Milton Friedman war einer der größten Ökonomen des letzten Jahrhunderts. Seine intensive Auseinandersetzung mit dem Keynesianismus und seine Gegenthesen haben die ökonomische Wissenschaft gespalten, aber auch vielfältige Diskussionen befördert. Als streitbarer Verfechter der Marktwirtschaft hat er die Wirtschaftswissenschaft nachhaltig beeinflusst. Martin Leschke würdigt das Lebenswerk Milton Friedmans, der Ende Juli 100 Jahre alt geworden wäre.
Am 31. Juli 2012 wäre Milton Friedman 100 Jahre alt geworden, er wurde in New York City geboren und starb am 16. November 2006 in San Francisco. Den meisten Wissenschaftlern, Politikern und sonstigen an ökonomischer Theorie Interessierten ist er vor allem als der Begründer und Hauptvertreter der monetaristischen Geldlehre bekannt. Aussagen wie: „Inflation ist stets und überall ein monetäres Phänomen“ sind untrennbar mit ihm verbunden.
Doch Friedman ist weit mehr als ein reiner Geldtheoretiker. Bereits seine monetaristische Geldlehre ist der Versuch, der keynesianischen Theorie eine stärker mikroökonomisch fundierte Konzeption gegenüberzustellen. Vor allem kritisiert er an der keynesianischen Theorie deren Kurzfristorientierung sowie die Tatsache, dass die empfohlene expansive Geld- und Fiskalpolitik nur dann ihre Wirksamkeit entfalten kann, wenn sich die Wirtschaftsakteure permanent täuschen lassen. An die Stelle einer kurzfristig ausgerichteten Konjunkturtheorie setzt er eine langfristig orientierte, regelgebundene Wirtschaftspolitik.
Über die monetaristische Lehre hinaus hat sich Friedman mit vielen verschiedenen Themen auseinandergesetzt. So widmete er sich in einem viel diskutierten Aufsatz der ökonomischen Methodologie; er verteidigte die Gewinnmaximierung der Unternehmen gegen ethische Einwände und er trat für die Schaffung und Verbesserung von Märkten ein. Darüber hinaus hat er Möglichkeiten der Schulfinanzierung durch Bildungsgutscheine und der Verankerung des Konzepts der Negativen Einkommensteuer untersucht.
Ohne Zweifel kann der folgende Überblick in keiner Weise das Gesamtwerk Friedmans würdigen. Stattdessen soll nur ein Schlaglicht auf vier zentrale Bereiche des großen Denkers1 geworfen werden: den Monetarismus, die Ethik des Gewinnerzielens, die Methodologie positiver Ökonomik und den Liberalismus.
Der Monetarismus
Der Monetarismus rückt – wie der Name vermuten lässt – eine bestimmte Art von Geldpolitik in das Zentrum der Analyse. Diese Forschungsrichtung ist unweigerlich mit dem Namen Milton Friedman verbunden, auch wenn zahlreiche andere Ökonomen (z.B. Karl Brunner, Philip Cagan, David Laidler, Allan H. Meltzer und Jerome L. Stein) ebenfalls wichtige Beiträge in diesem Feld geleistet haben. Der Monetarismus stellt eine Art „Konterrevolution“ gegen die keynesianische Theorie dar.
Auch wenn der Begriff „Monetarismus“ von Karl Brunner2 begründet und unter anderem von David Fand3 in Deutschland verbreitet wurde, liegt eine zentrale Initialzündung für diese Richtung in dem von Milton Friedman 1956 verfassten Artikel „The Quantity Theory of Money: A restatement“,4 der von ihm in den nachfolgenden Jahren und Jahrzehnten durch zahlreiche Beiträge vertieft wurde.5 Während nach keynesianischer Auffassung die Ersparnisbildung das Residuum des nicht konsumierten Einkommens darstellt, über dessen Anlage am Kapitalmarkt entschieden wird, sind für Friedman Anlage- und Konsumentscheidungen interdependent. Sie sind das Resultat eines das Gesamtportfolio (in das auch Bildungsinvestitionen und vieles andere mehr fallen) optimierenden Akteurs. Geldmengenvariationen – exogen durch eine Zentralbank herbeigeführt – entfalten ihre Wirkung über relative Renditen und Preise und erreichen schließlich den realen Sektor. Kurzfristig kann daher eine expansive Geldpolitik die Wirtschaft ankurbeln. Langfristig wird sie aber nur für Preisniveausteigerungen – Inflation – sorgen. Diese dem Keynesianismus entgegengerichtete These bedarf der Begründung. Hier sei insbesondere auf zwei Punkte hingewiesen: die natürliche Rate der Unterbeschäftigung und die sich anpassenden Erwartungen.
