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Häufig ist zu hören, dass die Industrie ein aussterbender Wirtschaftszweig sei. Die Zukunft gehöre den Dienstleistungen und der Wissensproduktion. Tatsächlich basiert die moderne Ökonomie ganz wesentlich auf Informationstechnologie. Diese bedarf aber der Hardware. Dienstleistungen und Industrie sind eine enge Beziehung eingegangen, die kaum mehr zu trennen ist. Dabei ist ein Teil dieses Konglomerats von der ökonomischen in die Privatsphäre übergegangen.

Wir behaupten mit ziemlicher Zuversicht, dass wir uns im Zeitalter der Dienstleistungs- und der Wissensgesellschaft befänden.1 Aber die Industrie ist nicht verschwunden, wie überhaupt die materielle Produktion das Fundament der Informationsgesellschaft bleibt. Die Formen der Industrie wandeln sich; ihre technosystemgestützte Produktivität kommt ohne die großen Arbeitermassen des 19. und 20. Jahrhunderts aus. Die moderne Industrie ist smart und kapitalintensiv. In ihrer gesteigerten, aber invisibel gewordenen Produktivität wird sie erst als Grenzfläche zur Ökologie gesellschaftlich wieder sichtbar und arbeitet, politisch aufgefordert, ihre Belastungen der Natur ab. Im Kontrast zu ihrer ungehemmten Ressourcenverwendung im 19. und 20. Jahrhundert wandelt sie sich zu einem mehr oder minder intelligenten ökologischen Operator: das nehmen wir – eigentümlich – kaum als Industrie war.

Dass wir glauben, das „industrielle Zeitalter“ überwunden zu haben, hängt mit dem Verschwinden der großen Industriekomplexe zusammen, die die Städte – in ihrer Sichtbarkeit als massive Gebäudekomplexität und als täglich ein- und ausströmende Arbeitermassen – dominiert hatten. Die ungeheure Erhöhung der Kapitalproduktivität hat die Industrien kleiner und smarter werden lassen und sie in die Peripherien der Städte ausgelagert (oder bereits ins Ausland, wenn die Lohnkosten noch einen größeren Posten ausmachen). Die Industrie ist als ästhetisches Phänomen – in ihrer besonderen Hässlichkeit, aber auch Mächtigkeit, inklusive der enormen Verschmutzungen – unsichtbar geworden, aber nicht weniger produktiv und bedeutsam. Sie hat sich schneller angepasst und modernisiert als viele andere gesellschaftliche Formationen. Den Dienstleistungsbranchen stehen diese Änderungen noch bevor.

Industrie wird seit Ende des 18. Jahrhunderts als arbeitsteilige effiziente Produktion verstanden: das ist die ökonomische Definition seit Adam Smith, die eine spezifische Organisationsform der unternehmerischen Produktion mit Produktivitätssteigerungen verbindet. Hier wird der alte Sinn von industry = Fleiß/Anstrengung in eine organisatorische Form übertragen. Bei Ricardo kommt die Maschinerie hinzu. Beide klassische Ökonomen sehen Produktion als Wertschöpfung durch Transformation/Formation von Materien an.2 Industrie erweist sich Ende des 18. Jahrhunderts als gesellschaftliche und wirtschaftliche Realisation der alten Bacon’schen Maxime: to command nature in action.3

Diese Definition bildet durchgängig die Basis der Industrie bis heute – Industrie ist, in ihrem Kern, materiale Transformation. Ihre Produkte ändern die Dinge, mit denen wir alltäglich umgehen. Die Ding-/Akteur-Beziehungen moderner Gesellschaften sind wesentlich industriebasiert. Aber die Industrie allein auf die technische Produktion zu reduzieren, ist unterkomplex. Zwar bildet die materiale Transformation den Kern der Industrie. Dienstleistungen handhaben die Produkte, generieren sie aber nicht. Doch ist die industrielle Produktion – eine ökonomische, nicht lediglich technische Form der Produktion – ohne die unmittelbar mit ihr verknüpften Dienstleistungen (vom Transport über die Buchhaltung bis zum Management) nicht erklärbar. Viele nicht-technische Formen des Wissens werden in den industriellen Prozess eingetragen, letztlich auch die ingenieurialen und naturwissenschaftlichen, neben den Verwaltungen. Deswegen ist die Entwicklung der industriellen Produktionen von Beginn an untrennbar dienstleistungs- und wissensbasiert. Industrielle Produktion – das Kernelement des aufblühenden Kapitalismus – ist ein organisiertes mixtum compositum aus Technik, Arbeit, Diensten und Wissen unter ökonomischer Regie. Das ist auch heute nicht anders, wenn auch in neuen, IT-definierten Konstellationen. Geändert haben sich aber die Beschäftigungsdimensionen und die Organisationsformen.4

