Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit der Europäischen Kommission, Nürnberg 2009, http://www.frdb.org/upload/file/Final_Report.pdf (5.6.2012).
  • 15 P. Hanau: Sozialdumping im Binnenmarkt, in: J. F. Baur, C. Watrin (Hrsg.): Recht und Wirtschaft der Europäischen Union, in: R.I.Z. Schriften, Bd. 6, Berlin, New York 1997, S. 147.
  • 16 G. Bosch: Transnational labour markets and national wage setting systems in the EU, Vortrag auf dem ILERA World Congress, Philadelphia, 1.-6. Juli 2012.
  • 17 OECD: Employment Outlook, Paris 2009, S. 14.
  • 18 Ebenda, S. 48.

Mit Beschwörungsformeln gegen die Ratlosigkeit

Auch wenn die sozialistische Planwirtschaft in Europa inzwischen untergegangen ist, eines ihrer Kernprobleme hat überlebt: Die Wahnvorstellung, dass man Märkte, insbesondere Arbeitsmärkte, durch zentrale politische Zielvorgaben steuern könne. Davon befallen ist die Europäische Kommission. Seit 2010 gilt die sogenannte Strategie „Europa 2020“, die unter anderem vorsieht, bis 2020 europaweit eine Erwerbsquote von 75% unter den 20- bis 64-Jährigen zu erreichen. Davor galt die sogenannte Lissabon-Strategie. Sie sah unter anderem vor, dass die Frauenerwerbsquote bis 2010 auf mindestens 60% steigen sollte und die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen auf mindestens 50%. Darüber hinaus hätte sich Europa nach den Vorgaben der Kommission bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt entwickelt haben müssen. Dumm nur, dass sich die Arbeitsmärkte um all dies offenbar nicht scheren.

Strukturelle Schwäche der Kommission

Es gehört nicht viel dazu, um prognostizieren zu können, dass das von der Kommission im April dieses Jahres angekündigte Beschäftigungspaket vom gleichen Schicksal ereilt werden wird, wie die zahlreichen Initiativen davor. Sich Ziele zu setzen macht nur Sinn, wenn man eine Vorstellung davon entwickelt, auf welchem Weg diese Ziele erreicht werden können. Der damit verbundenen Mühe weicht die Kommission beharrlich – wenn auch aus durchaus nachvollziehbaren Gründen – aus. Die Umsetzung von Handlungsstrategien zur Erreichung ehrgeiziger Ziele erzeugt in aller Regel Widerstände bei den Betroffenen. Gäbe es diese Widerstände nicht, brauchte man wohl auch in den seltensten Fällen eine Zielvorgabe. Da der Kommission die Macht fehlt, solche Widerstände insbesondere auf der nationalen Ebene zu überwinden, flüchtet sie sich vornehm in die Rolle einer politischen Rating-Agentur.

Die Umsetzung der Zielvorgaben wird stattdessen an die nationalen Regierungen delegiert, die – die Planwirtschaft lässt grüßen – nationale Beschäftigungspläne ausarbeiten sollen. Die Kommission beschränkt sich dagegen auf Monitoring und Benchmarking in der Hoffnung, dass dies auf der Ebene der Mitgliedstaaten Handlungsdruck erzeugt. Um ihre Handlungsunfähigkeit zu kaschieren, verbrämt die Kommission ihr Tun als Methode der offenen Koordinierung. Wenn sie sich dann doch einmal zu konkreten Empfehlungen an die Mitgliedsländer durchringt, handelt es sich meist um solche, die niemandem weh tun. Viel Wirkung sollte man sich davon nicht versprechen.