Im Keynesianismus wird vielfach davon ausgegangen, dass im Falle von Arbeitslosigkeit eine Politik des billigen Geldes hilft, die Beschäftigung über steigende Nachfrage anzukurbeln. Friedman hält dagegen, dass dieser Effekt nicht zwingend eintritt. Er stimmt den Keynesianern insofern zu, dass ein expansiver Geldmengenimpuls letztlich nach vielen Anpassungsreaktionen auf den Geld-, Kapital- und Bildungsmärkten auch die Investitions- und Konsumnachfrage erhöht. Trotzdem wird es langfristig auch bei Arbeitslosigkeit zu Preisniveausteigerungen und nicht zu dauerhaften Beschäftigungseffekten kommen. Der Grund liegt nach Friedman darin, dass die Arbeitslosigkeit in der Regel als konjunkturelle Arbeitslosigkeit interpretiert wird, die sich durch den expansiven Impuls wirksam reduzieren lässt. Tatsächlich jedoch dominiert langfristig die strukturelle Arbeitslosigkeit: die „natürliche Rate der Unterbeschäftigung“ (the „natural rate of unemployment“). Diese hängt nach Friedman von der Funktionsfähigkeit der Märkte (basierend auf institutionellen Bedingungen) sowie von Suchprozessen und friktionellen Anpassungsproblemen ab. Die natürliche Rate der Unterbeschäftigung ist allenfalls kurzfristig – solange die Wirtschaftsakteure ihre Inflationserwartungen noch nicht angepasst haben – von der Geld- und/oder Fiskalpolitik beeinflussbar, langfristig jedoch nicht. Analog gibt es in diesem Denkgebäude auch eine natürliche Wachstumsrate (die ebenso von den Marktbedingungen abhängt), die nur temporär durch Geld- und Fiskalpolitik verändert werden kann.
Eine durch expansive Fiskalpolitik erhöhte Nachfrage wird daher auf den natürlichen Wachstumspfad und eine erhöhte Nachfrage nach Arbeit wird auf die Friktionen des Arbeitsmarktes treffen und daher trotz Unterbeschäftigung zu Preisniveausteigerungen führen. Daraufhin werden die Inflationserwartungen angepasst und ziehen erhöhte Lohnabschlüsse nach sich, was wiederum die Inflation nach oben drückt und dadurch das Realeinkommen und die Nachfrage mindert. Auf diese Weise zeigt sich, dass Geldmengeneffekte letztlich nur zu Inflation führen und nicht in der Lage sind, nachhaltige Beschäftigungseffekte zu erzielen. Modelltheoretisch zeigt sich dieser Befund in einer horizontalen Phillipskurve6 und einer horizontalen gesamtwirtschaftlichen Angebotsfunktion (bzw. einem natürlichen Wachstumspfad).
Nicht nur aus diesen Gründen sah Milton Friedman eine auf die Konjunktur von Fall zu Fall reagierende Geld- und Fiskalpolitik als ein untaugliches Mittel an, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Als weiteres Problem führte er gegen die keynesianische Politik die Unkalkulierbarkeit der zeitlichen Dimension des geld- und fiskalpolitischen Mitteleinsatzes an.7 Auf dem langen Weg zwischen geld- und fiskalpolitischem Impuls und der Wirkung auf dem Arbeitsmarkt kann und wird es zu unkalkulierbaren zeitlichen Verzögerungen kommen. Fallweise Geldmengenänderungen sind nach Friedman8 stets mit variablen Zeitverzögerungen verbunden („Lag Hypothesis“).
