Im Jahr 2012 gelang es dem Staat, einen Budgetüberschuss zu erzielen, nachdem er noch 2010 ein Defizit von gut 100 Mrd. Euro auswies. Auf der Ausgabenseite waren vor allem Einmaleffekte, das Auslaufen der Konjunkturprogramme und die günstigen Zinsen für diese Entwicklung verantwortlich. Auf der Einnahmenseite trug die positive Lohn- und Gehaltsentwicklung und die überraschend hohe Dynamik der gewinnabhängigen Steuern dazu bei.
Der Budgetsaldo des deutschen Staates wies 2012 in Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) einen Überschuss von gut 2 Mrd. Euro aus und dies nur zwei Jahre nach einem Defizit von knapp 104 Mrd. Euro. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt hat sich das Budget in einem Zeitraum von zwei Jahren um etwa 106 Mrd. Euro bzw. 4,3 Prozentpunkte ins Positive gewendet. Gemessen am Produktionspotenzial des Jahres 2012 hat sich der Budgetsaldo um rund 111 Mrd. Euro gebessert. Eine solche rasante positive Veränderung wurde in den vergangenen Jahrzehnten nur von einer Episode im Anschluss an das Jahr 1995 übertroffen, das wegen der Übernahme der Schulden der Treuhandanstalt allerdings von einem erheblichen Einmaleffekt gekennzeichnet war.
Um die Umstände der Konsolidierung zu beleuchten und die Konsolidierungsepisode besser einordnen zu können, soll an dieser Stelle eine Betrachtung der Veränderung des Budgets angelehnt an gängige Methoden zu seiner Zerlegung vorgenommen werden (vgl. Kasten 1). Dabei wird das Budget in Konjunkturkomponenten, Einmaleffekte und einen strukturellen Teil zerlegt. Entwicklungen im strukturellen Teil sollen aktuellen Änderungen der Finanzpolitik, budgetrelevanten Änderungen in der Wirtschaftsstruktur und weiteren identifizierbaren Einflüssen zugeordnet werden.
Es zeigt sich, dass zum einen der Wegfall eines Einmaleffekts, der im Zusammenhang mit der Einrichtung der Bad Banks steht, eine bedeutende Rolle spielt. Eine ähnliche Größenordnung erreicht der Einfluss der Konsolidierungspolitik. Hier ist allerdings das Auslaufen der in der großen Rezession ergriffenen Konjunkturmaßnahmen von einer größeren Relevanz als die im Rahmen des „Zukunftspakets“ aufgelegten Maßnahmen der aktuellen Bundesregierung. Konsolidierende Effekte sind ferner durch die konjunkturelle Belebung und die Struktur der wirtschaftlichen Expansion, die vor allem die Bruttolohn- und -gehaltssumme gestärkt hat, entstanden. Die in Relation zur gesamtwirtschaftlichen Dynamik gute Arbeitsmarktlage hat nicht nur die Einnahmeseite gestärkt, sondern auch die Ausgaben für Arbeitsförderung und Arbeitslosigkeit reduziert. Schließlich hat das niedrige Zinsniveau zur Konsolidierung beigetragen. Die aufgezählten Effekte repräsentieren die Konsolidierung aber nicht vollständig. Die Konsolidierung korrespondiert ferner mit einer bemerkenswerten Entwicklung der Einkommen- und Vermögensteuern und hier insbesondere der gewinnabhängigen Steuern,1 deren Relation zu den in den VGR festgestellten Unternehmens- und Vermögenseinkommen einen Höchststand erreicht hat.
Kasten 1
Die Zerlegung des Budgets
Das Budget B wird in drei Teile zerlegt: B = K + E + S, für die Differenzbetrachtung 2012 zu 2010 ergibt sich:
B2012- B2010 = (K2012 - K2010) + (E2012 - E2010) + (S2012 - S2010) =
ΔB = ΔK + ΔE + ΔS.