Geradezu verwegen mutet es an, wenn die Kommission in ihrer Pressemitteilung zu dem neuen Beschäftigungspaket Weisheiten für sich reklamiert, die den einzelnen Mitgliedstaaten bislang aus unerfindlichen Gründen anscheinend entgangen waren: „Der Vorschlag konzentriert sich auf die Nachfrageseite und zeigt den Mitgliedstaaten Möglichkeiten auf, durch eine geringere Besteuerung von Arbeit und die Förderung von Unternehmensgründungen Arbeitsplätze zu schaffen.“ Faktisch handelt es sich hier um ein implizites Eingeständnis der eigenen Hilflosigkeit. Nicht nur, weil es im Informationszeitalter kein exklusives wirtschafts- und beschäftigungspolitisches Wissen gibt, das die Kommission großzügigerweise an die Mitgliedstaaten weiterreichen könnte, sondern weil die konkreten Vorschläge von den jeweiligen nationalen institutionellen Kontexten abstrahieren und sich damit einer Reflektion über die spezifischen Wirkungszusammenhänge entziehen. Es macht einen großen Unterschied, ob die empfohlenen Lohnkostenzuschüsse in einem Kontext mit oder ohne ausgebautes soziales Sicherungssystem gewährt werden. Wer nicht verstanden hat, warum Kurzarbeiterregelungen in Deutschland erfolgreich dazu beigetragen haben, die Krise zu überstehen, versteht auch nicht, warum das gleiche Instrument in Großbritannien gar nicht wirken kann. Und wer glaubt, dass sich mit einer Verlagerung der Steuer- und Abgabenbelastung weg vom Faktor Arbeit hin zum Konsum die Arbeitsnachfrage entscheidend ankurbeln lässt, sollte sich zumindest einmal mit der Frage beschäftigt haben, warum Deutschland so erfolgreich mit einem genau entgegengesetzten Konzept fährt. Ohne ein solches analytisches Verständnis sind die Empfehlungen nicht viel mehr wert als das Papier auf dem sie stehen.

Würde es die Kommission jedoch wagen, analytischen Tiefgang zu zeigen, würde sie augenblicklich die Widerstände hervorrufen, die sie offenbar so sehr fürchtet, denn aus einer zutreffenden Analyse folgt ziemlich zwingend der Handlungsbedarf, der wiederum Durchsetzungsfähigkeit erfordert. Die Kommission befindet sich hier offenbar in einem Teufelskreis. Weil ihr die Durchsetzungsfähigkeit auf der nationalen Ebene fehlt, beschränkt sie sich auf Empfehlungen nach dem Motto „Allen wohl und niemand weh“. Weil sie den Konflikt scheut, wird sie nicht ernst genommen. Und wer nicht ernst genommen wird, setzt sich auch nicht durch.

Gesichtswahrung durch den ESF

Um wenigstens den Anschein der Handlungsfähigkeit wahren zu können, steht der Kommission der Europäische Sozialfonds (ESF) zur Verfügung. Neben dem Monitoring und Benchmarking ist das ihr wichtigstes arbeitsmarktpolitisches Handlungsinstrument. Für den Zeitraum von 2007 bis 2013 ist hierfür ein Budget von ca. 75 Mrd. Euro vorgesehen. Pro Jahr macht das im Durchschnitt gut 10 Mrd. Euro aus. Zum Vergleich: Aufs Jahr gerechnet sind das für ganz Europa nur etwa zwei Drittel dessen, was allein die Bundesagentur für Arbeit pro Jahr für arbeitsmarktpolitische Instrumente in Deutschland verausgabt. Bei allem Respekt vor den Bemühungen der Bundesagentur für Arbeit: Kaum jemand wird ernsthaft behaupten, die Bundesagentur sei mit ihren Instrumenten die treibende Kraft hinter der Beschäftigungsentwicklung in Deutschland. Um wie viel weniger kann dann die Kommission mit den vergleichsweise bescheidenen Mitteln des ESF dazu beitragen, Europa zu einem prosperierenden Wirtschaftsraum zu entwickeln?

