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Dieser Beitrag ist Teil von Die Hyperinflation in Deutschland 1923

1920 kostete in Deutschland ein Ei 0,75 Mark. Im Oktober 1923 musste man dann für ein Ei 1.900 Mio. Mark bezahlen (Frank und Bazydło, 2022): Deutschland wurde von einer Hyperinflation heimgesucht. Das Geldwesen war völlig zusammengebrochen. Das Geld hatte seine eigentlichen Funktionen, wie die Tauschmittel- und Wertaufbewahrungsfunktion, vollständig eingebüßt. Geldscheine wurden zum Befeuern des Kamins oder als Notizzettel genutzt, Kinder spielten damit, bauten Papiertürme.

Was waren die Ursachen und welche Konsequenzen ergaben sich aus dieser totalen Geldentwertung in den 1920er Jahren? Welche Auswirkungen gibt es bis heute? Angesichts der derzeit hohen Inflationsraten – kann erneut eine Hyperinflation drohen?

Verlauf, Ursachen und unmittelbare Folgen der Hyperinflation

In den ersten drei Jahren nach dem Ende des Ersten Weltkriegs stieg das Preisniveau zwar zunehmend an, die dramatischen, in der Hyperinflation von 1923 endenden Preisanstiege setzten aber erst Mitte 1922 ein. Tabelle 1 belegt dies eindrucksvoll. Die Hauptursache der Hyperinflation lag in der monetären Finanzierung exorbitant hoher Staatausgaben. Ermöglicht wurde die Staatsfinanzierung über das Drucken von Geld mit dem Inkrafttreten neuer Währungsgesetze im Jahr 1914. Bis dahin mussten die von der Reichsbank in Umlauf gebrachten Banknoten zu einem Drittel durch ihre Goldbestände gedeckt sein. Mit den neuen Währungsgesetzen wurde diese Deckungsvorschrift aufgehoben. Fortan durfte die Reichsbank auch Schuldpapiere des Staates zur Deckung der umlaufenden Banknoten annehmen (Deutsche Bundesbank, 2017, Kapitel 2; Holtfrerich, 1980, 111). Die Finanzierung von Staatsausgaben durch das Drucken von Geld wurde möglich. Die Reichsbank war keine unabhängige Notenbank, konnte sich den Finanzierungswünschen der Reichsregierung somit nicht widersetzen. Diese hatte nun direkten Zugriff auf die Gelddruckmaschinen. Diese Möglichkeit nutzte die Reichsregierung intensiv zur Finanzierung ihrer Ausgaben für den Ersten Weltkrieg: Rund ein Drittel ihrer Kriegsausgaben finanzierte sie über den Verkauf von Schuldtiteln (Schatzanweisungen) an die Reichsbank, also über das Drucken von Geld und rund zwei Drittel über die Emission von Kriegsanleihen (Deutsche Bundesbank, 2017, 19). Die Finanzierung der Kriegsausgaben über Steuern spielte keine Rolle.1 Nach dem verlorenen Krieg implizierte vor allem die hohe Verschuldung des Deutschen Reiches eine desaströse Finanzlage. Die Ausgaben, von denen 1919 fast zwei Drittel auf den Schuldendienst entfielen, überstiegen die Einnahmen bei weitem. Für die Finanzierung des Defizits wurde wiederum Geld gedruckt. Die damit einhergehende Inflation nahm man in Kauf, kam es doch dabei zu einer Entwertung öffentlicher und privater Schulden. Auch profitierte der private Sektor von dieser Form der Staatsfinanzierung, indem er von Steuerzahlungen und Vermögensabgaben verschont blieb. Eine schwache Regierung konnte diese nicht durchsetzen (Holtfrerich, 1980, 115-135.)