Der industrielle Produktionsprozess

Fünf Transformationsprozesse sind in der Industrie verschachtelt:

  1. die Transformation der Materien in Güter und deren ausdifferenzierte Formen (T1);
  2. die Transformation der Technologien, die diese Produktionen hervorbringen (T2);
  3. die Extraktion und Transformation der Energien durch thermodynamische Technik (T3);
  4. die Transformation der Organisation dieser Prozesse (T4);
  5. die Transposition von Energie, Rohstoffen und Produkten durch infrastrukturell entwickelte Logistik (T5).

T2 und T3 generieren die Ingenieurfunktion, T4 die Managerfunktion: als spezifische Leitungstätigkeit, die die differenten Prozesse T1 bis T3 in Hinblick auf die Wertschöpfung koordiniert.

Industrieproduktion war von Beginn an ein Mehrkomponentensystem, dessen einzelne Teile sich im Laufe der Industrialisierung ausdifferenzierten:

    1. der technische Kernprozess (= materielle Transformation);
    2. der begleitende Prozess der ständigen Innovation und Implementation neuer Technologien (F&E = ingenieurgetriebene Prozesse);
    3. begleitende Handarbeitsprozesse (Lager, Transport, Beschickung, Montage etc.), zum Teil bereits extern zugekauft;
    4. der Handel der Produkte, inklusive des Transportes;
    5. die begleitenden Angestellten- und Verwaltungsprozesse (Buchhaltung, Finanzierung, Lagerhaltung, Einkauf und Verkauf etc.);
    6. das Banking (als externe Finanzierung).

Alle diese Prozesse zusammen bildeten den industriellen Produktionsprozess im umfassenden Sinne. Vier Prozesse sind erst einmal nicht technikgestützt (3 bis 6), nur der Kernprozess (1) und zum Teil der Ingenieursprozess (2). Wir sehen, dass die Industrie von Beginn an wesentlich dienstleistungsgestützt oder -begleitet ist. Jeder dieser Prozesse unterliegt einer anderen Logik, deren gemeinsame Klammer die Erzeugung von Wertschöpfung ist. Um das zu erreichen, müssen besondere Formen der Organisation und deren Kopplung eingesetzt werden: das Management.5 Das Management ist ein in der industriellen Produktion entstandener neuer Dienstleistungsbereich innerhalb der Industrieunternehmungen; wir haben die obige Liste zu ergänzen:

7. Management (nicht nur die Unternehmensleitung, sondern auch die Professionalisierung unterer Leitungsebenen).

Industriemanagement ist die Kunst, differente Prozesse eigener Logik zu einem Wertschöpfungsnexus zu koordinieren. Keine der einzelnen Abteilungen oder Bereiche ist sui generis auf Wertschöpfung ausgelegt. Arbeiter, Ingenieure, Angestellte sind auf ihre jeweiligen Fachlichkeiten konditioniert und untereinander nicht kommunikativ gekoppelt.6 Die Dominanz der Technik (mit ihren je spezifischen sachlichen Anforderungen) muss jeweils auf die Renditefähigkeit hin angepasst werden. Technische und ökonomische Produktion sind so aufeinander abzustimmen, dass nachhaltig marktfähige Produkte generiert werden.

Die Prozesse 1 bis 7 sind innerhalb eines Unternehmens nicht mehr notwendig zu organisieren. Was vordem innerhalb einer (Industrie-)Organisation intern hierarchisch geleitet wurde, wird jetzt zum Teil in externe Vertragsbeziehungen aufgeteilt oder über diverse internationale Produktionen verteilt. Das ehedem blockartige Organisationsgebilde wandelt sich in eine Netzwerkbeziehungsstruktur, die am Rande im Marktwettbewerb immer wieder mit neuen Partnern kooperiert. Hier dominieren flexible Effizienzkriterien statt hierarchisch definierter Arbeitsbeziehungen.7 Umso mehr wird die moderne Industrie ein Organisationsthema; bei kritischen Technologien entstehen Fragen der Risiken und ihrer Beherrschbarkeit.