K stellt die Konjunkturkomponente dar. Zur Ermittlung der Konjunkturkomponente wird das von der OECD vorgeschlagene Verfahren verwendet. Dabei wird angenommen, dass sich alle Einnahmen und Ausgaben des Staates generell proportional mit dem Produktionspotenzial entwickeln, allerdings einige Bestandteile, nämlich Steuern, Beiträge und arbeitsmarktbezogene Ausgaben, besonders konjunkturreagibel sind. Das Verfahren leitet basierend auf gesetzlichen Regelungen oder ökonometrischen Verfahren Semielastizitäten der drei genannten Budgetbestandteile ab.1 Die Budgetsensitivität ergibt sich aus der gewichteten Addition dieser Semielastizitäten. Durch die Multiplikation der Produktionslücke, die in Mrd. Euro gemessen wird, mit der Budgetsensitivität erhält man annäherungsweise den Konjunktureinfluss auf das Budget.
Mit E sind Einmaleffekte bezeichnet, also nicht (regelmäßig) wiederkehrende Einflüsse auf das Budget. Beispiele für bedeutende Einmaleffekte sind Ausgaben zur Beseitigung von Folgen von Flutkatastrophen, die Kosten der Wiedervereinigung oder Einnahmen aus der Versteigerung von UMTS-Lizenzen.
Schließlich wir mit S der strukturelle Teil des Budgets benannt. Er wird in der Regel als Residuum aus dem bekannten Budget B und den Schätzungen der Konjunkturkomponente K und der Einmaleffekte E ermittelt. Änderungen der Finanzpolitik und der Wirtschaftsstruktur, sofern diese für das Budget relevant sind, sollten sich in dieser Größe widerspiegeln.
1 Vgl. N. Girouard, C. André: Measuring Cyclically-adjusted Budget Balances for OECD Countries, OECD Economics Department Working Papers 434, OECD Publishing, Paris 2005.
Eine erste Zerlegung: Konjunktur, Einmaleffekte und Finanzpolitik
Zur Ermittlung der Konjunkturkomponenten bedarf es Daten für die Produktionslücke, die allerdings nicht beobachtbar ist und selbst geschätzt werden muss. Dies kann mittels verschiedener ökonometrischer Verfahren erfolgen, die teilweise jedoch zu voneinander abweichenden Ergebnissen kommen und deren Ergebnisse auch davon abhängen, mit welchem Datenstand sie durchgeführt wurden.2 Eine Vielzahl von Produktionslückenschätzungen kommt übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die Produktionslücke in Deutschland 2010 deutlich negativ war. Bis 2012 hat sich die Produktionslücke je nach Schätzung entweder nahezu geschlossen oder doch zumindest deutlich an die Nulllinie angenähert.3 Durchgängig hat sich die Produktionslücke um gut 1% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt gebessert. Bei einer Budgetsensitivität von 0,51, wie sie von der OECD berechnet wurde, ergibt sich eine Verbesserung des Budgets durch konjunkturelle Einflüsse von rund gut ½% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt oder etwa 15 Mrd. Euro.
Die Quantifizierung von Einmaleffekten erweist sich durchaus als problematisch, da sicherlich immer wieder eine Vielzahl von Haushaltsposten dieser Definition entspricht. Bei rund 17 000 Einzelhaushalten im öffentlichen Sektor ist eine umfassende Quantifizierung kaum zu gewährleisten. Daher werden in der Regel nur sehr umfangreiche Einmaleffekte wie die Übernahme der Treuhandschulden 1995 oder die Einnahmen aus der Versteigerung von Mobilfunklizenzen 2000 berücksichtigt. 2010 kam es im Zuge der Einrichtung der „Bad Bank“ der HypoRealEstate (FMS-Wertmanagement) und der Auffüllung der „Bad Bank“ der WestLB (Erste Abwicklungsanstalt) zu deutlichen außerordentlichen Ausgaben im Umfang von 1,3% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt.4 Dem stehen außerordentliche Einnahmen durch die Auktion von Mobilfunklizenzen von knapp 0,2% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt entgegen. Für 2012 werden außerordentliche Ausgaben in Höhe von gut 0,1% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt berücksichtigt, die auf die Auflösung der WestLB zurückgehen. In der Summe haben sich die Einmaleffekte zwischen 2010 und 2012 um rund 1% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt bzw. 25 Mrd. Euro verringert.