An der bescheidenen Reichweite des ESF ändert auch das Prinzip der Kofinanzierung nichts. ESF-Mittel fließen nämlich nur, wenn das jeweilige Mitgliedsland dazu bereit ist, eine angemessene Mitfinanzierung zu leisten. Man könnte deshalb der Illusion anheimfallen, das Volumen des ESF sei in Wirklichkeit weitaus höher, als es die Budgetzahlen erwarten lassen. Das wäre dann der Fall, wenn mit Hilfe des ESF Aktivitäten gefördert würden, die ansonsten gar nicht durchgeführt würden. Die Praxis deutet eher auf das Gegenteil hin. Der ESF wird genutzt, um Projekte finanzieren zu können, die so oder so durchgeführt worden wären. Von daher ist es für den allgemeinen Aktivitätspegel relativ gleichgültig, ob das notwendige Geld aus nationalen Fördertöpfen stammt oder erst den Umweg über Brüssel nehmen muss. Wenn der ESF also zusätzliche Wirkung auf der nationalen Ebene entfaltet, dann allenfalls in dem Umfang wie im Rahmen der innereuropäischen Umverteilung mehr Mittel zur Verfügung stehen, als dies ohne Umverteilung der Fall wäre. Das bedeutet aber automatisch, dass in den faktischen Geberländern weniger Mittel für vergleichbare Zwecke zur Verfügung stehen. Gesamteuropäisch ist somit wenig gewonnen.

Politikempfehlungen ohne Kontextverständnis

An vorderster Stelle der Empfehlungen der Kommission stehen Zuschüsse an Arbeitgeber für Neueinstellungen. In gleicher Linie steht Empfehlung Nr. 5, die Lohnkostenzuschüsse an Arbeitnehmer vorsieht. Einmal abgesehen davon, dass es ziemlich gleichgültig ist, ob Unternehmen bei gegebenen Marktlöhnen mehr Einstellungen vornehmen, weil sie einen Teil der Lohnkosten erstattet bekommen, oder weil Arbeitnehmer aufgrund von Lohnkostenzuschüssen bereit sind, für Löhne unterhalb des Marktlohns zu arbeiten, ist keineswegs erwiesen, dass sich mit solchen Instrumenten insgesamt mehr Beschäftigung schaffen lässt. Skepsis ist insbesondere deshalb angebracht, weil Mitnahme- und Substitutionseffekte hier eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Auch Verhaltensanpassungen können dafür sorgen, dass die Wirkung solcher Instrumente nicht nur verpufft, sondern womöglich gar in ihr Gegenteil verkehrt wird. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt dabei der jeweilige institutionelle Kontext.

Entstanden ist die Idee der Kombilöhne in den USA. Unter dem Motto „Making Work Pay“ wurde dort in den 1970er Jahren der Earned Income Tax Credit (EITC) eingeführt.1 Dabei handelt es sich faktisch um einen Lohnkostenzuschuss für gering entlohnte Tätigkeiten. Im Kontext eines ansonsten praktisch nicht existenten sozialen Sicherungssystems soll der EITC Menschen zu einem existenzsichernden Einkommen verhelfen. Es ging also in erster Linie darum, dem Problem der „working poor“ zu begegnen. Mit den positiven Erfahrungen in den USA fanden Lohnkostenzuschüsse auch in Deutschland und anderen Teilen Europas viele Anhänger. Was dabei bis heute vielfach übersehen wird, ist die Tatsache, dass Lohnkostenzuschüsse in einem sozialen Sicherungssystem mit einer relativ hohen Mindesteinkommenssicherung wie in Deutschland gänzlich anders wirken als in einem Kontext ohne Mindesteinkommenssicherung. Wie Simulationsrechnungen für Deutschland zeigen, können je nach Ausgestaltung sogar negative Beschäftigungseffekte auftreten.2 Die Kosten pro zusätzlichem Job können überdies erheblich sein. Der Grund dafür besteht in Verhaltensanpassungen, die dazu führen können, dass weitaus mehr Menschen die Förderberechtigung erlangen als die ursprünglich ins Auge gefasste Zielgruppe. Als generelle Empfehlung ohne Ansehen des institutionellen Hintergrunds sind Lohnkostenzuschüsse daher völlig ungeeignet. Ihrer Beliebtheit in der Politik scheint das dennoch keinen Abbruch zu tun. Der Grund dafür dürfte in einem vergleichsweise geringen Konfliktpotenzial liegen. Im Vordergrund steht die zu verteilende Wohltat, während die Konsequenzen für die Finanzierung diffus bleiben.