Tabelle 1
Realwochenlohn, Lebenshaltung und Bargeldumlauf
  Index durchschnittlicher Realwochenlohn, Eisenbahnarbeiter:in (1913 = 100) Bargeldumlauf
in Mio. Mark
(Januar 1914: 5.923)
Index
Lebenshaltung¹
(1913: 1)
  Gelernte Ungelernte    
07/1918 83,3 99,8 21.010  
07/1919 92,2 119,8 41.904  
07/1920 71,7 95,1 69.824 11
07/1921 67,3 90,1 86.664 13
07/1922 70,9 96,5 203.246 54
08/1922 66,3 91,0 252.858 78
01/1923 44,2 61,1 1.999.600 1.120
07/1923 42,9 59,4 43.892.700 37.651
08/1923 53,7 74,3 668.797.800 586.045
09/1923 51,8 71,5 28.244.405.800 15.000.000
10/1923 44,1 60,8 2.504.955.700.000 3.657.000.000
11/1923 46,4 62,0 400.338.326.400.000 657.000.000.000

Bei den Realwochenlöhnen handelt es sich 1918 und 1919 um Jahresdurchschnittswerte. ¹ Index Lebenshaltung: Ernährung, Heizung und Beleuchtung, Bekleidung, Wohnen.

Quelle: Holtfrerich (1980, 31, 50-52, 230).

Neben den hohen Schulden aus der Finanzierung des Krieges belasteten ab 1919 auch Reparationszahlungen an die Alliierten den Staatshaushalt. Insbesondere Frankreich drang auf hohe Zahlungen, um für das unermessliche Leid des Krieges,2 entschädigt zu werden, aber auch um Deutschlands Großmachtstellung sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus sicherheitspolitischen Interessen dauerhaft einzuschränken. 1921 wurde von den Alliierten schließlich eine Summe von 132 Mrd. Goldmark festgelegt; dieser Summe stand 1921 ein Volkseinkommen von rund 54 Mrd. Goldmark gegenüber (Holtfrerich, 1980, 141 und 147). Die Reparationszahlungen, die von der deutschen Bevölkerung als demütigend empfunden wurden, führten zu einer weiteren starken Belastung des Staatshaushalts.3 Die Finanzierung erfolgte wieder über das Drucken von Geld. Die Preise begannen nun stärker zu steigen (vgl. Tabelle 1). Nachdem es im Dezember 1922 zu einem Rückstand in den Reparationszahlungen gekommen war, besetzten im Januar 1923 französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet. Die deutsche Regierung rief die Bevölkerung zum passiven Widerstand auf. Diesem Aufruf wurde gefolgt, es wurde gestreikt. Die Zahlung der Löhne übernahm der Staat, was eine weitere hohe Belastung des Staatshaushalts bedeutete. Gleichzeitig implizierte der passive Widerstand, dass die Industrie deutschlandweit nicht mehr mit genügend Rohstoffen versorgt werden konnte (z. B. wurden 85 % der Kohle aus dem Ruhrgebiet bezogen). Die Produktion in Deutschland sank dramatisch, die Arbeitslosigkeit stieg, und damit auch die Ausgaben des Staates. Zusätzlich wurde der Staatshaushalt durch die Finanzierung stark ausgebauter Sozialleistungen belastet (Holtfrerich, 1980, 269). Ein entsprechendes Steuersystem, das diese Ausgaben erlaubt, wurde nicht etabliert. Die Finanzierung erfolgte ein weiteres Mal über das Drucken von Geld. Der Bargeldumlauf war innerhalb von zehn Jahren von rund 6 Mrd. Mark auf 400 Trillionen Mark gestiegen (vgl. Tabelle 1). Ende 1923 druckten deutschlandweit in 133 Druckereien 1.783 Druckerpressen Tag und Nacht Geldscheine (Craig, 1996, 394). Entsprechend stiegen die Preise, die Hyperinflation nahm ihren Lauf. Der Preisindex für Lebenshaltung ist von 78 im August 1922 auf 657 Mrd. im November 1923 gestiegen (vgl. Tabelle 1). Das Geldwesen war völlig zusammengebrochen. Geld erfüllte seine Funktion als Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel nicht mehr.

