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Fünf Jahre nach dem Ausbruch der Finanzmarktkrise hat sich einiges getan: Die USA und die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben verschiedene Regulierungen auf den Weg gebracht. Die Autoren beurteilen dies allerdings unterschiedlich. Zum einen seien die Regulierungen nicht ausreichend und nicht zielgenau, zum anderen sind Unklarheiten und eine Vermengung von Kompetenzen entstanden. Zudem stellt sich die Frage, ob eine striktere Finanzmarktregulierung den Kern des Problems trifft.

Finanzmarktreformen nach der Krise: Unzureichende Reformen durch einseitige Problemanalyse

Als sich im Frühjahr 2009 die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Wirtschaftsmächte G20 trafen, um einen Ausweg aus der dramatischsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg zu finden, war die Einstellung gegenüber dem Finanzsektor einhellig: Nie wieder sollten Banken und Schattenbanken, Hedge Fonds und Immobiliengesellschaften die Weltwirtschaft an den Rande einer Depression bringen, nie wieder sollte der Finanzsektor die Politik unter Zugzwang stellen, mit Hunderten Milliarden US-Dollar an Steuergeldern insolvente Finanzinstitute retten zu müssen. In den Communiqués sowohl im April 2009 in London als auch im September 2009 finden sich so vollmundige Ankündigungen, welche Elemente des Finanzsektors neu reguliert werden müssten: Von einem Komplettumbau der Finanzaufsicht über eine kräftige Aufstockung der Eigenkapitalanforderungen, stärkere Aufsicht über Hedge Fonds und Schattenbanken, schärfere Vorschriften für Verbriefungen, neue Regeln für Ratingagenturen und Eingriffe in die Managervergütung wurde vieles im Detail beschrieben.

Heute, drei Jahre später, herrscht in der öffentlichen Wahrnehmung dagegen oft die Einschätzung, dass bei der Finanzmarktregulierung nicht allzu viel passiert sei und die Regierungen ihren Versprechungen nicht nachgekommen seien. Wieder wird über die Rettung von Banken (diesmal in Spanien) diskutiert, wieder werden dreistellige Millardensummen bereitgestellt und wieder herrscht die Angst vor, dass ein Zusammenbruch einzelner Institute eine unkontrollierte Kettenreaktion im Finanzsektor auslösen könnte.

Doch tatsächlich ist der Eindruck verfehlt, die Regierungen seien untätig geblieben. Sowohl in den USA als auch in Europa sind umfangreiche Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht worden, und die allermeisten Versprechungen der G20 aus dem Jahr 2009 sind umgesetzt worden.1 Das Problem ist vielmehr, dass die den Reformvorschlägen zugrunde liegenden Analysen der G20 immer noch zu stark von einer Effizienz der Finanzmärkte ausgehen und damit zentrale Ursachen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 gar nicht berücksichtigen.

Der Dodd Frank Act

Beginnen wir einmal mit den verabschiedeten Reformen. In den USA sind die Reformen im sogenannten Dodd Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act zusammengefasst, in Europa erstrecken sie sich über eine ganze Reihe von EU-Richtlinien und EU-Verordnungen, die zum Teil bereits verabschiedet sind, sich zum Teil aber noch im Gesetzgebungsverfahren befinden.

Der Dodd Frank Act, der mit rund 850 Seiten das wohl historisch bislang umfangreichste Gesetzespaket zur Finanzmarktregulierung ist, strukturiert zunächst einmal die Aufsichtslandschaft in den USA grundlegend um. Nicht nur wurden die Zuständigkeiten zwischen den einzelnen Behörden neu (und vernünftiger) verteilt, zum Teil wurden Behörden geschlossen und neue geschaffen, wie etwa die vom Gesetz her mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattete Konsumentenschutzbehörde Consumer Financial Protection Bureau (CFPB). Die Notenbank Fed hat die Kompetenz erhalten, auch Finanzinstitute, die rechtlich keine Banken sind (sogenannte „Schattenbanken“) unter die Regulierung zu ziehen, sobald diese als systemrelevant eingestuft werden. Für Schattenbanken enthält der Dodd Frank Act zudem eine Menge weiterer Regelungen. Hedge Fonds werden Registrations- und Transparenzpflichten unterworfen. Investmentfonds müssen sich bei der Börsenaufsicht SEC registrieren und diese erhält eine Reihe von Rechten gegenüber den Fondsmanagern, wie das zur regelmäßigen Prüfung der Bücher und Risikomanagementverfahren.

Zudem wurden die Regeln für Wertpapiermärkte verschärft. Bei Verbriefungen müssen die Banken nun einen größeren Anteil der Risiken in der eigenen Bilanz halten. Für Derivate besteht die Möglichkeit, dass die Aufsichtsbehörden den Handel mit zuvor weitgehend unregulierten bilateralen Derivatsverträgen (Over-the-Counter- oder OTC-Geschäfte) verpflichtend in zentrale Clearing-Stellen überführen. Im Rahmen der sogenannten „Volcker-Regel“ ist der Umfang begrenzt worden, in dem Banken auf eigenes Risiko handeln dürfen („Eigenhandel“). Auch ist ihr Engagement bei Hedge Fonds mit dem Dodd Frank Act stark eingeschränkt worden. Zudem greift der Dodd Frank Act stark in das Geschäftsmodell der Ratingagenturen ein. Das Gesetz enthält so die Vorgabe, dass die Regulierungs- und Aufsichtsbehörden soweit möglich alle Referenzen auf externe Ratings (also solche von Ratingagenturen) aus den Regulierungsvorschriften entfernen sollen.2

Reformen in der EU

In der EU wurde ebenfalls die Finanzaufsicht neu aufgestellt. Es wurde ein neues Netz aus europäischen Finanzaufsichtsbehörden unter der Bezeichnung „European System for Financial Supervision“ geschaffen. Kernstück des ESFS sind die drei Aufsichtsbehörden für Banken (European Banking Authority, EBA), für Versicherungen (European Supervisory Authority Insurance and Occupational Pensions, EIOPA) und für Wertpapiermärkte (die European Securities and Markets Authority – ESMA), die die Arbeiten der jeweiligen Aufsichtsbehörden auf europäischer Ebene koordinieren. Angegliedert ist ein European Systemic Risk Board, das auf systemische Risiken achten soll. Zwar liegt mit dieser Konstruktion die letztliche Aufsichtsverantwortung immer noch bei den Nationalregierungen (und dürfte mit der nun angekündigten Bankenunion noch einmal zentralisiert werden), aber die neue Koordination ist ein großer Schritt vorwärts.

Zudem wurden Regeln zur Registrierung und Aufsicht von Hedge Fonds verabschiedet, die Standards für Verbriefungen verschärft sowie Ratingagenturen Registrierungs- und Transparenzpflichten unterworfen. Auch wurden zahlreiche Regeln für die Vergütung von Managern der Finanzbranche eingeführt. Die Vorschriften zur Regulierung von Derivatgeschäften stecken in Europa noch im Gesetzgebungsverfahren, allerdings zeichnet sich auch hier eine deutliche Verschärfung ab.

Sowohl in den USA als auch in der EU ist zudem mit den neuen Eigenkapitalregeln unter der Bezeichnung „Basel III“ eine massive Verschärfung der Eigenkapitalanforderungen auf den Weg gebracht worden. Banken müssen nach den neuen Regeln nicht nur mehr Eigenkapital, sondern auch Eigenkapital höherer Qualität vorhalten. Systemrelevante Banken müssen noch einmal mehr Kapitalpuffer anlegen als kleinere, isolierte Banken. Im Aufschwung sollen Banken die Profite nutzen, um ihr Eigenkapital aufzustocken statt Dividenden auszuzahlen.

Falsche Problemanalyse

Warum aber sind bei so vielen Reformen die Probleme des Finanzsektors immer noch nicht gelöst? Natürlich kann man nun argumentieren, dass viele Reformen zwar beschlossen sind, die Umsetzung aber noch Zeit in Anspruch nimmt. Auch hätten Elemente der Reform, wie die Begrenzung des Eigenhandels, noch schärfer ausfallen können.

Jedoch gibt es darüber hinaus ein tieferes Problem, das in den Grundannahmen der angestoßenen Finanzmarktreformen zu suchen ist. Implizit in der Analyse und den Empfehlungen der G20 ist die Annahme, dass die US-Subprime-Hypothekenkrise vor allem durch falsch gesetzte Anreize und mangelnde Transparenz über die Verteilung von Risiken im Finanzsystem hervorgerufen wurde.

Außer Acht gelassen wurden deshalb bei den Reformen drei zentrale Punkte, die in der Krisenanalyse häufig genannt wurden:

  • Globale Ungleichgewichte als Ursache der Krise,
  • die zunehmend unproduktive Rolle des Finanzsektors in modernen Volkswirtschaften,
  • Probleme durch die Tendenz zur Blasenbildung an den Finanzmärkten.

Wie unter anderem von der Stiglitz-Kommission3 und von Hansjörg Herr, Christian Kellermann und mir analysiert,4 spielte die wachsende Ungleichverteilung von Einkommen innerhalb von Volkswirtschaften eine zentrale Rolle für das Entstehen der US-Subprime-Krise. So hat die zunehmende Ungleichverteilung von Einkommen in den USA, aber auch in vielen anderen Ländern zu einem strukturellen Mangel an Endnachfrage geführt, weil Bezieher hoher Einkommen üblicherweise einen kleineren Teil ihrer Einkommen konsumieren als die ärmere Bevölkerung. Dieser Mangel an Endnachfrage hat die Notenbanken vor das Dilemma gestellt, entweder auch fragwürdiges Kreditwachstum etwa im Subprime-Hypothekenbereich zuzulassen oder aber höhere Arbeitslosigkeit in Kauf zu nehmen. In einigen Ländern wie den USA, Großbritannien oder Spanien kam es zu übertriebenem Kreditwachstum und nicht tragbaren Leistungsbilanzdefiziten, in anderen Ländern wie Deutschland zu übermäßigen Leistungsbilanzüberschüssen. Aus diesen Leistungsbilanzüberschüssen entstanden Kapitalströme von den Überschussländern in die Defizitländer, die dort zur Blasenbildung und zu unproduktiven Investitionen etwa im Immobiliensektor beitrugen.

Gegen die aufgrund niedriger Einkommen geringe Endnachfrage und die daraus resultierenden Ungleichgewichte wurde auf globaler Ebene gar nicht, auf europäischer Ebene bestenfalls halbherzig vorgegangen. So gibt es zwar im sogenannten „Six Pack“, den neuen EU-Vorschriften zur fiskalpolitischen und makroökonomischen Koordinierung, Regelungen zur Vermeidung und zum Abbau makroökonomischer Ungleichgewichte, die auch die Leistungsbilanzsalden mit einbeziehen. Allerdings hat sich Deutschland hier mit der Forderung nach asymmetrischen Schwellenwerten durchgesetzt, sodass zwar Leistungsbilanzdefizite von mehr als 4% des Bruttoinlandsprodukts, Leistungsbilanzüberschüsse aber erst ab 6% des BIP als problematisch angesehen werden und sanktionsfähig sind. Zudem dürfte die Zusammenfassung des Kriteriums mit einer Vielzahl anderer Indikatoren in einem Scoreboard dazu führen, dass am Ende wenig zum tatsächlichen Abbau der Ungleichgewichte beigetragen wird.