Was Lohnkostenzuschüsse bei Neueinstellungen anbelangt, existieren eine Reihe von empirischen Evaluationsstudien, die ebenfalls ein heterogenes Bild abgeben. Nach den für Deutschland vorliegenden Evaluationsergebnissen gehören die sogenannten Eingliederungszuschüsse sogar mit zu den erfolgreichsten arbeitsmarktpolitischen Instrumenten.3 Allerdings gilt das nur im Hinblick auf den sogenannten „treatment effect on the treated“. Darunter versteht man den durchschnittlichen Effekt für das teilnehmende Individuum. Wenn aber beispielsweise eine Vermittlungsmaßnahme dazu führt, dass die Arbeitsuchenden, die daran teilgenommen haben, schneller eine neue Stelle finden als andere, heißt das noch nicht automatisch, dass dadurch die Beschäftigungswahrscheinlichkeit insgesamt steigt. Eine Maßnahme, die den Vermittlungsprozess bei den Teilnehmenden beschleunigt, kann bei konstanter Zahl der verfügbaren Stellen zur Folge haben, dass diejenigen, die nicht an einer solchen Maßnahme teilnehmen, plötzlich länger für die Stellensuche brauchen als in einer Situation, in der die Maßnahme nicht zur Anwendung kommt. In der Evaluationsstudien typischerweise zugrundeliegenden Vergleichsgruppenanalyse zeigt sich dann zwar ein messbarer Vorteil der Maßnahmenteilnehmer gegenüber den Nichtteilnehmern, aber in dem Maß, in dem Substitutionseffekte eine Rolle spielen, können sich die Effekte in der Summe gegenseitig aufheben. Über den Umfang solcher Aggregateffekte ist im Allgemeinen wenig bekannt.

In einer aktuellen Ländervergleichsstudie auf der Basis vorhandener Evaluationsstudien für Ungarn, Italien und Spanien schneiden Lohnkostenzuschüsse sogar im Hinblick auf den Individualeffekt eher bescheiden ab.4 Zwar fehlt es auch in diesen Studien an belastbaren Aggregateffekten, aber es wäre mehr als verwunderlich, wenn es trotz fehlender positiver Effekte auf der Individualebene zu positiven Effekten auf der Aggregatebene käme.

Aber selbst wenn von dem günstigsten Fall auszugehen wäre, dass sich positive Individualeffekte, wie sie für Deutschland gefunden wurden, 1:1 auf die Aggregatebene übertragen, wird schnell klar, wie eng die Reichweite solcher Instrumente ist. Wenn beispielsweise eine Maßnahme mit 40 000 Teilnehmenden die individuelle Beschäftigungswahrscheinlichkeit um 10 Prozentpunkte erhöht, entspricht dies einem Plus von 4000 Beschäftigten im Aggregat. Bezogen auf eine Gesamtzahl von 40 Mio. Erwerbstätigen resultiert daraus aber nur eine Erhöhung um 0,1‰, ein Effekt, der selbst in großen Stichproben unterhalb der statistischen Nachweisgrenze bleiben dürfte. Es überrascht daher nicht, dass die diesbezüglichen Versuche einer Ermittlung von Aggregateffekten einzelner arbeitsmarktpolitischer Instrumente bislang wenig weiter geführt haben.5 Es macht zugleich deutlich, wie überzogen die Erwartungen an die Arbeitsmarktpolitik zur Lösung der Beschäftigungskrise in Europa sind.

Ähnlich sinnlos ist die pauschale Anregung der Kommission, die Möglichkeiten der internen Flexibilität zu stärken. Damit ist gemeint, dass Firmen die Arbeitsnachfrage statt über Entlassungen und Neueinstellungen anzupassen, die Arbeitszeit der Beschäftigten auslastungsabhängig reduzieren oder ausweiten können sollen. Den Akteuren in Brüssel ist offenbar aufgefallen, dass es den Firmen in Deutschland mit Hilfe von Arbeitszeitkonten und Kurzarbeitergeld erfolgreich gelungen ist, die jüngste Wirtschaftskrise zu überstehen. Daraus eine Empfehlung für alle Mitgliedsländer abzuleiten, greift dennoch zu kurz.