Neu ist heute das Faktum, dass die Technologie nicht allein für den industriellen Prozess reserviert ist, sondern das Alltagshandeln durchsetzt. Insofern haben wir es mit einer „neuen Industrie“ zu tun, die das Unternehmen als Produktionsort verlässt und als Technobasis von Dienst- und anderen Leistungsprozessen fungiert, die semi-industriell arbeiten. Semi-industriell meint Folgendes: Die technobasierten Handlungen produzieren keine materialen Produkte, wie die Industrie, aber ihre Generierungen (als Begriff nicht-materialer Transformationen) können ohne technische Medien nicht stattfinden. Wir haben es, wesentlich bei der IT, mit techno-informationalen Hybriden zu tun. Die Industrie ist partiell in die Gesellschaft ausgewandert.8

Neue Industrie

Der Kapitalismus ist ein großes Transformationssystem. Zuerst als Transformation von Materien, dann, erweitert, als informationale Transformation der Dienstleistungen, zuletzt als deren Extension durch Wissensgenerierung und Wissenseintrag. Diese Erweiterungen der Transformationsprozesse haben den industriellen Kern nicht aufgehoben, sondern nur verdeckt. Die reinen Produktionen binden sich komplementär mit Dienst- und Wissensleistungen zu neuen Hybridgütern. Man kauft keine Maschine mehr, sondern den „total service“; man kauft kein Konsumgut mehr, sondern zugleich einen Lifestyle. Dennoch trägt die materiale Produktion all diese Prozesse, bestimmt aber immer weniger die endgültige Anwendung und Form. Es scheint so, dass die Industrie zum Dienstleister für Wertschöpfungen und Marktanwendungen wird; ihre Produktionen sind so flexibel, anpassungsfähig und variabel, dass sie jede marktgängige Form annehmen können.

Der moderne Alltag ist technisch durchstrukturiert: neben den konventionellen Technologien, die wir immer schon verwenden: Schreibgeräten, Uhren, Fahrrädern, Automobilen, TV, Telefon, Kühlschränken, Waschmaschinen etc., befinden wir uns heute bereits in einer erweiterten Technokolonisierung: Computer, Laptop, Handy, Music Player etc., demnächst integriert in One-for-all-Geräten – alles industrielle Produkte, letztere mit dem (ökonomischen) Vorteil, dass sie technologisch so schnell veralten, dass sie alle Jahre wieder neu gekauft werden. Doch sind das nur die offensichtlichen Signien dafür, dass wir alle unsere Alltagsgegenstände (Textilien, Möbel, Bücher, Küchengeräte, Waschmaschinen, Werkzeuge etc.) weiterhin als industriell hergestellte Produkte kaufen, neben einem größer werdenden Verarbeitungsanteil bei Nahrungsmitteln, Pharmaka etc. Unsere Alltagswelt ist eine Ding-/Netzwerk-Welt, an der der industrielle Part immens größer ist (und mit weiterer IT-Durchdringung nicht abnimmt) als wir ihn wahrnehmen.

Die Dinge des Alltags, mit denen unsere Handlungen vernetzt sind, sind wesentlich industrielle Produkte (was besonders auffällt in den Reproduktionen der Kunst, die überall gezeigt werden). Selbst der Sport ist gerätebasiert (demnächst auf Biotech-Basis), die Medizin durch und durch, wie sogar auch die Gartenpflege. Bleibt nur der Hausbau, der noch hohe handwerkliche Anteile hält (aber in Nutzung vieler industriell vorgefertigter Komponenten). Es gibt kaum Dinge, die nicht material industriell gefertigt sind. Deshalb wird dem Design soviel Bedeutung zugesprochen, das die Massenfertigung durch individuelle Formzuschreibung bzw. hohe Varietät kaschiert (Mass Customization: als Hybrid zwischen industrieller Massenfertigung und industriell sortierter Individualität der Produkte, die wir zunehmend selbst auswählen).

Wir nehmen vielmehr das wahr, was sich auf diesen Alltagstechnologien abspielt: unsere Arbeit, unser Vergnügen, alle die Medienereignisse, Spiele, Dokumentationen etc. Medien werden erst einmal nicht als materiale Produkte aufgefasst. Sie sind Pixelmengen auf elektronischen Folien. Aber sie werden material produziert:

  • erstens nicht nur ähnlich den industriellen Formen der Massenproduktion, in einer neuen immensen Reproduzierbarkeit, sondern
  • zweitens sind sie – was wir zu übersehen neigen – materiale Produkte, nun allerdings in modernen Formen, als Kombination von algorithmisch organisierter Elektrik auf handhabbaren Mikro-Universalmaschinen.