Die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Hyperinflation waren verheerend. Die realen Arbeitseinkommen sanken massiv, wie Tabelle 1 exemplarisch für einen Eisenbahnarbeiter zeigt. Die Lohnerhöhungen hielten mit den Preiserhöhungen nicht Schritt. Selbständige, Inhaber:innen kleiner Handwerksbetriebe und Geschäfte mussten sogar noch höhere Einkommenseinbußen hinnehmen (Craig, 1996, 396). Hinzu kam, dass Ende 1923 nur noch knapp 30 % aller Arbeiter:innen vollbeschäftigt waren. Der andere Teil war arbeitslos oder in Kurzarbeit (Craig, 1996, 397), was mit weiteren erheblichen Einkommensverlusten verbunden war. Hinzukamen die Vermögensverluste. Über Jahre aufgebaute Ersparnisse der Bevölkerung, die vornehmlich in Sparguthaben, Kriegsanleihen und Pfandbriefen gehalten wurden, waren Ende 1923 wertlos. Wenige Menschen profitierten jedoch auch von der Inflation. Es waren diejenigen, die ihr Vermögen in Sachwerte, wie Grundstücke und Unternehmensbeteiligungen, angelegt hatten und dieses Vermögen während der Inflationsjahre über kreditfinanzierte Investitionen in Unternehmensbeteiligungen massiv ausbauten. Die Inflation implizierte, dass die aufgenommenen Schulden nahezu wertlos wurden, während die Unternehmensbeteiligungen im Wert stiegen. Hugo Stinnes ist in diesem Zusammenhang ein vielzitiertes Beispiel. Er baute sich so ein Imperium auf, bestehend unter anderem aus Eisen- und Stahlwerken, Zuckerfabriken, Eisenbahngesellschaften, Banken und Versicherungen (Craig, 1996, 395). Andere nutzten die Inflation, indem sie knappe Lebensmittel horteten, um sie später teurer verkaufen zu können. Es kam zu einem „Verfall der moralischen Normen“ (Craig, 1996, 395). Die Kriminalität stieg stark an. Die gesunkenen Einkommen und Vermögen, die Verarmung eines Großteils der Bevölkerung führte zu einer Mangelernährung, was wiederum den Gesundheitszustand, insbesondere von Kindern, drastisch verschlechterte.4

Kollektives Gedächtnis, Zentralbankunabhängigkeit und Kritik an der EZB

Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Hyperinflation waren in einer ohnehin politisch fragilen Situation somit verheerend. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, geprägt vom Schock der militärischen Niederlage, den als demütigend wahrgenommenen Reparationszahlungen und der dramatischen Erfahrung der Hyperinflation – Ereignisse, die letztendlich mit zum Aufstieg der Nationalsozialisten geführt haben – hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt. Auch zeigen Haffert et al. (2021), dass die deutsche Bevölkerung die Phase der Hyperinflation 1923 mit den wirtschaftlichen und sozialen Problemen der frühen 1930er Jahre verbindet. Auch aus diesen Gründen sehen Deutsche Preisniveaustabilität als eine der wichtigsten Aufgaben der Politik an – selbst in Zeiten niedriger Inflationsraten (Hayo und Neumeier, 2016). Das Ausmaß der Inflationsaversion ist deutlich ausgeprägter als in anderen europäischen Ländern, wie z.B. Frankreich oder Italien (Hayo, 1998; Scheve, 2004).

Diese ausgeprägte Inflationsaversion beeinflusste auch die Ausgestaltung des institutionellen Rahmens der Bundesbank bei ihrer Gründung 1957. Zu diesem Zeitpunkt hatte Deutschland innerhalb kurzer Zeit zweimal mit den Folgen enormer Geldentwertung zu kämpfen (1923 und 1948). Entscheidend für diese Geldentwertung war die politische Abhängigkeit der Zentralbank, die der Regierung den Zugriff auf die Druckerpresse ermöglichte. Entsprechend wurde bei der Gründung der Bundesbank ein besonderes Augenmerk auf ihre Unabhängigkeit gelegt. Die Unabhängigkeit einer Zentralbank lässt sich durch vier Elemente charakterisieren (Görgens et al., 2014, 94): 1. Institutionelle Unabhängigkeit: es ist gesetzlich fixiert, dass eine Zentralbank keine Weisungen von Politiker:innen entgegennehmen darf. 2. Personelle Unabhängigkeit: die Entscheidungsträger:innen einer Zentralbank haben lange Vertragslaufzeiten und können nicht ohne Weiteres entlassen werden. 3. Finanzielle Unabhängigkeit: eine Zentralbank muss über ausreichende finanzielle Mittel verfügen können, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Zugleich darf eine unabhängige Zentralbank die Ausgaben des Staates nicht finanzieren. 4. Funktionelle Unabhängigkeit: eine Zentralbank kann frei entscheiden, welche Maßnahmen sie zur Erfüllung ihres Mandats anwendet.