Das nach Abzug der Konjunkturkomponenten und der Einmaleffekte verbleibende Residuum wird als strukturelles Budget bezeichnet.5 Dabei umfasst diese Definition des strukturellen Budgets bzw. der korrespondierenden Veränderungen nicht nur Einflüsse der Finanzpolitik. Um den Einfluss der Finanzpolitik auf die Konsolidierung zu quantifizieren wird daher nicht das strukturelle Budget selbst verwandt, sondern auf die Darstellung finanzpolitischer Maßnahmen in der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose zurückgegriffen.6 Diese Darstellungen basieren auf Schätzungen für die Effekte der einzelnen Maßnahmen, die aber nicht deren Zusammenwirken und in der Regel auch keine makroökonomischen Rückwirkungen beinhalten. In der Summe lag der Effekt finanzpolitischer Maßnahmen zwischen 2010 und 2012 bei rund 28 Mrd. Euro von denen rund ein Drittel auf das im Jahr 2010 verabschiedete „Zukunftspaket“ entfallen. In dieser Summe sind rund 8 Mrd. Euro für das Auslaufen des Investitionsprogramms im Jahr 2012 veranschlagt. Die Bruttoinvestitionen sind jedoch nur um gut 2 Mrd. Euro zwischen 2010 und 2012 gesunken (vgl. hier und im Folgenden Tabelle 1). In Relation zum Produktionspotenzial um knapp 5 Mrd. Euro.7 Die Schätzung der Effekte des Auslaufens der Konjunkturprogramme von 8 Mrd. Euro sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass bei besserer Konjunkturlage mit einem endogenen Anstieg der Bruttoinvestitionen zu rechnen ist. Dies bedeutete aber, dass – würde man die gesamten 8 Mrd. Euro berücksichtigen – die Konjunkturkomponente, die bisher keine Reaktion der Bruttoinvestitionen beinhaltet, entsprechend reduziert werden müsste. Darauf wird hier verzichtet und dafür die Summe der finanzpolitischen Maßnahmen von 28 auf 25 Mrd. Euro reduziert.
Tabelle 1
Einnahmen und Ausgaben des Staates 2010 und 2012
Absolute Zahlen | Relativ zum Produktionspotenzial | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
2010 | 2012 | Differenz | 2010 | 2012 | Differenz | ||
in Prozentpunkten | in Mrd. Euro1 | ||||||
in Mrd. Euro | in % | ||||||
Einnahmen | 1087,4 | 1193,6 | 106,3 | 43,12 | 45,23 | 2,11 | 55,7 |
Verkäufe | 69,8 | 75,0 | 5,2 | 2,77 | 2,84 | 0,08 | 2,0 |
Empfangene sonstige Subventionen | 0,6 | 0,3 | -0,3 | 0,02 | 0,01 | -0,01 | -0,4 |
Empfangene Vermögenseinkommen | 20,1 | 23,5 | 3,5 | 0,80 | 0,89 | 0,10 | 2,5 |
Zinsen | 10,9 | 15,7 | 4,9 | 0,43 | 0,60 | 0,17 | 4,4 |
Nettopachten und Ähnliches | 1,1 | 1,3 | 0,2 | 0,04 | 0,05 | 0,00 | 0,1 |
Ausschüttungen | 8,1 | 6,5 | -1,6 | 0,32 | 0,25 | -0,07 | -1,9 |
Empfangene Steuern | 548,8 | 618,3 | 69,5 | 21,77 | 23,43 | 1,67 | 44,0 |
Produktions- und Importabgaben | 275,7 | 298,3 | 22,6 | 10,93 | 11,31 | 0,37 | 9,8 |
Gütersteuern | 260,0 | 279,3 | 19,2 | 10,31 | 10,58 | 0,27 | 7,1 |
Mehrwertsteuer | 178,6 | 192,2 | 13,6 | 7,08 | 7,28 | 0,20 | 5,3 |
Importabgaben | 15,2 | 17,0 | 1,8 | 0,60 | 0,64 | 0,04 | 1,1 |
Sonstige Gütersteuern | 66,2 | 70,1 | 3,9 | 2,63 | 2,66 | 0,03 | 0,8 |
