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Aus Anlass des 80. Geburtstags des Buchs „Der Weg zur Knechtschaft“ von F. A. Hayek haben Veronika Grimm, Stefan Kolev und Jens Weidmann auf dessen Kernbotschaften aufmerksam gemacht. Dabei relativieren sie den Ideologievorwurf, der dem Buch gemacht wird, indem sie in Frageform evidenzbasierte Forschung unter Manipulationsverdacht stellen und als potenziell versteckte normative Aussagen werten. Diesem Relativierungsversuch wird in dem folgenden Beitrag widersprochen.

Klassiker verdienen es, gewürdigt zu werden. So ist es nicht verwunderlich, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) dem 80. Geburtstag von Friedrich von Hayeks „Der Weg zur Knechtschaft“ eine ganze Seite für einen Gastbeitrag von Veronika Grimm, Stefan Kolev und Jens Weidmann (Grimm et al., 2024) einräumt. Darin wird das Buch als für unsere Zeiten besonders relevant gekennzeichnet, weil es die Vorzüge einer regelbasierten Wirtschaftspolitik aufzeigt und vor Interventionismus warnt, der – so Grimm et al. – auch heute in der Wirtschaftspolitik um sich greift. Grimm et al. nennen als aktuelle Beispiele für Interventionismus unter anderem die geplante Reform der Schuldenbremse, die Einführung des „Transmission Protection Instrument“ (TPI) durch die Europäische Zentralbank (EZB) sowie das Heizungsgesetz.

Viele Ökonomen sehen das anders und schenken dem Buch und seinen wirtschaftspolitischen Empfehlungen kaum Aufmerksamkeit.1 Dies liegt laut Grimm et al. an dem Ideologievorwurf, dem Hayek und sein Werk ausgesetzt sind. Er resultiert daraus, dass Hayek ganz bewusst seine Argumente nicht mit dem Verweis auf empirische Evidenz, sondern aus dem „normativen Anliegen“ ableitet, die „liberale Ordnung zu verteidigen“. Die „heutigen Ökonomen“ analysieren Wirtschaftspolitik dagegen nicht, indem sie einen Blick in ein normativ geprägtes Buch werfen, sondern indem sie empirische Evidenz zu theoretischen Wirkungszusammenhängen auswerten. Eine Reform der Schuldenbremse, das TPI, das Heizungsgesetz sind daher nicht schon deshalb abzulehnen, weil sie Interventionismus darstellen – vielmehr bedarf es empirischer Evidenz dafür, dass diese (oder vergleichbare) Instrumente die ihnen aus liberaler Perspektive zugeschriebenen negativen Wirkungen auch tatsächlich entfalten, also Wachstumsschwäche und Inflation. Ökonomen nehmen gegenwärtig also an wirtschaftspolitischen Debatten teil, indem sie zunächst die Frage „Stimmt das?“ stellen, auch und gerade für normativ abgeleitete wirtschaftspolitische Zusammenhänge.

Evidenzbasierte Forschung unter Manipulationsverdacht

Dem gegenüber Hayek gemachten Ideologievorwurf könnte man also entgegentreten, indem man auf empirische Evidenz verweist, die die normativ abgeleiteten Positionen Hayeks unterstützen. Doch darauf verzichten Grimm et al. – stattdessen drehen sie den Spieß um und werfen der evidenzbasierten Forschung die Verbreitung ideologischer Positionen vor, obwohl oder gerade weil sie sich (scheinbar) um „Objektivität“ bemüht. Dies drücken Grimm et al. in einer Reihe von Fragen an die „heutigen Ökonomen“ aus. Diese Fragen suggerieren, dass sich hinter dem Sammeln von empirischer Evidenz oft ein Bemühen verbirgt, die eigenen, interventionistischen Wertvorstellungen zu propagieren. Wörtlich heißt es: „Ist Evidenzbasierung nicht oft ein Weg, die eigenen Wertungen geschickt zu verstecken? Ist man ehrlich, wenn man nicht offenlegt, aus welcher Motivation heraus die eigene Fragestellung angegangen wurde? Ist man dem Bürger oder Studenten gegenüber nicht potenziell manipulativ, wenn man so tut, als hätte der Zuschnitt der Studie mit der eigenen Weltanschauung nichts zu tun? Kann es sein, ob bewusst oder unbewusst, dass man gelegentlich auf denjenigen Teil der empirischen Daten mit derjenigen Methode blickt, die besonders vielversprechend ist, die eigene Weltanschauung zu bestätigen?“ (Grimm et al., 2024).