Maßloser Finanzsektor

Das zweite Problem ist, dass der Finanzsektor heute nur noch mit einem Bruchteil seiner Aktivitäten seine (sozial wünschenswerte) Grundfunktion verfolgt, nämlich günstige, langfristige Kredite an Unternehmen für produktive Zwecke zu vergeben und auf der anderen Seite Ersparnisse der Haushalte einzusammeln. Wie der Chef der britischen Finanzaufsicht FSA, Adair Turner anschaulich beschreibt,5 deutet viel darauf hin, dass heute spekulative Tätigkeiten und Rent-Seeking einen großen Anteil der Aktivitäten des Finanzsektors ausmachen: So liegen die Gewinne des Finanzsektors immer noch deutlich über dem, was man für einen Sektor mit funktionierendem Wettbewerb und symmetrischer Information erwarten könnte. In den USA etwa machten die Gewinne des Finanzsektors (ohne die Notenbank) im Schnitt der Jahre 2009 bis 2011 noch rund 25% der inländischen Unternehmensgewinne aus, während die Beschäftigung in diesem Bereich zuletzt gerade einmal 7% der privaten Beschäftigung betrug und auch der Kapitaleinsatz im Finanzsektor keineswegs im proportionalen Verhältnis zu diesen Gewinnquoten stand. Das ist zwar ein deutlicher Rückgang gegenüber den Jahren 2002 und 2003, als die Gewinne des Finanzsektors 40% der inländischen Unternehmensgewinne in den USA ausmachten, im historischen Vergleich aber immer noch hoch. Dieser ungewöhnlich hohe Gewinnanteil geht einher mit Löhnen und Gehältern im Finanzsektor, die bei gleicher Qualifikation deutlich über jenen in anderen Sektoren liegen und die relativ zum Rest der Wirtschaft in den vergangenen 20 Jahren deutlich gestiegen sind.6

Ein solch hoher Anteil an den gesamtwirtschaftlichen Profiten und solch übermäßig hohe Löhne lassen sich nur entweder durch übermäßige Risikobereitschaft des Finanzsektors (möglicherweise basierend auf der Annahme, dass im Krisenfall der Staat rettend eingreift) oder mit einem deutlichen Abweichen der Marktstrukturen im Finanzsektor vom Idealbild des vollkommenen Marktes erklären.

Drei Besonderheiten des Finanzsektors sind hier wichtig: Zum einen schafft der Finanzsektor durch die eigene Aktivität Volatilität bei Zinsen, Wechselkursen und Aktienkursen, zu deren Absicherung er dann dem Rest der Wirtschaft Derivate verkauft. Zweitens werden durch komplexe Produktinnovationen im Finanzsektor Informationsasymmetrien erzeugt, die den Finanzinstituten wiederum erlauben, für ihre Dienstleistungen dem Rest der Wirtschaft überhöhte Preise abzufordern. Und drittens hat die Tatsache, dass besonders große und systemisch wichtige Finanzinstitute „too big to fail“ sind und im Krisenfall auf eine Rettung durch die Regierung vertrauen können, zur Folge, dass risikoaverse Unternehmen und Individuen lieber mit den großen, systemrelevanten Instituten Geschäfte machen und diesen damit das Abschöpfen einer Größenprämie möglich wird.

Zu guter Letzt vertrauen auch die aktuellen Vorschriften immer noch darauf, dass die Finanzmärkte im großen und ganzen effizient sind in dem Sinne, dass sie alle vorhandenen Informationen zeitnah und korrekt verarbeiten. Auch in den neuen Regeln zu Eigenkapitalausstattung etwa spielen aktuelle Marktpreise zur Bewertung weiter eine zentrale Rolle. Die Preisblasen an vielen Märkten – von Hauspreisen bis zu IT-Aktien – in den vergangenen beiden Jahrzehnten, das regelmäßig zu beobachtenden massive Überschießen nach oben und nach unten bei Wechselkursen sowie die Erkenntnisse über multiple Gleichgewichte, etwa bei Märkten für Staatsanleihen, lassen allerdings Zweifel an dieser Grundannahme.

Empfehlungen

Um diese drei Probleme anzugehen und Finanzmärkte wie Weltwirtschaft wirklich krisenfest zu machen, müsste zunächst dem Abbau der globalen und europäischen Ungleichgewichte und der Stützung der aus Einkommen gespeisten Endnachfrage mehr Priorität eingeräumt werden. Zudem müsste bei der Finanzmarktregulierung ein völlig anderer Reformansatz gewählt werden als er bislang von den Gesetzgebern in den USA und Europa gewählt wurde. Finanzprodukte müssten erst einmal unter den Generalverdacht gestellt werden, zur Volatilität und Intransparenz der Märkte beizutragen. Ähnlich wie bei Medikamenten sollten Finanzinnovationen nur zugelassen werden, wenn die Emittenten gegenüber den Aufsichtsbehörden nachweisen können, dass ein neues Produkt einen volkswirtschaftlichen Nutzen bringt und dass von ihm keine systemischen Risiken ausgehen. Gelingt dies nicht, bleibt das Produkt verboten.

Zu guter Letzt müsste die Verwendung von aktuellen Marktkursen in den Regulierungen möglichst zurückgedrängt werden, um Verstärkungen von Übertreibungen an den Finanzmärkten durch die gesetzlichen Vorschriften zu vermeiden. Solange diese Grundprobleme nicht gelöst werden, wird unser globales Finanzsystem auch nicht nachhaltig stabilisiert.

  • 1 Vgl. S. Dullien: Anspruch und Wirklichkeit der Finanzmarktreform: Welche G20-Versprechen wurden umgesetzt?, IMK Study 26, Düsseldorf 2012.
  • 2 Allerdings erläutert der Dodd Frank Act nicht, was genau an die Stelle von externen Ratings treten soll, sondern überlässt diese Entscheidung den Aufsichtsbehörden.
  • 3 Vgl. J. E. Stiglitz: The Stiglitz Report: Reform the International Monetary and Financial Systems in the Wake of the Crisis, New York, London 2011.
  • 4 Vgl. S. Dullien, H. Herr, C. Kellermann: Der gute Kapitalismus, Bielefeld 2009; oder S. Dullien, H. Herr, C. Kellermann: Decent Capitalism, London 2011.
  • 5 Vgl. A. Turner: Economics after the crisis: Objectives and means, Cambridge MA 2012, Kapitel 2.
  • 6 Vgl. T. Philippon: Are bankers paid too much?, VoxEU, 2.2.2009, http://www.voxeu.org/article/are-bankers-paid-too-much (29.6.2012).

Bankenregulierung: Schwindende Statik

Fünf Jahre nach Ausbruch der schwersten Finanzmarktkrise der Nachkriegszeit gleicht die Bankenregulierung immer noch einer Baustelle. Zwar soll die Umsetzung der Baseler Vorschläge vom Dezember 2010 in europäische Normen in diesem Jahr erfolgen, doch noch immer wird an den Details gefeilt. Dabei handelt es sich um durchaus zentrale Elemente der quantitativen (Säule 1) und qualitativen Aufsicht (Säule 2). Darüber hinaus ist spätestens seit dem Brüsseler Gipfel vom 29. Juni 2012 mehr denn je offen, wie die europäische Bankenkontrolle künftig aussehen wird. In diesem Beitrag werden exemplarisch drei Aspekte der Aufsichtsnormen und -institutionen behandelt, um zu zeigen, dass die „Statik“ der Regulierung akut bedroht ist.1

Problematische Mittelstandskomponenten in Säule 1

Die neuen Baseler Anforderungen verstärken im Kern pauschal den Risikoträger Eigenkapital, indem sie vor allem das notwendige harte Kernkapital von bislang 2% auf zukünftig mindestens 7% zuzüglich eines antizyklischen Kapitalpuffers (und weiterer Zuschläge für systemrelevante Institute, Sifis) erhöhen. Um die Auswirkung dieser Normenverschärfung abzuschätzen, ist das erste „Basel-III-Monitoring“ aufschlussreich, das der Baseler Ausschuss gemeinsam mit der noch jungen European Banking Authority Anfang April 2012 vorgelegt hat.2 In Fortsetzung der bekannten Quantitative Impact Studies wird darin auf Basis der Entwürfe vom Dezember 2010 für den Stichtag 30. Juni 2011 geprüft, inwiefern europäische Banken unterschiedlicher Größenordnung die Basel-III-Vorschriften bereits erfüllen bzw. welche Volumina an Eigenmitteln (und Liquidität) diese noch benötigen. Bei den 45 Banken der europäischen Gruppe 1 (Kernkapital über 3 Mrd. Euro, neun deutsche Institute) würde sich das harte Kernkapital von 10,2% auf 6,5% (der Risikoaktiva), das Kernkapital insgesamt von 11,9% auf 6,7% und das gesamte Eigenkapital von 14,4% auf 7,8% verringern (mit ähnlichen Werten für den vom Baseler Ausschuss betrachteten globalen Kreis von Instituten). Diese Rückgänge sind je zur Hälfte auf die restriktivere Eigenkapitaldefinition sowie die höheren Risikogewichte (speziell im Handelsbereich) zurückzuführen. 80% der Institute dieser Gruppe lagen über dem Minimum von 4,5% harten Kernkapitals, nur 44% über 7%. Für die 109 einbezogenen, im Vergleich kleineren Banken der europäischen Gruppe 2 (25 deutsche Institute) ergäben sich Reduktionen beim harten Kernkapital von 9,8% auf 6,8%, beim Kernkapital insgesamt von 10,9% auf 7,4% und beim gesamten Eigenkapital von 13,6% auf 9,4%. Hier befanden sich 87% der Institute über 4,5%, 72% über 7% harten Kernkapitals.

Ohne Berücksichtigung des erst im Zeitverlauf aufzubauenden Kapitalerhaltungspuffers müssen die diversifizierten, international tätigen Gruppe-1-Banken (bzw. die übrigen Gruppe-2-Institute) für die Einhaltung der Mindestquote von 4,5% harten Kernkapitals 17,6 (10,6) Mrd. Euro beschaffen, um die 6%-Quote Tier-1-Kapital einzuhalten 51,2 (17,8) Mrd. Euro und für die Gesamtkapitalquote von 8% 128 (22,2) Mrd. Euro. Um diese Beträge einzuordnen, gibt die European Banking Authority (EBA) die von den Instituten der Gruppe 1 (bzw. der Gruppe 2) erzielten Vorsteuergewinne 2010 und im ersten Halbjahr 2011 mit 102 (17) Mrd. Euro an. Für die in der Endausbaustufe 2019 erforderlichen Quoten von 7% harten Kernkapitals sind 242,1 (34,5) Mrd. Euro, für 8,5% Tier-1-Kapital 360,6 (49,6) Mrd. Euro und für die Gesamtkapitalquote (ohne antizyklischen Kapitalpuffer und Sonderzuschlag Sifis) 485,4 (58,9) Mrd. Euro notwendig. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass die EBA nach den im Jahre 2011 durchgeführten Stresstests den großen europäischen Banken eine Quote harten Kernkapitals in Höhe von 9% schon für den 30. Juni 2012 vorgeschrieben hat! Zudem liegen die sich aus mehreren Komponenten zusammensetzenden Eigenkapitalanforderungen in Großbritannien und der Schweiz noch deutlich höher. Auf Druck Großbritanniens wurde daher auch die Möglichkeit geschaffen, dass nationale Bankaufsichtsbehörden auf die genannten Beträge Aufschläge von bis zu 5 Prozentpunkten erheben dürfen, die – soweit diese Auflagen für Inlandsbanken gelten – auch nicht der Abstimmung innerhalb Europas bedürfen.