Sonstige Produktionsabgaben | 15,7 | 19,0 | 3,4 | 0,62 | 0,72 | 0,10 | 2,7 |
Einkommen- und Vermögensteuern | 273,1 | 320,0 | 46,9 | 10,83 | 12,13 | 1,30 | 34,2 |
Von privaten Haushalten | 214,2 | 242,7 | 28,4 | 8,50 | 9,20 | 0,70 | 18,5 |
Von Kapitalgesellschaften | 54,7 | 72,2 | 17,5 | 2,17 | 2,74 | 0,57 | 15,0 |
Von der übrigen Welt | 4,2 | 5,1 | 0,9 | 0,17 | 0,19 | 0,03 | 0,7 |
Sozialbeiträge | 421,1 | 448,7 | 27,7 | 16,70 | 17,01 | 0,31 | 8,1 |
Von privaten Haushalten | 390,9 | 418,2 | 27,4 | 15,50 | 15,85 | 0,35 | 9,2 |
Sonstige laufende Transfers | 17,4 | 17,5 | 0,0 | 0,69 | 0,66 | -0,03 | -0,8 |
Empfangene Vermögenstransfers | 9,6 | 10,3 | 0,7 | 0,38 | 0,39 | 0,01 | 0,2 |
Ausgaben | 1191,0 | 1191,3 | 0,3 | 47,23 | 45,14 | -2,09 | -55,1 |
Vorleistungen | 120,9 | 131,1 | 10,2 | 4,80 | 4,97 | 0,17 | 4,6 |
Arbeitnehmerentgelt | 195,3 | 203,5 | 8,2 | 7,74 | 7,71 | -0,03 | -0,9 |
Geleistete sonstige Produktionsabgaben | 0,1 | 0,1 | 0,0 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,0 |
Geleistete Vermögenseinkommen | 63,4 | 63,5 | 0,1 | 2,51 | 2,41 | -0,11 | -2,8 |
Subventionen | 27,9 | 24,8 | -3,1 | 1,11 | 0,94 | -0,17 | -4,4 |
Monetäre Sozialleistungen | 429,6 | 430,8 | 1,2 | 17,04 | 16,33 | -0,71 | -18,8 |
Soziale Sachleistungen | 203,3 | 213,7 | 10,4 | 8,06 | 8,10 | 0,03 | 0,9 |
Sonstige laufende Transfers | 54,1 | 56,4 | 2,2 | 2,15 | 2,14 | -0,01 | -0,3 |
Vermögenstransfers | 60,2 | 28,0 | -32,2 | 2,39 | 1,06 | -1,33 | -35,0 |
Bruttoinvestitionen | 41,9 | 40,8 | -1,1 | 1,66 | 1,55 | -0,12 | -3,0 |
Nettozugang nicht-produzierte Vermögensgüter | -5,8 | -1,4 | 4,4 | -0,23 | -0,05 | 0,18 | 4,6 |
Finanzierungssaldo | -103,6 | 2,3 | 105,9 | -4,11 | 0,09 | 4,20 | 110,8 |
1 Differenz in Prozentpunkten mit dem Produktionspotenzial von 2012 multipliziert.
Quelle: Statistisches Bundesamt (Stand der VGR vom 24.5.2013); eigene Berechnungen.
Nach Abzug von Konjunkturkomponente, Einmaleffekten und finanzpolitischen Maßnahmen verbleiben von den 111 Mrd. Euro Gesamtkonsolidierung rund 46 Mrd. Euro in der jetzigen Darstellung unerklärt (vgl. Tabelle 2).
Tabelle 2
Komponentenzerlegung
Konsolidierung 2010 bis 2012 | 111 |
---|---|
- Konjunkturkomponente | 15 |
- Einmaleffekte | 25 |
- Finanzpolitische Maßnahmen | 25 |
Rest I | 46 |
- Relation Bruttolohn- und -gehaltssumme zu Unternehmens- und Vermögenseinkommen | 9 |
- Arbeitsmarkt | 6 |
Rest II | 31 |
- Zinseffekt | 6 |
Rest III | 25 |
Änderungen der Wirtschaftsstruktur
Der als Residuum errechnete strukturelle Budgetsaldo wird nicht nur von finanzpolitischen Maßnahmen beeinflusst, sondern auch von volkswirtschaftlichen Entwicklungen, die nicht im allgemeinen Konjunkturmuster abgebildet werden, wobei diese durchaus vorübergehend sein können. Dabei geht es um strukturelle Fragen, z.B. wie sich die Verwendungsseite des Bruttoinlandsprodukts – eine relativ zur Exportnachfrage stärkere Inlandsnachfrage würde bei gleichem Bruttoinlandsprodukt wegen der Konsumbesteuerung wohl zu höheren Staatseinnahmen führen – oder wie sich das Volkseinkommen zusammensetzt.