Implikationen des Manipulationsverdachts

Der Manipulationsverdacht gegen evidenzbasierte Forschung hat zwei Implikationen. Erstens relativiert er den Ideologievorwurf, der gegen Hayeks rein normativen Ansatz vorgebracht wird. Wenn evidenzbasierte Forschung zumindest potenziell nichts anderes ist als eine normativ geleitete Argumentation, die mit Zahlen und statistischen Kenngrößen geschmückt wird, ist der Ideologievorwurf erheblich zu relativieren. Es mag sogar sein, dass eine als solche klar erkennbare rein normative Analyse der unter Manipulationsverdacht stehenden evidenzbasierten Forschung überlegen ist. Denn Hayek – so Grimm et al. – kämpft mit offenem Visier für seine Weltanschauung: Dem Leser ist stets klar, dass seine Analyse von Werturteilen zugunsten der liberalen Ordnung geprägt ist, während das Vorgehen der evidenzbasierten Forschung von Hinterlist geprägt sein kann. Der Leser muss immer erst prüfen, ob die Frage „Stimmt das?“ von den entsprechenden Wissenschaftlern nicht in der manipulativen Absicht gestellt wird, die eigene und dem Leser verborgen bleibende Ideologie zu propagieren.

Zweitens kann der Manipulationsverdacht dazu genutzt werden, die aus liberalen Werturteilen abgeleitete Bewertung wirtschaftspolitischer Instrumente gegen Ergebnisse evidenzbasierter Forschung zu immunisieren.2 Dies gilt allgemein, also für die grundsätzliche These, dass eine Abkehr oder Aufweichung von ordnungspolitisch konformen Regeln zugunsten interventionistischen Verhaltens die ökonomische Entwicklung schwächen, weil damit Marktteilnehmer nicht mehr in der Lage sind, „langfristige Erwartungen durch Antizipation des Verhaltens von Konkurrenten und der sich daraus ergebenden Dynamik der Marktprozesse mit ihrer ‚spontanen Ordnung‘ zu bilden“. Dies gilt aber auch für konkrete wirtschaftspolitische Instrumente, die von Grimm et al. genannt werden: Heizungsgesetz, Reform der Schuldenbremse, TPI und Anleihenkäufe können Grimm et al. zufolge mittelbar die Zukunftsfähigkeit der Demokratie gefährden, weil sie Interventionismus darstellen und damit ordnungspolitischen Grundsätzen widersprechen.

Am Beispiel des TPI der EZB lässt sich veranschaulichen, wie sich der Manipulationsverdacht zur Immunisierung der unterstellten Zusammenhänge nutzen ließe. Die ordnungspolitische Bewertung ist eindeutig: Es handelt sich um schädlichen Interventionismus, weil es der EZB ermöglicht, jederzeit auf dem Kapitalmarkt einzugreifen, um die Transmission ihres geldpolitischen Impulses sicherzustellen. Statt dem Markt also Regeln vorzugeben, interveniert die Zentralbank direkt und ad hoc. Zudem liegt eine Anmaßung von Wissen vor, weil jede Aktivierung des TPI implizieren würde, dass die EZB besser als der Markt zu wissen glaubt, welche Risikoprämien auf Staatsanleihen angemessen sind. Vor dem Hintergrund des besprochenen Buches erscheint das TPI als ein Baustein auf dem Weg zur Knechtschaft, konkret: in die Inflation.