Das Produkt dieser neuen Industrieform ist ein Kombinat von materialer und informationaler Transformation, dessen Leistungsvarietät ohne das informationstechnologische Dispositiv nicht existieren könnte.

Nennen wir es eine „vierte Industrie“ (nach der klassischen ersten der industriellen Maschinisierung, nach der zweiten der seriellen Fertigung, und nach der dritten, der Automatisierung des Produktionsprozesses). Die „vierte Industrie“ ist die „Industrialisierung des Alltags“ (auch des Büroalltags), vornehmlich durch die IT-Maschinen, die uns auf Ebenen, die nicht mehr zur klassischen Industrie gehören, selber industriell arbeiten lassen: an wie selbstverständlich gewordenen Mensch-/Maschine-Schnittstellen.

Doch geht die „vierte Industrie“ weiter: der Drucker, den ich zuhause installiert habe, ist eine kleine industrielle Produktion (wie die Mikrowelle, der Warmwasseraufbereiter, die automatische Gas- oder Ölheizung; auf dem Dach produzieren meine Sonnenkollektoren elektrische Energie etc.). Produktionsprozesse, die vordem nur in klassischen Industrieunternehmen stattfanden, werden weitläufig in die Haushalte verteilt. Das Wertschöpfungsnetz der Industrie weitet sich auf die Gesellschaft aus, und die ältere Industrie verlagert sich in dieser Dimension darauf, die Produktionsmaschinen herzustellen und zu vertreiben, die diese dezentralen neuen „kleinen Industrien“ bedienen. Gerade sind die ersten 3D-Drucker auf dem Markt, die aus 3D-Modellen und erhitztem Flüssigmaterial dreidimensionale Replika fertigen.9 Neil Gershenfeld vom MIT nennt diesen Schritt die Einführung von „Fabs“: „from personal computers to personal fabrication“.10 Wir haben es mit einem Prozess der Umstellung der Produktion von Gütern auf die Produktion von Produktionsagentien bzw. „kleinen Fabriken“ zu tun. Deswegen nimmt die klassische Industrieproduktion nicht ab; sie ändert nur ihre Produktstruktur, wird Vor-Produktion für eine relativ eigenständige häusliche und Büro-Produktion. Insgesamt erweitert die Gesellschaft ihr industrielles bzw. Produktionspotenzial. Wir werden „durchindustrialisiert“, nun aber nicht im Sinne der negativen Utopien der Mechanisierung der Welt („stählernes Gehäuse“), sondern durch Alltagsentlastungsmaschinerie, die für uns zunehmend selbstverständlicher werden, und sei es nur als Ansammlung von Event Machines und Gadgets (Computer-Spiele, Social Machines wie das iPhone, mit dem wir unsere Kontaktnetzwerke bedienen etc.).

Wir wählen zwar die Musik aus, die wir hören, und schreiben etliche Texte selber, aber das meiste ist medienindustrielle Produktion, die im Internet nur deswegen platziert wird, um Aufmerksamkeit und auf Sekundärmärkten Umsätze zu generieren. Der Rest geht über andere Kanäle an die Kunden (auch wieder in multiplen Verwertungsketten). Dienstleistungs- und Wissensprozesse sind längst Hybride, mit hohen technologischen Anteilen. Musik z.B. ist längst „mehr Tonstudio“ als musikalische Performance; Medizin, als Apparatemedizin klassifiziert, ist längst technologische Diagnostik und zum Teil bereits Therapie (inklusive industrieller Pharmazie); selbst Verwaltungsdienstleistungen sind längst auf dem Weg, über E-Government auf technologischen Prozessen zu basieren; Ausbildung wird über E-Learning technologisiert. Auch das Hantieren in privaten Küchen ist durchtechnologisiert. In diesem Sinne muss die klassische Differenzierung in Industrie, Dienstleistung und Wissensgenerierung neu sortiert werden. Die Industrie wird sich – in ihrer hypermodernen Form – in dem Maße als stabil erweisen, in dem die ältere Industrie die anderen Prozesse durchflutet. So können wir von einer Renaissance der Industrie reden, in ihren zwei Ausprägungen unterschiedlich: IT und Ökologie.