Als Resultat dieser Gefahren einer diskretionären Geldpolitik plädiert Milton Friedman (seit 1959) für ein konstantes Geldmengenwachstum.9 Friedman schlägt eine konstante Wachstumsrate in Höhe von 3% bis 5% pro Jahr vor, wobei es weniger auf die genaue Höhe als auf die Konstanz ankommt. Eine solche Regel verhindert den (gegebenenfalls gut gemeinten) Missbrauch des Geldmonopols durch die Regierung, weil sie einfach und transparent ist. „Man muss Regeln für die Führung der Geldpolitik festlegen, die die Öffentlichkeit in die Lage setzten, durch ihren politischen Sachverstand die Geldpolitik zu kontrollieren, und Regeln, die gleichzeitig verhindern, dass die Geldpolitik den täglichen Launen politischer Autoritäten unterworfen ist.“10
Ähnlich skeptisch sah Friedman die Verschuldungsmöglichkeiten des Staates, die ohne Regelbindung nur im Staatsbankrott münden könnten. Er sprach sich daher bereits 1948 für ein Verbot der Aufnahme öffentlicher Kredite aus.11
Die Ethik des Gewinnerzielens
Die Wirtschaftsethik ist ein interdisziplinäres Feld. Hier arbeiten Wissenschaftler mit ökonomischem Hintergrund, aber auch Sozialwissenschaftler, die der Ökonomik skeptisch, wenn nicht sogar ablehnend gegenüberstehen. Zudem werden unternehmens- und wirtschaftsethische Diskurse immer wieder durch die Diskussion „Stakeholder- versus Shareholderorientierung“ (sollen Unternehmen sich nur an den Wünschen der Kapitaleigner orientieren oder auch die Wünsche anderer Interaktionspartner berücksichtigen?) befruchtet.
Hinter diesen Diskussionen steht die allgemeinere Frage: Können und sollen private Unternehmen soziale Verantwortung übernehmen? Eine klare Antwort auf diese Frage gab Milton Friedman am 13. September 1970 im New York Times Magazin, sie steckt bereits im Titel seines dort abgedruckten Aufsatzes „The Social Responsibility of Business Is to Increase Its Profits“. Die Manager als die Führer des Unternehmens sind nach Friedmans Argumentation den Eigentümern verpflichtet. Diese haben ihr Geld unter Verzicht auf andere Anlagemöglichkeiten dem Unternehmen zur Verfügung gestellt, und zwar in der Erwartung, dass das Unternehmen erfolgreich am Markt operiert und eine vergleichsweise attraktive Rendite erwirtschaftet, von der sie dann entsprechend profitieren.
Manager können sich als Privatpersonen für soziale Belange einsetzen, Geld spenden oder in sozialen Fonds anlegen. Sie agieren in diesem Fall als eigenverantwortliche Prinzipale. Wenn sie jedoch Entscheidungen für das Unternehmen fällen, sind sie nicht als Prinzipale, sondern als Agenten tätig und damit den Kapitalgebern – den Eigentümern – verantwortlich. Wenn diese ihr Geld dem Unternehmen zur Verfügung stellen und die Manager beauftragen, eine vergleichsweise hohe Rendite zu erzielen, wäre es ein Vertrauensbruch und damit auch unmoralisch, andere Ziele zu verfolgen.
Ein weiteres Argument, das Friedman gegen eine soziale Verantwortung der Manager ins Feld führt, sind die Bedingungen des marktlichen Wettbewerbs. In einem wettbewerblichen Umfeld sind Unternehmen zu dem Bemühen gezwungen, entweder bessere Produkte als die Konkurrenten hervorzubringen (Qualitätsführerschaft anstreben) oder gleiche bzw. ähnliche Produkte vergleichsweise günstig anzubieten (Kostenführerschaft anstreben). Ein Unternehmen, das seine Bemühungen, in die eine oder andere Richtung zu agieren, vernachlässigt, um stattdessen soziale Ziele zu verfolgen, wird über kurz oder lang vom Markt verschwinden. Nicht nur die Kapitaleigner verlieren dann ihr Geld, nein, auch die sozialen Kosten steigen, denn die arbeitslosen Mitarbeiter verlieren Einkommen und müssen sich nach einer neuen Arbeit umsehen.
Vor dem Hintergrund dieser Argumente ist für Friedman das Streben nach Profiten (die Strategie der langfristigen Renditemaximierung) die einzig legitime Verantwortung der Manager. Wer im marktlichen Umfeld etwas anderes von der Unternehmensführung verlangt, hat nach Friedman die Gesetze des Marktes nicht verstanden und richtet mit seinen überzogenen Forderungen an Unternehmen Schaden an. Die legitime Grenze unternehmerischen Handelns sieht Friedman in den Gesetzen, die der Staat (oder gegebenfalls eine Staatengemeinschaft) erlässt. Diese müssen so „gestrickt“ sein, dass soziale Kosten (Externalitäten) möglichst im Vorfeld vermieden werden. Die Strategie einer Selbstbindung des Unternehmens aus sozialen Gründen – ein unternehmerischer Alleingang – würde dem Gegenüber nichts nützen, sondern nur Schaden anrichten.