Evidenzbasierte Forschung stellt die Frage, ob das stimmt: Führt das TPI tatsächlich zu Inflation?3 Um sie zu beantworten, bedarf es mehr als den Hinweis darauf, dass seit Inkrafttreten des TPI im Sommer 2022 die Inflationsrate im Euroraum nicht gestiegen, sondern gefallen ist. Denn womöglich wäre die Inflation ohne TPI noch schneller gefallen. Zudem scheint es plausibel zu sein, dass sich die Verletzung ordnungspolitischer Regeln erst in der längeren Frist auswirkt.4 Es bedürfte also einer methodisch anspruchsvollen empirischen Studie, um die Inflationswirkungen des TPI zu erfassen. Wenn evidenzbasierte Forschung jedoch unter einem generellen Manipulationsverdacht steht, stellt sich aber die Frage nach dem Sinn einer solchen Studie. Denn jedes Ergebnis, das der ordnungspolitischen Einschätzung des TPI widerspräche, könnte als geschickter Versuch gewertet werden, dem Liberalismus widersprechende Wertvorstellungen unter dem Deckmantel scheinbarer Objektivität Geltung zu verschaffen. Es wäre folglich zu ignorieren, und damit wäre die ordnungspolitische These von den Inflationswirkungen des TPI gegen empirische Evidenz immunisiert.5

Die Irrelevanz des Manipulationsverdachts

Aber ist es denn nicht richtig, dass Forscher mit gewissen Voreinstellungen ihre empirischen Untersuchungen vornehmen und ihre Ergebnisse entsprechend kritisch zu sehen sind? Die Antwort lautet: Gerade weil jedes Ergebnis kritisch zu sehen ist, ist die Weltanschauung der sie ermittelnden Forscher irrelevant. Denn im Gegensatz zu rein normativen Aussagen, wie sie Hayek laut Grimm et al. formuliert, kann (!) die Güte empirischer Forschung unabhängig von der Weltanschauung der sie betreibenden Wissenschaftler überprüft werden. Entsprechend angreifbar sind Empiriker und die von ihnen vorgelegten Ergebnisse: Alle anderen Wissenschaftler sind in der Lage, die vorgelegten Ergebnisse zu testen – mit anderen Daten, anderen Zeitperioden, anderen Methoden.6 Der Manipulationsverdacht gegen die evidenzbasierte Forschung stellt sie daher nicht auf die gleiche Stufe wie normative Analysen, weil selbst ein geschicktes Verstecken ideologischer Überlegungen, die die Ergebnisse treiben, (leicht) aufgedeckt wird. Das ist bei normativen Analysen anders: Ihre Güte kann nicht durch die Erstellung einer anderen normativen Analyse getestet werden.

Dies lässt sich am Beispiel der Staatsverschuldung illustrieren, die aus normativer Sicht immer wieder kontrovers diskutiert wird, ohne dass die eine die andere Seite überzeugen kann. Reinhart und Rogoff (2010) haben deshalb versucht, die Wachstumswirkungen steigender Staatsverschuldung empirisch zu ermitteln. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass eine hohe Staatsverschuldung mit erheblichen Wachstumseinbußen einhergeht. Bei der Überprüfung ihrer Analyse in Herndon et al. (2014) wurden Fehler bei der Einbeziehung von Datenpunkten festgestellt. Wenn man sie korrigiert, gibt es zwar immer noch Wachstums­einbußen bei steigender Staatsverschuldung, sie sind aber nicht so gravierend wie in der ursprünglichen Analyse. Wollten Reinhart und Rogoff manipulieren, also ihre Untersuchung so anlegen, dass das zunächst publizierte Ergebnis herauskam? Ich weiß es nicht, aber ich glaube es nicht. Andere waren aber wohl der im FAZ-Beitrag vertretenen Ansicht, empirische Forschung werde von den Weltanschauungen der Forscher bestimmt. So kam es – wie Rogoff es beschreibt – zu einem „Massaker“ im McCarthy-Stil (o.V., 2013). Letztendlich ist es jedoch irrelevant, ob Reinhart und Rogoff manipulieren wollten oder nicht. Denn unabhängig davon, verdeutlicht das Beispiel die Überlegenheit empirischer Forschung gegenüber rein normativen Aussagen, selbst wenn sie manipulativ betrieben werden sollte: Sie bringt Erkenntnisgewinn, weil sie überprüfbar ist.