Das Gesetz über die Deutsche Bundesbank gewährte der Bundesbank umfangreiche Unabhängigkeit: in Art. 12 wurde geregelt, dass die Bundesbank „bei der Ausübung der Befugnisse […] von Weisungen der Bundesregierung unabhängig“ ist, was insbesondere die institutionelle Unabhängigkeit der Bundesbank rechtlich sicherte. Auch die anderen drei Elemente wurden in dem Gesetz berücksichtigt. Die Unabhängigkeit der Zentralbank war damit größer als in anderen europäischen Ländern, z. B. in Frankreich (Eijffinger und Schaling, 1993; Disch, 1995). Grundsätzlich besteht ein positiver Zusammenhang zwischen dem Grad der Unabhängigkeit einer Zentralbank und der Preisniveaustabilität eines Landes: je unabhängiger eine Zentralbank, desto geringer die Inflationsrate (Görgens et al., 2014, 92). Auch die Bundesbank konnte durchschnittlich geringere Inflationsraten erzielen als andere, weniger unabhängige Zentralbanken in Europa. So spiegelte der institutionelle Rahmen der Bundesbank die Inflationsaversion der deutschen Bevölkerung gut wider. In anderen Ländern Europas war die Inflationsaversion geringer und die Zentralbanken waren weniger unabhängig. Dies barg wiederum für die institutionelle Ausgestaltung der EZB offensichtliche Probleme für politische Entscheidungsträger:innen: es mussten unterschiedliche Präferenzen hinsichtlich Preisniveaustabilität und ein unterschiedliches Verständnis von Zentralbankunabhängigkeit integriert werden. Insbesondere mit Blick auf die Unabhängigkeit der EZB gab es Unstimmigkeiten zwischen Frankreich und Deutschland (Uterwedde und Kauffmann, 2010). Schließlich wurde der institutionelle Rahmen der EZB der Bundesbank eng nachempfunden (Buch, 2021). Das formale Ausmaß an Unabhängigkeit ist, wie das der Bundesbank, sehr hoch: Art. 130 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) stellt die institutionelle Unabhängigkeit der EZB sicher. Zudem verbietet Art. 123 des AEUV­ monetäre Staatsfinanzierung (finanzielle Unabhängigkeit). Auch die personelle (Art. 283) und funktionelle Unabhängigkeit (Art. 127) sind gewährleistet. Gleichzeitig wurde der EZB ein singuläres, primäres Ziel – Preisniveaustabilität – zugewiesen. Dieser Aspekt war Deutschland aus „Sorge vor inflationären Entwicklungen ein besonderes Anliegen“ (Schnabel, 2020). Das Primärziel der EZB lässt sich direkt auf das der Bundesbank zurückführen (Art. 3 des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank). In anderen europäischen Ländern gab es diese Zielvorgabe nicht. So verankerte die Banque de France Preisniveaustabilität als Ziel erst im Zuge einer Reform 1993 explizit in ihren Statuten (Disch, 1995).