Mit diesem klaren Plädoyer für die Profitorientierung von Unternehmen hat Friedman viel Aufsehen erregt und viel Kritik geerntet.12 Ein Hauptkritikpunkt ist, dass Staaten viel zu behäbig und langsam bei der Gesetzgebung sind. Regelwerke, vor allem im internationalen Raum, sind immer sehr lückenhaft, ganz zu schweigen von den Mängeln der Regeldurchsetzung. Wenn vor diesem Hintergrund Unternehmen bei Umweltproblemen keinerlei soziale Verantwortung übernehmen und alle Möglichkeiten der Gewinnerzielung ausreizen, solange dies nur legal ist, werden Menschenleben (unnötigerweise) gefährdet.
Dieser schwerwiegende Einwand gegen die Friedman’sche Position lässt sich lösen, wenn die Intention von Milton Friedman bedacht wird. Er stellt mit seinen Ausführungen ein „Unmöglichkeitstheorem“ auf: Es ist naiv, dumm und sinnlos, einem Unternehmen, das im marktlichen Wettbewerb agiert, vorzuschreiben, soziale Ziele zu verfolgen. Das Unternehmen muss dabei verlieren, weil es sich mit dieser Strategie gegen die Gesetze des Marktes stellt. Wenn man dies als Wirtschaftsethiker akzeptiert, muss man nicht gegen, sondern mit Friedmans Einsichten nach Lösungsmöglichkeiten suchen. Hierzu seien drei mögliche Stoßrichtungen genannt.13
- Erstens kann ein Unternehmen Gewinn und soziale Verantwortung dadurch vereinbaren, dass es eine bestimmte Art der Fertigung, die mit sozialer Verantwortung in Einklang steht, offensiv kommuniziert. Damit kann es bei bestimmten Konsumenten eine höhere Zahlungsbereitschaft „wecken“, d.h. auch bei höheren Preisen lassen sich dann die Gewinnziele verwirklichen.
- Zweitens kann das Unternehmen versuchen, auf Lücken in nationalen und internationalen Regelwerken aufmerksam zu machen, damit diese Lücken dann durch die Gesetzgebung geschlossen werden. Die neuen Regeln gelten dann für alle Marktakteure, eine Gewinneinbuße ist nicht zu erwarten.
- Drittens kann ein Unternehmen versuchen, zusammen mit Nicht-Regierungsorganisationen Branchenlösungen (Selbstbindung einer Branche) zu initiieren. Solche Bindungen kennt man im Bereich der internationalen Korruptionsbekämpfung, wo Transparency International die Rolle des Kontrolleurs übernimmt. Auch hier hat das einzelne Unternehmen gegenüber einem Alleingang mit wenigen Nachteilen auf der Profitseite zu rechnen, weil die unmittelbaren Konkurrenten ins Boot geholt und ausscherende Trittbrettfahrer öffentlich an den Pranger gestellt werden.
Auch wenn Milton Friedman vorzuwerfen wäre, selbst zu wenig auf solche Möglichkeiten, Bindungen zu implementieren, aufmerksam gemacht zu haben,14 muss seinem Ausflug in die Wirtschaftsethik doch zu Gute gehalten weden, dass er einen entscheidenden Punkt gemacht hat: Wirtschaftsethische Forderungen an Unternehmen müssen, um erfolgreich zu sein, die Bedingungen des Marktes beachten, sonst richten sie Schaden an und führen zu höheren und nicht geringeren sozialen Kosten.