Allerdings ist der Manipulationsverdacht gegen empirisch Forschende aus vielen Gründen haltlos. So werden empirische Arbeiten in aller Regel von Hypothesen geleitet, die die Weltanschauung der Forschenden – ich würde lieber vom „theoretischen Hintergrund“ sprechen – offenlegen. Von „Verstecken“ kann keine Rede sein. Robustheitsüberprüfungen in Bezug auf Daten und Methode gehören zu den gängigen Anforderungen, die an empirische Forschung gestellt werden. Der von Grimm et al. geforderte „nuancierte“ und „kritische“ Umgang mit der „Objektivität“ evidenzbasierter Forschung findet also längst statt, nicht zuletzt im Rahmen des Einreichungsprozesses vieler wissenschaftlicher Zeitschriften. Vielleicht denken Grimm et al. bei ihrem Manipulationsverdacht gegen empirische Forschung daher vor allem an Studien, die außerhalb der Wissenschaft im engeren Sinne veröffentlicht werden. Sie unterliegen weniger strengen Anforderungen, erreichen aber oft große mediale Aufmerksamkeit.7 Allerdings ist die Manipulationsgefahr gering, da die Institute oder Einrichtungen, die die Studien durchführenden, politisch in der Regel leicht zuzuordnen sind.8

Missbrauchsgefahren evidenzbasierter Forschungsergebnisse

Evidenzbasierte Forschung ist grundsätzlich anders als eine Aneinanderreihung von Werturteilen. Allerdings können Ergebnisse empirischer Forschung (also nicht die Forschung an sich) manipulativ genutzt werden. Dies geschieht z. B., wenn in den Medien zu lesen oder zu hören ist, dass „die Autoren der Studie xyz fordern, dass abc geschehen soll“. Da empirische Evidenz immer nur vorläufig sein kann, ist es nicht die Aufgabe von Wissenschaftlern – wenn sie als Wissenschaftler und nicht als Politikberater oder Politiker auftreten – Forderungen zu formulieren. Das sollten sie Politikern überlassen. Wenig hilfreich ist es auch, wenn starke Schlussfolgerungen aus Untersuchungen gezogen werden, die zwar aus methodischer Sicht als einwandfrei gelten können, deren externe Validität jedoch hinterfragt werden kann. Richtig ist daher: Nicht nur bei der Formulierung normativer Aussagen, sondern auch bei der Präsentation von Ergebnissen evidenzbasierter Forschung sind „Überlegenheitsgesten“ (Horn, 2021) fehl am Platz. Das ändert aber nichts daran, dass Aussagen, die ohne Evidenz auszukommen glauben und trotzdem genau zu wissen meinen, wie die Welt funktioniert und wie man sie verbessert, in Bezug auf den „Ideologievorwurf“ anders einzustufen sind als evidenzbasierte Forschung.

Schließlich mögen Grimm et al. bei der Formulierung ihres Fragenkatalogs daran gedacht haben, dass sich die Politik evidenzbasierter Forschung bemächtigt und aus deren Ergebnissen (partei-)politische Schlussfolgerungen als scheinbar wissenschaftlich belegt darstellt. Um noch einmal auf die Studien zu den Wachstumswirkungen der Staatsverschuldung zurückzukommen: Ein manipulativer Umgang läge vor, wenn die von Herndon et al. (2014) vorgelegte Evidenz dahingehend interpretiert würde, dass eine steigende Staatsverschuldung problemlos ist. Dies ist nämlich nicht das Ergebnis. Aber dann fällt der Manipulationsverdacht nicht auf die „heutigen Ökonomen“, sondern auf die Politik. Im Übrigen ist die politische Vereinnahmung keineswegs auf die Wirtschaftswissenschaften beschränkt. Auch die Naturwissenschaften werden politisch genutzt, wie der Film „Oppenheimer“ gerade eindrücklich gezeigt hat. Deshalb steht auch die zu Beginn des FAZ-Beitrags vorgestellte Überlegung auf wackeligen Füßen, dass in den Wirtschaftswissenschaften, weil es hier um Menschen und nicht um Atome geht, im Gegensatz zu den Naturwissenschaften normative Aussagen weniger oder gar nicht vermeidbar sind.9