Nachholbedarf besteht insofern vor allem bei den größten Instituten Europas – dies zeigt sich auch bei der Betrachtung der neuen Leverage Ratio. Bei einer vollen Implementierung der Basel-III-Vorschriften kämen die Gruppe-1-Banken auf eine durchschnittliche Leverage Ratio von 2,7% (Deutschland 1,8%), Gruppe-2-Banken von 3,4% (Deutschland 3,3%). Den Zielwert von 3% der Bilanzsumme überschritten 41% bzw. 72% der Institute in den beiden Gruppen.

Die Deutsche Bundesbank hat ebenfalls per 30. Juni 2011 den möglichen Zusatzbedarf an Eigenkapital von 429 Sparkassen und 1139 Genossenschaftsbanken in Deutschland ermittelt. Nahezu alle Institute wiesen schon heute eine Quote harten Kernkapitals von mindestens 7% auf, rechnete man die Stillen Reserven nach § 340f HGB mit ein.3 Diese Institute, die sich zu Recht als die „Tankstellen des Mittelstands“ bezeichnen, besitzen demnach gegenüber den größeren Banken in Europa einen zumindest temporären Wettbewerbsvorteil. Neben anderen Fehlern (wie etwa der unveränderten Privilegierung von Staatsanleihen)4 ist es vor diesem Hintergrund besonders bedenklich, wenn nun die „Mittelstandskomponenten“5 unter Basel III noch verstärkt werden sollen.

So hat sich das EU-Parlament auf Basis eines Berichts des österreichischen EU-Abgeordneten Karas für die Möglichkeit ausgesprochen, Kredite an kleine und mittlere Unternehmen bis zu einer Volumensgrenze von 2 statt bisher 1 Mio. Euro in den Standardansatz einzubeziehen und dort das (mit der Eigenkapitalanforderung zu multiplizierende) Risikogewicht von 75% auf rund 57% abzusenken. Weitgehend ausgeglichen werden soll damit der Anstieg der Anforderungen an das Eigenkapital insgesamt von Basel II (8%) auf dann 10,5% (einschließlich Kapitalerhaltungspuffer von 2,5%). Im Rating-basierten Ansatz für das Mengengeschäft soll eine Anrechnung bis zu einem Exposure von 5 Mio. Euro möglich sein, sofern die Kreditnehmer der EU-Mittelstandsdefinition entsprechen (< 250 Mitarbeiter und ≤ 50 Mio. Euro Umsatz oder Bilanzsumme ≤ 43 Mio. Euro). In diesem Fall werden die Risikogewichte ebenfalls mit 0,7619 multipliziert und damit deutlich reduziert. Die geringere Eigenkapitalunterlegung in der Klasse „Unternehmen“ soll künftig für Kreditnehmer bis 70 (statt bisher 50) Mio. Euro Umsatz gelten.6

Da nur etwa 50 Institute in Deutschland einen Internal-Ratings-Based-Ansatz (IRBA) verwenden, sind die Erleichterungen im Standardansatz besonders gravierend. Denn aufgrund der Erfahrungen der Finanz- und Wirtschaftskrise ist es noch fraglicher geworden, ob die durch die Regelung unterstellte, breite Risikodiversifikation im Retail-Portfolio tatsächlich (immer!) anzutreffen ist. Zwar rechtfertigt eine Portefeuillestruktur mit vielen kleinen Engagements die Hoffnung auf Risikostreuung. Es sind jedoch gerade bei regionalen Kreditinstituten Verbundwirkungen und damit Klumpenrisiken denkbar, z.B. bei der Insolvenz eines großen Arbeitgebers und den nachfolgenden Problemen zahlreicher kleinerer und mittelgroßer Unternehmen. Die Anhebung der Kreditobergrenze verschärft diese Problematik, indem sie praktisch alle deutschen Unternehmen zu „Mittelständlern“ macht, denn schon in der jetzigen Abgrenzung sind weit über 90% aller umsatzsteuerpflichtigen Firmen erfasst. Es wäre daher zu wünschen, dass die bisherigen Kriterien nicht ohne empirische Basis allein aufgrund eines politischen Eingriffs verändert würden; anekdotische Evidenz kann „harte“ Daten zur tatsächlichen Höhe der Adressausfallrisiken nicht ersetzen. Das Vertrauen in den Finanzsektor und seine Regulatoren stärkt es nicht, wenn im neuen Basel-III-Kleid materiell doch die alte Regelung zur Höhe der Eigenkapitalunterlegung beibehalten wird.

Säule 2 als verkappte „neue“ Säule 1?

Bislang waren die Regulierungsanforderungen in den drei Baseler Säulen eindeutig unterscheidbar: Während die erste Säule die quantitativen Normen umfasste, lag der Schwerpunkt der zweiten Säule auf der qualitativen Aufsicht über das Risikomanagement der Banken (und der der Säule 3 auf Publizitätsvorschriften). Hier deutet sich indes durch das Schreiben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vom 7. Dezember 2011 („Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte“) eine Verschiebung an. Statt der bisher in diesem Bereich gewährten, weitgehenden Methodenfreiheit wird nun eine strengere Normierung angestrebt: „Selbst bei einer graduellen Veränderung der Verwaltungspraxis ist irgendwann ein Punkt erreicht, in dem aus vielen kleinen Schritten eine materielle Verschärfung wird.“7

Im Kern wird dabei erwartet, dass die Institute die Risikotragfähigkeit parallel nach zwei Konzeptionen berechnen: Zum einen soll dem Going-concern-Prinzip gefolgt werden, bei dem die zwingenden Anforderungen nach der Solvabilitätsverordnung auch dann noch eingehalten wären, wenn alle zur Abdeckung der Risiken eingesetzten Risikoträger durch schlagend gewordene Risiken aufgezehrt würden. Zum anderen kann das Risikodeckungspotenzial im ebenfalls zu verfolgenden Liquidationsansatz auch Positionen enthalten, die zur Einhaltung der aufsichtlichen Mindestanforderungen benötigt werden. Kann im einen Fall auf die Berücksichtigung stiller Lasten (z.B. aus den Wertpapieren des Anlagebestandes) verzichtet werden, sind diese im anderen Fall durch Abzug von der Risikodeckungsmasse bzw. Hinzurechnung zu den Risiken unbedingt zu berücksichtigen.8 Insofern dürfte sich aber etwa aus Staatsrisiken nach der Risikotragfähigkeitsrechnung der Säule 2 eine signifikant höhere Belastung als in Säule 1 mit Blick auf die Eigenkapitalanforderungen (und im Übrigen auch die Liquiditätsregeln) ergeben. Damit droht die schon vor über einem Jahrzehnt beschriebene Gefahr9, dass aus der eigentlich qualitativen Aufsicht der Säule 2 eine harte quantitative Kapitalnorm, sozusagen eine „Säule 1a“10 wird, die die erste Säule in der Konsequenz sogar überflüssig machen könnte. Und es stellt sich die Frage, an welchen Ergebnissen sich die interne Steuerung der Bank ausrichten, woran sich der Controller bei Rentabilitätsrechnungen oder Berechnungen der Eigenkapitalkosten orientieren soll.

Dringend erforderlich ist von daher eine klare Trennung der beiden Säulen 1 und 2 dahingehend, dass in der ersten Säule (in die die Vorschriften zur Risikotragfähigkeit zu integrieren wären) die Anforderungen an das regulatorische Eigenkapital zusammengefasst werden – sinnvollerweise in einer Liquidationssicht. Die Säule 2 sollte dann in einer Going-concern-Sicht auf die qualitativen Anforderungen an Aufbau- und Ablauforganisation des Risikomanagements refokussiert werden.

Institutioneller Renovierungsstau

Im Koalitionsvertrag 2009 hatten sich die Regierungsparteien auf eine Zusammenführung der Aufsichtsaktivitäten von Bundesbank und BaFin bei der Notenbank geeinigt. Ende 2010 erfolgte dann eine „Rolle rückwärts“: Da bei dieser Lösung angeblich eine Einschränkung der Unabhängigkeit der Bundesbank gedroht hätte, sah ein erster Gesetzentwurf nicht nur die Fortführung des deutschen Sonderweges mit zwei Behörden, sondern auch eine Führungsrolle der BaFin vor.

Im Mai 2012 verabschiedete das Bundeskabinett nun einen neuen Gesetzentwurf „zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht“. Lässt man die dabei eher randständigen Aspekte (wie die Einrichtung eines Verbraucherbeirats bei der BaFin) außen vor, dann besitzen vor allem zwei Regelungen materiell Gewicht.

Zum einen soll die Aufsicht zur Wahrung der Finanzstabilität stärker auf systemische Risiken achten. Dafür ist es erforderlich, die Ergebnisse der mikroprudenziellen Aufsicht früher und umfangreicher in die makroprudenzielle Aufsicht einzubringen – und vice versa. Nach wie vor ist dafür jedoch nicht an eine Zusammenlegung der Institutionen gedacht, stattdessen sollen sich Bundesbank, BaFin und Bundesfinanzministerium regelmäßig im neuen „Ausschuss für Systemstabilität“ austauschen. Hierfür bereitet die Bundesbank als Federführer der Makroanalyse die für die Finanzstabilität maßgeblichen Sachverhalte auf und erarbeitet Vorschläge für Warnungen (an die Bundesregierung, BaFin, Verbände der Branche oder auch eine breitere Öffentlichkeit) bzw. Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. Sollte sie die dafür notwendigen Informationen nicht besitzen, kann sie sie im Rahmen von Melde- und Auskunftspflichten im Finanzsektor erheben. Hier lässt der Gesetzentwurf offen, um welche Daten es sich handeln könnte. Schaut man sich den jährlich erscheinenden (und auch für die Zukunft gesetzlich verankerten) Finanzstabilitätsbericht an, erhält man nicht den Eindruck, dass es auf Seiten der Bundesbank einen Informationsmangel gebe.