Der zuletzt genannte Punkt dürfte für die Episode der Jahre 2010 bis 2012 besonders relevant gewesen sein, da insbesondere die Lohneinkommen und weniger die Unternehmens- und Vermögenseinkommen zulegen konnten. Zwar ist im Schnitt die Steuerbelastung letztgenannter größer, doch führen die Sozialbeiträge dazu, dass die öffentlichen Haushalte von einem Anstieg der Bruttolohn- und -gehaltssumme stärker profitieren als von einem Anstieg der Unternehmens- und Vermögenseinkommen. Zwischen 2010 und 2012 ist die Bruttolohn- und -gehaltssumme um knapp 9% gestiegen, während die Unternehmens- und Vermögenseinkommen nur um 1,4% zulegten.8
Der Effekt der überproportionalen Lohnentwicklung wird an dieser Stelle dadurch quantifiziert, dass jeweils mit dem nominalen Bruttoinlandsprodukt proportionale Entwicklungen von Bruttolohn- und -gehaltssumme und Unternehmens- und Vermögenseinkommen unterstellt werden und mit der tatsächlichen verglichen wird. In beiden Fällen wird bei der Bruttolohn- und -gehaltssumme mit rund 48% als Abgaben gerechnet (Summe aus Arbeitgeber-, Arbeitnehmerbeiträgen und Lohnsteuer) und bei den Unternehmens- und Vermögenseinkommen 19%. Die Differenz der Abgabensummen wird als Struktureffekt gewertet. Er beläuft sich auf etwa 9 Mrd. Euro.9
Der betonte Anstieg der Bruttolohn- und -gehaltssumme reflektiert nicht zuletzt die gute Arbeitsmarktlage. Diese wiederum begünstigt nicht nur die Einnahmen des Staates, sondern mindert auch die Ausgabendynamik. Die Summe der Geldleistungen des Bundes und der Arbeitsagentur für Arbeitsmarktausgaben sind im genannten Zeitraum um 10 Mrd. Euro gesunken. Ein Teil dieser Reduktion ist auf konjunkturelle Einflüsse und auf finanzpolitische Schritte zurückzuführen. Etwa ein gutes Drittel der Konjunkturkomponenten wird den Arbeitsmarktkosten zugerechnet.10 Allerdings muss bei der Betrachtung der Konjunkturkomponenten berücksichtigt werden, dass generell unterstellt wird, dass die Staatsausgaben mit dem Produktionspotenzial im Gleichlauf zunehmen. Der Referenzwert für die Einsparung sind somit nicht die Ausgaben des Jahres 2010 von 50,6 Mrd. Euro, sondern die hypothetischen Ausgaben im Jahr 2012 von knapp 53 Mrd. Euro. Abzüglich der Konjunkturkomponente verbleiben rund 48 Mrd. Euro. Hinzu kommen Maßnahmen der Finanzpolitik, so wurde der Übergang zwischen ALG I und ALG II beschleunigt, was zu jährlichen Einsparungen von 0,2 Mrd. Euro geführt haben dürfte, und die Bundesagentur hat Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktförderung reduziert („Instrumentenreform“). Letztere soll 2012 zu Minderausgaben von 1,7 Mrd. Euro geführt haben. Da sich hinter diesen Zahlen auch Sachausgaben oder Vorleistungen verbergen und nicht unbedingt monetäre Leistungen an ansonsten Arbeitslose, wird nur die Hälfte des Werts veranschlagt. Der Referenzwert beläuft sich somit auf etwa 47 Mrd. Euro. Dies sind gut 6 Mrd. Euro mehr, als tatsächlich 2012 verausgabt wurden. Die 6 Mrd. Euro können folglich als Minderausgaben gelten, die auf die strukturellen Veränderungen des Arbeitsmarkts zurückgehen.