Die Methodologie positiver Ökonomik
Genau wie sich Friedman einmal zur Frage der Verantwortung von Unternehmen geäußert hat, tat er dies auch einmal in Bezug auf die ökonomische Methodologie. Provokant wie bei seinem wirtschaftsethischen Aufsatz vertrat er in seinem 1953 erschienen Aufsatz „The Methodology of Positive Economics“ die These, dass es völlig irrelevant sei, ob die Annahmen eines ökonomischen Modells realistisch sind.15
Friedman widerspricht damit jenen Kritikern der ökonomischen Modellbildung, die bemängeln, dass die den Modellen zugrunde liegenden Annahmen immer unrealistisch seien und mit dem Verhalten von Menschen aus Fleisch und Blut wenig oder nichts zu tun hätten. Sein Argument ist, dass man aus Modellen, die auf wahren Annahmen beruhen (sofern dies überhaupt möglich ist) nichts lernt. Zielführend sind gerade jene Modelle, die durch Abstraktion und verfälschende Verwesentlichungen der realen Welt bestimmte Probleme pointiert hervorheben und andere Sachverhalte unterdrücken. Die Fruchtbarkeit der Theorie oder des Modells ist ein Ergebnis, das sich aufgrund des kontrollierten Anti-Realismus der Annahmen einstellt. Provokant ausgedrückt führte dies zu der von Samuelson kritisierten F(riedman)-Twist-Hypothese: Je unrealistischer die Annahmen, desto valider und erkenntnisreicher die erklärenden Hypothesen und Prognosen des Modells!16
Friedman erntete von Nicht-Ökonomen und Ökonomen viel Kritik für diese Ansicht. Da er sich an seine Regel hielt „bei zahlreicher Kritik kann man nicht allen Kritikern antworten, daher wird keinem erwidert“, lebt bis heute die Diskussion um die Realistik der Annahmen immer wieder auf. Und gerade in der heutigen Zeit ist die Frage aktueller denn je, denn die experimentelle Ökonomie ist auf der Suche nach dem „wahren Kern“ menschlichen Verhaltens und bringt ihre Ergebnisse gegen zahlreiche Annahmen der Standardökonomik in Stellung.
Da hier nicht der Platz ist, um die Diskussionen in all ihren Facetten auch nur ansatzweise anzureißen, soll im Folgenden nur auf die Frage eingegangen werden: Kann bzw. soll man Modellannahmen überhaupt kritisieren, oder ist der Prüfstein des Modells allein die Validität der generierten Hypothese? Oder in prägnanteren Worten: Entscheidet allein der Modelloutput und nicht der Modellinput über die Güte des Modells?
Friedman sieht in dem Aufstellen von Modellen den Sinn, Erkenntnisse zu gewinnen, um reale Probleme zu lösen. Die Annahmen konstituieren die Modellwelt und letztlich wird eine testbare Hypothese generiert. Wenn nun die Annahmen streng genommen, d.h. gemessen an der realen Welt, immer falsch sind (bzw. sein müssen), stellt sich die Frage, ob man die Annahmen überhaupt kritisieren kann. Der Nobelpreisträger Ronald Coase sagt in einer lesenswerten und wenig beachteten Auseinandersetzung mit dem Friedman’schen Standpunkt „ja“, man kann und soll die Annahmen kritisieren.17
Friedmans Ausführungen und vor allem die Diskussion um Friedmans methodologischen Standpunkt führen zu dem nach Ansicht von Coase falschen Eindruck, auf die Setzung der Annahmen (den Modellinput) komme es letztlich gar nicht an. Coase führt dagegen an, dass die Annahmen die Bausteine des Modells sind und das Modell selbst immer eine implizite Hypothese darüber enthält, was die treibenden Kräfte eines problematischen Sachverhalts in der Realität sind. Annahmen und Modellverknüpfungen schaffen also Einsichten, denen man sich – unabhängig vom Wahrheitsgehalt der generierten Hypothese – entweder anschließt oder die man ablehnt. Es ist daher von großer Bedeutung, über diese Einsichten und damit auch über die Modellannahmen und die Modellverknüpfungen zu diskutieren. Und Coase führt weiter aus, dass die großen paradigmatischen Modellwelten – Klassik, Keynesianismus, Monetarismus – nicht abgelöst wurden, weil bestimmte Hypothesen valider waren als andere, sondern weil die in den Modellen verankerten treibenden Kräfte (die von den Annahmen abhängen) die Community überzeugten.
