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Seit dem 13. Juli 2014 steht fest: „Deutschland ist Weltmeister“. Für vier Jahre. Mit diesem – mindestens – globalen Anspruch gemeint ist der Sieger der alle vier Jahre stattfindenden Endrunde des Fußball-World-Cups für die Auswahl-Mannschaften der Männer der Mitgliedsverbände der Fédération Internationale de Football Association (FIFA). Ja, es geht weder um die Welt und noch nicht einmal um Länder, sondern nur um Sport­organisationen und deren „Auswahl-Mannschaften“ (wie der portugiesische Name der Auswahl des brasilianischen Fußballverbandes deutlich macht: Seleção). Deswegen kann etwa Großbritannien vierfach vertreten sein: mit den Auswahlteams von England, Nordirland, Schottland und Wales. Und Gibraltar ist auch noch dazu gekommen. Bei der Endrunde mitspielen konnte diesmal freilich nur die bei FIFA-World-Cups notorisch schwache Mannschaft des englischen Verbands.

Für Sozialwissenschaftler und Ökonomen ist die „WM“ inzwischen zweifach interessant: als ökonomisch-gesellschaftliches Phänomen und als Prognose-Objekt. Und auch da geht es ums Geld. Zusammen mit den Soziologen Jürgen Gerhards (Freie Universität Berlin) und Michael Mutz (Universität Göttingen) habe ich anhand der Marktwerte der Spieler, die in den jeweiligen Kadern der WM-Teilnehmerverbände standen, seit 2006 die Sieger der Europa- und Weltmeisterschaften richtig prognostiziert. Diesmal stand wieder die spanische Auswahl-Mannschaft an der Spitze. Hier hat die Marktwertmethode nun grandios versagt. Im Nachhinein ist man natürlich schlauer: Der Kapitalmarkt hat den Wert der gealterten spanischen Spieler offenbar überschätzt. Freilich: Dass Kapitalmärkte danebenliegen, kommt ja immer wieder vor. Insofern ist der Spielermarkt keine Ausnahme. Und die Europäer, die die Marktwerte schätzen, kennen sich insbesondere in Mittel- und Südamerika nicht gut aus. Und auch die Spielervermittler haben die potenziellen Schnäppchen in Costa Rica, die weit besser spielten, als es der Marktwert anzeigte, übersehen (was bei Nebenwerten an der Börse ja auch immer wieder vorkommt). Aber ganz so dumm, wie es zu Beginn der WM, als Spanien schon nach zwei Spielen aus dem Rennen war, den Anschein hatte, ist die Marktwertmethode trotzdem nicht.

Von den letzten vier Teams der FIFA-WM ließen sich durch die Marktwerte immerhin drei richtig vorausgesagen. Und im Finale standen zwei der vier anhand der Marktwerte identifizierten Favoriten. Dass das DFB-Team im Halbfinale die brasilianische Auswahl deklassiert hat, konnte keine Methode prognostizieren. Aber immerhin hatte der Kader des Deutschen Fußball-Bundes ohnehin einen messbaren Vorsprung von etwa 50 Mio. Euro vor der Seleção. Nach dem fatalen Foul an Neymar (geschätzter Transferwert: 60 Mio. Euro) wurde die Lücke noch deutlich größer. Überraschend wäre gewesen, wenn das preiswerte holländische Team auch noch gegen die argentinische Auswahl, deren Kader fast doppelt so teuer war (210 Mio. Euro versus 390 Mio. Euro), gewonnen hätte. Das ist aber nicht geschehen.

Am Ende ist mit der DFB-Elf das hinter Spanien an der Spitze der Marktwerte liegende Team „Weltmeister“ geworden. Die recht eng beieinander liegenden Marktwerte der Mannschaftskader von Argentinien und Deutschland ließen ein spannendes Spiel erwarten – und so kam es. Man sah wieder einmal, dass in kaum einem Mannschaftssport der Erfolg so stark vom Zufall abhängt wie im Fußball. Das liegt daran, dass so wenige Tore fallen (im Durchschnitt nur drei pro Spiel). Deswegen kann ein früher Zufallsvorsprung oft gegen einen besser spielenden Gegner gehalten werden. Oder ein Spieler wie Mario Götze, der im Turnier – trotz hohen Marktwertes – wenig zustandebrachte, aber als Auswechelspieler in der Verlängerung den Ball in artistischer Manier ins Tor bringt, kann ein Spiel entscheiden. Genau deswegen macht es so viel Spaß, Fußball zu schauen.