Wissensproduktion

Wir befinden uns in einem Prozess der technologischen Medialisierung, d.h., jeder Prozess erweist sich als – mehr oder minder – technologisch transformierbar. Dass ich diese Zeilen auf einem Computer schreibe, mit angeschlossenen Recherche- und Archivsystemen, ist der – triviale – Hinweis auf eine technologische Basis meiner Wissensproduktion (+ erhöhter Produktivität). Ich bin kein individueller Autor mehr, sondern operiere an einer Mensch-/Maschine-Schnittstelle, die nicht die Schreibgeschwindigkeit erhöht, aber die Transposition in zugängliche Texte, ohne Zwischenarbeit von Setzern und Druckern und Lektoren (zum Leidwesen aller), neben den wunderbaren Recherchemöglichkeiten im Internet (in denen andere mir längst vor- und zuarbeiten). Ich arbeite somit in einer industriellen Dimension, d.h. ich kann die technologischen Potenziale, die früher auf die Industrie im engeren Sinne beschränkt waren, individuell nutzen und sozial verteilen.

Welche Folgen das für unsere bisherigen Kulturtechniken hat, lässt sich noch nicht einzuschätzen.11 Eines aber ist evident: mein Gedächtnis habe ich zum Teil bereits auf die Recherche- und Archivsysteme ausgelagert. Ich bewege mich längst in arbeitsteiligen Systemen quasi-industrieller Organisation, d.h., ich habe mich daran gewöhnt, die Materialität des Technischen für jedwelche Transformationen geistiger Art zu nutzen. Wir sind soweit, dass wir spezifisch transformierte Materie (Computer-Maschinen) für beliebige informationale und Medienprozesse nutzen, d.h., dass wir auf IT-Basis organisierte Systeme für individuelle Prozesse verwenden können: technologiegestützte Dienstleistungen und Wissensprozesse. Um so notwendiger, wenn auch gleichsam unauffälliger, sind wir auf diese technologische Basen und Instrumente angewiesen, d.h. auf ihre (industrielle) Produktion (und ihre vielfältigen Vorproduktionen, d.h. chemische, metallurgische, optische und systemkomponenten-produzierende Industrien etc.). An den kleinen IT-Maschinen verschwindet die ungeheure industrielle Vorleistung, verwischt ihre industriellen Spuren.

Die Technologien sind Dispositive, die durch die Möglichkeiten ihrer Anwendungen, die sie offerieren, selber überholt werden. Die Technologierung unserer Alltagswelt (gekoppelt mit der latenten bis manifesten Übertragung der Arbeit in den Alltag) wird kulturalisiert, d.h. es wird kulturell attraktiv, über die Mikro-Maschinen zu kommunizieren (nicht zuletzt wegen ihres Designs: Zeichen der Modernität – die e-sthetik von Apple des Steve Jobs). Dabei differenziert sich die Haltung zur Technik:

  • gegen die „große Technik“ bestehen Vorbehalte (ökologischer (Emissionen) wie risikobetonter Art (Kernkraft, Kohle)),
  • die „kleine“ bzw. smarte Technologie wird hingegen zu einer Art von Modernisierungsattraktor.

Dass die smart Technology wesentlich von der „großen Technologie“ (Chemie, Metallurgie, Elektronik etc.) produziert wird, bleibt im Schatten der Vorbehalte und prägt das Bild („mental scheme“) der neuen Industrie. Hinter den Inter-Netzen arbeiten starke klassische industrielle Produktionen, die weiterhin die materiale Infrastruktur der virgilen „informational clouds“ herstellen.

Industrie und Ökologie

Doch ist diese reiche Mannigfaltigkeit der Formen nur die eine Seite der Medaille; zugleich haben wir zunehmend Ressourcenverknappungen, die die Beliebigkeit der industriellen materialen Transformationen beschränken. Jetzt wird sichtbar, dass die materiale Transformation neu beginnen muss, neue Materien zu transformieren, um sie in Produktion bringen zu können – eine neue Relevanz der Proto-Industrien und des Recycling. Substitutionsprozesse sind nötig, in Forschung, Entwicklung und Produktion. Plötzlich wird das, was geschichtlich bereits in ein Spiel beliebiger Mannigfaltigkeiten übergegangen zu sein schien, zu einem neuen Feld der Anforderung an die Industrie: dass sie sich ihre Materien, die sie produktiv transformiert, neu generieren muss („ecological challenge“). Die geschichtliche Entwicklung der Industrie als Extension ihrer transformatorischen Potenz wird an der Grenze der Ressourcenverfügbarkeiten zu einer Anforderung, die Materien überhaupt erst herzustellen, die sie weiterhin transformieren könnte – bis in die Umstellung auf neue Materien und Kräfte der Energiegewinnung. Es sei nur erinnert an die Sorge über die Verknappung der seltenen Erden, den wichtigen Bestandteilen der „modern electronics“.