Mit Coase kann man daher sagen, dass die Diskussion um Annahmen und Modelle nicht nur vom Output, vom Wahrheitsgehalt der Hypothese abhängt, sondern im entscheidenden Maße von der Überzeugungskraft des Modells und seiner Annahmen selbst. Daher muss man natürlich über die Annahmen diskutieren. Aber nicht vor dem Hintergrund des Wahrheitsgehalts der Annahmen (hier liegt Friedman richtig), sondern vor dem Hintergrund der Frage, ob durch die Annahmen und den Modellaufbau tatsächlich die treibenden Kräfte eines realen Problems abgebildet werden. Dieser letzte Punkt, auf den Ronald Coase hinweist, steht nicht in einem konträren Verhältnis zur Intention von Milton Friedman. Friedman konkretisiert ihn nur nicht hinreichend. Umso interessanter wäre es gewesen, Friedmans Meinung zu dem Punkt von Coase zu erfahren. Das wäre allerdings auch zu Lebzeiten Friedmans schwer möglich gewesen, denn er hielt sich wie schon erwähnt an die selbst auferlegte Regel, den Kritikern nicht zu antworten.
Friedman und der Liberalismus
Milton Friedman ist ohne Zweifel ein Verfechter des Liberalismus – genauer: des Neo-Liberalismus. Entgegen den Deutungen mancher Internet-Blogs ist es das Kennzeichen des Neo-Liberalismus, dass dem Staat (als Agent der Bürger) nicht nur Nachtwächteraufgaben zugedacht werden (wie die Sicherung der Eigentumsrechte), sondern auch die Bereitstellung kollektiver Leistungen, und dies auch im Bereich des Sozialen. Aber: Friedman ist kein konzeptioneller Neo-Liberaler. Er versucht sich nicht als ein Gesellschaftstheoretiker, der ein komplettes liberales Konzept vorlegt, wie dies z.B. Hayek, Nozick oder Buchanan getan haben. Friedman ist ein liberaler Denker, der zu verschiedenen Problembereichen Vorschläge aus liberaler Sicht unterbreitet hat.
Bereits 1946 hat er sich in einem mit Stigler zusammen verfassten Aufsatz18 gegen jegliche staatliche Mietpreisbindung ausgesprochen. In seiner liberalen Bibel „Capitalism and Freedom“19 aus dem Jahr 1962 fügt er weitere liberale Politikempfehlungen hinzu: Er tritt für die Beendigung staatlicher Subventionen ein, fordert freien internationalen Handel ohne Importzölle und andere Beschränkungen, stellt sich gegen staatliche Mindestlöhne, möchte die staatlichen Unterstützungen im Wohnungsbau zurückführen. Weiterhin stellt er sich gegen die Wehrpflicht, gegen das Postmonopol und fordert die Privatisierung der gesetzlichen Sozialversicherung. Zudem fordert er die Abschaffung aller staatlichen Zugangsbeschränkungen bei der Berufswahl.
Bekannt geworden ist auch Friedmans Vorschlag aus dem Jahr 1955 Diskriminierungen in der Schulbildung durch die Ausgabe von Bildungsgutscheinen entgegenzutreten.20 Der Bildungsgutschein lautet auf den Betrag, der den durchschnittlichen Bildungsausgaben des Staates pro Schüler entspricht. Diesen Bildungsgutschein können die Eltern bei einer Schule ihrer Wahl einlösen. Die Schule wiederum präsentiert die Gutscheine dem Staat, und erhält von ihm den Geldwert der Bildungsgutscheine zurück. Was auf den ersten Blick nach einem Umweg und einer Verkomplizierung der Zahlungswege aussieht, entpuppt sich auf den zweiten Blick als ein Verfahren, das einige Vorteile bietet: Arme wie reiche Familien erhalten die gleichen Chancen der Schulwahl. Die Schulen ihrerseits sehen sich nun einem höheren Wettbewerb ausgesetzt und müssen sich aktiv um eine gute Ausbildung, um einen guten Ruf, bemühen. Sie werden also versuchen, gute Lehrer zu akquirieren und gute Konzepte zu entwickeln. Auch wenn diese positiven Eigenschaften des Wettbewerbs in der Realität nie so reibungslos wie im Modell eintreten (in der Realität spielen Distanzen, der Willen der Eltern sich zu informieren, Transaktionskosten beim Schulwechsel auch eine Rolle), lohnt es sich doch, ernsthaft über den Vorschlag nachzudenken.
Heftig diskutiert wurde und wird auch Friedmans Plädoyer für das Konzept der negativen Einkommensteuer.21 In seinem Buch „Capitalism and Freedom“ schlägt er vor, sämtliche staatlichen Wohlfahrtsprogramme durch ein einziges Instrument – die negative Einkommensteuer – zu ersetzen. Sein Ziel ist es, zum einen Transparenz zu schaffen und Diskriminierungen des Wohlfahrtsstaates abzubauen und zum anderen die Arbeitsanreize für Sozialhilfeempfänger (mit tiefen Grenzsteuersätzen bei steigendem Einkommensniveau) zu erhöhen.