Nach Abzug der Effekte, die durch die sinkende strukturelle Arbeitslosigkeit und die Struktur der wirtschaftlichen Expansion der Jahre 2011 und 2012 entstanden sind, verbleiben rund 31 Mrd. Euro (vgl. Tabelle 2).
Zinsausgaben und -einnahmen
Die Differenz aus empfangenen Vermögenseinkommen (vor allem Zinseinahmen und Ausschüttungen) und geleisteten Vermögenseinkommen (vor allem Zinslast der Staatsverschuldung) gemessen am Produktionspotenzial 2012 hat sich um 3,3 Mrd. Euro bzw. um 5,5 Mrd. Euro verbessert. Dies ist auch deswegen beeindruckend, da die Bundesbank 2012 ihre Ausschüttungen an den Bund deutlich gekürzt hat und sich der Bruttoschuldenstand des Staates von 2010 bis 2012 von 2056 Mrd. Euro auf 2166 Mrd. Euro erhöht hat. Beide Punkte hätten eine deutliche Verschlechterung der Nettovermögenseinkommen erwarten lassen.
Die trotzdem positive Entwicklung der Nettovermögenseinkommen geht auf zwei Aspekte zurück. Vordringlich sind die niedrigen Renditen von Bundesschuldtiteln und mehreren Länderschuldtiteln zu nennen (Zinseffekt). Allein der Bund hätte 2012 rund 10 Mrd. Euro mehr Zinsausgaben gehabt, wenn seit Beginn der Finanzkrise Bundesschuldtitel zu den Konditionen der vorangegangenen Jahre begeben worden wären.11 Zudem hat die Übernahme großer Portfolios der Hypo Real Estate und der WestLB durch die zum Staat zählenden „Bad Banks“ zu deutlich steigenden Einnahmen aus entsprechenden zinstragenden Papieren geführt. Da die Verluste der „Bad Banks“ in den Jahren 2011 und 2012 durch die bereits 2010 gebuchte Bewertungsdifferenz erfasst wurden, haben diese das Staatskonto 2011 und 2012 nicht belastet.
Nach Berücksichtigung von Zinseffekten verbleiben rund 25 Mrd. Euro (vgl. Tabelle 2).
Sehr dynamische Einkommen- und Vermögensteuereinnahmen
Die Entwicklung der Einkommen- und Vermögensteuern war zwischen 2010 und 2012 besonders dynamisch. Gemessen am potenziellen Bruttoinlandsprodukt lagen die Einnahmen aus Einkommen- und Vermögensteuern rund 34 Mrd. Euro höher. Allerdings müssen bei diesen 34 Mrd. Euro Konjunktureffekte und Rechtsänderungen, die bereits berechnet wurden, herausgerechnet werden. Rund ein Drittel des zuvor diskutierten Konjunktureffekts gehen auf Steuern zurück (also 5 Mrd. Euro) und Rechtsänderungen dürften rund 3 Mrd. Euro Mehreinnahmen generiert haben.
Angesichts einiger Ungenauigkeiten und Rundungsfehler entsprechen die verbleibenden 26 Mrd. Euro zusätzlicher Einnahmen aus Einkommen- und Vermögensteuern dem noch unerklärten Teil der Konsolidierung recht genau.
Der doch beträchtliche Konsolidierungsbeitrag wirft die Frage auf, was die Ursachen für die hohe Dynamik dieser Steuern sind. Um dieser Frage nachzugehen, werden die Lohnsteuern und die übrigen Einkommen- und Vermögensteuern gesondert betrachtet und in Relation zu den Größen gebracht, die in den VGR als Proxygrößen für die entsprechenden Bemessungsgrundlagen dienen. Es zeigt sich, dass die Lohnsteuereinnahmen in Relation zur Bruttolohn- und -gehaltssumme merklich gestiegen sind und dies trotz einiger Rechtsänderungen, die für Mindereinnahmen verantwortlich sein dürften. Hätte die Lohnsteuer 2012 die gleiche Relation zur Bruttolohn- und -gehaltssumme (um Rechtsänderungen bereinigt) erzielt wie 2010, hätten die öffentlichen Haushalte rund 12 Mrd. Euro weniger eingenommen. Ein Großteil dieser Summe wird von der kalten Progression erklärt.