Das kollektive Gedächtnis der Deutschen an die Hyperinflation prägt demnach bis heute den institutionellen Rahmen der Geldpolitik. Die Mitglieder des EZB-Rats, also des Gremiums, das die geldpolitischen Entscheidungen trifft, haben jedoch eine unterschiedliche Risikoaversion und institutionelle Prägung erfahren. Dies kann mithin zu Konflikten führen. Hinweise darauf gab es in den vergangenen Jahren zur Genüge. So hat der ehemalige Bundesbankpräsident Jens Weidmann EZB-Entscheidungen immer wieder öffentlich kritisiert. Dies brachte ihm in den deutschen Medien den Ruf als „Anführer einer außerparlamentarischen Opposition“ (FAZ, 2012) gegen den ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi oder als „ewiger Mahner“ (Tagesschau, 2021) ein. Auch das Quantitative Easing (QE), insbesondere das Public Sector Purchase Programme (PSPP), wurde sowohl von der Bundesbank als auch von anderen Teilen der deutschen Öffentlichkeit sehr kritisch gesehen. Der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB lässt sich zwar nicht mit der monetären Staatsfinanzierung von 1914 bis 1923 vergleichen, schien aber im kollektiven Gedächtnis zumindest Assoziationen hervorzurufen. Zudem war ein scharfes, zum Teil aggressives Narrativ rund um die EZB sowohl in Teilen der deutschen Medien als auch der deutschen Politik vertreten (Schnabel, 2020). Mit Bildern wie „Graf Draghila“ (BILD, 2019) oder vom damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi, der sich mit einer Eurobanknote eine Zigarre anzündet (Handelsblatt, 2016) wird explizit die Sorge vor Geldentwertung im Zuge der zu diesem Zeitpunkt expansiven Geldpolitik thematisiert. Dabei waren die Inflationsraten seit der Einführung des Euro 1999 im Durchschnitt geringer als zu Zeiten der D-Mark (Schnabel, 2020).

Während fachliche Kritik an der EZB und ihren Entscheidungen natürlich geboten ist, birgt das in Deutschland teilweise vertretene Narrativ auch einige Gefahren. Insbesondere besteht die Gefahr, dass dieses Narrativ die Glaubwürdigkeit der EZB nachhaltig beschädigt. Die Glaubwürdigkeit einer Zentralbank ist ein hohes Gut und für die Effektivität von geldpolitischen Maßnahmen von entscheidender Bedeutung. So führt beispielsweise eine höhere Glaubwürdigkeit einer Zentralbank zu stärker verankerten Inflationserwartungen und somit zu geringeren makroökonomischen Schwankungen (Park, 2021).

Fazit

Die Ursache der Hyperinflation von 1923 lag in der monetären Finanzierung eines hochgradig defizitären Staatshaushalts durch eine abhängige Notenbank. Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Hyperinflation waren verheerend. Im Verbund mit dem insgesamt problematischen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umfeld in dieser Zeit, das letztendlich den Nährboden für den Aufstieg der Nationalsozialisten wenige Jahre später schuf, hat sich die Hyperinflation tief im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankert. Dieses bewirkt, dass diese Zeit selbst heute, 100 Jahre später, noch die Ausgestaltung des institutionellen Rahmens der EZB prägt. Doch die Mitglieder des EZB-Rats haben eine unterschiedliche Risikoaversion und eine institutionelle Prägung erfahren. Dieses hat in der Vergangenheit zu öffentlich kommunizierten Konflikten innerhalb des Rats geführt. Die Kritik an der EZB war in der deutschen Öffentlichkeit teilweise unsachlich und populistisch, was ein Problem für die Glaubwürdigkeit der EZB darstellt. Die aktuelle Situation in Europa mit den hohen Inflationsraten ist jedoch nicht mit der in den 1920er Jahren vergleichbar. Die Länder der Eurozone sind grundsätzlich stabile Demokratien, etablierte Steuersysteme tragen zur Finanzierung der Staatsausgaben bei und die Zentralbank ist unabhängig. Ein zweites 1923 wird es somit nicht geben.

    • 1 Für eine ausführliche Darstellung der Finanzierung des Ersten Weltkrieges siehe Holtfrerich (1980, 97-115).
    • 2 Eine eindrucksvolle Beschreibung gibt Leonhard (2018, Kapitel VI.2.).
    • 3 Die Reparationsleistungen erfolgten in Barzahlungen (Goldmark) und Sachlieferungen (Kohle, Eisenbahnwaggons, Maschinen, Holzprodukte, chemische Produkte). Eine Übersicht über die Reparationsleistungen findet sich bei Holtfrerich (1980, 145). Für ihre Bedeutung für die Hyperinflation siehe Leonhard (2018, Kapitel VII); Holtfrerich (1980, 135-154).
    • 4 Siehe hierzu ausführlicher z. B. Craig (1996, 397-398) und Holtfrerich (1980, 260-264).