Diese kurzen Ausführungen zu den liberalen Ideen Friedmans belegen, dass man auch ohne einen expliziten durchdeklinierten liberalen Gesellschaftsentwurf als liberaler Denker die ökonomische und politische Diskussion befruchten kann. Seine liberalen Reformkonzepte werden auch heute noch kontrovers diskutiert.
Fazit: An seinen Thesen wird man sich weiter reiben
Milton Friedman war ein Verfechter der Marktwirtschaft. Die Marktwirtschaft ist seiner Ansicht nach allen anderen Koordinationsmechanismen überlegen und schafft Chancen und Wohlstand für die Bürger, sofern sie von einer adäquaten staatlichen (Wirtschafts-)Politik flankiert wird. Aus diesem Grund trat Friedman Zeit seines Lebens gegen (vielleicht gut gemeinte, aber dennoch) schlechte und ineffiziente staatliche Maßnahmen ein und setzte der fehlerhaften Politik konkret ausformulierte Vorschläge entgegen.
Positive Wirkungen der Marktwirtschaft sind aus dieser Perspektive keinesfalls Selbstläufer. Sie stellen sich nach Friedman nur dann ein, wenn sich die Bürger aktiv für die „richtige“ Politik entscheiden. Damit sie dies können, war sich Friedman nie zu schade, seine Ideen auch den ökonomisch nicht gebildeten Bürgern zu präsentieren. In diesem Zusammenhang sei auf seine vielen Fernsehinterviews und auf seine TV-Serie „Free to Choose“ (ausgestrahlt 1980 vom Public Broadcasting Service), in der er die Funktionsweise freier Märkte und die Wirkungen „falscher“ und „richtiger“ Politik erklärte. Viele Ausschnitte sind heute auch noch auf der Plattform YouTube abrufbar.
Auch über seinem Tod am 16. November 2006 hinaus leben seine Thesen weiter. Nach wie vor reiben sich Wissenschaftler und politisch interessierte Bürger an seinen (sehr konkreten) Vorschlägen – und das wird auf längere Zeit auch so bleiben, denn Friedmans Ausführungen sind stets zielgerichtet und klar ausformuliert und auch heute noch aktuell.
- 1 Wikipedia bezeichnet Milton Friedman als den „einflussreichsten Ökonomen des zwanzigsten Jahrhunderts neben John Maynard Keynes“. Dies ist sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass Friedman – oft zusammen mit seiner Frau Rose – als eloquenter und medienwirksamer Vermittler ökonomischer und politischer Ideen auftrat. Zahlreiche seiner Fernsehauftritte sind bei YouTube eingestellt.
- 2 Vgl. K. Brunner: The Role of Money and Monetary Policy, in: Federal Reserve Bank of St. Louis Review, 50. Jg. (1968), S. 8-24; K. Brunner: The Monetarist Revolution in Monetary Theory, in: Weltwirtschaftliches Archiv, 105. Jg. (1970), S. 1-30.
- 3 D. Fand: Ein monetaristisches Modell des Geldwirkungsprozesses, in: Kredit und Kapital, 3. Jg. (1970), S. 361-385.
- 4 Vgl. M. Friedman: The Quantity Theory of Money: A restatement, in: M. Friedman (Hrsg.): Studies in the Quantity Theory of Money, Chicago 1956, S. 3-21.
- 5 Vgl. M. Friedman: Money: the Quantity Theory, in: International Encyclopedia of the Social Sciences, 1968, S. 432-437; ders.: The Role of Monetary Policy, in: American Economic Review, 58. Jg. (1968), S. 1-17; ders.: The Optimum Quantity of Money and Other Essays, London 1969; ders.: A Theoretical Framework for Monetary Analysis, in: Journal of Political Economy, 78. Jg. (1970), S. 193-238; ders.: A Monetary Theory of National Income, in: Journal of Political Economy, 79. Jg. (1971), S. 323-337; sowie M. Friedman, A. J. Schwartz: A Monetary History of the United States, 1867-1960, Princeton 1963.