Der Teil der Industrie, der die Extraktion der Materien betrieb (Proto-Industrie), um sie der Produktion anheimzustellen, wird selber zu einer herstellenden Industrie (Recycling bzw. Herstellung neuer Materien, die die Umstellung der Produktionen klassischer Industrie erfordern werden z.B. von Stahl zu Kohlefasern in der Autoindustrie, oder aber, im Rahmen der Energiewende, von Uran auf Wind und Sonne etc.). Hier erfahren wir die Entstehung neuer Industrien, die ohne Wissenseintrag nicht zu denken wären. D.h. wir erfinden neue Materien, die dann industriell umgesetzt werden, und zwar so, dass in der Konstruktion der Materien ihre Transformierbarkeit bereits mitkonzipiert wird (in Hinblick auf die weitere Nutzung vorhandener Technologien, in Hinblick auf ihre Wiederverwertbarkeit und als Treiber der Erfindung neuer Technologien – neben ihrer ökologischen Abbaubarkeit und Wiederverwertbarkeit). Die Forschung generiert nicht nur neue Technologien, sondern neue Materien, deren Form bereits die Disposition neuer Produktionen in sich birgt. Wir erweitern gerade – in dieser Dimension – den Produktionsprozess von der Transformation von Materien auf die Produktion von Materien. Diese Form von Industrie wird wachsen.

Die Industrie steht vor einer Renaissance; nehmen wir allein die Anforderungen aus dem Klimathema: neue Formen der Energiegewinnung (z.B. durch Wasserstofffusion, durch solare Rezeptoren, durch Erdwärme, durch biologische Photosynthese und lunare Gravitation, Tidenhub), Intensivierung des öffentlichen Nahverkehrs (Elektromobilität), Wärmedämmung und Elektroheizungen, Stimulierung des Algenwachstums in den Ozeanen (Geo-Engineering), andere Formen der Bodenbearbeitung in der Landwirtschaft etc. Das alles fordert Forschung, technische Lösungen und deren Produktionen. In der chemischen Industrie beginnen ebenfalls große Substitutionsprozesse – vom Metall zu Plastik, bis hin zur Elektro- und Nano-Chemie. Allein die Investitionen in diese Dimensionen, zum größeren Teil Substitutionen bisheriger Technologien, generieren industrielles Wachstum (im Kontext der „produktiven Zerstörung“ Schumpeters, in der diejenigen, die verschwinden, durch neue überkompensiert werden).

Industrie und IT

Hinzu kommt die IT-Dimension: die Vielfalt der Programme („soft dimension“) basiert auf der technischen Produktion von exzellenter Hardware. Deren Massenproduktion macht sie zwar immer kostengünstiger, aber die Anforderungen an eine Ausweitung der Verarbeitungsprozessualitäten fordert in immer höheren Sequenzen, neue Geräte zu produzieren und zu verkaufen. Hier ist der Dienstleistungssektor, zu dem die IT-„industries“ geschlagen werden, eindeutig industriell geprägt. Nennen wir diesen Prozess eine Durchindustrialisierung des Alltags: alle Alltagsobjekte werden zunehmend über industrielle Produktion geprägt, am auffälligsten im Food-Bereich wie in der Durchdringung des Alltags mit elektronischen Medien und Maschinen (Haushalts- und Lichtelektroniken, Heizungs- und Wärmedämmungselektroniken, Automobilelektronik, Umschlag vom Buch in Lesegeräte, Musik, etc.). Ohne elektronisch-technische Medien ist der Alltag kaum noch denkbar (auch nicht z.B. in Kenia; so arm die Leute dort durchschnittlich sind, haben viele ein Handy); die Entwicklungspotenziale sind erheblich (allein z.B. die anstehende elektronisch gesteuerte Optimierung aller Haussysteme; die wärmeregulierende Kleidung; die elektronischen Bezahlsysteme; gar nicht zu reden von der Zukunft der Verkehrsoptimierung, der „Energiewende“ etc.). Künftig wird selbst die Mensch-/Maschine-Kommunikation optimiert: statt Daten und Befehle mit der Hand einzugeben, später über Sprache, werden wir bald Direktkommunikationen über Augen-, Ohr- und Gehirnkopplungen erreichen.12