Zum anderen soll die „bewährte Zusammenarbeit“ der beiden Behörden in der laufenden Aufsicht beibehalten werden. Die Durchführung der laufenden Überwachung als Teil der von der BaFin wahrgenommenen Aufgabe wird der Bundesbank zugewiesen. Dies ist insofern zu begrüßen, als sowohl in einer empirischen Studie vor als auch in einem Update nach der Krise die Qualität der Bundesbanker von den befragten Kreditinstituten höher als die des BaFin-Personals eingestuft wurde. Der Vorsprung des Bundesbankpersonals ist von 2006 auf 2010 sogar noch größer geworden. Nach Ansicht der teilnehmenden Banker wechseln ihre Ansprechpartner bei der Bundesbank seltener, sie werden als kompetenter, vertrauter mit dem jeweiligen Haus, pragmatischer und schneller eingestuft. Sie sind leichter zu identifizieren, haben einen fundierteren Praxisbezug und treten angemessener auf.11

Bedauerlich ist dagegen, dass nach dem Gesetzentwurf die Überwachung nach den Richtlinien der BaFin erfolgen soll, um der alleinigen Verantwortlichkeit der Bundesanstalt für hoheitliche Tätigkeiten Rechnung zu tragen. Dafür, so konzediert selbst die Begründung zum Gesetzentwurf, sei „ein hohes Maß an laufender Abstimmung“ zwischen den beiden Behörden erforderlich. Im Vergleich zur Studie 2006 wurde im Update 2010 diese Abstimmung zwischen BaFin und Bundesbank trotz der im Februar 2008 verabschiedeten „Aufsichtsrichtlinie“ noch kritischer gesehen (Studie 2006: 59 Punkte; Studie 2010 „nach Herbst 2008“: 55 Punkte).12 Gerade die qualitative Aufsicht, die wie oben beschrieben noch weiter ausgebaut werden soll, eröffnet aber ein immer größeres Diskussionsfeld zwischen Aufsehern und Beaufsichtigten. Es ist erklärter Wille der Politik, sie in Richtung einer stärker prinzipienbasierten, individuelleren Kontrolle weiterzuentwickeln. So sollen z.B. künftig die Geschäftsmodelle von Banken noch intensiver geprüft und beurteilt werden. Hier besteht die Herausforderung darin, zu gerichtsfesten Entscheidungen auch dort zu kommen, wo es an Industriestandards oder Best Practices und mitunter auch Handlungsempfehlungen aus der Wissenschaft (noch) mangelt. In dieser „neuen Welt“ wäre es von Vorteil, wenn die Aufsichtsgremien nicht gegeneinander ausgespielt werden können, sondern sich eine starke – so weit wie möglich unabhängige – Institution gegen den Lobbydruck stellen könnte.

Ebenso bedeutend ist eine klare, einvernehmliche Position angesichts der neu hinzugekommenen Abstimmungsebene mit der EBA (bzw. im Europäischen Ausschuss für Systemrisiken, ERSB). Dies würde ebenso gelten, würde – wie auf dem letzten Brüsseler Gipfel präferiert – die Bankenaufsicht zur Europäischen Zentralbank wandern. Auch wenn hierfür unverändert gute Argumente sprechen13 und in einer erneuten „Rolle rückwärts“ doch wieder der ursprünglich von der Koalition eingeschlagene Weg hin zur Notenbank eingeschlagen würde, ist es für die Vertrauensbildung auf den Finanzmärkten sicher nicht von Vorteil, die mit großem Aplomb geschaffene EBA schon im zweiten Lebensjahr zu beerdigen.

Im Gesetzentwurf werden BaFin und Bundesbank nun aufgefordert (wohl im Rahmen einer neuen Aufsichtsrichtlinie) einen „klar strukturierten Eskalationsmechanismus“ einzurichten, der sicherstellt, dass Meinungsverschiedenheiten von erheblicher Bedeutung im Rahmen der laufenden Überwachung „einvernehmlich“ und zeitnah beigelegt werden. Für den Fall, dass diese Mittel versagen, sieht der Entwurf als Ultima ratio vor: „Kann ein Einvernehmen nicht hergestellt werden, entscheidet das Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit der Deutschen Bundesbank.“ Insofern ist die Argumentation des Gesetzentwurfs aber widersprüchlich: Hätte sich die Abstimmung zwischen beiden Behörden wirklich „bewährt“, wären neue Koordinationsmechanismen überflüssig. Sollte dies – und hierauf deuten die empirischen Ergebnisse hin – nicht der Fall gewesen sein, wäre eine eindeutigere Ausformung der Entscheidungsregeln notwendig.

In der Öffentlichkeit hat ein anderer Aspekt des Entwurfes die größte Aufmerksamkeit auf sich gezogen: die Zusammensetzung des Verwaltungsrates der BaFin. Hier ist erstens eine Reduktion von 21 auf 17 Mitglieder vorgesehen, zweitens soll statt eines Vorschlagsrechts der Finanzbranche für zehn Mitglieder künftig das BMF sechs Persönlichkeiten mit Erfahrung oder besonderer Fachexpertise im Bereich der Finanzindustrie bestellen, wobei die Branchenverbände anzuhören sind und namentliche Vorschläge für drei der sechs Mitglieder unterbreiten können. Begründet wird diese Veränderung mit der Notwendigkeit, die Unabhängigkeit der Behörde auf diese Weise noch stärker nach außen demonstrieren und jegliche Art von Befangenheitsbefürchtung vermeiden zu können. Die Verbände haben darauf mit der Ankündigung reagiert, sich in diesem Falle aus der Finanzierung der BaFin vollständig zurückziehen zu wollen. Seit der Gründung der Behörde 2002 wird ihr Haushalt, der zwischen 2008 und 2012 von 123 auf 170 Mio. Euro stieg, von den beaufsichtigten rund 2000 Banken, 600 Versicherern und 6000 Fonds getragen, während für die drei Vorgängerbehörden nur 10% der Aufsichtskosten übernommen wurden.

Zwar kann man fragen, ob angesichts der in den letzten Jahren von der Öffentlichkeit für die Bankenrettung aufgebrachten Maßnahmen noch nicht einmal 200 Mio. Euro tatsächlich eine unzumutbare Belastung für die Branche darstellen. Andererseits werden aber auch andere staatliche Kontrolltätigkeiten aus guten Gründen nicht von den zu Kontrollierenden übernommen. Unter dem im Gesetzentwurf besonders betonten Aspekt der Unabhängigkeit der BaFin wäre die Staatsfinanzierung die sauberere Lösung. Hier sollte sich Bundesfinanzminister Schäuble an den von ihm selbst im Zusammenhang mit der Gesetzesnovelle vorgetragenen Grundgedanken halten: „Krisenmanagement ist teurer als Krisenprävention.“14

Im Übrigen aber dürfte die Frage des Financiers für die Qualität der Aufsicht keine Rolle spielen. Dagegen sollte die Ressourcenausstattung der Behörde noch einmal einer grundlegenden Überprüfung unterzogen werden. Auch der Gesetzentwurf unterstreicht die überragende Bedeutung eines gut ausgebildeten, hochspezialisierten Personalstamms. Wenn dafür aber lediglich Zulagen zwischen 58 und 340 Euro vorgesehen sind, wirkt dies kaum glaubwürdig.

Defekte in der Regulierung als Systemrisiko

Als Konsequenz aus der Finanzmarktkrise sollten – so der politische Wille – die Fehler der bisherigen Regulierung beseitigt werden. Die drei genannten Beispiele zeigen jedoch, dass der Weg zur Erreichung des Zieles noch weit ist, aktuell sogar Irrwege beschritten werden. Wenn quantitative Normen doch wieder eher politischen Argumenten als ökonomischen Notwendigkeiten folgen, die qualitative zur verkappten quantitativen Aufsicht und die institutionelle Verankerung der Aufsicht willkürlich hin- und hergeschoben wird, dann gerät die Regulierungsstatik und damit letztlich auch die Finanzstabilität ins Wanken.

  • 1 Vgl. aktuell auch S. Paul: baustelle – wissen & handeln 11, institut für kredit- und finanzwirtschaft, Ruhr-Universität Bochum 2012, http://www.ikfserver.de/shared/downloads/IKF_wuh11_web.pdf.
  • 2 Basel Committee on Banking Supervision: Quantitative impact study results published by the Basel Committee, Basel, April 2012; und European Banking Authority: First report on the results of the Basel III monitoring exercise, London, April 2012.
  • 3 S. Lautenschläger: Basel III und der Mittelstand, Manuskript des Vortrags am 29.3.2012 in München.
  • 4 S. Paul: Staatsrisiken und Bankenregulierung: Stärkere Fokussierung unerlässlich, in: Wirtschaftsdienst, 91. Jg. (2011), H. 7, S. 448-452.
  • 5 S. Paul: Umbruch in der Bankenregulierung: Die Entwicklung des Baseler Regelwerks im Überblick, in: G. Hofmann (Hrsg.): Basel III und MaRisk, Frankfurt a.M. 2011, S. 9-63.
  • 6 Verband öffentlicher Banken, Vermerk vom 22.5.2012; und E. Loeper: Verhandlungsstand CRD IV / CRR und aktuelle Arbeiten des Baseler Ausschusses, Vortrag beim Symposium der Deutschen Bundesbank am 12.6.2012 in Frankfurt a.M.
  • 7 T. Volk, B. Wiesemann: Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen (ZfgK), 65. Jg. (2012), S. 268.
  • 8 S. Blochwitz: Die aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte, Vortrag beim Symposium der Deutschen Bundesbank am 12.6.2012 in Frankfurt a.M.
  • 9 S. Paul: „Qualitative“ Bankenaufsicht – „Königsweg“ der Regulierung?, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 1. Jg. (2001), S. 281-299; und S. Paul: Basel II – Kontrolle der Risikoposition von Banken im Spannungsfeld von Markt und Staat, in: BFuP – Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 54. Jg. (2002), S. 556-573.
  • 10 R. Gödde: Risikotragfähigkeit – der Blick aus der Praxis, Vortrag beim Symposium der Deutschen Bundesbank am 12.6.2012 in Frankfurt a.M.
  • 11 S. Paul, S. Stein, C. Meine: Aufsichtsqualität aus Sicht der Banken – empirische Ergebnisse nach der Krise, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen (ZfgK), 64. Jg. (2011), S. 558-563.
  • 12 Bei der Frage nach der Gesamtzufriedenheit stand der Wert 5 für eine sehr hohe, der Wert 1 für eine sehr niedrige Zufriedenheit. Jeder dieser Antwortstufen wurde in der Auswertung ein Indexwert zugeordnet; dabei erhielt die 5 = 100 Punkte, die 1 = 0 Punkte.
  • 13 W. Kösters, S. Paul, J. Süchting: Ein Effizienzmodell zur Strukturreform der Deutschen Bundesbank, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen (ZfgK), 54. Jg. ( 2001), S. 457-465.
  • 14 Vortrag an der Ruhr-Universität Bochum am 3.5.2012.

Risiken im Finanzsystem – der Status quo der Finanzreformen

Obwohl schon oft auf ungenügende Risikoinstrumente wie Value at Risk, die systemischen Risiken, die von Hedge Fonds ausgehen,1 und den Moral Hazard einer expansiven Geldpolitik hingewiesen wurde,2 hätte sich niemand das Ausmaß an systemischen Risiken durch die Nutzung von CDOs (Colateral Debt Obligations, bzw. US-Immobilien-Krediten) und CDS (Credit Default Swaps)3 vorstellen können, die letztlich zur Finanzkrise führten.4 Es ist offensichtlich, dass viele Staaten aufgrund ihrer angespannten Verschuldungssituation eine neue Finanzkrise nicht auffangen könnten. Umso wichtiger ist es, dass die internationale Finanzmarktordnung systemgefährdende Krisen verhindert. Im Folgenden werden die wesentlichen bisher durchgeführten Reformen den durch die Finanzkrise offenbarten Schwachstellen der internationalen Finanzmarktordnung gegenübergestellt und auf ihre Reichweite untersucht.

Derivate und Hedge Fonds

Mitte 2011 gab es bilaterale nicht über eine Börse abgewickelte Over-the-Counter-Derivate (OTC-Derivate) im Umfang von schätzungsweise 708 Billionen US-$.5 Nach wie vor fehlt sowohl auf nationaler als auch auf supranationaler Ebene eine Übersicht über die Ausfallrisiken als Kontrahentenrisiken, die durch nicht erfüllbare Derivate, insbesondere Kreditderivate weltweit existieren.