Nun zu einer ernsthaften und ärgerlichen Dimension der Ökonomie eines FIFA-World-Cups. Wenn der Ball rollt, wird gerne vergessen, dass eine Weltmeisterschaft für Herrenmannschaften milliardenschwere Investitionen in Stadien und Infrastrukturen erfordert, die sich – wie inzwischen vielfach empirisch nachgewiesen ist – für das ausrichtende Land nicht rechnen, wenn sie nur im Hinblick auf eine WM gebaut werden. Denn „die“ Fußball-WM ist keine nationale oder zwischenstaatliche Angelegenheit, sondern es handelt sich schlicht und einfach nur um den „World Cup“ des Weltfußballverbandes FIFA. Und die FIFA ist – zurückhaltend ausgedrückt – eine sehr eigenwillige Institution. Ähnlich wie das Internationale Olympische Komitee (IOC) ist sie im Prinzip eine gemeinnützige Organisation; die aber das Geldverdienen, einschließlich der Zahlung hoher Aufwandsentschädigungen für ihre Funktionäre, in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten gestellt hat. Das konnte man bei dieser WM unmittelbar beobachten. Die WM ist als Markenzeichen – als Trademark „TM“ – unter dem Namen „2014 FIFA World Cup BrazilTM“ geschützt. Und die Homepage der FIFA ist nicht in der Schweiz registriert (wo die FIFA sitzt) oder als internationale Organisation (mit der Extension „.org“), sondern – nomen est omen – mit der Extension „.com“ für Kommerz.

Die FIFA verlangt enorme Investitionen und Staatsgarantien. Am Ende kassiert nur sie selbst für Eintrittskarten und vor allem – milliardenschwer – für die TV-Übertragungsrechte und verteilt dann das Geld nach Gutdünken: Deswegen musste in Brasilien zu sportlich unvernünftigen Zeiten – teilweise bereits um 12 Uhr in tropischer Schwüle – gespielt werden. Denn nur dann passten die Anstoßzeiten halbwegs in mitteleuropäische Fernsehgewohnheiten.

Es fällt der FIFA nun offenbar schwer, in westlich geprägten Demokratien noch Verbände bzw. Länder zu finden, die bereit sind, eine Fußballweltmeisterschaft für Herrenmannschaften auszurichten. Die nächsten zwei World Cups finden mit Russland und Katar in Ländern statt, die man durchaus nicht als lupenreine Demokratien bezeichnen muss. Wenn die FIFA sich nicht zunehmend isolieren will, dann wäre ein Schritt zu bescheideneren Weltmeisterschaften mit kleineren und weniger prächtigen Stadien, wie man sie in vielen Ländern mit Fußballtradition vor Ort ohnehin finden kann, ein wichtiger Schritt. Auch könnte eine WM in nur acht statt zwölf Stadien gespielt werden (im superreichen Katar ist genau das im Gespräch!). Die Ausrichterländer würden dadurch viel Geld sparen, und die Akzeptanz der WM in der breiten Bevölkerung des Ausrichterlandes könnte wieder größer werden. Diese Akzeptanz war ja im als „fußballverrückt“ geltenden Brasilien keineswegs gegeben. Und der Unwillen vieler Menschen lag nicht am Ausscheiden der Seleção im Halbfinale, sondern es gab bereits im Vorfeld massive Proteste.

In Deutschland überlegen gegenwärtig zwei Stadtstaaten, sich um die olympischen Sommerspiele 2028 zu bewerben: Hamburg und Berlin. Wirtschaftlich zu verkraften ist das für das reiche Deutschland sicherlich. Auch der Aufwand ist überschaubar. Berlin hat z.B. jetzt schon das Dreifache der Hotelkapazität, die vom IOC gefordert wurde. Allerdings: Gegen den Willen der Menschen macht weder eine Bewerbung und erst recht nicht das Ausrichten (ökonomischen) Sinn. Das bringt der Chef der Berliner Flughäfen, Harmut Mehdorn, der unverdächtig ist, dem Volk nach dem Mund zu reden, auf Basis seiner Erfahrungen mit der Schönefelder Flughafenbaustelle auf den Punkt (laut Süddeutscher Zeitung). Er sagt zu Großprojekten in demokratischen Staaten heutzutage (nicht nur in Berlin): „Du musst alles vorbereiten, alles planen und alle Einwände abgearbeitet haben, die von den Bürgern, den Behörden, den Politikern. Erst wenn Du alles für die Akzeptanz getan hast, kannst Du anfangen. In China geht das schneller. Da fährt plötzlich der Bagger durch deinen Garten, und die haben vergessen dich zu fragen. Aber wer will das schon? Ich lebe lieber in einer Demokratie.“


DOI: 10.1007/s10273-014-1697-3

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