- 6 Die Phillipskurve beschrieb ursprünglich einen von Alban Phillips 1958 publizierten negativen Zusammenhang zwischen der Wachstumsrate der Nominallöhne und der Arbeitslosenquote, vgl. A. W. Phillips: The Relation between Unemployment and the Rate of Change of Money Wage Rates in the United Kingdom, 1861-1957, in: Economics, 25. Jg. (1958), S. 283-299. Diese ursprüngliche Phillipskurve wurde von Samuelson und Solow 1960 zu einer negativen Beziehung zwischen Inflation und Arbeitslosenquote transformiert, vgl. P. A. Samuelson, R. M. Solow: Analytical Aspects of Anti-Inflation Policy, in: American Economic Review, 50. Jg. (1960), S. 177-194. Die Idee der langfristig horizontalen Phillipskurve geht nicht nur auf Friedman, sondern auch auf Phelps zurück, vgl. M. Friedman: The Role of Monetary Policy, a.a.O.; sowie E. S. Phelps: Phillips Curves, Expectations of Inflation and Optimal Unemployment over Time, in: Economica, 34. Jg. (1967), S. 254-281.
- 7 M. Friedman: The Lag in the Effect of Monetary Policy, in: Journal of Political Economy, 69. Jg. (1961), S. 447-466.
- 8 M. Friedman: A Monetary and Fiscal Framework for Economic Stability, in: American Economic Review, 38. Jg. (1948), S. 245-264; ders.: The Supply of Money and Changes in Prices and Output, in: The Relationship of Prices to Economic Stability and Growth, Washington DC 1958, S. 249-250; sowie ders.: The Lag in the Effect of Monetary Policy, a.a.O.
- 9 Vgl. unter anderem M. Friedman: The Demand for Money: Some Theoretical and Empirical Results, in: Journal of Political Economy, 67. Jg. (1959), S. 327-351.
- 10 M. Friedman: Kapitalismus und Freiheit, aus dem Englischen von Paul C. Martin, mit einem Geleitwort von Horst Siebert, Frankfurt a.M. 2002, S. 75.
- 11 M. Friedman: A Monetary and Fiscal Framework for Economic Stability, a.a.O., S. 250.
- 12 Vgl. A. Suchanek: Gewinnmaximierung als soziale Verantwortung von Unternehmen? Milton Friedman und die Unternehmensethik, in: I. Pies, M. Leschke (Hrsg.): Milton Friedmans ökonomischer Liberalismus, Tübingen 2004, S. 105-124.
- 13 Vgl. zu diesen grundsätzlichen Möglichkeiten, wünschenswerte Bindungen zu implementieren, K. Homann, F. Blome-Drees: Wirtschafts- und Unternehmensethik, Göttingen 1992.
- 14 Vgl. A. Suchanek, a.a.O.
- 15 Vgl. M. Friedman: The Methodology of Positive Economics, in: ders.: Essays in Positive Economics, Chicago, London 1953, S. 3-43.
- 16 Vgl. P. A. Samuelson: Problems of Methodology – Discussion, in: American Economic Association, Dec. Meeting 1962, 1963, S. 232.
- 17 Vgl. R. H. Coase: How Should Economists Choose?, herausgegeben vom American Enterprise Institute for Public Policy Research, Washington, London 1982.
- 18 Vgl. M. Friedman, G. Stigler: Roofs or Ceilings?, Irvington-on-Hudson, New Jersey 1946.
- 19 M. Friedman: Capitalism and Freedom, Chicago 1962.
- 20 Vgl. M. Friedman: The Role of Government in Education, in: R. A. Solo (Hrsg.): Economics and the Public Interest, New Brunswick, New Jersey 1955, S. 123-144.
- 21 Das Konzept der negativen Einkommensteuer geht auf die britische Ökonomin Juliet Rhys-Williams zurück (abgedruckt in einem Pamphlet der Liberal Party im Jahr 1944). Es stellt einen Reformvorschlag für die soziale Absicherung in Verbindung mit dem Einkommensteuersystem dar. Haushalte bzw. Individuen mit niedrigem Einkommen erhalten Transferzahlungen – die negative Steuer –, mit steigenden Einkommen nehmen die Transferleistungen dann bis zu einem Schwellenwert ab und danach müssen (positive) Einkommensteuern an den Staat gezahlt werden. Da mit steigendem Einkommen die Transferzahlungen nicht um denselben Betrag gekürzt werden, besteht immer ein Anreiz, die Erwerbstätigkeit auszudehnen. Auf diese Weise wird eine „Armutsfalle“ vermieden.