Größer sind die Effekte allerdings bei den übrigen Einkommen- und Vermögensteuern. Relativ zu den Unternehmens- und Vermögenseinkommen sind diese von 2010 bis 2012 deutlich gestiegen (vgl. Abbildung 1). Zum Teil geht dies zwar auf Rechtsänderungen zurück, doch selbst unter Berücksichtigung dieser hätte eine konstante Relation zu den Unternehmens- und Vermögenseinkommen Mindereinnahmen von 16 Mrd. Euro bedeutet.
Verschiedene Ursachen können für die sehr gute Entwicklung der übrigen Einkommen- und Vermögensteuern verantwortlich sein. Zum einen dürften Veranlagungsverzögerungen eine Rolle spielen. Demnach dürfte die deutlich gebesserte Gewinnsituation im Jahr 2010 noch nicht im gleichen Ausmaß zu Steuerzahlungen geführt haben. Diese fielen hingegen zum Teil in den beiden Folgejahren an. Eine andere Ursache könnte das sehr niedrige Zinsniveau sein, wodurch Zinsausgaben von Unternehmen gesunken und somit vermutlich deren Gewinne gestiegen sein dürften. Da Zinseinkommen der Abgeltungsteuer unterliegen und teilweise sogar steuerfrei sind, dürften hier andere Grenzsteuererträge angenommen werden als bei den Gewinnen, die zur Zahlung von Einkommen- und Körperschaftsteuer führen.
Abbildung 1
Einkommen- und Vermögensteuern
Lohnsteuerquote: Lohnsteuer laut Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung in Relation zur Bruttolohn- und -gehaltssumme. Einkommen- und Vermögensteuerquote: Einkommen- und Vermögensteuern ohne Lohnsteuer in Relation zu Unternehmens- und Vermögenseinkommen.
Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.
Fazit
Die öffentlichen Haushalte in Deutschland haben von 2010 bis 2012 eine der stärksten Konsolidierungsepisoden in der Geschichte der Bundesrepublik erlebt. Einen bedeutenden Anteil daran hat allerdings der Wegfall von Einmaleffekten (Einrichtung der Bad Banks im Jahr 2010), die konjunkturelle Entwicklung hingegen spielt eine vergleichsweise moderate Rolle. Ähnliche Effekte wie von der Konjunktur gingen vom Auslaufen der Konjunkturprogramme (etwas stärkere) und dem „Zukunftspaket“ der Bundesregierung (etwas geringere) aus. Einen bemerkenswerten Beitrag zur Konsolidierung lieferten Struktureffekte. Die überraschend stark steigende Beschäftigung und die stärker als das Bruttoinlandsprodukt steigende Bruttolohn- und -gehaltssumme haben die Einnahmeseite verbessert und zu einer Reduktion der monetären Sozialleistungen geführt. Zumindest teilweise dürfte dies eine Dividende der Arbeitsmarktreformen aus den Vorkrisenjahren sein.12 Weitere Effekte gingen vom extrem günstigen Zinsniveau aus.13 Bemerkenswert hingegen ist der Konsolidierungseffekt, der von den Einkommen- und Vermögensteuern herrührt. Neben den von der kalten Progression getriebenen Lohnsteuereinnahmen haben sich die gewinnabhängigen Steuern äußerst positiv entwickelt.
Die Lage der öffentlichen Haushalte hat sich in der Konsolidierungsepisode von 2010 bis 2012 unbestreitbar deutlich verbessert. Allerdings steht ein Teil des Konsolidierungserfolgs auf wackeligem Fundament. Dort, wo stark steigende Bruttolöhne und niedrige Zinsen, die gegebenenfalls das Budget sogar zweifach gestützt haben könnten, für die Konsolidierung verantwortlich sind, kann nicht davon ausgegangenen werden, dass dies dauerhafte Änderungen sind. Mit Korrekturen, und damit mit Verschlechterungen des (strukturellen) Budgets, muss daher in Zukunft gerechnet werden.
- 1 Die Bezeichnung „Einkommen- und Vermögensteuern“ wird an dieser Stelle aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung übernommen. Sie umfassen die direkten Steuern wie z.B. Lohnsteuer, Körperschaftsteuer, Abgeltungsteuer oder Einkommensteuer.