Orientierung und das Grau der Empirie

Wissenschaftler haben die Aufgabe, die Frage „Stimmt das?“ zu stellen. Damit überprüfen sie die Güte von Theorien, Hypothesen, Behauptungen. Bei diesem Bemühen gibt es oft keine klaren, eindeutigen Antworten, nicht nur, aber eben auch in den Wirtschaftswissenschaften. Dies weckt das Bedürfnis nach Orientierung, bzw. „Orientierungswissen“ (Caspari, 2021), um sich in dem Grau der Empirie (Bachmann und Uhlig, 2009) zurechtzufinden. Es ist unstrittig, dass Hayek – neben vielen anderen – ein solches Angebot macht und entsprechend folgerichtig, dass man den 80. Geburtstag eines seiner Werke würdigt.

Aber auch Orientierungswissen muss sich der Frage „Stimmt das?“ stellen bzw. stellen lassen. Dies schien Konsens zu sein (Schäfer, 2009). Dieser Konsens wird untergraben, wenn suggeriert wird, empirische Evidenz sei womöglich nichts anderes als verstecktes, zur Manipulation genutztes Orientierungswissen. Denn damit entzieht man das Orientierungswissen der empirischen Überprüfung; es wird zur Ideologie. Dieser Ideologievorwurf kann evidenzbasierter Forschung nicht gemacht werden, weil jedem konkreten Manipulationsverdacht gegen evidenzbasierte Forschungsergebnisse leicht nachzukommen ist: Es bedarf lediglich eigener Anstrengungen, um zu zeigen, dass die Ergebnisse anders sind, wenn man die als manipulativ angesehenen Elemente bei Daten- und Methodenauswahl korrigiert. Die Fragen, die Grimm et al. an die „heutigen Ökonomen“ stellen, sind daher mehr als eine neue Verteidigungsstrategie der mit dem „Ideologievorwurf“ konfrontierten Arbeit Hayeks: Sie relativieren die Sinnhaftigkeit empirischen Arbeitens. Es mag sein, dass Grimm et al. dies nicht beabsichtigten. Allerdings: Ohne diese Relativierung bleibt der von ihnen selbst thematisierte Ideologievorwurf gegenüber Hayek unwidersprochen im Raum stehen. Und da die Beispiele zur aktuellen Relevanz des besprochenen Buches fast nur mit diesen normativen Aussagen begründet werden, gilt dies auch für sie.

Dieser Beitrag wurde durch die Diskussion in der von Carl Christian von Weizsäcker ins Leben gerufenen Makrogruppe motiviert.

  • 1 In diesem Beitrag geht es primär um die Argumentation, mit der Grimm et al. Hayek gegen den von ihnen selbst thematisierten Ideologievorwurf verteidigen und nicht um Hayeks Werk an sich.
  • 2 Dies gilt nicht nur für aus liberalen Werturteilen abgeleitete Bewertungen, sondern für jeden postulierten theoretischen Zusammenhang.
  • 3 Die Frage ist auch vor dem Hintergrund anderer, liberalen (!) Gedankenguts entspringender ökonomischer Argumente (Bagehot, 1873) interessant, die die Inflationswirkungen des TPI ganz anders bewerten; für eine Gegenüberstellung vgl. Winkler (2022).
  • 4Bei den von Grimm et al. ebenfalls thematisierten Inflationswirkungen der Staatsverschuldung bzw. der Anleihekäufe westlicher Notenbanken ist dieses Argument von geringerer Relevanz, je nachdem, wie die lange Frist definiert wird.
  • 5 Die Immunisierung der postulierten Zusammenhänge gegen empirische Evidenz wird durch die Wahl des Konjunktivs bei der ordnungspolitischen Analyse von TPI und Anleihekäufen („bestünde“ die Gefahr, es gibt „Potenzial“, „das Risiko“ der fiskalischen Dominanz steigt) noch verstärkt. Denn Aussagen im Konjunktiv sind mit dem Popper Kriterium unvereinbar, weil sie nicht widerlegbar sind.
  • 6 Dass dieser Vorgang selten stattfindet – Caspari (2021) spricht von einer „Replikationskrise“ der evidenzbasierten Forschung – ist ein Argument gegen die Art und Weise, wie der Wissenschaftsbetrieb geführt wird, stützt aber nicht den Vorwurf, evidenzbasierte Forschung sei potenziell manipulativ.
  • 7Dass so viele medienwirksame Studien außerhalb der Wissenschaft im engeren Sinne generiert werden, liegt nicht zuletzt daran, dass viele Themen, die Politik und Öffentlichkeit untersucht haben möchten, im Wissenschaftsbetrieb als entweder nicht relevant angesehen werden oder nicht behandelt werden, weil sie methodisch nur schwer lösbare Probleme aufweisen (Identifikation, Endogenität etc.) und damit der Publikationserfolg ungewiss ist. Die Problematik ist bekannt (vgl. Ehrmann und Prinz, 2019; Dustmann, 2019), stellt empirisch Forschende aber nicht unter Manipulationsverdacht.
  • 8 Dies gilt erst recht, wenn die Studien durchführenden Institutionen selbst politisch sind; vgl. z. B. Fabo et al. (2021).
  • 9 Selbst der Einsatz von Experimenten ist in den Wirtschaftswissenschaften prinzipiell möglich (Duflo, 2020). Allerdings gilt dies nicht für Aussagen über gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge, da man nicht zwei Volkswirtschaften unter gleichen Bedingungen halten und dann in Bezug auf die Anwendung nur eines Instruments unterscheidbar machen kann (Glennerster und Takavarasha, 2013). Aber auch ohne das Instrument des Experiments ist es möglich, über evidenzbasierte Forschung Erkenntnisgewinne zu erzielen (Rodrik, 2008).