Literatur

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Buch, C. (2021), Central bank independence: mandates, mechanisms, and modifications, Remarks prepared for the panel discussion “Lessons from Central Bank History?”, https://www.bundesbank.de/en/press/speeches/central-bank-independence-mandates-mechanisms-and-modifications-1--876246 (31. Januar 2023).

Craig, G. (1996), Deutsche Geschichte 1866 – 1945, C. H. Beck.

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Disch, W. (1995), Die geldpolitische Konzeption der Banque de France und der Deutschen Bundesbank, Schriften zur Geldtheorie und Geldpolitik, Bd. 11, Centaurus-Verlagsgesellschaft.

Eijffinger, S. C. W und E. Schaling (1993), Central bank independence in twelve industrial countries, Banca Nazionale del Lavoro Quarterly Review, 194, 49-89.

FAZ (2012), Ich stehe im Feuer, https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/konjunktur/bundesbankpraesident-weidmann-ich-stehe-im-feuer-12009559.html (31. Januar 2023).

Frank, M. und C. Bazydlo (2022), Droht uns eine Hyperinflation wie in den Zwanzigern?, https://www.mdr.de/geschichte/zeitgeschichte-gegenwart/wirtschaft/inflation-prognose-bundesbank-deutschland-hyperinflation-zwanziger-jahre-armut-100.html (3. Februar 2023).

Görgens, E., K. Ruckriegel und F. Seitz (2014), Europäische Geldpolitik, UVK Verlagsgesellschaft, 6. Auflage.

Handelsblatt (2016), Das gefährliche Spiel mit dem Geld deutscher Sparer, https://www.handelsblatt.com/finanzen/geldpolitik/ezb-chef-draghi-und-die-minuswelt-das-gefaehrliche-spiel-mit-dem-geld-deutscher-sparer/13305262.html (31. Januar 2023).

Haffert, L., N. Radeker und T. Rommel (2021), Misremembering Weimar: Hyperinflation, the Great Depression, and German collective economic memory, Economics & Politics, 33, 664-686.

Hayo, B. (1998), Inflation culture, central bank independence and price stability, European Journal of Political Economy, 14, 241-263.

Hayo, B. und F. Neumeier (2016), The social context for German economists: Public attitudes towards macroeconomic policy in Germany, in Bratsiotic, G. und D. Cobham (Hrsg.), German macro: How it’s different and why that matters, European Policy Centre, 64-72.

Holtfrerich, C.-L. (1980), Die deutsche Inflation 1914 – 1923. Ursachen und Folgen in internationaler Perspektive, De Gruyter.

Leonhard, J. (2018), Der überforderte Frieden. Versailles und die Welt 1918 -
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Park, K. (2021), Central Bank Credibility and Monetary Policy, International Journal of Central Banking, forthcoming.

Scheve, K. (2004), Public inflation aversion and the political economy of macroeconomic policy making, International Organization, 58, 1-34.

Schnabel, I. (2020), Narrative über die Geldpolitik der EZB – Wirklichkeit oder Fiktion?, Rede, https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2020/html/ecb.sp200211_1~b439a2f4a0.de.html (31. Januar 2023).

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Uterwedde, H. und P. Kauffmann (2010), Verlorene Konvergenz? Deutschland, Frankreich und die Euro-Krise, Aus Politik und Zeitgeschichte, 43, 13-19.

Title:Hyperinflation, Collective Memory, and Central Bank Independence

Abstract:The German hyperinflation in 1923 was caused by monetary financing of the highly deficient German state budget by a dependent central bank. The social and economic consequences of the hyperinflation were disastrous. Combined with an instable political atmosphere, paving the way for the rise of the Nazis, the hyperinflation is deeply etched in the German collective memory. It is this collective memory that shapes the current institutional framework of the ECB. While risk aversion and institutional imprint of the ECB’S policy makers differ, the ECB’s institutional framework ensures that current inflation will not evolve into a hyperinflation.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0029