Der 2010 verabschiedete Dodd Frank Act schreibt in den USA für Derivate ein Clearing und einen Handel über die Börse oder über Swap Execution Facilities vor, also über zentrale Clearingstellen (Central Counterparties, CCPs). Zur Begrenzung des Kontrahentenrisikos sollen die Börsenaufsicht SEC und die Commodity Future Trading Commission Standards für Kapitalanforderungen und Sicherheitenhinterlegungen erarbeiten.6 Ebensolche Vorschriften sind im Reformpaket zur Bankenregulierung Basel III vorgesehen. Die Derivate sollen hier gemäß der internationalen Vorgaben des Committee on Payment and Settlement Systems (CPSS) und der International Organization of Securities Commissions (IOSCO) standardisiert über zentrale Clearingstellen abgewickelt und wie bei Futures durch hinterlegte Beträge (Margins) abgesichert werden.7 Zur Ermittlung der Eigenkapitalanforderungen von Derivaten sollen umfangreiche Modelle herangezogen werden: der ratingbezogene Bond-Äquivalenz-Ansatz und der interne Advanced-Credit-Value-Adjustment-Ansatz (CVA-Ansatz), der auf Marktdaten, insbesondere Spreads, beruht.8 Basel III schreibt für die verbleibenden, nicht über Clearingstellen abgewickelten Derivate zur Absicherung des Kontrahentenrisikos zukünftig höhere Eigenkapitalquoten vor.9 Vor diesem Hintergrund verpflichten sich immer mehr Banken, ihre Derivate über Clearingstellen abzuwickeln.10

Dies sind wichtige Schritte zur Begrenzung des systemischen Risikos, das von Derivaten ausgeht. Das systemische Risiko der nicht unter die Regelungen fallenden Off-shore-Institute und Hedge Fonds bleibt aber bestehen. Zumindest wurden in den USA (im Dodd Frank Act) und der EU ebenso wie in anderen Staaten Hedge Fonds unter die Aufsicht von Behörden gestellt. Hedge Fonds müssen zukünftig Informationen zu ihren Risikopositionen geben.11

Finanzaufsicht

Vor und während der Finanzkrise hatten die nationalen Finanzaufsichten zu keinem Zeitpunkt eine Vorstellung vom Gesamtrisiko der US-Immobilienderivate (CDO) und der Kreditderivate (CDS) und deren Verteilung auf die einzelnen Banken. Die Finanzinnovationen täuschten mit ihren komplexen mathematischen Modellen und den AAA-Ratings eine trügerische Sicherheit vor, und die Aufsichtsbehörden waren überfordert. Die nationalen Aufsichten waren wie im Fall der USA zersplittert und unterbesetzt. In den USA gab es auf Bundesebene vier nicht koordinierte Aufsichtsbehörden und in den Bundesstaaten weitere selbständige Behörden. Die stärkste US-Aufsicht, die Börsenaufsicht SEC, war durch massive Stellenkürzungen in den Risikokontroll- und Regulierungsabteilungen handlungsunfähig geworden.12 Später gab auch der Chef der deutschen Bankenaufsicht Sanio zu, dass seine Behörde mit der schnellen Entwicklung neuer Finanzprodukte überfordert war.13

In den USA weist der Dodd Frank Act der Federal Reserve eine zentrale Stellung im Regulierungs- und Aufsichtssystem zu. Und der neue Financial Stability Oversight Council soll die Finanzmärkte beaufsichtigen und systemische Risiken identifizieren. Er verfügt allerdings nicht über Exekutivbefugnisse. Um das Moral-Hazard-Problem eines „too big to fail“ zu entschärfen, errichtet der Dodd Frank Act zur geregelten Abwicklung von insolventen Finanzinstitutionen eine Orderly Liquidation Authority.14

Auf europäischer Ebene wurden mit dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board, ESRB), dem Euopäischen Finanzaufsichtssystem (European System of Financial Supervision, ESFS) und der European Banking Authority (EBA) in London Organisationen zur Finanzaufsicht geschaffen. Diese Organisationen sind allerdings mit der EZB schlecht koordiniert und verfügen über keine exekutiven Eingriffsbefugnisse in die nationalen Finanzmärkte.15 Da die EZB als „lender of last resort“ die Haftung für eine mangelhafte Bankenaufsicht übernehmen muss, läge es nahe, alle Kompetenzen bei der EZB als europäische Aufsichtsbehörde zu bündeln. Dass sich der gesamte europäische Finanzmarkt an der Eurozone orientiert, ist ein weiteres Argument für diesen Schritt. Eine Aufsichtsbehörde in London ist so gesehen eher für eine internationale Aufgabe geeignet.

Bei den nationalen Finanzinstituten wurden zwar neue Stellen geschaffen, die hohen Bestände von Staatsanleihen bei einigen Banken in der derzeitigen Staatsschuldenkrise zeigen aber als aufsichtrechtlich nicht verhindertes Klumpenrisiko, dass die nationalen Finanzaufsichten auch nach der Finanzkrise sowohl finanziell als auch personell noch viel zu schwach ausgestattet sind, als dass sie eine effektive Überwachung ihrer Finanzmärkte vornehmen könnten. Die aufsichtsrechtlichen Vorschriften für Finanzinstitute sind nach wie vor weder international noch in der EU vereinheitlicht. Eine globale Finanzaufsicht, die grenzübergreifend die global agierenden Finanzinstitute überwacht, gibt es immer noch nicht.16 Die Risiken sind aber grenzüberschreitend und müssen international aggregiert überwacht werden, um eine zweite Weltfinanzkrise zu verhindern. Es gibt auch kein internationales Insolvenzregime, um den Konkurs systemrelevanter Banken abzuwickeln. Und die Anzahl der systemrelevanten Banken ist ebenso wie ihre Systemrelevanz durch die Fusionen und Übernahmen als Folge der Finanzkrise sogar noch gestiegen.17 Internationale Institute haben internationale Verbindlichkeiten und müssen deshalb auch bei einer Insolvenz von einer supranationalen Organisation abgewickelt werden. Andernfalls kommt es zu nationalen Ring-Fencing-Lösungen, bei denen nationale Gläubiger bevorzugt werden.18 Der IWF wäre aufgrund seiner Internationalität und seiner finanziellen Optionen geeignet, als internationale Finanzaufsicht zu agieren. Leider konnten sich die Staaten bisher nicht auf eine teilweise Aufgabe ihrer nationalen Kompetenzen einigen.

Eine weitere Erfahrung der Finanzkrise war, dass vielen Bankvorständen anscheinend die fachliche Qualifikation fehlte, die Risiken aus den Subprimekrediten richtig einzuschätzen. Hier ist die nationale Finanzaufsicht gefordert, insbesondere die Erfahrungen der Vorstandskandidaten im Kreditgeschäft zu überprüfen.

Ratingagenturen

Eine Hauptursache der Subprimekrise ist, dass sich die Investoren auf die Krediturteile der Ratingagenturen verlassen haben. Die Ratings waren allerdings unrealistisch positiv, was dazu führte, dass Kredite in den Bankbilanzen mit zu wenig Eigenkapital unterlegt wurden. Die Ratingagenturen tragen zum systemischen Risiko bei, weil sie ein gleichgerichtetes Verhalten der Marktakteure indizieren. Wenn sich wie in der Finanzkrise AAA-geratete Wertpapiere wie die CDOs hinterher als wertlos erweisen, können Asset Bubbels gefolgt von Asset Crashs entstehen. Der Dodd Frank Act unterstellt die Ratingagenturen der SEC. Eine neu geschaffene Abteilung der SEC bekommt die Aufgabe, die Ratings und die Methoden der Agenturen regelmäßig zu kontrollieren. Bei Verstößen kann die SEC Strafen verhängen oder die Lizenz entziehen. Die Ratingagenturen können bei grob fahrlässigen Ratingfehlern von den Investoren auf Schadensersatz verklagt werden.19 Dies ist eine wichtige Neuerung, da die Agenturen bisher für ihre Risikobewertungen nicht hafteten.

Die Bindung der Eigenkapitalquote an das Rating gilt auch nach der Finanzkrise. Als Reaktion auf die Finanzkrise erhöhen Basel III und der Dodd Frank Act massiv die Eigenkapitalanforderungen für Banken.20 Die Vorschläge des Basel Committee on Banking Supervision (BCBS) sowie die der Schweizer und der britischen Expertengruppen gehen sogar noch weiter.21 Niemand kann allerdings vorhersagen, wie sich die Ratings in einer Krise verändern und damit auch nicht, wie hoch der Eigenkapitalbedarf sein wird, um die Insolvenz eines systemrelevanten Instituts zu verhindern. Beispielsweise wies die Schweizer UBS nach den Basel-II-Kriterien bis zu Ihrer staatlichen Stützung konstant eine risikogewichtete Eigenkapitalquote von 10% aus, während die ungewichtete Eigenkapitalquote bereits auf 2% gesunken war.22

Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sieht in falschen oder gleichgerichteten externen Ratings nach wie vor ein Problem. Die Basel-III-Regelungen verwenden Kennzahlen wie die Liquiditätsquoten Liquidity Coverage Ratio (LCR) und Net Stable Funding Ratio (NSFR), die das Risiko von Staatsanleihen prinzipiell niedrig oder gleich Null einschätzen. Alle Forderungen gegenüber Staaten werden bei den Anforderungen für die Eigenkapitalunterlegung gemäß ihrem Rating einbezogen. Die Anreize für die Banken, Staatsanleihen zu halten, haben den Sachverständigenrat dazu veranlasst, auf die Gefahr von Klumpenrisiken bei Staatsanleihen hinzuweisen und vorzuschlagen, auf eine Risikogewichtung der Forderungen zu verzichten sowie Großkreditgrenzen bei Staatsanleihen (insbesondere bei denen des eigenen Staates) einzuführen.23

Ratings sind Schätzungen von zukünftigen Entwicklungen, die auf Vergangenheitszahlen basieren. Genau genommen lässt sich das zukünftige Risiko aber gar nicht berechnen, weil die möglichen Umweltzustände mit ihren Wahrscheinlichkeiten nicht bekannt sind. Anders als beim statischen Experiment des Werfens einer Münze ändern sich die Rahmenbedingungen der Zufallsereignisse ständig. Falsche Annahmen über Ausfallwahrscheinlichkeiten bei der Ratingberechnung hatten schon die US-Immobilienkrise verursacht. Über Jahrzehnte waren die Immobilien im Wert gestiegen, da die USA ein starkes Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum verzeichneten. Dies erklärt auch die historisch niedrigen Ausfallraten bei den Immobilienkrediten. Da die Ratingagenturen die Risiken der Subprimekredite ausgehend von den Ausfallraten auf Basis dieser historischen Zeitreihen analysierten, entging ihnen, dass sich mittlerweile die Kreditvergabepraxis stark verändert hatte.24 Das Problem der Vergangenheitsorientierung kann sich auch bei anderen Kapitalmarktansätzen verzerrend auswirken, das gilt beispielsweise für den Value at Risk,25 einen Risikomaßstab für Wertpapiere (vor allem Derivate), der von den historischen Wertveränderungen (Volatilitäten) oder angenommenen Verteilungen auf zukünftigen Einflussfaktoren schließt.26 Um bisher nicht da gewesene Situationen einzubeziehen, schreibt Basel III für die Value-at-Risk-Modelle fiktive Stressszenarien vor.27 Obwohl die Zukunft nach wie vor unberechenbar bleibt, ist dies zumindest eine Verbesserung.28

Da die Finanzkrise gezeigt hat, wie schnell sich Ratings als falsch oder überholt herausstellen können, sollte auf sie verzichtet und zu den ursprünglichen Regeln von Basel I zurückgekehrt werden. Die unterschiedlichen Risiken der Kreditnehmer würden sich dann wie zu den Zeiten von Basel I in den internen Risikomargen der Banken und damit in den Kreditzinsen widerspiegeln. Dies hätte den Vorteil, dass eine weltweite Verschlechterung der Bonität bzw. eine Erhöhung der Risiken nicht kurzfristig aufsichtsrechtlich einen höheren Eigenkapitalbedarf erzwingen würde. Die Regelungen von Basel III versuchen, diesem Problem mit einem 2,5%igen zusätzlichen antizyklischen Kapitalpuffer zu begegnen.29 Dieser Ansatz ist zwar sinnvoll, fraglich ist jedoch, ob dieser Puffer ausreicht.