- 2 Die gängigen Verfahren nutzen zur Bestimmung der Produktionslücke eines Jahres auch Informationen aus den folgenden Jahren.
- 3 Vgl. OECD: Economic Outlook, Paris 2012; Europäische Kommission: European Economic Forecast – Spring 2013, European Economy 2, Brüssel 2013; J. Boysen-Hogrefe et al.: Mittelfristprojektion für Deutschland: Hochkonjunktur bei mäßigem Potenzialwachstum, Kieler Diskussionsbeiträge 520/521, Kiel 2013, S. 35-45; Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: Deutsche Konjunktur erholt sich – Wirtschaftspolitik stärker an der langen Frist ausrichten, Halle 2013; Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Bundesministerium der Finanzen: Gesamtwirtschaftliches Produktionspotenzial und Konjunkturkomponenten – Frühjahrsprojektion der Bundesregierung vom 25.4.2013, Berlin 2013.
- 4 In den Budgetzahlen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen wurden bei der Einrichtung der „Bad Banks“ Bewertungsdifferenzen zwischen den Nennwerten der Portfolios und den damals aktuellen Marktwerten als Verluste gebucht. Garantien, Kredite oder Einlagen an bzw. bei anderen Banken, die gegebenenfalls zurückgezahlt bzw. zurückgegeben werden können, zählen nicht als Verlust und werden in den Budgetzahlen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nicht berücksichtigt.
- 5 Vgl. Europäische Kommission: Public Finances in the EMU – 2012, European Economy 4, Brüssel 2012, S. 316.
- 6 Vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: Europäische Schuldenkrise belastet deutsche Konjunktur, Essen 2011; Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: Eurokrise dämpft Konjunktur – Stabilitätsrisiken bleiben hoch, Kiel 2012.
- 7 Die Bruttoinvestitionen haben 2012 ein extrem niedriges Niveau erreicht. Seit vielen Jahren sind die Nettoinvestitionen des Staates negativ. Der Verzehr des öffentlichen Kapitalstocks ist somit weiterhin Bestandteil der Haushaltskonsolidierung (vgl. J. Boysen-Hogrefe et al.: Deutschland: Konjunkturelle Expansion gerät ins Stocken, Kieler Diskussionsbeiträge 512/513, Kiel 2012, S. 3-32, Kasten 3; J. Boysen-Hogrefe et al.: Mittelfristprojektion für Deutschland ..., a.a.O., Kasten 1).
- 8 Mögliche Effekte, die durch eine Veränderung der verwendungsseitigen Struktur ausgehen könnten, dürften angesichts einer nahezu identischen Expansion der für die Umsatzsteuer relevanten modifizierten Inlandsnachfrage (6,3% Zuwachs zwischen 2010 und 2012) und dem nominalen Bruttoinlandsprodukt (5,9% Zuwachs) gering sein und werden an dieser Stelle nicht weiter betrachtet.
- 9 Bei dieser Berechnung wird vernachlässigt, dass die Progression bei der Lohnsteuer stärkere Effekte als bei den gewinnabhängigen Steuern haben dürfte. Dies dient zum einen der Vereinfachung und zum anderen der Vermeidung von Doppelzählungen.
- 10 Girouard und André rechnen mit einer Sensitivität der arbeitsmarktbedingten Ausgaben von 0,18. Das entspricht einem Anteil von rund 35% an der Budgetsensitivität von 0,51. Vgl. N. Girouard, C. André: Measuring Cyclically-adjusted Budget Balances for OECD Countries, OECD Economics Department Working Papers 434, Paris 2005.
- 11 Vgl. J. Boysen-Hogrefe: Die Zinslast des Bundes in der Schuldenkrise: Wie lukrativ ist der „sichere Hafen“?, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 13. Jg. (2012), Special Issue, S. 81-91.
- 12 Vgl. J. Boysen-Hogrefe, D. Groll: The German Labour Market Miracle, in: National Institute Economic Review, Bd. 214 (2012), H. 1, S. R38-R50.
- 13 Berücksichtigt man den zwischen 2010 und 2012 deutlich gestiegenen Bruttoschuldenstand, hätte die Zinslast im Gegensatz zur tatsächlichen Entwicklung spürbar steigen müssen.