Die hier gewonnenen Erkenntnisse neuer Technologien diffundieren in die Industrie zurück und ändern deren Prozesse, erhöhen deren Automatisierung und Varianz. Dennoch braucht jede neue Phase neuer Hybridangebote zum Teil neue Produktionstechnologien. Für das Geo-Engineering z.B. und neue Energiegewinnungen werden – wie auch im IT-Bereich selbst – völlig neue Technologien entwickelt. Die Med-tech- und die Bio-tech-Dimension haben wir noch gar nicht angesprochen (auch nicht die anstehende Transformation des Medienbereichs in die Cyber-Dimension).13 Wir stehen vor einer gewaltigen Industrialisierung der Dienstleistungen. Das wird die Form der Arbeit wie ihre Diffusion in alle gesellschaftlichen Bereiche betreffen; vor allem werden wir vieles, was früher gesonderte Dienstleistung war, selber an unseren IT-Maschinen erledigen (prosumption = production and consumption in one): In dem Maße, in dem ich z.B. meine Kontoführung bei der Bank selber erledige, übernehme ich die Dienstleistung, die deswegen aufhört, Dienstleistung zu sein. Und indem ich das nur per IT-Maschine erledigen kann, „produziere“ ich im Kontext der neuen IT-Industrie, deren Name „Netz“ oder „cloud“ nur den arbeitsteiligen globalen industrialisierten Prozess verdeckt, in dem ich mich bewege und den ich voraussetzen muss.

Nicht mehr allein Industrie-Firmen gehen in die Wertschöpfungsnetze ein, sondern jeder User (meistens Privatpersonen). Die materiale Transformation/Produktion verbleibt im Netz der klassischen Industrie, aber die Produkte, soweit sie selber hergestellte Maschinen sind, holen die User (= Konsumenten) in semi-industrielle Produktionsweisen herein, die nicht nur die Dienstleistungen als Branchen teilweise auflösen, sondern vor allem die informationale Transformation technisch basieren. Im Grunde sind dann alle User in weitem Bogen ans industrielle Netz angeschlossen, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied: nicht in die materiale Produktion, sondern nurmehr in die technisch fundierte Lösung tendenziell beliebiger Aufgaben. Der nächste Schritt ist die ökologische und energetische Optimierung dieses globalen Maschinenparks, ohne dessen Optionalität zu mindern (vermutlich durch autoreferenzielle Automatismen).

Das Verschwinden der Industrie war ein Phänomen, das aus den Verschiebungen der Beschäftigten abgelesen wurde. Mehr und mehr fanden sich die Arbeitnehmer in den Dienstleistungsbranchen wieder. Die Industrie aber verschwand nicht, sondern wurde nur kapitalintensiver und zugleich outputstärker. Ob wir mit den Kategorisierungen Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft richtig liegen, wird fraglich, wenn wir die Ausbreitung der Alltagsmaschinerien und der Hardware-/Software-IT-Hybride in Büros und Alltag wahrnehmen. Allgemein breiten sich Mensch-/Maschine-Schnittstellen aus: Gershenfelds „Fabs“ („personal fabrications“), die zum Teil das, was die Industrie lieferte, selber herstellen lassen bzw. Alltagsarbeiten ohne die High-Tech-Basis der IT nicht mehr denken lassen. Wenn die allgemeine Produktion aber nicht mehr in der Industrie geschieht (die allerdings weiterhin und ausgeweitet die Hardware dafür herstellt), sondern breit in die Gesellschaft und ihre Wirtschaft hineindiffundiert, haben wir es mit einer Extension der Industrie zu tun. Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft sind dann Träger dieser Ausweitung der Industrie, gleichsam treibenden Momenten der erweiterten Industrialisierung. Wir sind längst eine hybride Gesellschaft einer technologisch-informationalen Dimension. Die Redeweise vom Ende der Industriegesellschaft können wir beenden.