Wiedereinführung des Trennbankensystems

Hohe Forderungsabschreibungen der Banken waren sowohl in der Finanzkrise als auch in der aktuellen Staatsschuldenkrise vor allem im Investmentbanking erforderlich. Die bankinterne Risikokontrolle und -überwachung war für diesen Bereich viel geringer als für den Kreditbereich. Erforderlich wäre es, die Kredit- bzw. Ausfallrisiken aus dem Investmentbanking der gleichen bankinternen und externen Aufsicht und Kontrolle zu unterstellen. Vor allem die Vorschriften für die Eigenkapitalunterlegung sowie die Behandlung von Klumpenrisiken müssen auch für Handelspositionen gelten. Gemäß den Regeln von Basel III müssen Banken zukünftig zusätzlich beim Kauf von Anleihen (Verbriefungspositionen) eine eigene modellbasierte interne Risikoeinschätzung durchführen und das ermittelte Kursrisiko im Handelsbuch in Anlehnung an das Anlagebuch mit Eigenkapital unterlegen.30 Ein alternativer Lösungsansatz wäre die Wiedereinführung des Trennbankensystems, also die Trennung von Investment- und Kreditgeschäft.

US-Präsident Clinton und sein Finanzminister Rubin beschlossen 1999 den Glass Steagall Act und schafften damit das Trennbankensystem in den USA ab. Die neuerliche Einführung eines Trennbankensystems könnte dazu beitragen, die Übertragung von Risiken des Investmentbankings auf die Kreditbanken und damit einen systemischen Dominoeffekt ausfallender Forderungen zu verhindern. Dies wird derzeit in Großbritannien diskutiert. Der Vickers-Bericht hat hier einen guten Lösungsansatz aufgezeigt, indem er vorschlägt, Retail-Banken riskante Investmentgeschäfte zu verbieten.31 Es ist allerdings davon auszugehen, dass der Ansatz wie die entsprechende amerikanische Volcker-Regel im Dodd-Frank-Gesetz mit Ausnahmen versehen und damit die Risikoabschirmung stark eingeschränkt wird.32

Eine Wiedereinführung des Trennbankensystem würde allerdings nur ein Übergreifen der Risiken innerhalb des Bankensystems verhindern. Das Schuldner- und Kontrahentenrisiko des Investmentbankings und damit das systemische Risiko würde aber fortbestehen. Wichtig wäre zusätzlich – wie im Vickers-Bericht vorgesehen – ein Verbot für Retail-Banken, Hedge Fonds zu finanzieren, also an sie Kredite zu vergeben.33 Ferner ist es notwendig, dass der bilanzielle Ansatz für Beteiligungen einen potenziellen Ausfall von Investmentpositionen berücksichtigt. Damit verbunden wäre ein Verbot für Retail-Banken, sich an Finanzinstituten mit Investmentrisiken zu beteiligen, zumindest auf einen Wertansatz dieser Beteiligungen sollten sie verzichten. Die Obergrenze für Beteiligungen an Investmentinstituten wurde im Dodd Frank Act auf 3% festgelegt.34 Diese US-amerikanischen und britischen Ansätze sollten auch von den kontinentaleuropäischen Regierungen übernommen werden. Dies gilt auch für die Schwachstellen der Corporate Governance, die durch die Finanzkrise sichtbar wurden. Die Bonisysteme der Unternehmen verstießen gegen das Prinzip Haftung, weil nur die kurzfristige Zielerreichung belohnt wurde. Langfristige Negativentwicklungen wurden nicht berücksichtigt. Auch hier scheint ein Eingriff von staatlicher Seite notwendig, um einen Moral Hazard zu verhindern. Zumindest bietet der Dodd Frank Act eine rechtliche Basis, nach einer Bilanzkorrektur zuviel gezahlte Bonusvergütungen zurückzufordern.35

Fair-Value-Bewertung von Krediten

Als die Kurse der Staatsanleihen während der europäischen Staatschuldenkrise sanken, benötigten viele europäische Banken frisches Eigenkapital, weil die Kursverluste zu Wertberichtigungen führten. Dabei hat sich gezeigt, dass die bilanzielle Bewertung von handelbaren Krediten zum Fair Value, also zum Marktwert, ein Problem darstellt. Dies wurde bereits in der Finanzkrise deutlich, als die Märkte für die CDOs weggebrochen waren und die Werte ins Bodenlose fielen. Die Fair Values fielen von übertriebenen Werten auf untertriebene Werte. Eine langfristig am Gläubigerschutz und am Vorsichtsprinzip orientierte Bewertung gemäß dem Handelsgesetzbuch wäre hier geeigneter als der Fair-Value-Ansatz nach den United States Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP) und den International Financial Reporting Standards (IFRS).36 Beispielsweise werden nach diesen Bilanzierungsvorschriften Bankkredite erst wertberichtigt, wenn sie nicht mehr bedient werden oder dauerhafte Verschlechterungen in der Kreditwürdigkeit des Schuldners eintreten, die die Rückführung des Kredites gefährden. Marktwerte werden aber von Angebot und Nachfrage bestimmt, die sich nicht direkt auf die Kreditwürdigkeit auswirken.37 Hier sollte es eine bilanzielle Option geben, den Marktwert auf Basis von aktuellen, durch die Bankaufsicht überprüfbaren internen Ratings anzusetzen. Sollte dies nicht möglich sein, wäre ein eigener europäischer Rechnungsstandard zu erarbeiten.38

Fazit

Die meisten durch die Finanzkrise aufgedeckten systemischen Risiken werden im Bankenregelwerk Basel III angegangen und auch überwiegend ausreichend begrenzt. Was bringen allerdings höhere Eigenkapitalanforderungen, wenn die USA Basel III wie auch Basel II nicht umsetzen, sondern wie mit dem Dodd Frank Act eigene nationale Finanzmarktregelungen erlassen? Während Basel III ausschließlich aufsichtsrechtlich orientiert ist, beabsichtigen der Dodd Frank Act und der Vickers-Report auch strukturelle Veränderungen. Durch die mangelnde internationale Abstimmung der nationalen Finanzmarktregulierungen kommt es zu Wettbewerbsverzerrungen und zur Ausnutzung von Free-Rider-Positionen.

Basel III ist noch komplexer als Basel II und auch der Dodd Frank Act ist mit 541 Gesetzesartikeln sehr umfangreich. Das Finanzsystem und das Risikomanagement werden damit komplizierter und die Risiken der Banken schlechter erkennbar. Die Gefahr, die hiervon ausgeht, sollte nicht unterschätzt werden. Schließlich war die Komplexität der Finanzprodukte für die Fehleinschätzungen der Marktteilnehmer im Rahmen der Finanzkrise verantwortlich. Der Trend zu einer hohen Komplexität der Finanzmarktregelungen geht deshalb in die falsche Richtung. Es wäre besser, riskante und komplexe Finanzprodukte zu verbieten, als die Regulierungskomplexität und -kosten (wie beispielsweise durch höhere Eigenkapitalvorschriften) weiter zu erhöhen und damit das volkswirtschaftliche Wachstum zu verringern.

Ansätze gab es bereits. In den USA war z.B. eine entsprechende Gesetzesinitiative zum Verbot sogeannter Naked CDS, also Kreditversicherungen ohne zugrunde liegenden Kredit, 2009 am Kongress gescheitert.39 Im US-Kongress haben derzeit die Republikaner, die sich gegen eine strengere Regulierung der Finanzmärkte aussprechen, die Mehrheit. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Romney möchte sogar für den Fall, dass er gewählt wird, den Dodd Frank Act zumindest teilweise rückgängig machen.40 Hinzu kommt, dass die Volcker-Regel erst 2017 in Kraft treten soll und sich aufgrund von Übergangsregelungen ihre Umsetzung auch noch bis 2022 hinauszögern kann.41 Bis dahin kann die Bankenlobby noch Einfluss nehmen und ihre Interessen vertreten, denn der Handel mit Derivaten stellt für die Finanzdienstleistungsbranche mittlerweile eine wichtige Einnahmequelle dar. Der Einfluss der Bankenlobby ist groß. Die Finanzbranche gehört in den USA zu den größten Wahlkampfspendern.

Vor diesem Hintergrund kann es für ein besseres internationales Risikomanagement auch schon zu spät sein. Aufgrund der mittlerweile angespannten Verschuldungssituation vieler Staaten ist es offensichtlich, dass eine neue Finanzkrise nicht durch die Staaten aufgefangen werden könnte. Dann wäre aber nicht nur der nächste Crash, sondern auch eine, die Weltwirtschaftskrise von 1929 weit übertreffende Depression zu erwarten. Die internationale Arbeitsteilung ist mittlerweile viel größer als 1929, weshalb ein Zusammenbruch des Finanzsystems wesentlich gravierendere Folgen hätte. Deshalb wäre die Politik gut beraten, zumindest auf nationaler oder europäischer Ebene die Auswirkungen einer neuen Finanzkrise auf die eigene Wirtschaft zu begrenzen, sollte eine internationale Regelung nicht durchsetzbar sein.

Hier gibt es zwei Optionen. Ein Lösungsansatz ist die Einführung freiwilliger Sicherheitsstandards,42 die von einem internationalen Gremium entworfen werden, das allen nationalen Aufsichtsbehörden ebenso offen steht wie den Finanzmarktteilnehmern und ihren Verbänden. Die Standards sollten verschiedene Abstufungen haben und von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bei den Marktakteuren kontrolliert und als Gütesiegel zuerkannt werden. Ein Anreiz zur Einhaltung dieser Standards wären günstigere Refinanzierungskosten und geringere Sicherheitenhinterlegungen bei Kontrahentenrisiken, die sich an den Märkten bilden und ergänzend von den Baseler Vorgaben berücksichtigt werden könnten. Dieser Anreiz bestünde auch für Off-shore-Institute. Eine alternative Option zur Begrenzung des systemischen Risikos wäre die Internalisierung des systemischen Risikos in den Marktpreisen. Auf hohe Eigenkapitalvorgaben könnte verzichtet werden, wenn die systemischen Risiken, die von nicht-regulierten Finanzkontrahenten ausgehen, richtig bepreist bzw. ausgewiesen werden. Ein Lösungsansatz wäre so gesehen eine Steuer auf Transaktionen mit unregulierten Institutionen, da die Kosten des Risikos, das von diesen Institutionen ausgeht, internalisiert und Free-Rider-Vorteile verringert werden würden. Diese Steuer könnte von jedem Staat individuell erhoben werden, also auch ohne eine internationale Finanzmarktregulierung.