Literatur

Bachmann, R. und H. Uhlig (2009), Die Welt ist nicht schwarz oder weiß, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. März.

Bagehot, W. (1873), Lombard Street: A description of the money market, HS King.

Caspari, V. (2021), Übertreiben die Volkswirte die Empirie? Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. April, 18.

Duflo, E. (2020), Field experiments and the practice of policy, American Economic Review, 110(7), 1952-1973.

Dustmann, C. (2019), Global, nicht provinziell, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. November.

Ehrmann, T. und A. Prinz (2019), Europa, amerikanisch erklärt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Oktober.

Fabo, B., M. Jančoková, E. Kempf und Ľ. Pástor (2021), Fifty shades of QE: Comparing findings of central bankers and academics, Journal of Monetary Economics, 120, 1-20.

Glennerster, R. und K. Takavarasha (2013), Running randomized evaluations: A practical guide, Princeton University Press.

Grimm, V., S. Kolev und J. Weidmann (2024), Interventionismus als Gefahr für die Demokratie?, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Februar.

Herndon, T., M. Ash und R. Pollin (2014), Does high public debt consistently stifle economic growth? A critique of Reinhart and Rogoff, Cambridge Journal of Economics, 38(2), 257-279.

Horn, K. (2021), Ökonomik im Stresstest, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Juni, 20.

o.V. (2013), Rogoffs Rechenfehler – Star-Ökonom beklagt Hexenjagd nach Excel-Panne, Der Spiegel, 22. Oktober.

Reinhart, C. M. und K. S. Rogoff (2010), Growth in a Time of Debt, American Economic Review, 100(2), 573-578.

Rodrik, D. (2008), The new development economics: we shall experiment, but how shall we learn? Harvard Kennedy School, Faculty Research Working Paper Series, Oktober RWP08-055.

Schäfer, W. (2009), Ordnungsökonomik ist Institutionenökonomik, Wirtschaftsdienst, 89(7), 431-435.

Winkler, A. (2022), Does Financial Dominance Explain the Recent Rise in Inflation?, The Economists’ Voice, 19(2), 187-203.

Title:Evidence-based Research – The Irrelevance of the Suspicion of Manipulation

Abstract:On the occasion of the 80th birthday of Hayek‘s “The Road to Serfdom“, Veronika Grimm, Stefan Kolev and Jens Weidmann have drawn attention to the core messages of the book. In doing so, they relativise the accusation of ideology levelled at the book by instead being suspicious of the manipulation by evidence-based research as it may potentially contain hidden normative statements. This relativisation attempt is contradicted in the following article.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0106