  • 1 Vgl. N. Stehr: Arbeit, Eigentum und Wissen. Zur Theorie von Wissensgesellschaften, Frankfurt a.M. 1994; ders.: Wissen und Wirtschaften. Die gesellschaftlichen Grundlagen der modernen Ökonomie, Frankfurt a.M. 2001.
  • 2 B. P. Priddat: Natur-Stoff und Wert-Form. Zur Modernisierung des Naturbegriffs in der Ökonomie des 18. und 19. Jahrhunderts, in: G. Figal, R.-P. Sieferle (Hrsg.): Selbstverständnisse der Moderne, Stuttgart 1991, S. 67-99.
  • 3 C. Mitcham: Thinking through Technology. The Path between Engineering and Philosophy, Chicago 1994, S. 208.
  • 4 Vgl. G. Bosch: Die sogenannte Dienstleistungslücke in Deutschland: ein Vergleich von Konzepten für mehr Beschäftigung und neue Formen der Arbeitsmarktorganisation im tertiären Sektor, Graue Reihe des Instituts Arbeit und Technik, Nr. 2002-01, Gelsenkirchen 2002; A. Picot, R. Reichwald, R. T. Wigand: Die grenzenlose Unternehmung. Information, Organisation und Management, Wiesbaden 2003; J. Zentes, B. Swoboda, D. Morschett (Hrsg.): Kooperationen, Allianzen und Netzwerke, Wiesbaden 2005; A. Bramme: Die Neuordnung des Sozialen durch Technologie, Marburg 2007; E. Feser, H. Renski, H. Goldstein: Clusters and Economic Development Outcomes. An Analysis of the Link Between Clustering and Industry Growth, in: Economic Development Quarterly, 22. Jg. (2008), H. 4, S. 324-344; G. Hagoort, R. Kooyman: Creative Industries: Colourful Fabric in Multiple Dimensions, Delft 2010; B. P. Priddat: Wissen/Nichtwissen. Neue Episteme der Arbeitswelt, in: M. Moldaschl, N. Stehr (Hrsg.): Wissensökonomie und Innovation: Beiträge zur Ökonomie der Wissensgesellschaft, Marburg 2010, S. 431-454.
  • 5 P. Drucker: Was ist Management?, Düsseldorf 2005, S. 20 ff.
  • 6 B. P. Priddat: Organisation und Sprache, in: J. Wieland (Hrsg.): Governance im Diskurs, Marburg 2004, S. 147-180.
  • 7 Vgl. J. Zentes, B. Swoboda, D. Morschett (Hrsg.), a.a.O.
  • 8 Vgl. B. Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Frankfurt a.M. 2007.
  • 9 Vgl. C. Kurz: Die ersten Replikatoren, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 192, vom 19.8.2011, S. 34.
  • 10 Vgl. N. Gershenfeld: Fab: The Coming Revolution on Your Desktop – From Personal Computers to Personal Fabrication, New York 2007.
  • 11 Vgl. D. Baecker: Studien zur nächsten Gesellschaft, Einleitung, Berlin 2007, S. 14 ff.; C. Hubig: Mensch-Maschine-Interaktion in hybriden Systemen, in: C. Hubig, P. Koslowski (Hrsg.): Maschinen, die unsere Brüder werden. Mensch-Maschine-Interaktionen in hybriden Systemen, München 2008, S. 9-20.
  • 12 M. Kaku: Physics of the Future. How science will shape human destiny and our daily lives by the year 2100, London 2011; wie überhaupt die Maschine-/Körper-Integration beginnen wird, vgl. R. Brooks: Flesh and Machines: How Robots Will Change Us, Vintage 2003; N. Karafyllis: Natur als Gentechnik. Zur Notwendigkeit einer Technikphilosophie der Biofakte, S. 73-92, in: N. Karafyllis, T. Harr (Hrsg.): Technikphilosophie im Aufbruch, Berlin 2004.
  • 13 C. Hubig, a.a.O.

Title:The Future of Industry: Technology-based Services

Abstract:The industrial society has become history, substituted by the service economy, the knowledge economy or the information economy. But industry has only changed its form: the IT processes in particular are fundamentally industry-based, not only because of the hardware required by the informational processes, but also due to their infiltration into all service economy dimensions and our every-day lives. Modern life does not work without the IT infrastructure. Man-machine interfaces have become micro-industry structures, which transform IT-users into producers. Besides, all ecological problems and climate change challenge our industrial competences. Industry is the tacit power of our time.


DOI: 10.1007/s10273-012-1429-5