Dominanz der Finanzoligarchie, Schwäche der Ordnungspolitik und Förderung des spekulativen Sektors

„Ein stabiler Finanzmarkt ist ein öffentliches Gut“ unterstrich der damalige Finanzminister Steinbrück in einer viel beachteten Rede vom 15. Oktober 2008 in der heißen Phase der Finanzmarktkrise.1 Angela Merkel bekräftigte, dass „kein Produkt, keine Region und kein Akteur“ unreguliert bleiben sollten.2 Auf dem G-20-Gipfel vom November 2008 wurde diese Forderung bekräftigt. Hannes Rehm, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der NordLB und des Bankenrettungsfonds Soffin forderte, dass das Bankwesen der Realwirtschaft zu dienen habe.3 Am 24. Juni 2010 wiederholte die Bundeskanzlerin vor dem Beginn des G-20-Gipfels in Toronto diese Forderung – ein Hinweis darauf, dass die Fortschritte in den dazwischen liegenden gut eineinhalb Jahren unbefriedigend waren.

Im Jahr fünf der Finanzmarktkrise sind die Forderungen, die beim Ausbruch der Krise erhoben wurden, weitgehend Makulatur. In weiten Bereichen ist die Dominanz der großen Finanzmarktakteure ungebrochen, die Regulierung extrem lückenhaft, die Bändigung der Spekulation nicht gelungen. Von einer stabilen, der Realwirtschaft dienenden Finanzwirtschaft sind wir weiter entfernt denn je zuvor.

Ursache dieses Regulierungsversagens ist die unangetastete Dominanz der Finanzmarktoligarchie, eines Machtgeflechts mit Investmentbanken im Zentrum, angeschlossenen und abhängigen weiteren Finanzinstitutionen, Lobbyisten und willfährigen Politikern, die vom langjährigen amerikanischen Verfassungsrichter und Präsidentenberater Louis Brandeis im Jahr 1912 erstmals identifiziert wurde.4 In den früheren Ausgaben seines Standardwerks zur Finanzmarktkrise widmet der Erfurter Finanzsoziologe Helge Peukert ein Kapitel der „Kaperung der Politik“ durch die Finanzbranche, ein Begriff, der vom ehemaligen IWF-Chefvolkswirt Simon Johnson geprägt wurde.5 Diese Kaperung hat nur ein Ziel: die Realwirtschaft der Spekulationswirtschaft zu unterwerfen und die leistungsfreien Einkommen der Finanzkaste zu erhalten und zu steigern. Die Methoden reichen von subtil bis brachial. Wenn zum Beispiel der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank nach seinem Ausscheiden dort bei Goldman Sachs anheuert und dann später die Finanzmarktregulierungskommission des Bundes leitete, dann hat das schon ein Geschmäckle. In Washington kommen vier Finanzmarktlobbyisten auf einen Abgeordneten, in Brüssel beschäftigen sich mehr als 60 Lobbyorganisationen mit der Durchsetzung der Interessen der Finanzmarktakteure. Im Sommer 2010 erscholl in diesem Zusammenhang ein Hilferuf der EU-Abgeordneten in Brüssel, dass man von Finanzlobbyisten überrollt werde.6

Auch Begriffsverwirrung Orwell’schen Ausmaßes gehört zur Taktik der Finanzlobby. Anlässlich der Debatte um die Finanztransaktionssteuer, die jede Finanztransaktion und somit jede Aktivität besteuern würde, scheute sich die Lobby nicht, eine sogenannte „Finanzaktivitätssteuer“ in die Debatte einzuführen, die eben nicht die Aktivitäten, sondern nur das Ergebnis dieser Aktivitäten besteuert und damit den Handel selber ungebremst weiterlaufen lässt. Auch bekannte Ökonomen wie Beatrice Weder di Mauro haben sich dafür ausgesprochen.7

Prinzipien einer stabilen Finanzmarktordnung

Sony Kapoor, ein ehemaliger Banker, der die Investmentbank Lehman Brothers bereits lange vor der Krise verließ, um sich mit der Reform des globalen Finanzwesens zu beschäftigen, fasst die Prinzipien zur Gestaltung eines Bankensystems wie folgt zusammen: Fairness, Stabilität und Nachhaltigkeit, Haftung, Transparenz, Wettbewerb, Diversität sowie Einfachheit.8 Hätte man diese Prinzipien konsequent umgesetzt, wäre es nicht zur Finanzkrise in ihrer jetzigen Form und ihrem jetzigen Ausmaß gekommen. Gerechtigkeit und Fairness würden zum Beispiel bedeuten, dass Finanzmarktakteure nicht mehr die Gewinne ihrer spekulativen Aktivitäten einstecken und die Verluste der Öffentlichkeit aufbürden können. Kosten und Risiken werden von den Verursachern getragen. Stabilität und Nachhaltigkeit würden unter anderem eine entsprechende Eigenkapitalausstattung und sehr strenge Regeln für Produkte, deren Kosten erst in der Zukunft anfallen, bzw. deren Risiken nicht klar erkennbar sind, enthalten.

  • Beispiel Einfachheit: Gelegentlich ist das Argument zu hören, dass es in kaum einem Sektor so viele Regulierungen gebe, wie im Bankensektor.9 Das Argument geht an der Sache vorbei: Die jetzigen Regeln sind komplex, intransparent und oftmals wachsweich. Sie begünstigen tendenziell die großen Akteure und die Spekulation. Gute Regeln sind einfach und transparent und setzen „harte“ Grenzen für bestimmte Geschäfte und Aktivitäten. Sie jetzt einzuführen, würde sicher bedeuten, das hypertrophe Finanzsystem wieder auf eine gesunde Größe zusammenzuschrumpfen. Dazu würden im Prinzip vier Regelwerke ausreichen: 1. transparente und ausreichende Eigenkapitalausstattung, 2. die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, 3. eine Regulierung der Geschäftsmodelle und der Regionen, in denen eine Bank tätig ist und 4. einige Regeln für Produkte (z.B. eine starke Einschränkung der Verwendung von Derivaten bei Privatanlegern).
  • Beispiel Nachhaltigkeit und Haftung: sinnvolle und höhere Eigenkapitalausstattungen für Banken und alle anderen Finanzmarktakteure (Hedge Fonds, Private Equity, Versicherungen), sind die Grundlage dafür, den derzeit praktizierten Raubtierkapitalismus der Finanzoligarchie wieder in marktwirtschaftliche Strukturen zu überführen. Dann müssten die spekulativ orientierten Akteure im Falle von Verlusten einen größeren Anteil des Schadens tragen, denn Eigenkapital ist haftendes Kapital. Eigenkapital ist der Schlüssel zu allem.10 Es muss für alle Finanzmarktakteure gewisse Mindestausstattungen an Eigenkapital geben. Aus meiner Sicht wären 7% bis 8% festes Eigenkapital (nicht Kernkapital nach Basel II ) angemessen. Es geht also um eine feste „Leverage-Ratio“, bzw. einen maximalen Verschuldungsgrad. Akteure wie die Deutsche Bank könnten dann nicht mehr mit 1,8% echtem Eigenkapital ihr Geschäft betreiben und müssten ihr Eigenkapital aufstocken.

    „Kernkapital“ nach Basel II ist eine vage und manipulierbare Größe. Die Vermögensgegenstände in der Bilanz – also das, wohinein die Bank investiert – sollen je nach Risiko mit unterschiedlich viel Eigenmitteln hinterlegt werden. Zunächst einmal klingt dies gut. Letztlich hat es aber flächendeckend zu einer massiven Aushöhlung des Eigenkapitals bei Finanzmarktakteuren geführt. Zudem sind die Risikomaße natürlich gewissen Definitionen, wenn nicht Manipulationen unterworfen. Sie sind damit intransparent und stellen eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften dar. Zudem ist „Kernkapital“ nicht immer echtes Eigenkapital, sondern kann auch Hybridkapital sein. Basel II verstößt somit gegen das Gebot der Transparenz und Einfachheit, für den Verfasser zusammen mit dem Gebot der Nachhaltigkeit und der Diversität die wichtigsten Prinzipien einer umfassenden Finanzmarkreform.

    In der Finanzkrise wurde deutlich, dass die Regelungen von Basel II prozyklisch wirken. In der Krise steigen die Risikozuschläge, in guten Zeiten sinken sie. Eine solche Prozyklizität nutzt dem internationalen Finanzkapital und schadet der Realwirtschaft. Volatilität nutzt zunächst einmal spekulativ und flexibel agierenden Finanzmarktakteuren und schafft realwirtschaftliche Kosten in Form von Kalkulationsunsicherheit und Verwerfungen. Hier ist dringend – auf deutscher, europäischer und internationaler Ebene – eine Reform anzumahnen.
  • Beispiel Dezentralität: es steht wohl außer Frage, das ein dezentrales Finanzsystem stabiler als ein zentrales System ist. Das deutsche kreditorientierte Bankensystem mit Volks- und Raiffeisenbanken und Sparkassen war und ist besonders dezentral. Spareinlagen der Region werden nach Möglichkeit in Kredite für die Region umgewandelt.11 Zudem ist das System von Banken und Sparkassen hoch effektiv: Hannes Rehm weist darauf hin, dass die im internationalen Vergleich niedrige Eigenkapitalrendite (bei ordentlichen Kosten- und Produktivitätskennziffern) ein Hinweis darauf ist, dass in Deutschland anders als in Spanien, Italien oder England der Wettbewerb im Bankwesen noch funktioniert.12

Eine Bestandsaufnahme der bisherigen Maßnahmen

Der Finanzsektor besteht im Großen und Ganzen aus drei Gruppen von Akteuren, den „normalen“ Banken, die Einlagen annehmen und Kredite vergeben, den Investmentgesellschaften und Kapitalsammelstellen (dazu gehören auch Versicherungen), die Finanzmittel einsammeln und mehr oder sinnvoll anlegen und den Investmentbanken, die Produkte strukturieren und als Finanzingenieure sowie als Makler fungieren. So gesehen sind Investmentbanken weder Banken noch investieren sie.