Deutschland hat einen hochregulierten Arbeitsmarkt, was sich unter anderem in einem starken Kündigungsschutz niederschlägt. Das hat die Unternehmen schon früh zu alternativen Lösungen für ihren Flexibilitätsbedarf gezwungen. Bis zur Hartz-Reform bestand eine dieser Lösungen in großzügigen Möglichkeiten der faktischen Frühverrentung. Seit es diese Option praktisch nicht mehr gibt, ist die Bedeutung des Kündigungsschutzes in Deutschland sehr viel größer geworden, als sie bis dahin war, obwohl dessen gesetzliche Verankerung unverändert blieb. Folgerichtig hat sich der Anpassungsdruck auf andere Ventile verlagert. Eines dieser Ventile ist die Zeitarbeit, die seither nicht zufällig einen starken Boom erfahren hat. Hinzu kommen Arbeitszeitkonten und Kurzarbeit. Keines dieser Instrumente ist kostengünstiger als Hire and Fire. Deswegen dürften Kurzarbeit und Arbeitszeitkonten in Ländern ohne starken Kündigungsschutz auch kaum funktionieren.

Mehr Flexibilität durch mehr Regulierung – Ein Widerspruch in sich

Dass Deutschland mit seiner spezifischen Kombination aus Kündigungsschutz und flexiblen Beschäftigungsformen den Anforderungen an den Flexicurity-Gedanken wahrscheinlich erfolgreich näher kommt als alle anderen Mitgliedsländer, scheint der Kommission bislang ebenfalls entgangen zu sein. Stattdessen empfiehlt sie de facto, flexible Beschäftigungsformen einzuschränken und den Kündigungsschutz zu stärken. Da hilft am Ende nur Eines: einfach ignorieren!

  • 1 Vgl. B. Kaltenborn, L. Pilz: Kombilöhne im internationalen Vergleich, IAB-Werkstattbericht 10/2002, Nürnberg 2002.
  • 2 Vgl. D. Neumann, A. Peichl, H. Schneider, S. Siegloch: Die Steuerreformpläne der neuen Bundesregierung und das Bürgergeld – Eine Simulation von Risiken und Nebenwirkungen, in: Wirtschaftsdienst, 89. Jg. (2009), H. 12, S. 805-812; sowie A. Peichl, N. Pestel, H. Schneider, S. Siegloch: Reform der Hartz IV-Hinzuverdienstregelungen: Ein verfehlter Ansatz, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 12. Jg. (2011), H. 1, S. 12-26.
  • 3 Vgl. S. Koch, C. Spies, G. Stephan, J. Wolff: Arbeitsmarktinstrumente auf dem Prüfstand, IAB-Kurzbericht, Nr. 11/2011.
  • 4 Vgl. Ecorys, IZA: Analysis of Costs and Benefits of Active Compared to Passive Measures. Report for the European Commission, Rotterdam 2012.
  • 5 Vgl. M. Fertig, J. Kluve, C. Schmidt: Die makroökonomische Wirkung aktiver Arbeitsmarktpolitik – eine Panelanalyse auf Ebene regionaler Arbeitsmärkte, in: Zeitschrift für Arbeitsmarktforschung, 2006, S. 575-601.

Title:A Labour Market Programme for Europe

Abstract:The European Employment Strategy is the subject of controversial discussion. It is hard to find an economic justification for transnational responsibility since European labour markets are heterogenous and spillover effects of national employment policies are almost negligible. In its latest communication, the European Commission fails to provide a masterplan for a recovery of the struggling labour markets, although it provides convincing and less convincing proposals for tackling unemployment in EU member states. There is a suspicion that the package mainly serves as a first step towards transferring employment policy responsibilities from the national to the EU level. But the EU labour market policy lacks appropriate instruments and competences. Finally, it is questionable whether the package fits in an economic growth plan.

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DOI: 10.1007/s10273-012-1391-2