  • Dezentralität: In der heißen Phase der Finanzkrise wurden Stimmen laut, dass Großbanken, die systemrelevant sind und ein erhebliches Erpressungspotenzial gegenüber der Politik haben, reorganisiert und verkleinert, gegebenenfalls auch zerschlagen werden sollten. „Too big to fail“ sollte es nicht mehr geben. Die Bilanz ist ernüchternd: die Konzentrationstendenzen setzen sich ungebremst fort, J.P. Morgan hat zum Beispiel die Bank of America übernommen, die Deutsche Bank durfte die Postbank kaufen. Statt einer Reduzierung der Macht der Banken sind die Großbanken mächtiger denn je. Auch die Macht des zentralistischen Kartells aus Ratingagenturen, Staaten und großen Finanzmarktakteuren ist ungebrochen.
  • Eigenkapitalregeln – Basel III ist kontraproduktiv und nützt der Spekulationswirtschaft: Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht wurde nach dem Bankrott des Bankhauses Herstatt im Jahr 1974 gegründet. Hier sind Bankenaufseher der 27 wichtigsten Finanzplätze vertreten. Der Basler Ausschuss verabschiedete die Regulierungspakete Basel I, II und III. Die Umsetzung obliegt nationalen Behörden. Das Maßnahmenpaket Basel II hatte eine stark planwirtschaftlich-bürokratische Komponente: Anstatt echtes Eigenkapital vorzuhalten, werden die Banken mit dem Ergebnis auf „risikogewichtetes Eigenkapital“ festgelegt, dass das tatsächlich zurechenbare Eigenkapital viel geringer ist als im Falle einer einfachen Eigenkapitalregel. Damit wurde der planwirtschaftlich-zentralistische Einfluss der Ratingagenturen im System festgeschrieben. Das neueste Maßnahmenbündel – Basel III – will nun neben den Einzelrisiken von Banken auch systemische Risiken berücksichtigen. Das soll durch die Einführung einer so genannten makroprudenziellen Komponente erreicht werden. Nicht nur einzelne Banken, sondern auch ihre Wechselbeziehungen und damit die Stabilität des Systems sollen untersucht werden. Die ersten Stresstests durch die Europäische Bankenaufsicht sind in diesem Rahmen zu sehen. Nach Basel III sollen Großbanken besonderen Eigenkapitalausstattungen genügen. Die Schweiz hat diese Regeln für ihre beiden Großbanken UBS und Credit Suisse noch einmal verschärft. Auch die anderen Banken sollen ihre Eigenkapitalausstattung in den kommenden Jahren deutlich erhöhen.

    Zwei lückenhafte und asymmetrische Aspekte des Pakets von Basel III sorgen aber dafür, dass mit diesem Paket die Realwirtschaft nachhaltig geschädigt und die Spekulationswirtschaft weiter gefördert wird. Zum ersten werden die Maßnahmen von Basel II und III in den USA, die Hauptinitator waren, nur lückenhaft umgesetzt. Zum zweiten sind noch keinerlei Eigenkapitalregeln für den Schattenbankensektor und seine Akteure beschlossen (Hedge Fonds, Private Equity). Durch die erhöhten Eigenkapitalanforderungen werden vor allem kreditgebende Banken und die Realwirtschaft belastet, während der Schattenbankensektor weitermachen kann wie bisher. Das hat den toxischen Effekt, dass noch mehr Geschäft aus dem relativ stabilen regulierten Bankensektor in den unregulierten spekulativen Sektor abwandert.
  • Finanztransaktionssteuer: Seit Ausbruch der Krise wird immer wieder eine Finanztransaktionssteuer zur Beteiligung der Finanzbranche an den selbst verursachten Kosten und zur Dämpfung der Spekulation gefordert. Die Idee geht auf John Maynard Keynes zurück. Während die Einnahmewirkung der Finanztransaktionssteuer umstritten ist, kann es über die Dämpfung der Spekulation durch eine solche Steuer und die Förderung nachhaltiger Transaktionen keinen Zweifel geben: die Steuer ist direkt proportional zum Produkt aus Kapitalumschlagshäufigkeit und Leverage. Sie ist damit die Spekulationsbremse schlechthin – und zwar in einer marktwirtschaftlich-freiwilligen Form.13 Dementsprechend wandte die Finanzlobby mit wenigen rühmlichen Ausnahmen (z.B. deutscher Sparkassen- und Giroverband) auch all ihre Überzeugungskraft auf, um eine Finanztransaktionssteuer zu verhindert.

    Die technische Umsetzbarkeit ist mit heutigen Mitteln kein Problem. Es ist zwar richtig, dass Deutschland alleine die Steuer wohl nicht umsetzen könnte. Die negativen Erfahrungen Schwedens und die Ausweichreaktionen nach London zeigen dies. Wenn sich aber einige kontinentaleuropäische Länder zusammentun, und sich alle Akteure beteiligen, die in diesen Ländern Geschäfte machen (egal, wo das Geschäft stattfand), dürfte die Einführung gelingen und positive Resultate bringen. In dieser Hinsicht ist der Vierergipfel vom 22.6.2012 in Rom eine kleine Sensation: zum ersten Mal erkennen vier Regierungschefs Kontinentaleuropas an, dass eine solche Steuer im Interesse Europas, wenn auch vielleicht nicht Londons oder Washingtons ist.14
  • Regulierung von Produkten und Geschäftsmodellen: mit dem Verbot von ungedeckten Wertpapierverkäufen bzw. Credit Default Swaps hat die Bundesregierung diesbezüglich zumindest symbolisch etwas unternommen.15 Ansonsten ist, insbesondere bei der Regulierung von Geschäftsmodellen, bislang wenig geschehen.

    Die Trennung von Geschäfts- und Investmentbanking, die nach dem Glass-Steagall-Act in den USA 1932 erfolgte und in den 1990er Jahren rückabgewickelt wurde, konnte auch nach der Finanzkrise nicht durchgesetzt werden. Als einer der wenigen Regulierungsschritte in dieser Richtung kann die „Volcker-Regel“ gelten, die den Investmentbanken den Eigenhandel mit Kundengeldern verbietet.16 Auch diese Lösung war nur möglich, weil Paul Volcker sein ganzes, erhebliches Prestige in die Waagschale legte.

    Derivate werden weiterhin massiv im Privatkundengeschäft eingesetzt. Derivate eignen sich aufgrund ihrer hohen Komplexität besonders dafür, hohe Gebühren von Privatkunden abzukassieren. Die Forderungen nach einer zentralen Zulassungs- und Regulierungsstelle für Derivate (ähnlich einem TÜV) ist schnell verklungen.
  • Compliance und Aufsicht schädlich für die Realwirtschaft: Die unzureichenden Regulierung von Akteuren (vor allem ausreichendes Eigenkapital für alle Akteure), Produkten (Finanztransaktionssteuer als marktwirtschaftliche Spekulationsbremse, Genehmigungsstelle für Derivate, Kopplung von Derivaten an Realwirtschaft, Verbot des Hochfrequenzhandels) und Regionen (City of London, englische Steueroasen, Delaware) führt dazu, dass das Finanzsystem anfällig ist wie eh und je.

    Nun sollen besonders strenge Haftungs- und Compliance-Regeln das System stärken. Anstatt aber das System selber robust und krisenresistent zu gestalten werden Aufsicht, Berichtswesen und Bürokratie verschärft, so dass der Finanzsektor planwirtschaftliche Züge annimmt. Zudem begünstigen die strengen bürokratischen Auflagen zentrale Lösungen und große Akteure, da diese die Ressourcen haben, entsprechende Abteilungen aufzubauen. Problematisch ist, dass z.B. die Fiktion der Gleichwertigkeit aller Kredite unterstellt wird und eine regionale Sparkasse im Prinzip das gleiche Compliance-Instrumentarium anwenden muss wie eine Großbank. So kommt es, dass Mittelstandskredite extremen Regeln unterworfen sind, weil sie im Banksektor stattfinden, während gleichzeitig Hedge Fonds und spekulative Finanzmarktakteure außerhalb der Aufsicht oder mit einem Minimum an Aufsicht ihr Unwesen treiben können.

    Richtig wäre es, Compliance-Regeln nach Größenordnung und Gefährlichkeit der Finanzinstrumente gestuft zu fordern und bei kleineren, regionalen Instituten den Aufwand zu minimieren – wenn das Haftungskapital stimmt.17
  • Verbraucherschutz als Placebo: ähnlich verhält es sich mit dem verschärften Verbraucherschutz, der allenthalben als Placebo eingeführt wird. Größere Aufklärungspflichten für Bankkunden führen zu extremem Mehraufwand in der Kundenberatung, ohne dass der Kunde in den meisten Fällen einen Nutzen davon hat. Der faire Wert für komplexe Finanzprodukte mit Derivateanteil ist nur für einen verschwindend geringen Bruchteil der Kunden und Bankberater nachzuvollziehen: bei den Kunden sicher unter 1%, bei den Beratern unter 5%. Am Ende einer „Kundenaufklärung“ muss der Kunde dann viele Aufklärungsbögen unterschreiben, die juristische Formulierungen enthalten und die ihn in der Sache wahrscheinlich selten weitergebracht haben. Eine Risikoaufklärung regelt also bestenfalls die Haftungsfrage. Wichtiger wäre es, teure und für das Kundenvermögen schädliche Produkte nicht zuzulassen und bei der Vermögensberatung zu einfachen Prinzipien und Anlageformen zurückzukehren. Es müssen also die Produkte reguliert und Risiken an der Quelle beseitigt werden.

Schlussbemerkung

„Mehr als drei Jahre nach Beginn der Diskussion in der G-20 zeigt sich, dass von dieser Gruppe keine wichtigen Impulse zur Krisenprävention zu erwarten sein werden. Das Krisenmanagement bleibt die Stärke der G-20, die Verbesserung der Krisenprävention kommt indessen kaum voran.“17 Die hemmungslose Herrschaft des Finanzkapitals ist ungebrochen, die bislang umgesetzten Regulierungsmaßnahmen nützen aufgrund ihrer Lückenhaftigkeit der Spekulationswirtschaft eher, als dass sie dieser Grenzen setzen.18

Von den richtigen Schritten zum Aufbau eines Finanzsystems – Dezentralität, ausreichendes Eigenkapital für alle Akteure und der Regulierung von Geschäftsmodellen und Produkten sind wir genauso weit entfernt, wie zu Beginn der Krise. Die Inkonsistenzen in der Regulierung nutzen zum Teil eher den bestehenden mächtigen und spekulativen Akteuren, als dass sie Stabilität, Dezentralität und Wettbewerb fördern (aktuelle Ausstattung der Eigenkapitalregeln, Compliance-Vorschriften). Nur bei der Finanztransaktionssteuer gibt es seit dem Vierergipfel in Rom einen kleinen Hoffnungsschimmer: Zum ersten Mal wollen vier europäische Regierungschefs im Notfall im Alleingang Akzente setzen. Dieser Weg könnte die Richtung weisen – die marktwirtschaftlich-sozialen Ökonomien Europas funktionieren anders als die angelsächsischer Länder. Wenn es mit der Finanzmarktregulierung ernst werden soll, muss Europa weiter vorangehen und zwar wahrscheinlich ohne Großbritannien.

Title:Financial Markets: Appropriate Regulations Adopted?

Abstract:Immediately after the financial market crisis of 2008/2009 many politicians and economists insisted on a stricter regulation of financial markets. Since then the governments in the USA and the EU have significantly tightened financial market regulation and oversight. But there are conceptual and technical problems with the latest Basel III proposals as well as with the institutional design of banking supervison. Not only rules for banking operations, but also credit rating agencies, accounting standards and the organisational structure of banks should be considered on the way to sound financial markets. However, the new legislation will not succeed in making the global financial system crisis-proof as a number of problems such as global imbalances, excessive complexity in the financial sector and inherent instability of asset prices have not been addressed. There is no consensus among the authors on the ability and willingness of politicians to achieve better regulated financial markets.


DOI: 10.1007/s10273-012-1402-3

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